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„Easy going“ in Stuttgart

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für „Easy going“ in Stuttgart

„easy going“ in Stuttgart – Bayern München fehle Teamgeist (SZ, NZZ) – Portrait Clarence Seedorf (AC Milan) – Arsenal London, in England gut, in Europa schlecht – AS Monaco im Aufschwung

Peter Heß (FAZ 4.11.) berichtet leichtes Leben in Stuttgart: “Wenn Felix Magath im Rentenalter auf seine Karriere zurückblicken wird, werden ihm die Tage und Monate des Herbstes 2003 als eine der glücklichsten Zeiten seiner Trainerlaufbahn einfallen. Wann kann ein Fußball-Lehrer vor einem wichtigen Auftritt schon sagen: Das Spiel hat nicht die große Bedeutung. Und wann reduzieren sich die Schwierigkeiten seines Berufes auf den Satz: Meine Hauptaufgabe ist es, die Spieler bei Laune zu halten. An diesem Dienstag tritt der VfB Stuttgart am vierten Spieltag der Champions League bei Panathinaikos Athen an, und die Mannschaft ist schon so weit in Vorleistung getreten, daß nicht einmal eine Niederlage den angestrebten Einzug ins Achtelfinale aus den Augen geraten ließe. Aber an Mißerfolge denkt derzeit in Stuttgart ohnehin niemand. Der Tabellenführer der Bundesliga weist eine außerordentliche Saisonbilanz auf. Zwölf Siegen in der Liga und den Pokalwettbewerben stehen gerade mal drei Unentschieden und eine Niederlage gegenüber. Die Erfolgswelle trägt und trägt, und Magath muß nur darauf achten, daß unzufriedene Ersatzspieler den Frieden nicht stören.“

Tsp: „Magath kehrt zurück in die Stadt seines größten Triumphs

Mangel an Leidenschaft und Entschlossenheit

Philipp Selldorf (SZ 4.11.) sorgt sich um den FC Bayern: „Wie gut ist die Gemeinschaft in der Mannschaft? Als starke Gemeinschaft hatte der FC Bayern vor zwei Jahren die Champions League gewonnen und dabei besser besetzte Teams wie Real Madrid und Manchester United besiegt. In der laufenden Saison arbeitet Trainer Ottmar Hitzfeld mit einer Ansammlung erstklassiger Spezialisten, um deren Möglichkeiten ihn die Kollegen in der ganzen Bundesliga beneiden. Pizarro, Zé Roberto, Demichelis, Ballack oder Deisler, die Nachfahren von Effenberg, Jancker, Fink, Tarnat, Sergio oder Andersson, heben fußballerisch das Niveau. Das sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob sie den gleichen Ehrgeiz zum Erfolg besitzen. Mittelfeldspieler Jens Jeremies deutete jetzt im kicker an, dass er Zweifel hegt: „Die jetzige Mannschaft hat eindeutig mehr Potenzial als die von 2001, auch in spielerischer Hinsicht“, meinte er, „aber ob sie den gleichen Erfolg haben will, werden wir sehen.“ Tatsächlich gab es in den vergangenen Wochen kaum ein Spiel, nach dem Trainer, Vorstandschef oder Manager nicht den Mangel an Leidenschaft und Entschlossenheit beklagt hätten. Die jüngsten Partien in Lyon und gegen Kaiserslautern, gegen Nürnberg und in Schalke, geben den Beobachtungen und Grübeleien der tief besorgten Verantwortlichen recht. Die Vereinzelung der Spezialisten blieb ein ständig wiederkehrendes Symptom: Michael Ballack versucht vergeblich, als Kopf des Teams aus dem Zentrum heraus das Spiel zu organisieren, und je verzweifelter er sich dabei anstrengt, umso wirkungsloser gerät sein Einsatz (…) Die Frage, ob die Mannschaft auch eine Gemeinschaft bildet, ist im Fall des Misserfolgs ein klassischer Bestandteil der Ursachenforschung. Beim FC Bayern, der im Begriff ist, eine neue Mannschaft aus unterschiedlichen Elementen und vielen Nationalitäten zu bilden, liegt sie dieser Tage besonders nahe. Dass es im Team Fraktionen gibt, dass Südamerikaner und Europäer zwei Welten bilden, dass Veteranen und das neue Establishment sich arrangieren müssen, ist unübersehbar.“

