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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Champions League

Schaufenster Olympiastadion

Oliver Fritsch | Freitag, 15. November 2002 Kommentare deaktiviert für Schaufenster Olympiastadion

Bayern setzt auf Jugend, um den FCK muss man fürchten, Fußball-gerechter Deutschunterricht in Leverkusen, Kopfbälle fördern eventuell die Demenz, Magath bastelt erfolgreich in Stuttgart

Der vergangene Champions-League-Spieltag war aus deutscher Sicht von nebensächlicher Bedeutung, denn die Entscheidungen waren bereits ausnahmslos gefallen. Folglich traten die Mannschaften aus Dortmund, Leverkusen und München mit besseren Reserve- und Amateurteams an. „Bayern setzt auf Jugend – aber nur im Ananasspiel“, bewertet die taz den Einsatz der beiden Jugendlichen Feulner und Schweinsteiger und wettet darauf, dass die vermeintlichen Hoffnungsträger „wieder weg vom Schaufenster Olympiastadion sein“ werden, wenn es um Bundesligapunkte gehen wird.

Aus Mangel an Erzählenswertem bleibt also die Muße, auf einen Klub aus unserem südlichen Nachbarstaat zu richten, dem diese Woche die größte Sensation der bisherigen Saison gelang. Der FC Basel – für dessen sportlichen Aufschwung der Vorstandsvorsitzende des 1. FC Kaiserslautern René C. Jäggi mitverantwortlich zeichnet – setzte sich gegen den haushohen Favoriten aus Liverpool durch und schaffte damit den „größten Erfolg des Schweizer Fußballs seit rund einem Vierteljahrhundert“, worüber die FAZ erstaunt: „Schweizer Präzisionsarbeit, die zumindest im Fußball bislang unbekannt war.“

Außerdem: „Keiner muss sich mehr vor dem FCK fürchten; man muss um ihn fürchten2, stellt die SZ nach der erneuten Heimniederlage der einst so heimstarken Pfälzer gegen den VfL Bochum (0:2) fest.

1. FC Kaiserslautern – VfL Bochum 0:2

Roland Zorn (FAZ 15.11.) schreibt. „Froh gestimmt war René Charles Jäggi von einem Besuch bei seiner großen Liebe heimgekehrt. Der frühere Präsident des FC Basel hatte mitgezittert, mitgelitten, mitgejubelt beim Triumph des Schweizer Fußballmeisters am Dienstag abend. Das 3:3 gegen den FC Liverpool bescherte den Baselern als erstem schweizerischen Klub weitere sechs Spiele in der Champions League – während Jäggi am Dienstag noch einmal spürte, daß er dort offenbar viel richtig gemacht hat. Von einem wunderbaren zu einem schrecklichen Fußballabend ist der Abstand oft kurz. Am Mittwoch abend erlebte der vor dem Anpfiff noch bestens gelaunte Geschäftsmann auf dem Betzenberg einen weiteren Albtraum in Teufelsrot. Der 1. FC Kaiserslautern, den der Schweizer jetzt anführt, verlor nach dem trostlosen 0:1 vom Samstag gegen Aufsteiger Hannover 96 schon wieder daheim gegen einen Neuling. Diesmal kassierte der vom Fluidum der 36.000 Zuschauer im Fritz-Walter-Stadion keineswegs eingeschüchterte VfL Bochum alle drei Punkte. Die unmittelbare Folge für die Westfalen: Der Bundesliga-Kurs des VfL schnellte nach oben, die Mannschaft von Trainer Peter Neururer verbesserte sich vier Tage vor dem großen Revierderby gegen den FC Schalke 04 von Platz neun auf Platz drei. Die Baisse des 1. FC Kaiserslautern dagegen blieb ortsfest.“

Zur allseits geführten Schiedsrichterdiskussion wirft Wolfgang Hettfleisch (FR 13.11.) ein. „Wer als junger Mensch seine Sinne leidlich beisammen hat, wird ungeachtet der dräuenden Arbeitslosigkeit auf eine Laufbahn als Unparteiischer tunlichst pfeifen. Sie bringt im besten und ausgesprochen seltenen Fall nette Reisen und ein auskömmliches Leben für ein paar Berufsjahre in kurzen Hosen, garantiert aber jede Menge Ärger – und Feinde fürs Leben. Nun echauffiert sich Fußball-Deutschland also wieder über diesen Pfiff und jenen Karton. Profis wollen dem Spielleiter an die Wäsche, Klub-Präsidenten treten eifrig aus der VIP-Lounge nach. All das ist nicht neu. Doch der Ton ist schriller geworden. Ein Strafstoß, ein Platzverweis kann über Millioneneinnahmen entscheiden. So steht zu befürchten, dass der Druck auf die Referees weiter wachsen wird.“

