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„Getroffen von der Ungerechtigkeit dieser Welt“
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| Donnerstag, 25. März 2004
„Getroffen von der Ungerechtigkeit dieser Welt“ fühlen sich, Beobachtungen der SZ zufolge, die Münchner Bayern nach einer erneuten Niederlage in der von ihnen heiß geliebten Champions League. Zwar waren die Verantwortlichen beim 1:2 in Mailand mit der gezeigten Leistung zufrieden, haderten jedoch mit Schicksal und Schiedsrichter. „Pech liegt als Argument im Trend, wenn die Bayern in Europa vorspielen und ihr Versagen erklären sollen“, lesen wir dazu in der SZ, während die FAZ die Reaktionen von Hoeneß Co. als „rat-, hilf- und leidenschaftslos“ bezeichnet: „Die Münchner machen es sich zu leicht, wenn sie bei ihrer Ursachenforschung an den Punkten Glück und Pech aufhören.“
In der Tat werden die Töne von der Säbener Straße nicht unbedingt kleinlauter. Dass die Chance auf das Erreichen der nächsten Runde dem Bundesligatabellenführer trotz der knappen Punktausbeute (ein Punkt aus vier Spielen) noch erhalten bleibt, nahm man dort nämlich zum Anlass, „sich Mut im Akkord zuzusprechen“ (FR). Doch „Anspruch und Wirklichkeit passen nicht mehr zueinander“ (FR). „Ach, könnten sie doch nur die Klappe halten, diese Bayern!“, reagiert die taz genervt auf weitere Ankündigungen großer Taten.
Dahingegen hat sich der AC Milan durch den vierten Sieg in Folge vorzeitig qualifiziert – nicht zuletzt dank Torjäger Filippo Inzaghi, über den die NZZ schreibt: „gefährlich, wie eine Viper, die den Kopf hebt“. Auch Bayer Leverkusen steht nach dem 2:1-Sieg über den israelischen Meister aus Haifa mit einem Bein in der zweiten Runde. Allerdings sei die Darbietung „ärmlich“ (FR) gewesen, was einer „Versündigung am schönen Fußball” (SZ) gleichkommt. „Mit Zweitliganiveau auf Champions-League-Kurs“ resümiert die FAZ den Auftritt derjenigen Mannschaft, die letzte Saison mit Offensivfußball ohne doppelten Boden ins Finale der europäischen Königsklasse gestürmt war.
Des Weiteren: ein sehr lesenswertes Portrait von Michael Ballack – Lobhudeleien auf Oliver Kahn – Berlusconismus in Italien – Rassismus in Europas Stadien – Aktionär Bobic u.v.m.
Champions League
AC Milan – FC Bayern München 2:1
Über die Reaktionen der Bayern nach dem Spiel lesen wir von Andreas Burkert (SZ 25.10.). „Überhaupt haben die Bayern nach der unglücklichen Niederlage in der Oper des europäischen Fußballs sehr viel über die Geschwister Glück und Pech gesprochen (…) Glück und Pech, so einfach kann man ein Fußballspiel erklären, von dem ein Wunder erwartet wurde, eine Wende, eine große Leistung. Wie der FC Bayern in der Vergangenheit vom Schicksal verwöhnt worden ist, daran kann sich Oliver Kahn noch gut erinnern: „Wir haben letztes Jahr teilweise die größte Scheiße gespielt und 1:0 gewonnen.“ (…) Doch wer Bekenntnisse zu offenkundigen spielerischen Mängeln vernehmen wollte, zur mangelhaften Grundordnung, in der allein Kuffour, Jeremies und der Torschütze Tarnat nicht gänzlich verloren gingen – den erreichten nur diese leeren Sätze von Glück und Pech. Die Mannschaft hat ganz offensichtlich das 2:3 zum Beginn der Runde gegen La Coruña nicht verarbeitet, und niemand vermag diese Unsicherheit zu vertreiben. Nicht der Pädagoge Hitzfeld, dem man mutigere (sprich: zeitigere) Wechsel gewünscht hätte; nicht Kahn, der mit sich selbst beschäftigt ist, und auch nicht Ballack, dessen Schuhwerk vom italienischen Geheimdienst mit Spülmittel bearbeitet worden sein muss, so häufig glitt er über den Rasen wie ein Clown bei Holiday on Ice. Ihm wollte kaum etwas gelingen. Funktioniert aber Ballack nicht, das ist eine Erkenntnis von Mailand, dann sucht diese prächtig besetzte Mannschaft gegen ebenbürtige Gegner vergeblich nach der Balance ihres Offensivspiels.“
Matti Lieske (taz 25.10.) meint zum selben Thema. „Natürlich glauben die Herren vom Bundesliga-Tabellenführer, dass sie selbstverständlich die restlichen beiden Partien gegen Deportivo und Lens gewinnen, so wie sie nach der Hinspiel-Niederlage gegen Milan überzeugt waren, die restlichen drei Partien zu gewinnen. Die Frage, wieso ein Team, das in vier Spielen einen Punkt geholt hat, plötzlich derart auftrumpfen sollte, konnte jedoch selbst Uli Hoeneß nicht schlüssig beantworten. Ansonsten war man bemüht, das Mailänder Spiel in rosigste Farben zu hüllen – eine müde Partie gegen einen kaum motivierten Gegner, dem ein Punkt vollkommen gereicht hätte (…) Oliver Kahn verstieg sich sogar zu der Theorie, dass sein Team so schönen Fußball biete wie niemals zuvor, deshalb die Defensive vernachlässige und ungerechterweise mit Niederlagen bestraft werde. „Leider zählt ja nur das Ergebnis“, klagte der Torhüter, ein Satz, von dem man auch nie erwartet hätte, ihn einmal aus dem Munde eines Bayern-Spielers zu hören.“
