Nachschuss
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| Montag, 24. Oktober 2005Nachschuss
Das Runde muss in das Eckige – die alte Fußball-Weisheit gilt nicht nur auf dem Platz, sondern auch im Bücherregal. Fußball-Bücher sind längst zu einem wichtigen Zeitvertreib für die Stunden geworden, in denen der Ball nicht rollt. Auf dem sportorientierten Büchermarkt hat sich gerade in den letzten Jahren einiges bewegt: die „Intellektuellen“ blicken nicht mehr nur anlässlich von Welt- und Europameisterschaften über die Ränder ihrer Brillen und reflektieren, analysieren und kommentieren den Lauf des Leders.
In der Rubrik Nachschuss beschäftigt sich indirekter-freistoss mit Texten zum Thema, die über den Tag hinaus gedacht und geschrieben sind. Vorgestellt werden hier essenzielle Bestandteile der Fußball-Bibliothek: Standardwerke zu Geschichte und gesellschaftlicher Bedeutung des Fußballs stehen hier neben augenzwinkernden Sammlungen rhetorischer Fehlpässe, Betrachtungen zu Ökonomisierung und Medialisierung des Sports wechseln sich mit stimmungsvollen Erfahrungsberichten bekannter und unbekannter Protagonisten ab. Gelegentlich finden sich hier auch Ausflüge in die genuine Fußballliteratur oder Streifzüge durch die Welt der spiel- und taktikorientierten Lehrbücher. Die Nachschuss-Bibliothek erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – Kommentare sind erwünscht, Selbstnominierungen für die Rezensentenbank nicht ausgeschlossen. Ansonsten gilt: das nächste Buch ist immer das schwerste.
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Fußball mit dem Hitlergruß
Von Detlev Claussen
Einer großen Aufmerksamkeit konnte man sicher sein. Im September 2005 wurde die Studie von Nils Havemann „Fußball unterm Hakenkreuz“ der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt. Endlich hatte der Deutsche Fußball Bund reagiert und gerade noch rechtzeitig vor der Weltmeisterschaft seine Vergangenheit von einem unabhängigen Historiker aufarbeiten lassen. Dreißig Jahre waren seit Walter Jens´ skandalträchtiger Festrede im Frankfurter Schauspielhaus zur Fünfundsiebzigjahrfeier des DFB vergangen, als zum ersten Mal ein größeres Publikum auf die mangelnde Auseinandersetzung des deutschen Fußballs mit dem Nationalsozialismus dreißig Jahre nach dessen Ende hingewiesen wurde. Wie wenig der DFB durch diese Kritik für die Gegenwart sensibilisiert war, zeigte das Verhalten seiner Delegation bei der WM 1978 in Argentinien. Nicht nur zeigte man keine Scham, sich mit der Militär-Junta gemein zu machen, sondern man empfing auch alte, nach Argentinien geflohene Nazis wie das so genannte Flieger-As Rudel im Trainingslager Ascochinga. Dieser Unwille des DFB, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen und Konsequenzen für die Gegenwart zu ziehen, provozierte vor seiner Hundertjahrfeier einige kritische Fußballpublizisten, die Rolle des DFB und seiner Funktionäre nach 1933 unter die Lupe zu nehmen. Der DFB reagierte mit einem inzwischen von mehreren deutschen Firmen erprobten Verfahren: Er beauftragte im Dezember 2001 einen Historiker, die Geschichte der Organisation nach wissenschaftlichen Standards aufarbeiten zu lassen. Jetzt, im Herbst 2005, liegt das erschreckende Ergebnis vor.