Der ehemalige französische Fifa-Referee Michel Vautrot (FAZ 13.11.) meint dazu. „Schon Schriftsteller Maurice Donnay hat erkannt, daß eine Gesellschaft Heuchelei wie die Luft zum Atmen braucht. Ob er dabei an den Fußball mit all seiner Maßlosigkeit und seinen Emotionen gedacht hat, der mehr und mehr zum Spiegelbild unserer Gesellschaft wird? (…) Tatsache ist, daß Diplomatie und Heuchelei heute einhergehen: Während im Vordergrund noch die Verbrüderung gefeiert wird, werden im Hintergrund bereits wieder die Messer gewetzt. Bei den Häppchen zur Halbzeitpause steht die ehrenwerte Fußball-Gesellschaft den Politikern in nichts nach: Der Bessere – gemeint ist die eigene Mannschaft – möge gewinnen. Und die Schiedsrichter – vor dem Anpfiff noch Hätschelkinder, nach Spielschluß meist nur noch Prügelknaben – sind sie Diplomaten, Heuchler oder gar beides? Den Unparteiischen, die im Dienste der Spieler, des Spiels, des Spektakels und fremder Regeln stehen, wird im Labyrinth der Partikularinteressen und Fernsehbilder von zu vielen vermeintlichen Entscheidungsträgern und Zuschauern mehr und mehr das Recht auf Fehler abgesprochen. Wird den Spielern bei einem Fehler Pech bescheinigt, ist bei Schiedsrichtern gleich von Unfähigkeit und Schiebung die Rede (…) Auch im Fußball haben viele die Wahrheit für sich gepachtet, wie die Trainer mit ihren Adleraugen. Sie mögen noch so weit vom Spielgeschehen entfernt sein, die fehlenden Zentimeter beim Abseits oder beim Foul an der Strafraumgrenze entgehen ihnen nie. Außer sie wären die Leidtragenden: So wird auf der einen Trainerbank Zeter und Mordio geschrien und auf der anderen auf den Tatsachenentscheid des hervorragend postierten Unparteiischen verwiesen. Als wären die irdischen Widrigkeiten nicht schon genug, muß der Schiedsrichter auch auf Fortuna hoffen. Je nach Spielausgang ist Fehler nämlich nicht gleich Fehler. Bei einem klaren Verdikt besitzen sogar die Verlierer ein gewisses Augenmaß und suchen die Schuld nicht einfach beim Spielleiter. Anders sieht es hingegen aus, wenn die Partie auf Messers Schneide steht: Bei einem spielentscheidenden Fehler in der Nachspielzeit ist die bis dahin überragende Leistung des Unparteiischen im Nu vergessen – selbst wenn der Irrtum erst nach mehreren Zeitlupeneinstellungen zu erkennen ist, womit wir bei der Gretchenfrage angelangt sind: Entweder beschränken wir uns auf die Perspektive des Schiedsrichters und akzeptieren seinen Tatsachenentscheid ohne Wenn und Aber, oder wir führen den Videobeweis ein.“

Ein sehr nettes Fundstück verdanken wir Christoph Bertling (FTD 13.11.). „Das waren Zeiten, als Lucio noch Limonade trank und Strümpfe stopfte. ‚Darüber haben sich die Spieler kaputtgelacht‘, erinnert sich Frank Ditgens, 35, Betreuer für die ausländischen Spieler bei Bayer Leverkusen. ‚Irgendwann kam der Lucio dann auch nicht mehr.‘ Aber seine Kollegen aus Bulgarien, Argentinien oder Brasilien auch nicht. Sie hatten keine Lust auf ‚Sabine stopft Strümpfe‘- oder ‚Peter-trinkt-Limonade‘-Sätze im Deutschunterricht. Ihre Lernbereitschaft war gebrochen, bevor sie überhaupt geweckt war. Die Deutschbücher waren den Profis zu verstaubt, zu kompliziert. Doch jetzt schöpft Ditgens Hoffnung, seine Zöglinge könnten wieder fleißig zum Deutschunterricht erscheinen. Dank eines jungen Germanisten, Uwe Wiemann (…) Der Doktorand der Universität Dortmund kontaktierte Ditgens, schlug ihm ein Deutschbuch für Fußballprofis vor. Seit Jahren hatte Wiemann kasachische Spätaussiedler unterrichtet. Er spielte mit ihnen Skat, anstatt sie Vokabeln büffeln zu lassen. ‚Erwachsene müssen alles sofort umsetzen können‘, sagt Wiemann. Er transferierte sein kasachisches Konzept auf die lustlosen Profikicker. In 17 Spieltage teilte Wiemann sein Deutschbuch auf, das Ende 2003 auf den Markt kommt und bereits scheibchenweise an den Bayer-Spielern erprobt wurde. Kapitel eins beschäftigt sich mit dem Kennenlernen der Mannschaftskollegen. ‚Ich bin Lucio und spiele Fußball.‘ ‚Wer bist du?‘, lauten die ersten Schritte des Kicker-Crash-Kurses. Kapitel zwei beinhaltet das erste Training. ‚Steht Diego Placente vor, hinter, neben, unter oder über dem Ball?‘, gilt es sprachlich zu lösen. Danach müssen Autogrammkarten anderer Spieler ausgefüllt und Weltklassespieler ihren Positionen zugewiesen werden. ‚Wir wollen ihnen ein Grundwissen, was die Terminologie des Fußballs anbelangt, vermitteln und grundlegende Phrasen des Alltags‘, sagt Wiemann (…) Deutsche Sprache und Kultur sind bei Wiemann aber manchmal auch eine allzu runde Sache. So wird die geographische Lage deutscher Städte anhand der Bundesliga-Spitzenvereine skizziert. Frankfurt spielt da eben eine untergeordnete Rolle, Weimar gar keine. Hohe Zahlen werden anhand der Abschlusstabelle der vergangenen Saison erläutert. Soziale Feinheiten wie Höflichkeitsformen werden natürlich auch ausgespart. Die Spieler lernen nur die Du-Formen der Verben. Ditgens: ‚Bei uns dürfen sie alle duzen. Außer den Calmund natürlich.‘“