Roman Herrmann (FR 25.10.) berichtet vom abendlichen Bankett. „Die „Sterne des Südens“ standen unter Erklärungsnot und glänzten matt unter Kronleuchtern. Die meisten verschwanden auf ihren Zimmern und hinterließen einen Berg aus Floskeln und Formulierungen. Manager Uli Hoeneß ist anders. Ein offenes Buch. Seelische Schieflagen trägt er nicht auf der Zunge und dennoch liefern die anschwellende Halsschlagader und die zu schmalen Streifen zusammengepresste Lippen ein authentisches Spiegelbild der Ratlosigkeit und Enttäuschung. Den Sätzen der Marke Vorwärtsverteidigung fehlte das tragende Fundament, weil Anspruch und Wirklichkeit nicht zueinander passen. Für Hannover werde es schon reichen, spöttelte Hoeneß im Hinblick auf das nächste Bundesligaspiel. Als schließlich der in Kaiserslautern entlassene Andreas Brehme und der einst in Dortmund gescheiterte Nevio Scala den Kreis der matten Feier bereicherten, wirkte das nicht gerade wie der Einzug der Glücksboten (…) Das drohende Aus in der ersten Runde aber könnte nicht nur ein paar Millionen Euro kosten, es hinterlässt schmerzhafte Wunden im Selbstbild des mit Hochkarätern aus der Liga auf Erfolg getrimmten Branchenführers, dem nun die eigene Sinnkrise zu schaffen macht.“
Joachim Mölter (FAZ 25.10.) rät. „Vielleicht sollten sie sich beim FC Bayern auch ein paar Gedanken machen über ihre Einkaufspolitik, ihre Erwartungen, die natürlich genährt werden von den vielen Erfolgen der Vergangenheit. Der „beste Bayern-Kader aller Zeiten“, wie ihn Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge vor Saisonbeginn bezeichnet hat, ergibt nicht automatisch die beste Mannschaft, und schon gar nicht auf die Schnelle (…) In der zentralen Position, da, wo früher Leute wie Paul Breitner oder Stefan Effenberg die Kommandos gaben, fehlt nun ein „Lautsprecher“. Ballack hat zweifellos genügend sportliche Fähigkeiten, mit denen er sich die nötige Autorität erspielen könnte, aber er ist weder Antreiber noch Spielmacher, noch einer, der seine Mitspieler auch mal anschreit. Dazu ist er zu lieb, zu brav, zu höflich, immer sehr bemüht, aber letztlich nicht aggressiv genug. Ballack ist ein Weichspieler und damit ein Ebenbild des diesjährigen FC Bayern. In der Bundesliga reicht das spielerische Talent, das die Mannschaft zweifellos hat, zur Spitzenposition, in der Champions League aber sind auch andere Qualitäten gefragt.“
Joachim Mölter (FAZ 23.10.) erläutert die Bedeutung eines eventuellen Ausscheidens der Münchner. „Der FC Bayern München kämpft – um Geld und Prestige und Einfluß. Von zwanzig Millionen Euro ist die Rede, die dem FC Bayern dann entgingen, und auf soviel Geld verzichtet nicht einmal der reichste Klub Deutschlands. Der hat zwar vor dieser Saison hochdotierte Verträge abgeschlossen, aber die 90 Millionen Euro von der Allianz und die 75 Millionen von Adidas sind schon für das neue Stadion verplant; das Festgeldkonto haben sie geplündert, um Michael Ballack, Zé Roberto und Sebastian Deisler für insgesamt 25 Millionen zu engagieren. Dazu sind die Fernseheinnahmen gesunken. Nur bei den traditionellen Sponsoren haben die Münchner noch mal zugelegt, aber dadurch hat auch die Abhängigkeit des Klubs von den Geldgebern zugenommen. In den vergangenen Wochen konnte man jedenfalls den Eindruck gewinnen, der FC Bayern München habe nicht nur seine Souveränität auf dem Rasen verspielt, sondern auch die gegenüber seinen Geldgebern. Schon im August gab es Unmut bei Hauptsponsor Telekom, weil Aufsichtsratschef Franz Beckenbauer einen Privatvertrag mit einem konkurrierenden Mobilfunkunternehmen abschloß. Unlängst wurde Karl-Heinz Rummenigge beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) vorstellig, um DFB-Werbemaßnahmen mit dessen Sponsor Mercedes im Interesse des neuen Bayern-Partners Audi zu regeln. In dreizehn Jahren zuvor, in denen Opel der Hauptgeldgeber des FC Bayern war, waren die Persönlichkeitsrechte der Nationalspieler nie ein Thema gewesen (…) Immerhin: Internationale Erfolge haben die Münchner derzeit nicht als Gegenleistung zu bieten, und die groß angekündigte Übertragung von Bayern-Spielen auf Handys scheitert derzeit daran, daß Telekom keine Rechte an bewegten Bundesligabildern besitzt. Es drohen Abstriche im leistungsbezogenen Vertrag. Selbst als der Klub neulich die Partnerschaft mit dem Spielzeughersteller Lego bekanntgab, war nicht zu übersehen, wie groß die Erwartungshaltung gegenüber dem FC Bayern ist.“
Weitere ReaktionenTsp
