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„Elf Söldner müsst ihr sein“

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für „Elf Söldner müsst ihr sein“

sehr lesenswert! „Elf Söldner müsst ihr sein“ (Spiegel), Schalke kann zahlen, Fußball spielen nicht – Hertha BSC hat keinen Stil (Zeit)

Sehr lesenswert! „Elf Söldner müsst ihr sein“. Cordt Schnibben (Spiegel 27.10.) „zerreißt“ Schalke 04 und schildert den Kontrast zwischen Zahlungskraft und sportlicher Qualität: „Mitten in einer schweren Finanzkrise des bezahlten Fußballs, in der die Vereine der 1. und 2. Liga Schulden in Höhe von 600 Millionen Euro angehäuft und viele Clubs ihren Profis das Gehalt gekürzt haben, startet der Arbeiterverein aus dem Ruhrpott eine Euro-Offensive, die Ailton und seinem Bremer Abwehrkollegen Mladen Krstajic die Gehälter verdoppelt und noch vier weitere Spieler in die Schalke-Arena locken soll. Seit die Millionensummen für Ailton und Krstajic in den Zeitungen stehen, fordern nicht nur bei Werder Bremen mittelprächtige Spieler wie Ivan Klasnic und Krisztian Lisztes mehr Geld, auch in Stuttgart und anderen Vereinen halten die Spieler die Hände auf. Noch im Juli hatte Werders Trainer Thomas Schaaf konstatiert: Die Zeiten, wo Spieler eine Wahnsinnsmacht haben, sind vorbei. Doch die Schalker Großzügigkeit macht die Spieler wieder mächtiger und treibt die Preise im Moment nach oben (…) Mit dem Umbau des Weserstadions hatte Assauers Managerkarriere 1976 angefangen, fünf Jahre modernisierte er das Stadion und die Mannschaft, diente dann vier Monate lang Werder Bremen und Schalke 04 gleichzeitig als Manager, wechselte ins Ruhrgebiet, scheiterte fünf Jahre lang daran, den Arbeiterverein modern und siegreich zu machen, wurde gefeuert, kehrte 1993 zurück und arbeitet seither erfolgreich daran, sich unsterblich zu machen. Die im Jahr 2001 eingeweihte Arena Auf Schalke, das ist nicht nur Assauers Werk, das ist nicht nur das modernste Stadion der Welt und das Festspielhaus des deutschen Fußballs (Assauer), das ist vor allem Schalkes Notenpresse. Hier wird das Geld gedruckt, mit dem Assauer die Ailtons der Liga zuwerfen kann. Wie viele Millionen Euro die Sponsoren und Zuschauer der Arena tatsächlich in die Kassen des Vereins schütten, wissen nur Schalkes Finanzjongleure, aber die sind so sehr von der Treue der Fans überzeugt, dass sie einen großen Teil der Ticketerlöse der nächsten 23 Jahre an einen Londoner Investmentbanker verpfändet haben, der ihnen dafür im April 85 Millionen Euro auf die Konten schob. Bisher war fast jedes Spiel in der 61 000-Zuschauer-Arena ausverkauft, weil die den Leuten mehr bietet als Fußball. Sie bietet die Fröhlichkeit eines Bierzelts, den Sound eines Rockkonzerts und die Inbrunst einer Gospelmesse, was nicht zuletzt an den fünf Kilometer langen Bierleitungen liegt, die überall im Stadion das frische Pils so fließen lassen wie in einer Eckkneipe. Wie man Fußball inszeniert, davon versteht keiner in Deutschland mehr als Assauer, und deshalb legt sich auch bei einem Untertagekick wie im letzten Heimspiel gegen den VfL Bochum nie diese Trostlosigkeit auf die Zuschauerränge, die in anderen deutschen Stadien bei solchen Leistungen garantiert wäre. Als Stadionherr verkörpert Assauer die Zukunft des Fußballs, aber als Manager seiner Mannschaft hat er so wenig Erfolg, dass er nun hastig Top-Stars zusammenkaufen muss. Spieler aus 16 Ländern hat Schalke unter Vertrag, aber drei Trainer (Huub Stevens, Frank Neubarth, Marc Wilmots) konnten in den vergangenen beiden Jahren nicht den großen Fußball in die Arena zaubern, und nun versucht der aus Spanien heimgekehrte Jupp Heynckes den FC Söldner 04 zu einer Mannschaft zu formen, die auch im Uefa-Cup Geld einspielen kann. Beim letzten Auftritt in der Arena verlor Schalke nicht nur 0:2 gegen Bochum, der Trainer machte auch durch Gesten klar, dass er kein Vertrauen zu seiner Mannschaft hat. Er sei getäuscht worden über den wahren Leistungsstand der Spieler, hatte er schon vorher in Interviews beklagt, nicht er sei verantwortlich für schlechte Leistung und miese Ergebnisse, sondern jene, die diese Spieler zusammengekauft hätten. Sein Ballett der Verachtung, aufgeführt an der Seitenlinie, krönte er mit vielsagenden Blicken zu Assauer: Sag ich doch, die können es nicht, kauf neue Leute, Rudi! Als wäre es ihr Ziel, den grandiosen Videowürfel über dem Spielfeld runterzuschießen, so bolzten die Schalker den Ball durch die Arena; als säße Ailton dem Stürmer Victor Agali auf der Schulter, so trabte der Nigerianer über den Rasen; als wollte er sich für jede Position in der Schalke-Elf der nächsten Saison bewerben, so wild irrte Abwehrmann Tomasz Hajto übers Spielfeld. Nicht nur ihm – von Neuzugang Krstajic bedroht – merkte man an, dass die Schalker durch das Geschrei ihres Trainers nach neuen Spielern verunsichert sind. An Agali lassen die Fans ihre Enttäuschung aus. Für zehn Millionen Mark vor zwei Jahren geholt, ist der Torjäger – inzwischen Mr. Chancentod genannt – wohl das erste Opfer der neuen Einkaufsoffensive. Die Fans von Schalke rebellieren bisher nur gegen einzelne Spieler, in Hamburg (Schießbude) und Berlin (Hertha BSE) zeigt sich die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Distanz zwischen Fans und Trainer und Mannschaft. Die Geduld enttäuschter Zuschauer schrumpft, seit ihre Teams zusammengekaufte Söldnertruppen geworden sind; nicht mehr die Treue zum selben Verein verbindet Spieler und Fans, sondern eine Geschäftsbeziehung: Ich zahle, du lieferst Unterhaltung, langweile mich nicht und erwarte kein Mitleid, wenn ihr verliert. Für ihr Geld wollen die Fans Siege und Tore sehen, vor allem aber wollen sie, dass ihre Mannschaft ihnen eine Geschichte erzählt, die Geschichte der jungen Himmelsstürmer (Stuttgart) oder die Geschichte der Auferstehung (Leverkusen) oder die Geschichte des Ostens (Rostock). Mannschaften ohne Geschichte sind seelenlose Banden von Männern in kurzen Hosen, und Schalke 04 ist so ein Haufen, der Club erzählt samstags keine Geschichte mehr. Aus dem Meister der Herzen, dem vier Minuten fehlten, um Deutscher Meister zu werden, ist der Meister der Kassen geworden.“