Jan Christian Müller (FR 15.11.) begrüßt die Personalauswahl Rudi Völlers. „Es ist ein Treffen der Vergangenheit. Die Zukunft soll erst im nächsten Jahr beginnen, weshalb Völler den Leistungsgedanken in diesem trüben Monat November ganz bewusst hinter den Teamgedanken gestellt hat. Altmeister Fredi Bobic hätte sich – wie auch die jungen Benjamin Lauth und Kevin Kuranyi – an diesem Abend in diesem Kreis ohnehin unwohl fühlen müssen, hat der zuletzt so treffsichere Stürmer doch schon seit fast fünf Jahren kein Länderspiel mehr bestritten. Letztlich tat Völler aber auch ohne Verweis auf das Veteranentreff am Sonntagabend gut daran, seinen konservativen Grundsätzen treu zu bleiben. Kuranyi, Bobic und Lauth gehörten zu Saisonbeginn nicht einmal zur erwarteten ersten Elf ihrer Klubmannschaften. Der 20 Jahre alte Kuranyi hatte bis dahin ganze fünf Punktspiele bestritten und ein Tor erzielt, der ein Jahr ältere Lauth war erst ein einziges Mal aufgeboten worden. Ihrer Entwicklung tut es keinen Abbruch, gegen eine niederländische Weltauswahl nicht eine ähnliche Schmach zu erleben wie einst Debütant Zoltan Sebescen unter Erich Ribbeck, der seinerzeit von den Holländern regelrecht schwindelig gespielt wurde. Lauth und Kuranyi haben in der Kürze der Zeit auch ohne Nominierung für die Nationalmannschaft einen steilen Aufstieg erlebt, der auch psychisch erst einmal verarbeitet sein will. Und Bobic? Ein begabter Bundesligaprofi, aber mittel- und langfristig keine Hilfe für einen Vize-Weltmeister.“

Thomas Kistner (SZ 13.11.) durchschaut die politischen Entscheidungen des Fifa-Präsidenten. „Es war ein sehr bewegtes Jahr im Fußball-Weltverband Fifa; bewegender noch war es für Präsident Sepp Blatter. WM in Fernost, tumultuöse Vorstandswahlen im Mai, Verwerfungen mit dem europäischen Verband Uefa – nicht nur der Umstand, dass die Züricher Staatsanwaltschaft seit Monaten wegen des Verdachts auf diverse „Offizialdelikte“ gegen Blatter ermittelt, zeugt von dauerhaften Nachwirkungen. Ein Blick in die neuen Kommissionen der Fifa zeigt, dass auch intern Veränderungen stattgefunden haben: Durch das Revirement hat sich der Personalbestand auffällig zu Blatters Gunsten Verschoben. Kabarettreife besitzt der rasante Niedergang der britischen Vertreter in der Fifa (…) Eine zentrale Rolle im Weltfußball spielt künftig das Inselreich Tonga, dessen Verbandschef Ahongalu Fusimalohi nicht nur in die Exekutive rückt, sondern seine Erfahrungen in vier weitere wichtige Stäbe einbringt: als Vizechef des Medienkomitees sowie im Dringlichkeitskomitee, der Kommission für Marketing und TV und natürlich in der wichtigsten, der Finanzkommission. Das ist nicht schlecht für Tongas Zwergverband, der 1994 zur Fifa stieß und sich auf Weltranglistenplatz 176 vorgespielt hat. Weil der Stille Ozean neben Tonga ein paar Palmstreifen mehr beherbergt, kommen auch Tahitis Experten auf drei Sitze; darunter im Entwicklungshilfebüro Goal, das im Wahlkampf als Stimmkauf-Instrument für Blatter attackiert worden war. Während Fidji und die Cayman-Inseln je zwei Kommissionen besetzen – so viel wie Schottland –, sind die Iren ganz raus. Besser bestückt ist der Irak, für den Mohammad Hussein die Medienarbeit verstärkt (…) Für Blatters Helfer in Seoul hat sich die Treue auch sonst ausbezahlt: Die Fußballnationen USA und Schweiz kommen auf jeweils acht Sitze, Italien ebenfalls, Argentinien unter dem vom Staatsanwalt attackierten Fifa-Finanzchef Grondona hat neun Ämter. Niemand aber in Blatters Demokratur reicht an den DFB heran: 13 Sitze wurden an Gerhard Mayer-Vorfelder und Co. vergeben. Da darf vielleicht nicht allzu sehr verwundern, wenn Deutschlands oberste Fußballpolitiker Mayer-Vorfelder (Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt) und Franz Beckenbauer, keine Gelegenheit auslassen, Blatter hohe persönliche Glaubwürdigkeit zu bescheinigen und alle Vorwürfe gegen ihn als widerlegt abzutun. Der DFB ist nicht nur bei der WM ein würdiger Zweiter.“