NZZ(25.10.). „Es ist noch nicht lange her, da galt Bayern als leuchtendes Beispiel, besonders in deutschen Landen. Jener Landstrich mit wenig Arbeitslosen, modernen Industriezentren und dem erfolgreichsten Fussballklub. Es schien fast selbstverständlich, dass der FC Bayern München, der FCB deutscher Prägung, auch heuer ausziehen würde, um Europa zu erobern und das eigene Land zu beglücken. Zudem sollte Edmund Stoiber als Kanzler Deutschland neue Wege zeigen, und neidisch schaute die Konkurrenz auf die politischen und sportlichen Erfolgsbahnen. Inzwischen ist es vorbei mit dem Bayern-Boom. Stoiber verlor die Kanzlerwahl, und Bayern München tut sich zwar auch nach der dritten Niederlage im vierten Gruppenspiel der Champions League am Mittwochabend im San Siro schwer mit Eingeständnissen von wenig effizienten Tagen, muss aber vor den nächsten beiden Spielen gegen La Coruña und Lens primär in negativen Szenarien denken (…) Dagegen können sich die Verantwortlichen der AC Milan im Schlaraffenland fühlen. Klubpräsident Silvio Berlusconi führt im Gegensatz zu Stoiber unter anderem auch als Regierungschef das Land, und die Milanesi sind in diesem Herbst die erste Adresse des Landes wie – so wird allgemein bewertet – auch Europas (…) Kein Zweifel: Ancelottis taktische Ideen mit zahlreichen Variablen scheinen recht gut zu greifen. Das enorm hohe Potenzial kommt schon zu einem relativ frühen Saisonzeitpunkt zur Geltung, und in dieser multikulturellen Equipe setzt offenbar die Sprache des Fussballs, die Freude am Ball, die Akzente. Rivaldo, Tomasson undSchewtschenko fehlten, und lange merkte es keiner. Das Spiel basiert nicht mehr auf der defensiven Stabilität, sondern dem Drang nach vorn, gegen das eigene Tor durchaus gekittet, aber nicht mehr mit dem Torverhindern als einzigem Mittel. Dieser Hang zum Spektakel mit sehr offensiven Aussenverteidigern, zum unbeschwerten Auftritt birgt aber auch eine reichliche Portion Risiken.“
Reaktionen in Italien SZ
Bayer Leverkusen – Maccabi Haifa 2:1
Christoph Biermann (SZ 25.10.) ist erschrocken. „Miserabel war jedenfalls die Leistung der Gastgeber, die zu einem Fiasko hätte führen können, wären die Gegner nicht Novizen gewesen. Eine etwas erfahrene Mannschaft hätte sich nicht allein am hübschen Spiel erfreut, sondern einfach die Punkte mitgenommen. Gemessen an der Zahl der Torgelegenheiten wäre das durchaus möglich gewesen (…) So blieb nichts als das Ergebnis, worüber sich Bayer freuen konnte.“
Erik Eggers (Tsp 25.10.). „Bayer Leverkusen hatte zunächst abwarten wollen, doch dieses Abwarten entsprach nicht der Souveränität einer Spitzenelf. Ein wirkliches Klasseteam operiert wie ein stoisches Krokodil, das, selbst völlig ungefährdet, in seichten Gewässern auf unvorsichtige Aktionen der Beute wartet. Doch Bayers Abwehr war alles andere als unverletzlich. Haifa hätte gewinnen müssen, so viele Chancen hatte die Mannschaft; aber der Außenseiter bemerkte zu spät, dass er es nicht mit einem gefährlichen Krokodil zu tun hatte.“
Spielbericht FR
Spielbericht FAZ
Borussia Dortmund – PSV Eindhoven 1:1
Peter Heß (FAZ 24.10.) mit einer Spielanalyse. „Nach Kollers frühem Führungstreffer gegen den PSV Eindhoven hatten sich die Borussen acht weitere große Torchancen erspielt. Aber anstatt den dritten Sieg in Folge in der europäischen Königsklasse herauszuschießen, überboten sich die Dortmunder im Auslassen bester Gelegenheiten. Und wie es oft im Fußball kommt: Der unterlegene Gegner bestraft die Schwäche des Besseren mit einem Gegentreffer. Brugginks Ausgleich hatte dann bis zum Schlußpfiff Bestand, weil die stärker werdenden Niederländer genauso ungenau vor dem gegnerischen Tor zu Werke gingen wie die Dortmunder. Chance verpaßt? Drei Punkte Vorsprung vor AJ Auxerre und fünf Zähler vor Eindhoven sind nach vier von sechs Spieltagen eine bequeme Ausgangsposition, den weiterführenden Rang zwei hinter Tabellenführer Arsenal London zu verteidigen. Deshalb war der Drang nicht eben groß, nach kurzen kritischen Anflügen in Selbstzerfleischung zu verfallen. Zumal die Dortmunder eine Stunde lang fast alles richtig gemacht hatten. Engagiert im Zweikampf und spielerisch überzeugend, dominierten sie die Eindhovener nach Belieben, die lange Zeit eine Kostprobe dafür gaben, warum sie auch im sechsten Versuch den Einzug in die zweite Runde der Champions League wohl nicht schaffen werden. Die große Schwäche der Dortmunder an diesem Abend, die Torausbeute, gibt indes keinen Anlaß zu besonderer Besorgnis. Das passiert halt mal im Fußball. Ansonsten sind die Borussen eher bekannt dafür, daß sie ihre Spiele nach eher zähem Verlauf durch ihre kühle Chancenauswertung gewinnen.”