Martin Hägele (NZZ 4.11.) sieht das ähnlich: „Fussball aber ist nun einmal ein Kampf- und Mannschaftssport, speziell in Deutschland. Und nur wenn sich der Top-Repräsentant der Bundesliga auf diese Tugenden konzentriert, kann er weiterhin mit berechtigten Hoffnungen Real Madrid herausfordern – die einzige Mannschaft, an welcher sich der deutsche Rekordmeister derzeit misst. Mit der Nonchalance und Überheblichkeit der vergangenen Wochen aber lässt sich die Konkurrenz in der Liga nicht länger auf Distanz halten – vom 19.Meistertitel ist der haushohe Favorit schon ein ordentliches Stück weg, zumal er sich nicht nur wie gewohnt mit einem Hauptkonkurrenten, sondern mit einer ganzen Meute von Rivalen herumschlagen muss: Es sind dies die hartnäckigen Stuttgarter, die erst zwei Tore und immer noch keine Niederlage kassierten; die Dortmunder, die selbst mit einer Mischung aus Reserve und A-Jugend punkten; die Bremer, die bereits den Verkauf ihres Goalgetters Ailton und auch den baldigen Verlust Kristajics verwunden haben; die Bayer-Truppe aus Leverkusen, die vom Ex-Bayern Augenthaler wieder auf Vordermann getrimmt wurde – und letztere drei Teams können sich ausschliesslich auf die Bundesliga konzentrieren. Vom negativen Trend ist es nicht mehr weit bis zur Krise oder zum Fehlstart. Und weil an solch sportlichen Miseren nie alle schuld sein können, hat nun in München die Suche nach einem oder mehreren Sündenböcken begonnen. Dafür bieten sich, Ironie des Schicksals, gleich zwei Leute an, die bis vor kurzem dem FC Bayern der Saison 03/04 ihren Stempel aufzudrücken schienen. Plötzlich stehen Michael Ballack und Rekordtransfer Roy Makaay im Mittelpunkt einer System-Debatte.“

Und was willst du hier? Etwa den Ball? Vergiss es!

Wolfram Eilenberger (Tsp 4.11.) porträtiert Clarence Seedorf: „Man könnte es Arroganz nennen. Aber Arroganz ist eine Form der Dummheit. Und Clarence Seedorf spielt nicht dumm. Ganz im Gegenteil. In Sachen Aktionsgeschick, Passabwägung und Situationskontrolle dürfte es derzeit kaum einen Mittelfeldspieler geben, der es mit den Fähigkeiten von Seedorf aufnehmen kann. „Derzeit“ bedeutet im Karrierekontext: die letzten zehn Jahre europäischer Spitzenfußball. Wohlgemerkt, Seedorf ist heute 27 Jahre alt. Der Niederländer in Diensten des AC Mailand sieht damit einer Entwicklungsphase entgegen, in der ein ganz normaler Mittelfeldstar erst beginnt, sich seiner Fähigkeiten voll bewusst zu werden. Im Falle Seedorfs, der als einziger Spieler mit drei unterschiedlichen Vereinen die Champions League gewonnen hat, bleibt hingegen zunächst unklar, welche seiner Stärken er noch für sich entdecken und verfeinern könnte. Denn Seedorf wusste schon als 18-jähriger Profi in Diensten von Ajax Amsterdam ganz genau um die außergewöhnliche Höhe seines spielerischen Intelligenzquotienten. Von Beginn an stilisierte er dies Wissen konsequent in seinen Bewegungsabläufen. Mit jeder lockenden Ballbefühlung, jeder öffnenden Wendung, jedem verschleppten Dribbling und jedem gelangweilten Präzisionspass scheint er seinen Gegenspieler zu fragen: „Und was willst du hier? Etwa den Ball? Vergiss es!“ Nicht nur dieser offensiven Selbstsicherheit wegen ist Seedorf eine Reizfigur, an der sich die Geister und mitunter konkrete Spielverläufe schieden. Gleich seinen kongenialen Kumpels aus der Amsterdamer Goldkette – Edgar Davids und Patrick Kluivert – haftet auch an Seedorf der Verdacht, mit der frühen spielerischen Vollkommenheit sei eine gewisse Verkommenheit einhergegangen. Sieht man einmal vom Schicksal der holländischen Nationalmannschaft ab, lässt sich diese Einschätzung auf dem Platz allerdings nicht bestätigen. Obgleich vom einen oder anderen Konzentrationsloch geplagt, führte Seedorfs Präsenz noch in jeder seiner ausgesucht feinen Karrierestationen – nach Amsterdam bald Real Madrid, über Inter Mailand schließlich zum Lokalrivalen AC – zu einer verlässlichen Steigerung des Leistungsniveaus.“