„Wie die Nationalsozialisten die Geschichte fälschten, um die Stars Kuzorra, Szepan und Co. vom ‚Polackenklub‘ Schalke der Volksgemeinschaft einzuverleiben“, erzählt Peter Mast (FR 13.11.). „Die Nazis stellten die ‚rassische‘ Abstammung ins Zentrum ihrer Politik. Als Schalke 1934 seine erste Deutsche Meisterschaft errang, entstand eine heikle Situation. Sport war einer der wichtigsten Transmissionsriemen der neuen Machthaber. Für viele Anhänger in der Arbeiterschaft des Ruhrgebiets war Schalke Identifikationsobjekt. Der ‚Polackenklub‘ als Deutscher Fußballmeister entsprach angesichts der Vorfahren vieler Spieler ganz und gar nicht dem nationalsozialistischen Volkstums- und Rassebegriff. Nach dem ersten Titelgewinn sah sich Schalke 04 deshalb genötigt, Vorwürfen zu begegnen, alle Spieler seien polnischer Abstammung. In einer Medienkampagne präsentierte der Verein eine detaillierte Aufstellung aller Spieler, die Auskunft über die Herkunft ihrer Eltern gab. Unter Verweis auf den zumeist masurischen Geburtsort wurde dargelegt, die Arbeitsmigranten seien fälschlicherweise für Polen gehalten worden, es habe sich trotz polnisch klingender Namen um ‚Deutschstämmige‘ gehandelt. Im August 1934 wurde im Sportmagazin kicker unter der Überschrift ‚Schluß mit polnischen Gerüchten. Die Abstammung der Spieler des FC Schalke 04′ penibel Rechenschaft abgelegt – ein beispielloser Vorgang. Es stellte sich heraus, dass von den 13 Spielern der frisch gekürten Schalker Meistermannschaft sechs masurischer Abstammung waren, darunter die Stars Fritz Szepan, Ernst Kuzorra, Rudolf Gellesch, Ernst Kalwitzki, Walter Badorrek und Emil Rothhardt (früher Czerwinski). In Masuren wurde im Januar 1935 in der Heimatbeilage ‚Unser Masuren-Land‘ der Lycker Zeitung prompt der Artikel ‚Schalke 04 und seine Masuren‘ veröffentlicht. Die Politik des NS-Staats zielte auf die Leugnung der polnisch-slawischen Wurzeln. Die Betonung eines deutschen ‚Masurentums‘ erfüllte den Zweck. Die Machthaber arbeiteten mit massiver Geschichtsfälschung. Mit der Konstruktion einer angeblichen ‚masur-germanischen Kultur‘ sollte der polnische Charakter Masurens eliminiert werden (…) 1936 – Schalke hatte 1935 seine zweite Meisterschaft gewonnen – erschien ‚Das Buch vom Deutschen Fußballmeister. Die Geschichte zweier Mannen und einer Mannschaft‘, in dem versucht wurde, die Schalker Meisterelf und ihre beiden Stars Ernst Kuzorra und Fritz Szepan zum Bannerträger der nationalsozialistischen Ideologie zu stilisieren: ‚Aus der kleinen Schalker Fußballelf ist der Deutsche Fußballmeister geworden. Aus den jungen Dorfspielern Kuzorra und Szepan sind – das darf man heute sagen – deutsche Fußballspieler geworden. Schalke wurde Deutschland. Irgendwie Deutschland!‘ Der ehemalige ‚Polacken- und Proletenklub‘ mutierte zum Vorzeigeobjekt der nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘, die ehedem als Zuwanderer und Arbeiter doppelt diskriminierten Ruhrgebiets-Immigranten verkörperten nun als ‚deutsche Arbeiter‘ eine tragende Säule der NS-Ideologie. Stellt sich die Frage, ob sich der Nationalsozialismus nur an den Erfolg der ‚Knappen‘ dranhängte und Schalkes sportlichen Höhenflug politisch instrumentalisierte, oder ob beide Seiten aufeinander zugingen.“

Champions League

Christian Zaschke (SZ 15.11.) fasst die Erkenntnisse der CL-Vorrunde zusammen. „Zwei deutsche Klubs sind weiter, einer, der FC Bayern, ist raus. Keine allzu schlechte Bilanz, und dennoch hinterlässt diese Vorrunde nach all den wackligen Leistungen ein mulmiges Gefühl – aus deutscher Sicht. Aus spanischer Sicht betrachtet war es eine herrliche Vorrunde. Der FC Barcelona verlor keinen Punkt, auch Real Madrid und der FC Valencia gewannen ihre Gruppen, Deportivo La Coruña wurde Zweiter (…) Die spanische Zeitung AS merkte eher unbescheiden an: ‚Die Zwischenrunde wird zu einem Fußball-Krieg zwischen Spanien und Italien.‘ Vermutlich hat sie Recht. Dass die Spanier die Deutschen nicht mehr ganz ernst nehmen, ist verständlich. Doch den Engländern gegenüber ist die Zuspitzung auf einen Zweikampf natürlich ziemlich unhöflich. Neben Manchester und Arsenal hat es immerhin auch Newcastle geschafft, mit einem Sieg beim Uefa-Cup-Sieger Feyenoord Rotterdam. Die Engländer könnten sich einmischen in den Zweikampf. Die Deutschen müssten sich dazu bedeutend steigern. Denn auch die Italiener schicken ein beeindruckendes Aufgebot in die zweite Runde: Inter, Juventus, Milan und AS Rom. Große Namen mit Tradition, große Namen mit Geld. Insofern hat die Vorrunde ihren Hauptzweck wieder erfüllt: die Kleinen auszusieben. In den vergangenen Jahren war dieses Gefüge etwas durcheinander geraten, weil die Italiener auf europäischem Niveau schlecht spielten. Diese Schwächephase ist vorbei. Vielleicht waren sie zu hochnäsig, vielleicht haben sie im Kaufrausch ihre Mannschaften zu häufig umgestellt, als dass sich so etwas wie Teamgeist hätte entwickeln können. Vielleicht sind das auch die Fehler, die der FC Bayern in diesem Jahr in der Champions League gemacht hat.“

AJ Auxerre – Borussia Dortmund 1:0

Oliver Müller (Welt 15.11.) meint zur Lage der Dortmunder. „Es stimmt zwar, dass Dortmund bestimmte Spielertypen wie Mittelfeldregisseur Tomas Rosicky oder Torjäger Marcio Amoroso, der immer noch seine Form sucht, nicht ersetzen kann. Doch noch bitterer ist die Erkenntnis, dass immer, wenn Sammer auch nur ansatzweise rotieren lässt, dies von vielen Profis als Signal aufgefasst wird, man könne es auch bei 90 oder 80 Prozent Einsatzwillen bewenden lassen. So verschenkte Dortmund in Auxerre gegen eine mittelmäßige und unerfahrene Mannschaft die Möglichkeit, sich nach den jüngsten Pleiten im DFB-Pokal und in der Bundesliga zurück in die Erfolgsspur zu kämpfen. Hier liegt das Dilemma: Die Mannschaft ist immer noch nicht genug gefestigt, um mit Erfolgen umgehen zu können. Die BVB-Profis können Lob nicht vertragen und neigen zu Nachlässigkeit und Selbstüberschätzung. Ein Automatismus, der bei den Verantwortlichen Ratlosigkeit auslöst. Die fordern mehr Professionalität von den Mitgliedern des teuren Kaders ein, leben diese aber auch nicht immer vor. Statt beispielsweise vor dem Spiel in München verbal alle Register zu ziehen, um die Verunsicherung bei den Bayern weiter zu schüren, schluckten Präsident Gerd Niebaum und Manager Michael Meier die Provokationen von Ottmar Hitzfeld und Uli Hoeneß mit dem Verweis auf ihre gute Kinderstube. Erst nach der Pleite in München – als es zu spät war – konterten sie die Attacken und ließen sich zu öffentlichem Frustabbau hinreißen. Das brachte Dortmund das Etikett des schlechten Verlierers ein und verstellte den Blick für das Hauptproblem: eine so stark besetzte Mannschaft ruft nur selten ihr volles Potenzial ab und tritt auf der Stelle.“