Freddie Röckenhaus (SZ24.10.) sah sich außerhalb des Stadions um. „Der Westfälische Friede endete schon eine Stunde vor dem Anpfiff auf dem Alten Markt im Herzen von Dortmund. Nachmittags hatten der BVB und die Stadt Dortmund mit einem Entertainment-Programm so etwas Unwahrscheinliches wie eine deutsch-niederländische Fußball-Freundschaft zwischen den Anhängern der Borussia und des PSV Eindhoven zu schmieden versucht. So lange das Bier reichte, blieb es friedlich, wenn auch nicht gerade liebevoll. Aber vorm Aufbruch in Richtung Westfalenstadion randalierten sich rund 60 PSV-Fans dann doch richtig in Stimmung und demolierten zuerst eine Kneipe und anschließend einen U-Bahn-Zug so heftig, dass der vorerst still gelegt werden mußte. 30 von Eindhovens Anhang erlebten das 1:1 im Champions-League-Spiel im Polizei-Arrest. Dortmunds sportliche Ziele scheiterten ebenso.“
Zum Entwicklungsstand der Dortmunder Mannschaft heißt es bei Martin Hägele (Tsp 24.10.). „Wie es nun mit der Borussia weitergeht, das lässt sich allenfalls grob skizzieren. „Noch müssen wir uns für nichts rechtfertigen“, sagt etwa Lars Ricken, die Mannschaft habe in dieser Saison schon mehrfach bewiesen, dass sie mit Druck umgehen kann. Offensichtlich sieht auch Sammer die Entwicklung beim Deutschen Meister ähnlich, auf dem Weg zu internationaler Reife, Robustheit und Souveränität hat der Trainer Rückschläge einkalkuliert. Er kennt seine Leute, er kennt den Charakter dieser Mannschaft, weshalb er auch gegen die Pfiffe des Publikums ein beeindruckendes Plädoyer für sein Kader gehalten hat – mit dem Kernsatz: „Wir müssen uns alles hart erarbeiten, einfach geht es nicht.“ Sie würden damit ihre eigene Erfolgsgeschichte fortschreiben: Am Ende der vorigen Saison ist auch nicht das beste oder kreativste Team Deutscher Meister geworden. Die beharrlichsten Arbeiter wurden es.“
Weiteres vom Europapokal
Christian Zaschke (SZ 24.10.) begrüßt das Vorhaben des Uefa-Generalsekretärs Aigner, die Uefa-Cup-Spiele mittwochs auszutragen.. „Dieser Wettbewerb ist zu einem trostlosen Gekicke geworden mit Mannschaften, von denen auch die gebildetsten Fußballköpfe noch nie etwas gehört haben. Später kommen die Verlierer aus der Champions League dazu, das ist lächerlich. Doch das größte Problem des Uefa-Cups ist: der Donnerstag. Der große Tag im europäischen Klubfußball ist seit jeher der Mittwoch. Niemand will donnerstags Fußball sehen. So ist die Verlegung auf den Mittwoch, die auf den ersten Blick anmutet wie Kosmetik, tatsächlich eine Chance. Im Gefühl der Fernsehzuschauer würde der Uefa-Cup wieder aufgewertet. Zudem wirkt er eigenständiger und nicht wie ein Anhängsel, das schnell hinterhergespielt wird, wenn die Großen fertig sind. Wenn Aigner schon einmal dabei ist, sollte er den Cup gleich richtig aufräumen: Er kann verhindern, dass er bloß finanzielles Netz ist für die Klubs, die in der Champions League scheitern. Er kann auch verhindern, dass im Uefa-Cup Gruppenspiele eingeführt werden, dieser Hort der Langeweile im internationalen Fußball. Raus ist raus.“
Den Anteil von René C. Jäggi am Basler Erfolg erläutert Sven Gartung (FAZ 24.10.). „Der designierte Vorstandsvorsitzende des abstiegsbedrohten und hochverschuldeten 1. FC Kaiserslautern gilt am Rheinknie als eigentlicher Baumeister der jüngsten Kluberfolge, des Gewinns der Schweizer Meisterschaft sowie des Pokals und der Qualifikation zur Champions League. Dabei war der wortgewaltige, 1948 im Basler Arbeiterquartier Kleinhüningen geborene Jäggi quasi schon kurz nach seinem Amtsantritt Ende 1996 gescheitert. Die in Deutschland abgehalfterten Profis Gaudino, Hartmann, Foda und Kreuzer sowie Trainer Jörg Berger kosteten den Klub eine Menge Geld, der sportliche Erfolg indes blieb aus (…) Für sportliche Erfolge fehlte jedoch nach wie vor ein qualifizierter Trainer. Den holte Jäggi 1999 in Person von Christian Gross. Fortan lagen die sportlichen Entscheidungen in den richtigen Händen. Nur: Für seine Spielerwünsche brauchte es mehr Geld, viel mehr Geld. Und hier landete der ehemalige Judoka und Schwarzgurtträger seinen im nachhinein wohl größten Coup für den FC Basel: Jäggi vermochte tatsächlich die Deutsche Brigitte Oeri, Gattin des milliardenschweren Roche-Erben Andreas Oeri, von ihrer Leidenschaft zum Fußball zu überzeugen. Seither engagiert sich die zierliche, blondierte und stets kräftig solariumgebräunte Endvierzigerin neben ihrem Puppenmuseum auch für ihr neues Steckenpferd, an dem sie nicht weniger als achtzig Prozent der Aktien hält. Und das geht so: Trainer Gross sucht den argentinischen Stürmer Christian Gimenez als Wunschspieler aus, Frau Oeri nickt die Transfersumme ab, zahlt – und Jäggi vollstreckt alsdann in bekannter Manier.“