In London fragt sich Stefan Coppell (FAS 2.11.): “Warum nehmen die Leistungs- und Erfolgskurven Arsenals in Europa und in England einen solch unterschiedlichen Verlauf? Während sich der dienstälteste Klub in der obersten englischen Liga (seit 1919) in den vergangenen sechs, sieben Jahren ein oft faszinierendes und erbittert-robustes Duell um die Vorherrschaft mit Manchester United geliefert hat, 1998 und 2002 Meister und sonst hinter ManU Zweiter wurde, sprang in der Champions League seit 1996 nur eine Viertelfinal-Teilnahme heraus. Dagegen stand United in diesem Zeitraum immer zumindest in der Runde der letzten acht und gewann 1999 das Finale gegen Bayern München. Das nagt am Selbstverständnis von Arsene Wenger, der noch im Sommer 2002 einen Machtwechsel zugunsten Arsenals erkennen wollte. Doch in den letzten zwölf Spielen der Champions League sprang nur ein Sieg heraus, setzte es Heimniederlagen gegen La Coruna, Auxerre und Inter Mailand. Und die in der englischen Liga so viel und zu recht gerühmte Offensivabteilung um die Franzosen Henry, Wiltord, Pires und Vieira, die Brasilianer Edu und Gilberto sowie den Schweden Ljungberg und den Niederländer Bergkamp brachte es nur auf neun Treffer, von denen allein Henry sechs erzielte. Dem überragenden Welt- und Europameister fehlt offenbar ein kongenialer Partner. Bei all der technischen Brillanz, die Arsenal in vielen Spielen ausstrahlt, ist nicht zu übersehen, daß die Rot-Weißen oft allzu selbstverliebt den Ball durch die Reihen tanzen lassen und auf den letzten Metern ihrer oft atemraubenden und blitzschnellen Ball-Stafetten bisweilen der Killer-Effekt abhanden kommt. Und gerade beim deprimierenden 0:3 gegen Inter Mailand vor einigen Wochen hat sich gezeigt, daß die Nachfolger der legendären Viererkette (vor Seaman verteidigten rund ein Jahrzehnt lang Dixon, Adams, Bould/Keown, Winterburn) noch nicht jene granitene Stabilität verbreiten.“

Sven Gartung (FAZ 3.11.) befasst sich mit dem wiedererstarkten AS Monaco: „Nicht alle goutieren in Frankreich den durch den Morientes-Transfer ausgelösten Höhenflug der AS Monaco. Nach dem zwischenzeitlich verordneten Zwangsabstieg wegen Überschuldung nun Erster in der Meisterschaft, dazu in der Champions League auf Zwischenrundenkurs, das geht vor allem den Vereinspräsidenten der großen Klubs gehörig gegen den Strich. In Frage gestellt werden die Bedingungen, unter denen der Verein aus dem souveränen Fürstentum am Meisterschaftsbetrieb teilnimmt. Ausländische Spieler etwa zahlen keine Steuern, Lohn- und Sozialabgaben sind im Gegensatz zur französischen Wirklichkeit minimal oder fallen gar ganz weg. Dadurch verschafft sich die AS Monaco laut einer Studie in ihrem Budget jährlich Vorteile in Höhe von rund zwanzig Millionen Euro gegenüber französischen Vereinen. Zudem beklagen sich andere Klubs, voran Olympique Marseille, daß Monaco trotz seines ungebührlichen Finanzgebarens seinen internationalen Platz in der Ligue 1 behalten habe – dadurch entgehe anderen Klubs noch mehr Geld. Unsere Erfolge haben wir auf rein sportlichem Wege erreicht, die anderen hätten nur gegen uns gewinnen müssen, kontert Monacos neuer Präsident, Pierre Svara, die Vorwürfe. In der Tat ist die Association Sportive de Monaco einer der vier erfolgreichsten französischen Vereine in den letzten zwanzig Jahren. Der Klub hat über das Punktesystem der Europäischen Fußball-Union erheblich mit dazu beigetragen, daß der französische Fußball über drei Startplätze in der Champions League verfügt. Die Zahl der Nationalspieler, die der Verein bisher gestellt hat, beläuft sich auf derzeit 53. Auch das ist ein Spitzenwert im Vergleich zur Konkurrenz.“

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