FC Bayern München – RC Lens 3:3

Elisabeth Schlammerl (FAZ 15.11.). „Diese Partien bieten traditionell Talenten aus der Amateurmannschaft und unzufriedenen Ersatzspielern Gelegenheit, sich zu bewähren. Dieses Mal ging es wieder einmal um nichts und doch um sehr viel. Eine weitere Blamage hätte dem ohnehin schon arg ramponierten Image des FC Bayern weiteren Schaden zugefügt, allerdings war auch klar, daß die Kritik weit weniger heftig ausfallen würde, wenn der Tabellenletzte der Vorrundengruppe G mit seiner B-Mannschaft antreten würde. Ohne große Emotionen schlugen die Bayern das unrühmliche Kapitel Champions League zu. Die Terminhatz hat ein Ende, aber nicht nur aus finanziellen Gründen ist darüber niemand so recht froh. Statt müder Knochen zu pflegen, muß Hitzfeld einen riesigen Kader bei Laune halten. Der Wegfall der englischen Wochen erhöht nicht gerade die Chancen derjenigen Spieler, die schon im ersten Saisondrittel über zuwenig Beschäftigung klagten.“

Zum Einzug Ajax Amsterdams in die zweite Gruppenphase bemerkt Christian Eichler (FAZ 14.11.). „Schon träumen Romantiker wieder von alten Zeiten. Realisten wie Koeman wissen, daß die alten Zeiten, wenn überhaupt, noch Jahre brauchen werden. Die erste Runde der Champions League hatte Ajax zuletzt 1996 überstanden, ein Jahr nach dem Titelgewinn. Doch da war das beste Vereinsteam der neunziger Jahre, ein fast lupenreines Resultat der Ajax-Nachwuchsschule, schon dabei, sich in alle Winde zu zerstreuen. Das Bosman-Urteil hatte das Transfersystem gekippt, Spanier und Italiener plünderten Ajax wie einen Wühltisch im Ausverkauf. Nun endlich sind die Folgeerscheinungen halbwegs überwunden. Ajax hat wieder ein Klasseteam, wenngleich noch ganz jung und unreif. Es ist eine Truppe von vorwiegend Achtzehn- bis Zweiundzwanzigjährigen aus aller Herren Länder. Ihrer mühsam disziplinierten Spielfreude zuzuschauen macht Spaß – auch wenn man das Unheil noch allzu oft kommen sieht. Zweimal demonstrierte Hernan Crespo den Unterschied zwischen Klasse und Talent, als er sich bei seinen Kopfbällen vom 17 Jahre alten Nigel de Jong nicht aufhalten ließ. Viel mehr mußte Inter nicht tun: drei, vier chirurgische Attacken, dazu solide Abwehrarbeit. Ajax zeigte zwar lange das überlegene Spiel. Doch in Tornähe fehlt dem Jungsturm noch die Kälte und Klarheit, um auf europäischem Niveau nicht von milden Gaben anderer abhängig zu sein. Daß Jung-Ajax trotz des 1:2 gegen Inter weiterkam, ist Glück. Glück für die Amsterdamer, die nun mit knapper Not versetzt wurden in die höhere Schule des Erfolgsfußballs – lernen heißt das Klassenziel in der Zwischenrunde. Ein bißchen Glück aber auch für die anderen, denn auch sie können bei Ajax etwas lernen: Fußball mit Spaß.“

Christian Zaschke (SZ 13.11.) prophezeite vor dem Spieltag. „So sind an diesen letzten Spieltagen zwei Phänomene zu beobachten. Erstens: die so genannte Plötzliche-und-später-extrem-schnell-heilende-Spieltagsverletzung. Sie tritt nur bei Stammspielern auf. Zweitens: die vermehrten Hinweise darauf, dass man alles geben werde, Charakter zeigen und sich überdies würdevoll verabschieden wolle. So reden nur Trainer, die anschließend eine munter zusammengewürfelte Elf ohne Ambition auf den Platz schicken.“