Spielbericht FC Basel – FC Valencia (2:2) NZZ
Portrait Christian Gross, Trainer FC Basel NZZ
Birgit Schönau (SZ 23.10.) blickt hinter die Kulissen des italienischen Fußballs. „Adriano Galliani ist, was man banaliter ein Urgestein des italienischen Fußballs nennen könnte: seit 16 Jahren im Management des AC Mailand, neuerdings auch Chef der mächtigen Profiliga Lega Calcio. Einer der wenigen Bosse, die wirklich etwas von Fußball verstehen, sagen anerkennend über ihn die Spieler. Die Inkarnation eines Interessenkonflikts, der ganz Italien, und am Rande auch den Fußball an seinem Lebensnerv bedroht, meinen seine Gegner. In diesem Sommer hatte Gallianis Stuhl bei der Lega Calcio gehörig gewackelt. Eben noch hatte er, wie jedes Jahr, ein paar Tage Urlaub mit seinem alten Freund und Geschäftspartner Silvio Berlusconi gemacht, es war die übliche, nun etwas in die Jahre gekommene Boygroup, die sich in einer von Berlusconis Villen auf Sardinien versammelte. Alles Männer um die 60, die sich ewig kennen, und von denen Galliani berichtet: „Wir sagen ihm immer, dass wir das Rad sind, und er der Lenker.“ Der Lenker trug weiße Bermudas und dazu ein weißes T-Shirt, die anderen hatten sich in die gleiche Uniform geworfen. Die Boygroup regiert den Fußball, das Fernsehen und Italien. Einige sperrten sich gegen Galliani in der Lega, allen voran der Präsident des AS Rom, Franco Sensi. Der raue Alte mit dem Jargon eines römischen Droschkenkutschers hatte den glatten Norditaliener und sein seifiges Lächeln nie ausstehen können, er hält ihn für einen arroganten Lakai Berlusconis (…) Der Berlusconismus würde nicht funktionieren ohne Männer wie Adriano Galliani, der anstandslos und ohne eigene Ambitionen den Platz eines Statthalters ausfüllt, wie es dem Meister gefällt.”
Hintergründe, Spielerportraits
Philipp Selldorf (SZ 23.10.) erzählt eine sehr lesenswerte „deutsche Karriere“. „Das Rätsel um Michael Ballack liegt darin, dass er, nach seinen 1001 schweren Niederlagen auf dem Fußballplatz, von Tragik umwölkt sein müsste – und es ganz und gar nicht ist. Dass ihn nichts aufhält, umwirft und aus der Bahn bringt. Dass er offenbar nicht versinkt in Grübelei oder Traurigkeit, Zorn oder Depression. Und dass man ihm das nicht einmal übel nimmt (…) Da paart sich eine natürliche Leidenschaftslosigkeit mit einem philosophischen Talent. Ein Stoizismus, der keinem Traktat folgt, sondern eine angeborene Lebenshilfe ist. Bayern-Torwart Oliver Kahn nennt seinen neuen Mitspieler „einen Winner-Typ“. Keine Bezeichnung verdient mehr Widerspruch. Superstar Ballack, das Idol der Kinder und Jugendlichen, das Idol der Mädchen, Damen, Großmütter und Schwulen, die strahlende Leitfigur für das Unternehmen Weltmeisterschaft 2006, ist ein Verlierer, ist ein Verlierer, ist ein Verlierer. Mit dem Chemnitzer FC, für den er vom 14. Lebensjahr an gekickt hat, ist er aus der zweiten Liga abgestiegen. Beim 1. FC Kaiserslautern hat ihn sein Trainer Otto Rehhagel systematisch gedemütigt. Bei Bayer Leverkusen hat er sich und seinem Team vor zwei Jahren mit einem Eigentor im letzten Spiel den Titelgewinn versaut. Und in der vergangenen Saison ist er mit den Rheinländern innerhalb von 14 Tagen in allen großen Momenten dramatisch gescheitert: im Meisterschaftsfinish, im DFB-Pokalendspiel, im Europacupfinale. Das allein ist schon nicht schlecht, aber bei der WM in Asien setzte er noch einen drauf: Im Halbfinalspiel gegen Südkorea schoss er das Tor, das Deutschland ins Finale brachte – und wurde dann selbst mit einer lächerlichen Gelben Karte disqualifiziert. Einer Karte, die er bewusst verschuldet hat. Ballack hat mit 26 Jahren mehr Bedrohungen und Prüfungen überstanden als in elf komplette Fußballkarrieren passen.“
In gewohnt lobhudelndem Tonfall preist kicker-Chefreporter Karlheinz Wild (Tsp 23.10.) Oliver Kahn. „Im Sommer, bei der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea, war Kahn zum King und Torwart-Titan geadelt worden, wegen unerschütterlichen Widerstands gegen die Sturmgewalten aus Irland, Paraguay, Amerika oder Südkorea. Im heimischen Herbst jedoch hat ihn die Kritik nach normalen Spielen mit Treffern für die Konkurrenz aus dem spanischen La Coruña oder dem italienischen Mailand oder dem deutschen Leverkusen hart zugesetzt. Jetzt will er demonstrieren: Seht her, Leute! Seht her, ihr Besserwisser und Denkmalschänder! Noch habt ihr mich nicht gestürzt. Noch bin ich nicht gefallen, auch wenn ich in diesem Moment auf dem Boden knie. Ich stehe wieder auf. So war es immer bei Oliver Kahn.“ Wir fragen: Was bewegt eine ambitionierte Tageszeitung dazu, solche Hymnen abzudrucken, in denen Kritiker als “Besserwisser” und “Denkmalschänder” etikettiert werden? (demnächst vielleicht auch als: “Pinscher” oder “Schmeißfliegen”?)