Wer sich ein bisschen mit der Geschichte des DFB beschäftigt hat, wird nicht überrascht sein zu erfahren, dass er sich nach 1933 vorbehaltlos in den „Dienst des NS-Staates“ (S. 340) stellte. Havemann wird nicht müde zu betonen, wie „normal“ dieses Verhalten im Vergleich zur Gesamtgesellschaft war. Die gesamte Darstellung Havemanns durchzieht die Grundannahme vom „Faszinosum Hitler“, dessen Zauber die große Mehrheit der Gesellschaft erlegen ist. Der Historiker verteilt am Ende Schuld und Verantwortung mit dem Gestus eines gerechten Richters: Den DFB trifft Schuld wie fast alle in Deutschland außer den verfolgten Juden – aber auch nicht mehr. Wenn fast alle die gleiche Schuld trifft, hat auch niemand das Recht anzuklagen, sondern man kann nur noch feststellen, wie es gewesen ist. Havemann bleibt einer falschen Entscheidung verhaftet, nämlich weder in einen „anklägerischen“ noch „apologetischen Ton“ zu verfallen. Aber angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen gibt es keinen Mittelweg, der zurück in das Ideal von Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts führt – sine ira et studio, unparteiisch, ohne Zorn und Eifer. Man muss lange in diesem Buch lesen, um herauszubekommen, was einen so unangenehm berührt: Nicht die Erkenntnis, wie etwas geschehen konnte, steht im Mittelpunkt der Darstellung, sondern die Gewissheit, wie es zu bewerten ist. Als Maßstab dient ein zur Schau getragener Realismus, den Havemann großspurig „nüchterne Betrachtung der Conditio humana“ (S. 7) nennt. Erklärtermaßen will er die Geschichte aus Personen erklären, nicht auf den Begriff bringen. Zur Verfügung steht ihm eine Mischung aus oberflächlicher Individualpsychologie und einer Anthropologie, die „zeitlose Phänomene wie Drang nach Machtstreben, Karrierismus, Drang nach wirtschaftlichem Gewinn, Gedankenlosigkeit, Selbstgerechtigkeit, Angst, Neid, ideologischer Fanatismus, Rücksichtslosigkeit, Brutalität, Opportunismus, Realitätsverdrängung, Egozentrismus, Eitelkeit und Ignoranz“ (S. 29) als Voraussetzung der „Einzigartigkeit“ der nationalsozialistischen Verbrechen zu identifizieren in der Lage ist. Selbst die harten Fakten verflüchtigen sich im Nebel banaler Allgemeinheiten.
Die Beziehung des DFB zur nationalsozialistischen Herrschaft löst sich in Personalgeschichten auf, von denen man nie weiß, wie repräsentativ sie sind. Nicht nur die Lektüre, sondern auch die Besprechung werden erschwert durch die Feindschaft Havemanns gegen jede Form von Struktur und Theorie. Er erzählt Einzelgeschichten, die ein differenziertes Bild der ganzen Geschichte vortäuschen sollen. Die publizistischen Kritiker des DFB bezichtigt er durch die Bank der Generalisierung, während er sich selbst, methodologisch begründet, in einander widersprechenden Einzelheiten verliert, die belegen sollen, dass alles Andere eine unzuverlässige Verallgemeinerung ist. Fragen nach Kontinuität kann Havemann mit seinem personalisierenden Ansatz gar nicht stellen. So liest sich das Ganze wie ein verspäteter Beitrag zum Historikerstreit – als ein 473 Seiten dicker Schlussstrich.
Der für den Fußball folgenreichste Kampf nach der „Machtergreifung“ war die Verhinderung des Profifußballs in Deutschland. Es lässt sich nicht leugnen, der DFB hat sich zentraler Elemente nationalsozialistischer Politik bedient, um bestimmte Interessen durchzusetzen. Der Kampf gegen den Professionalismus wurde mit nationalsozialistischer Hilfe und antisemitischer Propaganda gewonnen. Sie sicherte dem DFB nach 1933 sein organisatorisches Monopol, die nationalsozialistischen Sportführer versprachen sich eine olympische Goldmedaille 1936. Der Professionalismus folgte einer Logik fußballerischer Entwicklung, wie man am liberalkapitalistischen englischen, aber auch am faschistischen italienischen Beispiel sehen kann. Die mehrheitliche Aversion gegen Berufsfußball im DFB vor und nach dem Nationalsozialismus lässt sich nicht allein aus Pragmatismus gegenüber dem neuen Regime erklären. Die „Machtergreifung“ 1933 wurde vom DFB freudig begrüßt. Die Verbindung von Antiprofessionalismus und Antisemitismus liegt auf der Hand, der Ausschluss der Juden von allen wichtigen Ämtern im Fußball nach 1933 entschied einen seit der Mitte der zwanziger Jahre lang anhaltenden Kampf im DFB. Die Vermutung, dass diese Politik nicht „rasseideologisch motiviert“ gewesen ist, sondern ökonomisch und machtpolitisch, kann kein Argument für den nichtnationalsozialistischen Charakter des Antisemitismus im DFB sein. Die Motive antisemitischer Praxis können vielfältig sein; Ideologie ist ihrer Struktur nach aber in seltenen Fällen ein Motiv, sondern Rechtfertigung.