Eine Beobachtung von Erik Eggers (FTD 13.11.). „Die Vorgabe vor zwei Wochen, als das letzte Heimspiel in der Champions League gegen Piräus anstand, war eindeutig. ‚Wenn wir in der 75. Minute führen‘, hatte Leverkusens Trainer Klaus Toppmöller zu seinen Schützlingen gesagt, ‚dann kommen wir weiter, dann könnt Ihr Euch eine gelbe Karte abholen.‘ Ihr, damit meinte Toppmöller Yildiray Bastürk und Hanno Balitsch. Beide waren bereits mit einer gelben Karte vorbelastet und sollten so im letzten und unbedeutenden Gruppenspiel ihre Sperre absitzen. Und tatsächlich, Bastürk ließ sich den gewünschten Karton verpassen und kann diese Woche in Ruhe regenerieren. Doch Balitsch reagierte mit einer Mischung aus Empörung und Entsetzen auf das Ansinnen des Übungsleiters. ‚Aber Trainer‘, hatte er spontan geantwortet, ‚wir spielen doch in Old Trafford!‘ Aus dem Ton sprach die ganze Irritation des 21-Jährigen. ‚Welcher Fußballer dieser Welt‘, dachte er sich, ‚lässt sich dieses Stadion entgehen?‘ Toppmöller soll daraufhin ein wenig mürrisch gewesen sein, hat dann aber eingelenkt: ‚Hanno, mach’, was Du für richtig hältst.‘ Das tat er. Er lief zwar in der letzten Viertelstunde gegen die Griechen keinen Bogen um den Schiedsrichter, doch seine Grätschen gerieten ein wenig vorsichtiger als sonst. Und deswegen läuft Hanno Balitsch heute für Bayer Leverkusen auf in Manchester, im viel gepriesenen ‚Theater der Träume‘. Für ihn, der gerade einmal 35 Bundesligaspiele hinter sich hat und vor 18 Monaten noch bei Waldhof Mannheim spielte, ist das weiß Gott noch kein Alltag. Eher ein großes Märchen (…) Auch Toppmöller hat eingesehen, dass sein stärkster Einkauf ‚total heiß ist auf Old Trafford‘. Er kann den jungen Mann verstehen, der für 2 Mio. Euro vom rheinischen Rivalen kam und sich so schnell einen Stammplatz ergattern konnte in diesem Starensemble: ‚Ich als junger Bursche hätte genauso gehandelt.‘ Letzte Saison hatte sich Toppmöller ja selbst wie ein kleines Kind auf die mythenumrankten Spielstätten in Großbritannien gefreut, alles andere als Verständnis für seinen Youngster wäre deshalb auch unglaubwürdig gewesen.“

FC Basel – FC Liverpool 3:3

„Nach Basels Coup steht die Schweiz kopf“ vermeldet Michael Horeni (FAZ 14.11.). „Im St.-Jakob-Park gelang dem FC Basel mit einem zunächst rauschhaften und am Ende erzitterten 3:3 gegen den FC Liverpool ein starkes Stück Schweizer Sportgeschichte, das nun in jedem Fall um sechs weitere Episoden erweitert wird. Erstmals gelang es einem Verein aus dem Land, das zwischen den großen Fußballnationen Deutschland und Italien über eine Nebenrolle nie hinauskam, in den Klub der besten 16 Mannschaften Europas vorzudringen. Noch mehr als der statistische Beleg, endlich aus der Zuschauerrolle herausgewachsen zu sein, wenn es im Fußball ernst und hochklassig wird, begeisterten sich Basel und die Schweiz an einer beeindruckenden Vorstellung, die zu dem Besten und Packendsten gehörte, was der europäische Fußball in der Champions League in diesem Jahr zu bieten hatte. Das Fernsehen verbuchte Einschaltquoten von rund 50 Prozent in der Spitze, die sonst nur erreicht werden, wenn die Skistars auf dem Bildschirm erscheinen. Die Boulevardzeitung des Landes brachte am nächsten Tag symbolisch ins Blatt, was nicht nur Basel, sondern die Nation bewegte: Alles stand kopf – und daher wurde der Beitrag über das Basler Meisterstück in der Vorrunde der Champions League auf der ersten Seite auch entsprechend gedruckt, falsch herum. Ein solches Erfolgserlebnis kommt aber nicht nur Basel, sondern dem gesamten Schweizer Fußball, der im kommenden Monat hofft, zusammen mit Österreich die Europameisterschaft 2008 zugesprochen zu bekommen, gerade recht.“

Christoph Kieslich (FTD 14.11.). „Auf einen glücklosen Auslandsabstecher blickt Pascal Zuberbühler zurück. Für den Basler Torwart ist es eine tiefe Genugtuung, nun auf Augenhöhe mit seinem Ex-Club Bayer Leverkusen in die Zwischenrunde zu gehen. Unter Christoph Daum war der Schweizer Auswahlkeeper nach einigen Fehlgriffen in Ungnade gefallen. Nun ist er eine der wichtigsten Spieler im Team von Trainer Christian Gross. Die verblüffende Entwicklung des FC Basel begründet er mit der Mentalität der Spieler: Das allein erklärt aber noch nicht, wie eine international unerfahrene Mannschaft einen renommierten Gegner eine halbe Stunde lang das Fürchten lehren kann. Der FC Liverpool, der sich neben dem großen Ziel der nationalen Meisterschaft mindestens die zweite Gruppenphase in der Champions League vorgenommen hatte; zumal das Vorrundenlos als Einladung betrachtet wurde, stand mit der falschen Einstellung auf dem Platz.“

Dario Venutti (NZZ 14.11.). „Der Erfolg Basels kann als grösster im Schweizer Klubfussball überhaupt bezeichnet werden. Der FC Zürich stand zwar 1977 im Halbfinal des Meistercups (und scheiterte an Liverpool), ein Jahr später drang GC im Uefa-Cup unter die letzten vier vor; weil sich aber seither die Rahmenbedingungen im europäischen Klubfussball radikal verändert haben und nur wenige Schlupflöcher die Teilnahme an der Champions League ermöglichen, bedarf der Vorstoss in die Zwischenrunde wohl eines grösseren Kraftaktes als die Qualifikation für die Viertel- oder Halbfinals im Europacup selig. Obwohl noch in diesem Jahr zwei Spiele in der Zwischenrunde der Champions League anstehen, kann bereits jetzt festgehalten werden, dass der „3:3-Sieg“ Basels gegen Liverpool ein unerwartet und überaus erfolgreiches Schweizer Fussballjahr abschliesst. Die Erfolge der U-17- und U-21-Auswahlen und der vielversprechende Start des Nationalteams in die EM-Qualifikation zeigen möglicherweise eine Trendwende im Schweizer Fussball an, der ab der Mitte der neunziger Jahre sowohl auf Ebene der Vereine wie auch der nationalen Auswahlen in eine tiefe Krise geraten war. Die Impulse der möglichen Besserung kommen einstweilen aus Basel, wo mit dem Bau des St.- Jakob-Parks ein Meilenstein gesetzt wurde. Die Euphorie am Rheinknie wird seither durch Erfolge im Akkord genährt, sie ist in dieser Dimension anderswo in der Schweiz aber auch kaum vorstellbar. Das Spiel gegen Liverpool war nicht nur von der Dramaturgie und den Folgen her der Höhepunkt im Basler Fussballjahr. In der ersten Halbzeit streifte die Mannschaft die Grenze zur Genialität (…) Bei aller Wertschätzung der Arbeit in Basel und auf die Gefahr hin, Landesverrat zu begehen, hing der Erfolg Basels in manchen Momenten an einem dünnen Faden. In der Nachspielzeit am Mittwoch lag der Ball für Augenblicke rund 10 Meter vor dem Basler Tor; es war letztlich purer Zufall, dass ein FCB-Verteidiger ihn vor einem Liverpooler Angreifer erreichte. An der Anfield Road trafen die Liverpooler in der ersten Halbzeit dreimal die Torumrandung, und im Rückspiel gegen Celtic in der Qualifikation flog ein Schuss Suttons in der Nachspielzeit nur knapp am Pfosten vorbei. Während Liverpools Manager Gérard Houllier nach dem Ausscheiden solche und andere Unwägbarkeiten des Fussballs betonte, brauchte Christian Gross diese Gedanken nicht zu wälzen; das Wettkampfglück ist ein Element, auf das ein Underdog wie Basel bauen können muss, um Grossartiges zu erreichen.“