Ralf Wiegand (SZ 25.10.) kommentiert die Diskussion um den vermeintlichen BVB-Aktienbesitzer Fredi Bobic (Hannover 96). „Dass an der Börse nicht nur Geld verbrannt wird, sondern bisweilen auch die Ehrlichkeit, ist nicht neu. Genügend Fälle von unstatthaftem Insiderhandel flogen auf, betroffen waren nicht nur Manager, sondern zum Beispiel auch Wirtschaftsjournalisten. Es ergibt also durchaus Sinn, dass sich die Deutsche Fußball-Liga vorbeugend Paragrafen in die Regeln schrieb, nach denen sich ein Verein nicht beim anderen einkaufen darf und auch die Spieler nicht Aktien ihrer Gegner halten sollen. Damit das Wertpapier nicht zum Totoschein verkommt. Die Sache mit Fredi Bobic, ob er nun Aktien hält oder nicht, wirft aber ein schlechtes Licht auf die gute Absicht: Schon beim kleinsten, beim allerersten Anlass, über Sinn und Unsinn der Aktien-Regel zu diskutieren, stolpert die DFL (…) Die Lage ist pikant, sehr pikant sogar. Bobic schoss gegen Werder Bremen zwei Tore, zuvor gegen Dortmund spielte er nicht, wegen einer anschließend rasend schnell verheilten Verletzung. Am Ende fehlen Bremen vielleicht diese zwei Punkte, um Dortmund aus dem internationalen Wettbewerb zu drängen. Bobic, falls BVB-Aktienbesitzer, hätte alles richtig gemacht. Das ist natürlich eine wilder Ritt ins Land der Phantasie, aber gerade im Sport gibt es kein Tabu, das nicht gebrochen wird. Bobic muss die Sache aufklären, am besten schnell.“
Hintergrund (Verstößt Bobic gegen DFL-Auflagen?) SZ
David, Beckham, der „kickende Kulturverfall“. Christoph Biermann (taz 24.10.). „Es ist weitgehend unstrittig, dass David Beckham zu den besten Fußballspielern der Welt gehört und ziemlich gut aussieht. Offensichtlich liebt er seine Frau und seine Kinder, wie er sympathisch und immer noch ein wenig schüchtern einräumt. Das behaupten jedenfalls alle, die ihn mal getroffen haben. Kompliziert wird Beckhams öffentliches Bild jedoch bereits dadurch, dass seine Frau nicht irgendein Girl next door ist, sondern das Girl next door einer ganzen Generation. Victoria Beckham sang bekanntlich früher bei den Spice Girls und lebt mit ihrem Mann heute in einem Anwesen, das in englischer Sehnsucht nach Königtum „Beckingham Castle“ genannt wird. Victoria hat David zum Geburtstag einen Bentley „Arnage T“ geschenkt, den er anschließend von 270 km/h auf 200 drosseln ließ. Sie schickte ihrem Mann zur WM auch einen Starfriseur nach Japan hinterher, um die Haare wieder herzurichten. Denn Victoria weiß, dass David ein besonderes Verhältnis zu Frisuren hat. Wenige Minuten nach der Entbindung des ersten Kindes bat er sie, ihm die Haare zu machen, damit er die Geburt vor der Presse verkünden konnte. Die Geschichte ist ihm ziemlich peinlich.“
„Die Affäre Möllemann erreicht den FC Schalke 04“ Tsp
Aus England
Irlands Ex-Internationaler Tony Cascarino (Times 21.10.) stellt das Buch von Irlands Nationaltrainer Mick McCarty vor und wertet das interne Buch-Duell Keane versus McCarthy klar für Irlands Internationalen Roy Keane (Manchester United): „Keanes Buch war brutal ehrlich, was ihm in Irland viel Sympathie eingebracht hat. McCarthy hingegen liefert keine Überraschungen und lässt Antworten auf Keanes Attacken vermissen. McCarthy läuft nicht Gefahr, für sein Buch kritisiert zu werden, wie es beispielsweise Glenn Hoddle und David O’Leary wurden. Er flüchtet sich in endlose Phrasen, nur um das Richtige zu sagen, was sicherlich nicht dem entspricht, was er wirklich fühlt. Vielleicht fürchtet er Anfeindungen, die ihm seinen Job kosten könnten.“
Oliver Kay (Times 19.10.) beschreibt die Stadt Manchester. Auslöser ist wiederum Roy Keane: „Manchester bleibt eine geteilte Stadt, mit Roy Keane im Brennpunkt. Gerade als Sir Alex Ferguson am Freitag erklärte, sein Kapitän sei vom Disziplinarkommittee zu hart bestraft worden, betonte Manchester City sein Vorhaben erneut, Roy Keane für seine berühmtes Foul, das wahrscheinlich das Karriereende von Alf Inge Haaland verursacht hat, vor ein ordentliches Gericht zu stellen. Die Beziehung der beiden Clubs, die in drei Wochen an der Maine Road aufeinander treffen, war selten so gespannt. City-Boss David Bernstein sagte, sowohl City als auch Haaland würden in diesem Fall weiter Rechtsberatung in Anspruch nehmen.“
