Ballschrank
„Moral und Fußball“
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| Donnerstag, 25. März 2004
Aufgrund Mangel an sportlicher Dramatik in der Bundesliga debattieren Beteiligte und Beobachter derzeit auf zwei Nebenschauplätzen. Zum ersten rückt wieder einmal das Thema „Moral und Fußball“ in den Vordergrund. „Es ist wirklich erstaunlich, dass in diesen Tagen vor allem Trainerwechsel und Geldstrafen den Kickern Beine machen, dass es also äußerlicher Reize bedarf, damit die innere Einstellung zum Beruf wieder stimmt“, schreibt die FAS, während die taz die Abmahnung für den Karneval feiernden Herthaner Marcelinho, dieses Wochenende wieder Matchwinner, kritisiert. „Sie sind schon arm dran, die Brasilianer in deutschen Landen. Läuft es gut, liegt ihnen alles zu Füßen, wenn nicht, geben sie die idealen Sündenböcke ab.“
Zum zweiten stehen zwei Stile der Fußballberichterstattung auf dem Prüfstand: die der seriösen Presse sowie der Boulevard, wobei die Bild-Zeitung manche Ohrfeige auch von den Fans einzustecken hat. In München solidarisierten sich am Wochenende die Anhänger demonstrativ mit dem sich ob der Dauerpräsenz in den Schlagzeilen „wie ein Mörder und Vergewaltiger verfolgt“ (O-Ton) fühlender Oliver Kahn. In Mönchengladbach konnten die Vertreter der Regenbogenpresse auf einigen Transparenten in der Fankurve lesen, was man dort von deren Bulletins über Ex-Trainer Hans Meyer hält: Man empfand sie als Exekutierung. Auf diese Kritik angesprochen – die Internetseiten des Vereins und der Gladbacher Fanclubs verzeichneten in der vergangenen Woche pro Tag mehr als hundert Bild-kritische Zuschriften –, hatte der verantwortliche Sportchef Bernd Weber in einem Interview mit derSZ letzte Woche alle Masken fallen lassen und seine menschenfeindliche Geisteshaltung offenbart, indem er persönliche Abneigung gegenüber Meyer gestand („Ich kann ihn einfach nicht leiden“), während er gleichzeitig Nachfolger Lienen drohte: „Wenn er wie in Köln Urinproben entnehmen lässt, um zu prüfen, ob einer Zigaretten geraucht hat, dann wird er erleben, dass er auch dort in der zweiten Phase seines Schaffens auf die Schnauze fällt“.
Auch im gestrigen Doppelpass (DSF) trafen zwei Protagonisten beider Lager aufeinander: Wilfried Pastors (BamS) und Roland Zorn (FAZ), letzterer mit den besseren Argumenten und der Zuschauergunst auf seiner Seite. Seinem Credo ist zuzustimmen: Sportreporter sollten sich zu Lasten des Privaten auf den „Kernbereich“ des Fußballgeschehens konzentrieren, welcher unterhaltsam und „bunt“ genug sei. Selten ist der Fußballstammtisch derart sehenswert gewesen. Allerdings sieht die SZ in diesem Zusammenhang vor allem die Vereine in der Verantwortung und richtet sich an Bayern-Manager Uli Hoeneß, der angesichts der Kahn-Affäre „perverse“ und „voyeuristische“ Tendenzen innerhalb der gesamten Gesellschaft festgestellt haben will: „Wenn der Fußball nun ein Problem erkennt mit dem engen Umfeld, das er kreiert hat und von dem er lebt, dann liegt es an ihm selbst, die Umgangsregeln zu ändern“ (SZ).