Uefa-Cup

Zum Einzug des VfB Stuttgart in die nächste Runde des Uefa-Cups heißt es bei Nina Klöckner (FTD 15.11.). „Magath hat aus der Not das Beste gemacht. Als erste Amtshandlung hob er Krassimir Balakov auf den Sockel zurück, von dem ihn seine Vorgänger mit aller Gewalt zu stoßen versucht hatten. Gestolpert sind die früheren Trainer darüber nur selber. Seit der Bulgare wieder regelmäßig Streicheleinheiten erhält, rennt er sich die Hacken wund und verhält sich ansonsten loyal. Die Kollegen scheinen mit der Sonderstellung kein Problem zu haben. „Wir brauchen eine Hierarchie“, sagt der Abwehrspieler Hinkel; sonst macht doch jeder was er will. Um den inzwischen 36-jährigen Balakov und den erfahrenen Kroaten Zvonimir Soldo hat Magath in eineinhalb Jahren eine Mannschaft gebastelt, die nicht nur extrem jung und ehrgeizig, sondern auch sehr bescheiden ist. Hinkel, Christian Tiffert, Kevin Kuranyi, Ioannis Amanatidis oder Alexander Hleb; keiner ist älter als 21. Kuranyi hat in der Liga schon sieben Tore geschossen, Amanatidis in dieser Woche ein entscheidendes im Uefa-Cup. Prämien vergibt der klamme Verein für diese Leistungen bisher keine. Andreas Hinkel, der schon als künftiger Nationalspieler gefeiert wird, kickt angeblich für 100.000 Euro im Jahr. „Der Teamgeist und der Wille stimmen“, sagt Jochen Seitz, der mit 26 schon so was wie ein Opa ist. Und auch Magath sieht darin den Grund, dass es trotz ungünstiger Umstände relativ harmonisch zugeht. Das liegt nicht zuletzt an Magath selbst. Im Laufe seiner Engagements in Hamburg, Nürnberg, Bremen und Frankfurt hat sich der Trainer den Ruf eines miesepetrigen Schleifers erarbeitet. Zwar treibt sein Training den Kickern auch heute noch die Angst in die Glieder („Die spielen lieber, als dass sie bei mir trainieren“). Doch der Trainer ist, das gibt er zu, offener und ansprechbarer geworden.“

Oliver Trust (Tsp 14.11.) sieht das ähnlich. „Alle Gesichter zierte ein befreites Lächeln. Intern aber braut sich eine Menge Ärger zusammen, und es ist allein Magath, der die Mannschaft bei Laune hält. Aus dem trotzigen, polternden Schleifer ist ein einfühlsamer Trainer geworden, der zu seiner jungen Mannschaft ein besonderes Verhältnis aufbaute. Magaths Wandlung ist das große Glück der Schwaben. Trotz der wochenlangen Anstrengungen im Ui-Cup und aller anderen Erfolge zahlt der VfB seit vier Monaten keine Prämien. Und auch jetzt schüttelt Manager Rolf Rüssmann den Kopf. „Leider keine Prämien“, sagt er. 16,6 Millionen Euro Schulden stehen in den Büchern, und die Erfolge locken zu wenige Zuschauer ins Stadion. 15.000 waren es gegen die Ungarn. Den Rest muss Magath regeln (…) In Bremen hatte er einen Spieler nicht mal zur Beerdingung seines Großvaters freigestellt. In Stuttgart zieht Magath die Kreditkarte heraus und lädt das gesamte Team während eines Spaziergangs zum Kaffee ein. Er ist vom Feind der Spieler zu deren Partner geworden, der nach dem Sieg über Budapest minutenlang im Stadion gefeiert wurde. Er fühlt sich sichtlich wohl in seiner neuen Rolle als Felix, der Einfühlsame.“