Dennis Cambell (Guardian 20.10.) stellt die verlogene Diskussion Englands um die rassistischen Vorkommnisse in Bratislava bloß: „Emile Heskey hat die Beschimpfungen der Fans in Bratislava als die schlimmsten bezeichnet, denen er jemals ausgesetzt gewesen sei. Der Stürmer Liverpools sagte sogar, dass solches Verhalten in englischen Stadien nicht mehr anzutreffen sei. Diese Kommentare verstärken das allgemeine Empfinden, der englische Fußball sei frei von Rassismus. Nur hat Heskey leider nicht recht. Vergangenes Wochenende hat es keine vier Minuten vom Anpfiff an gedauert, bis Fans Heskey als Nigger und „black c***“ beschimpften. Das Rassismus in englischen Stadien so gut wie nicht mehr vorzufinden ist, ist nicht mehr als ein selbstgefälliger Mythos. Rassismus ist immer noch vorhanden und meistens passiert dieser unbestraft. Fragt man Efe Sodje, Verteidiger bei Crewe Alexandra, der für Nigeria gegen England und Argentinien bei der Weltmeisterschaft spielte, so hat er nicht nur von Fans sonder auch auf dem Platz beschimpft. Seine Frau Susannah hat Drohbriefe eines Manchester-City-Fans erhalten, sie habe die weiße Rasse „verraten“, weil sie einen schwarzen Mann geheiratet hat. Der „moderne“ Rassist mag nicht mehr so beleidigend zu schwarzen Spielern sein wie seine Vorgänger. Heutzutage zählt weniger die Hautfarbe als vielmehr der Fakt, überhaupt Ausländer zu sein. David Ginola beispielsweise war Woche für Woche ein „french c***“ für Hunderte von Fans. Sogar Dennis Bergkamp war ein „useless Dutch c***“ für eine unüberhörbare Fangemeinde Arsenals. Woche für Woche machen sich Hunderte, wenn nicht Tausende strafbar und nur vierzehn wurden bisher aus den Stadien verbannt.“
Carsten Germann (Welt 24.10.) schreibt über Rassismus in Europas Fußballstadien. „Auf der Insel, das zeigt eine in den vergangenen Tagen entbrannte Debatte, ist Rassismus im Fußball an der Tagesordnung, wenn auch nicht mehr auf dem Niveau der 70er-, 80er-Jahre. Zwar ging die offiziell registrierte Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten bei Premier-League-Spielen von 82 im vergangenen Jahr auf 46 in diesem Jahr zurück. Doch Rassismus, räumt der Fußball-Soziologe Jon Garland von der Universität Leicester ein, „ist hier ein gravierendes Problem.“ Das sich aber auch in ganz Europa wieder ausbreitet. Nicht einmal die erfolgreiche Integration ausländischer Stars bewahrt die Klubs vor Rassismus der eigenen Fans. In Eindhoven etwa gilt die Meute als besonders gefährlich: Als der PSV gegen Arsenal London in der Champions League verlor, wurde Arsenals Stürmer Thierry Henry bei Eckbällen mit rassistischen Gesängen beleidigt und mit Raketen beschossen, dabei spielen in Eindhoven ebenfalls fünf dunkelhäutige Profis. Liverpools Heskey musste in Valencia üble Schmährufe über sich ergehen lassen, obwohl beim spanischen Meister der gleichfalls dunkelhäutige Norweger John Carew für Tore sorgt. Lazio Rom sieht inzwischen von Verpflichtungen dunkelhäutiger Stars ab. Mit über 100.000 Schweizer Franken Strafe in zwei Jahren liegen die Römer bei Rassismus-Bußgeldern weit vorne (…) Als besonders berüchtigt gelten die Fans von Leeds United, die in ihrer Wortwahl nicht zimperlich sind. Auch die Anhänger von West Ham und Newcastle United fielen zuletzt negativ auf und machten Chelseas Stürmer Jimmy Floyd Hasselbaink zu ihrer Zielscheibe. Der Niederländer revanchierte sich auf seine Art: Er schoss das erste von drei Toren gegen Newcastle und hatte beim Torjubel Tränen der Wut in den Augen.“
Weiteres
Friedhard Teuffel (FAZ 23.10.) rezensiert. „Ob sich am gespannten Verhältnis zwischen Japan und Korea durch die Fußball-Weltmeisterschaft dauerhaft etwas ändert? Wenn sich die WM-Geschichte treu bleibt, dann wird es keinen Wandel durch Annäherung geben. Die Verbandspräsidenten und Marketingstrategen des Fußballs können erzählen, soviel sie wollen: Die WM überwindet keine Grenzen. Sie ist zwar ein globales Ereignis, ihre Auswirkungen sind jedoch immer national (…) Meist schildern die Autoren eher nüchtern, als daß sie farbig erzählen, und gerade die Entstehungsgeschichte des Fußballs in den Austragungsländern ist manchmal langweilig geraten. Auch wirken die Bilder oft lieblos ausgewählt. Aber je jünger die Weltmeisterschaft, desto lebendiger das Buch. Nach dem Turnier in Japan und Korea haben die Autoren ihre WM-Geschichte noch einmal aktualisiert (…) Manchmal waren die Mannschaften jedoch selbst schuld daran, daß nicht jede WM ein Fest wurde. Denn immer wieder kehrt die Defensivtaktik, manchmal gar die Zerstörungstaktik auf die größte Bühne des Fußballs zurück. Der Fußball erlebte beispielsweise 1990 in Italien eine besonders farbenfrohe WM mit kulturellem Rahmenprogramm. Auf dem Rasen fielen jedoch so wenige Tore wie noch nie und das einzige im Finale auch noch per Elfmeter. Auch in taktischer Hinsicht ist die WM kein kontinuierlicher Prozeß hin zum Wahren, Schönen und Guten. Das einzige, was in der Geschichte der Weltmeisterschaften konstant verläuft, sind Globalisierung und Kommerzialisierung.“ Dietrich Schulze-Marmeling, Hubert Dahlkamp: Die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft 1930-2006, Verlag Die Werkstatt Göttingen, 544 Seiten, 24,90 Euro.