Die Geschichte von Otto Nerz und seinem Nachfolger Herberger könnte das Verhältnis von sich verändernder Gesellschaft, Nationalsozialismus und DFB illustrieren. Der erste Reichstrainer Nerz kam aus einem eher sozialdemokratischen Umfeld, trainierte bei Tennis Borussia, der als „Judenclub“ von seinen Feinden diffamiert wurde und vermittelte seinen Schützling Herberger aus Mannheim nach Berlin. Nach 1933 tat sich Nerz durch grauenhafte aggressive, antisemitische Artikel in der Presse hervor, die vor allem den Zusammenhang von Professionalismus und Judentum strapazierten. Havemann verliert sich in Spekulationen über „Angst, Neid und Schuldgefühle“ (S. 160), die diese Attacken verursacht haben sollen. Doch, wichtig ist nicht das Motiv, sondern die Aktion, durch die Juden im Fußball zu Freiwild der Verfolgung gemacht wurden. In der Tat war der DFB eine bürgerliche Sportorganisation, die keine Widerstandskraft gegen ihre nationalsozialistische Umfunktionierung entwickelte, sondern die neuen Bedingungen für ihre Ziele nutzte. Sepp Herberger, der kommende Mann als Reichstrainer, verfolgte sein Projekt Nationalmannschaft unter den neuen politischen Voraussetzungen kalkuliert karrieristisch, wie es schon Jürgen Leinemann in seiner lesenswerten Biographie vor Jahren herausgearbeitet hat. Aber das macht die Sache doch nicht besser: So viel Nationalsozialismus wie nötig, um die Nationalelf voranzubringen, und so wenig Nationalsozialismus wie möglich, um danach ungeschoren weitermachen zu können. Das verlogene Selbstbewusstsein, nicht aus ganzem Herzen von vornherein Nazis gewesen zu sein, machte doch die fatale Gewissheit aus, man müsse sich nach 1945 gar nicht selbstkritisch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit beschäftigen. Aus diesem Grund konnte man auch nach 1945 immer wieder falsche Töne hören wie die des ersten Nachkriegspräsidenten Peco Bauwens, der das „Wunder von Bern“ 1954 so chauvinistisch deutete, dass sogar der Bayerische Rundfunk sich bemüßigt fühlte, aus einer Live-Übertragung auszusteigen. Bauwens war Linnemann im Amt gefolgt, der schon in Weimarer Zeit erbittert gegen die Berufsspieler gekämpft hatte und später als Kriminalist im Rang des SS-Sturmbannführers in Hannover diente. Seine Präsidentschaft im DFB und seine Beteiligung an der Herstellung der berüchtigten „Zigeunerkartei“ zeigen die Verflechtung von gesellschaftlichen Funktionen, die eine Studie über Fußball im Nationalsozialismus über die individuellen Geschichten hinaus hätte sichtbar machen müssen. Nur so würde das Klima verständlich, das dem HSV-Altstar Tull Harder, der als KZ-Wächter in Neuengamme gedient hatte, nicht nur nach seiner Freilassung 1951 einen begeisterten Empfang am Rothenbaum ermöglichte, sondern nach seinem Tod 1956 auch ein Ehrenbegräbnis, eingehüllt in eine HSV- Fahne.
Nils Havemann: Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz 2005. 473 S., 19,90 €.
Detlev Claussen ist Professor für Gesellschaftstheorie, Kultur- und Wissenschaftssoziologie an der Universität Hannover und lebt in Frankfurt am Main. Der Text erschien zuerst in den Frankfurter Jüdischen Nachrichten.
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