Michael Ahelm (FAZ 14.11.). „Wenn es bei den armen Schwaben weiterhin so erfolgreich läuft, sollte ihr Wirtschaftsmodell viele Nachahmer finden. Das Stuttgarter Minimumprinzip, bei dem der Aufwand für einen satten Ertrag möglichst gering gehalten wird, funktioniert blendend und bringt den Verein für Bewegungsspiele in diesen Tagen richtig weit nach vorne. Und die wichtigsten Angestellten, derzeit zu extremer Zurückhaltung verpflichtet, spielen gerne mit (…) Vielleicht spielen materielle Dinge in den besonderen Momenten des Lebens ja nur eine nebensächliche Rolle. Keinen zusätzlichen Cent haben die Profis des hochverschuldeten VfB Stuttgart für das 2:0 im Rückspiel erhalten. Seit Beginn der Saison verzichten sie zur Rettung ihres Arbeitgebers auf jegliche Erfolgsprämien (…) Dennoch enttäuschte an diesem Europapokalabend die Kulisse in Cannstadt; es kamen nur 15.000, auch wenn das Team zur Überraschung vieler in der Bundesliga geradezu unverschämt nach oben drängt. Nun kann im Ländle geträumt werden, im Uefa-Pokal vielleicht von einem „Hammerlos“ wie dem FC Liverpool oder einem anderen hochrangigen Absteiger aus der europäischen Meisterklasse. Daß dann möglicherweise zur Belohnung wieder etwas Geld zusätzlich zum Grundgehalt fließt, hoffen natürlich alle im Team.“

Martin Hägele (SZ 14.11.). „Platz drei in der Bundesliga, Runde drei im Uefa-Cup – und trotzdem spielen Stuttgarts junge Wilde ständig vor spärlich gefüllten Rängen. Mittlerweile machen sich sogar Sportpsychologen Gedanken über dieses Phänomen. Der unvermeidliche Fanexperte Gunter A. Pilz führt den Zuschauerschwund in Stuttgart auf die Vergangenheit zurück, besonders auf die Skandale um Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder und dessen überzogene Zielsetzungen. So habe sich der VfB ein Operettenpublikum herangezüchtet, das enorm wählerisch sei. In Sachen MV mag der Ferndiagnostiker aus Hannover ja recht haben, vor allen Dingen die Solonummer des großen Vorsitzenden bei der Verpflichtung von Trainer Winfried Schäfer spaltete die Stuttgarter Fußball- Gemeinde. Mit seinem Vergleich zur Musikszene aber liegt Pilz daneben. Die Profis vom Roten Haus haben ihre Klientel nämlich über Jahre hinweg vergrault, indem sie immer wieder nach kurzen Höhenflügen genauso jäh wieder abstürzten. Womöglich aber gelingt es den Eigengewächsen aus den sparsamen Magath- Jahrgängen 2001 und 2002, jene Kundschaft wieder aufzubauen, die früher einmal das Neckarstadion gefüllt hat.“

Andreas Morbach (FTD 14.11.). „Erzählen französische Fußballer anderen französischen Fußballern von ihrem Leben in der Bundesliga, geht es neben dem Niveau der Liga vor allem um zwei Dinge: um die Bezahlung und um das Ansehen ihres Arbeitsplatzes in der Heimat. Völlig d´accord sei das mit dem Geld, erzählen die Bayern-Profis Bixente Lizarazu und Willy Sagnol im Kreis der Nationalmannschaft interessierten Kollegen dann gerne. Zwar nicht so exorbitant wie in Italien oder Spanien, dafür aber stets pünktlich und in ausgehandelter Menge auf dem Konto. So etwas wird schon zu einem zentralen Aspekt, wenn einer wie Johan Micoud, wegen der fatalen Finanzlage im italienischen Profifußball vom AC Parma im Sommer ablösefrei abgegeben, auf Probleme bei der Entlohnung in Norditalien zurückblickt. Inzwischen spielt der Mann in Norddeutschland und will heute Abend mit dem SV Werder Bremen gegen Vitesse Arnheim den Sprung in die dritte Runde des Uefa Cups schaffen. Es geht um weitere Gelegenheiten, auf internationaler Bühne auffällig zu werden. Gerade für Werders filigranen Regisseur ist das wichtig. Räumt Bremens Sportdirektor Klaus Allofs doch ein, dass das zweite Gesprächsthema französischer Fußballer bei den Verhandlungen mit Micoud die weitaus größere Herausforderung war. „Lizarazu und Sagnol“, wusste Allofs in Gedanken vor dem ersten Treffen mit Micoud, „hatten sich ja schon darüber beschwert, dass die Bundesliga in Frankreich fast übersehen wird“. Doch Micoud ließ sich überzeugen. In Parma war er irgendwann aus der Mannschaft geflogen; „ich weiß bis heute nicht, warum“. Entsprechend wichtig waren für ihn die zwischenmenschlichen Töne und Taten der Bremer (…) Die Eingewöhnung bei Werder ist glatt verlaufen, jetzt heißt die Sehnsucht Equipe Tricolore. Micoud, bei der WM im Kader und, wenn Zinedine Zidane verletzt war, auch auf dem Feld, will wieder für sein Land Fußball spielen.“

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 14.11.). „Das Ungeheuer war der Ball und nicht Horst Hrubesch. Der hatte den Beinamen ‚Kopfball-Ungeheuer‘. Weil er mit solcher Wucht wie einst Uwe Seeler den Ball per Kopf ins Tor beförderte. Beide werden ins Grübeln kommen, ja alle, die einst Fußball spielten, als dieser noch aus Leder war. Wegen der Nachricht aus England. Als Todesursache des ehemaligen Fußballprofis Jeff Astle wurde eine „berufsbedingte Krankheit“ festgestellt. Astle, der einst für West Bromwich Albion stürmte, in 361 Ligaspielen 174 Tore erzielte – viele davon mit der Stirn –, ist nur 59 Jahre alt geworden. Seit Ende der neunziger Jahre hatte Astle weder seine Kinder noch Großkinder erkannt (…) Einem Pudding gleich schwappt das Hirn in der Hirnschale. Erschütterung und Deformierung, da sind sich Neurologen wie Pathologen sicher, verursachen mit zunehmendem Alter den Verlust von Hirnzellen. Die Krankheitsbilder der britischen Fußballheroen wie Sir Alf Ramsay, Danny Blanchflower, Bob Paisley und anderen sind gezeichnet von Alzheimer und anderen Formen von Demenz.“

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