Nach dem 2:2-Remis zwischen dem FSV Mainz 05 und dem 1. FC Köln analysiert Uwe Marx (FAZ 23.10.) die Situation beider Vereine. „Beide Trainer wußten nicht so recht, wo ihre Mannschaften nach der Länderspielpause stehen. In alter Robert-Lembke-Manier fragten sie sich: Was bin ich? Für Mainz hieß das: Mitläufer in der zweiten Liga oder abermals, wie in der vergangenen Spielzeit, Aufstiegskandidat? Und für Köln: überschätztes Durchschnittsteam oder unaufhaltsamer Aufsteiger? Die Mainzer Zweifel nährten zuletzt zwei Spiele ohne Sieg und Tor, in Fürth und zu Hause gegen Freiburg. Die Kölner Hoffnungen wurden beflügelt durch ein 7:0 gegen Union Berlin nach zuvor eher mäßigen Leistungen trotz vieler Punkte. Nach dem 2:2 dürfen beide Parteien von der günstigeren Antwort auf ihre Fragen ausgehen. Sie gehören zu den stärksten Mannschaften der Liga. Köln ist jetzt Tabellenerster vor Freiburg, Mainz weiterhin Siebter, fünf Punkte dahinter. Bewahrt sich Köln seine Wucht und Effektivität, müßte der Aufstieg gelingen. Setzt Mainz weiter auf seine spielerische und läuferische Stärke, könnte der Aufstieg gelingen – auch wenn die Mannschaft jetzt im dritten Spiel nacheinander ohne Sieg blieb. Die Mainzer Vorzüge brachten den hoch gehandelten Gegner anfangs sogar in arge Verlegenheit. Wenn Klopps Elf ihr Offensivpressing ansetzte, stolperten Funkels Spieler (…) Im Systemvergleich beider Mannschaften – hier spielerische Finesse, dort routinierter Kraftfußball – gab sich Köln unbeirrt.“
Eintracht Braunschweigs Entwicklung stagniert, findet Jörg Marwedel (SZ 24.10.). „Der Traditionsklub, der 1967 sogar Deutscher Meister war, ist nach gerade beendeter neunjähriger Abstinenz vom Profifußball schon wieder ziemlich weit unten: Zweite Liga, letzter Tabellenplatz (…) Das Ziel, die Eintracht wieder zum Rivalen des stolzen Bundesliga-Aufsteigers Hannover 96 zu machen, ist ziemlich in die Ferne gerückt.“
Wettbewerbsverzerrung in der Regionalliga SZ
Die Zeit (24.10.) charakterisiert den nun wohl mächtigsten Mann im deutschen Fußball: Günter Netzer. Seine berühmteste Szene? Wie er sich im Pokalfinale 1973, es war in der Verlängerung, langsam erhebt von seinem Platz auf der Ersatzbank. Und wie er dann erstmals in diesem Spiel den Ball berührt und ihn in den linken oberen Torwinkel drosch. Zum 2:1-Siegtor der Borussia aus Mönchengladbach im Pokalfinale über den 1. FC Köln. Bemerkenswert war auch seine ritualisierte Freistoßpflege. Diese Standfotos der Bedächtigkeit, wenn er sich den Ball zurechtlegte vor dem Freistoß. Wenn er hier noch ein Krümelchen fand, das die perfekte Rundung des Balles störte, dort noch die Reste eines Grashalmes wegzupfte, als ob dieser Grashalm die gleiche verheerende Wirkung habe wie die letzte Schneeflocke, die den überladenen Ast zum Abbruch bringt. Minuten vergingen. Wenn man das Prinzip der Langsamkeit als Netzersches Charakteristikum begreifen will, dann wird auch stimmig, dass er erst jetzt, in seinem 58. Lebensjahr, zur Macht gelangt ist und nun über die Vermarktungsrechte des Fußballs gebietet.
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