Bis heute hat die Mannschaft keinen eigenen Stil entwickelt

Christian Ewers (Zeit 30.10.) vermisst Ausdruck und Haltung bei Hertha BSC: „Das rückläufige Publikumsinteresse ist vielleicht das Hauptsymptom jener Krise, die Hertha BSC zurzeit durchlebt – mehr noch als all die vergebenen Torchancen und verlorenen Spiele. Hertha BSC steckt in einer Identitätskrise. Der Klub weiß nicht, wen er überhaupt unterhalten will. Etwa die „Harlekins“ (ein Fan-Club der Hertha, of), die den so genannten ehrlichen Fußball schätzen? Oder die Fußball-Gourmets, die Hackentricks und Doppelpässe sehen wollen? Oder die Neuberliner, denen der Stil egal ist, solange das Team Erfolg hat und Fußball ein gesellschaftliches Ereignis bleibt? Wahrscheinlich will Hertha alle ein bisschen bedienen. So ist jedenfalls die Mannschaft aufgestellt. Hinten in der Abwehr steht der strammwadige Kapitän Dick van Burik, der den Ball gern per Bogenlampe aus dem Strafraum befördert. Im Mittelfeld jongliert der Brasilianer Marcelinho, und im Sturm probiert der in der Nationalmannschaft so erfolgreiche Fredi Bobic sein Glück, der Kolumnen schreibt und ein beliebter Interviewpartner ist. Es passt nicht zusammen, was Manager Hoeneß und Trainer Huub Stevens eingekauft haben in den vergangenen anderthalb Jahren. Bis heute hat die Mannschaft keinen eigenen Stil entwickelt. Sie weiß nicht, wie sie spielen soll, weil sie nicht weiß, wer sie ist. Sie weiß nur, wo sie irgendwann gern wäre. Und sie spürt Wochenende für Wochenende, dass sie sich von diesem Ziel in Lichtgeschwindigkeit entfernt. Noch vor vier Jahren hatte es den Anschein, als sei Hertha BSC ihrem Ziel ein großes Stück näher gekommen. Hertha wird in der Saison 1998/99 Dritter und qualifiziert sich für die Champions League, die Eliteklasse des europäischen Fußballs. Ein Traum geht in Erfüllung. Gegner sind der AC Mailand, Galatasaray Istanbul, FC Chelsea und FC Barcelona. Am 21. Oktober 1999 spielen die Berliner vor 75 000 Zuschauern im Olympiastadion gegen den AC Mailand. Für die Italiener laufen Maldini, Bierhoff und Schewtschenko auf. Herthas Beste heißen Preetz, Wosz und Deisler. Hertha gewinnt 1:0. Der Berliner Kurier titelt: „Weltklasse. Mailands Superstars chancenlos“. Seit dieser einen Saison in der Champions League ist der Klub wie getrieben von dem Wunsch, zu den führenden Vereinen des Kontinents zu gehören. In der Spielzeit 2000/2001 erreicht Hertha zwar nur den Uefa-Cup, doch plötzlich ist von „riesigen Potenzialen“, „historischen Chancen“ und „Visionen“ die Rede. Berlin, die wieder vereinte Stadt – was schlummert hier bloß für ein Fanpotenzial? Das Umland Brandenburg – der Hunger nach Spitzenfußball muss doch riesengroß sein in dieser Diaspora. Welch eine Chance! Und dann die vielen Weltkonzerne mit ihren Repräsentanzen in der Hauptstadt – alles mögliche Sponsoren. Schließlich meldet sich noch Franz Beckenbauer vom Branchenführer FC Bayern München und verkündet: „Berlin ist ein schlafender Riese.“ Spätestens jetzt ist der Glaube an die große Zukunft da, und dieser Glaube hilft ein wenig hinweg über die nicht ganz so glanzvolle Gegenwart.“

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