Fußball wurde freilich auch gespielt, wobei zwei Trainer erfolgreiche Einstände feierten. „Vielleicht niemals zuvor hat die Bundesliga in ihren nun fast vier Jahrzehnten einen Trainerwechsel im Laufe einer Saison erlebt, der so naht- und übergangslos wirkte wie der von Meyer zu Lienen“, liest man in der SZ über das 1:0 der Gladbacher gegen Meister Dortmund. Und: Mit Trainer Röber und dem 3:2 gegen Cottbus „kehrt die Hoffnung nach Wolfsburg zurück“ (FTD). Außerdem: In einer erneut „ereignisarmen Partie“(FAZ) besiegte Bayern München erneut Bayer Leverkusen mühelos mit 3:0. „Erstaunlich, wie nett vor allem die Rheinländer auftraten: häufiger in Ballbesitz als die abwartenden Münchner, dafür so gut wie nie in Tornähe gesichtet.“ (FAZ).
Themen des Tages
Thomas Kistner (SZ 8.3.) wehrt sich gegen den Rundumschlag von Hoeneß und warnt vor Scheinheiligkeit. „Der Fußball hat seine eigenen Anstandsregeln, leider reichen sie nur bis zur Eckfahne. Hier mal zu schweigen von diskreten Kirch-Deals, den bekannten und den noch unbekannten, zu schweigen auch von Klub- und Verbandschefs, die der Fiskus oder der Staatsanwalt jagt: Packt ein Torwart auf dem Rasen einen Kicker am Schlafittchen, ist das schlecht (und teuer: 10.000 Euro Strafe). Rückt einem Spieler indes die Polizei ins Haus, weil sie ihn in einem Schmugglerring wähnt, wird das vom Verein bagatellisiert. Feiert einer zu oft Fasching, wird er mit Bußgeld belegt. Verprügelt einer seine Frau, bis die Polizei eingreift, ist das für den Verein kein Problem, so lange nur die fußballerische Leistung stimmt. Bleibt die aus, fliegt er raus. Lauterkeit ist Interpretationssache im Fußballgeschäft, schon lange blickt der Normalbürger staunend auf dieses Freigehege. Wer hier ausbrechen und sich eine öffentliche Rolle mit zusätzlichen Millionen aufwiegen lassen will, wechselt auf das Terrain eines Boulevards, den sich die Branche selbst gezüchtet hat. Also muss er wissen, dass er dort mit Kampfhunden spielt. Es ist die Sache von Oliver Kahn, ob er sich bei Wetten dass neben Jennifer Lopez aufs Sofa setzt. Es ist aber nicht mehr Sache des Sportjournalismus, darüber zu berichten. Das übernehmen Bild, Bunte, aktuelle und all die schrillen Blättchen, die bekanntlich auch überall dort auf der Lauer liegen, wo sich der Torwart jüngst mit seinem letzten Fang präsentierte. Was dann passiert, weiß heute jedes Kind. Deshalb ist es weit am Tor vorbei geschossen, für eines der üblichen Gemetzel in der Privatsphäre gleich die ganze Gesellschaft in Haftung zu nehmen – oder den seriösen Teil der Medien.“
Michael Ashelm (FAZ 10.3.) schaut nach unten. „Gut zu wissen, daß auch Verlierer Sympathien abbekommen. Die Küblböcks der Liga haben da ihre Chance. Der ausgebuffte Bremer Sturmführer Ailton trifft wieder das Tor und sorgt dafür, daß seine Mannschaft nach einer deprimierenden Serie von sechs verlorenen Partien in Folge nach Luft schnappen kann. Sein erblondeter brasilianischer Landsmann Marcelinho, der zuletzt mehr neben dem Sportfeld für Aufsehen sorgte, bringt die Berliner Hertha mit seinen Kabinettstückchen wieder auf bessere Gedanken. Auch im Kleinen fern des Rampenlichts darf man sich freuen. Siehe Mönchengladbach oder Wolfsburg. Neue Trainer geben den Spielern neue Frische. Wie lange die vorhält, weiß keiner. Eine Langzeitgarantie für große Momente gibt es ja im Fußball nicht; dennoch sollte die Gunst der Stunde für das Gewinnen neuen Selbstbewußtseins genutzt werden. Unter dem inzwischen von seinen Aufgaben entbundenen Wolfsburger Trainer Wolfgang Wolf war die Ersatzbank schon lange der Einsatzort für Roy Präger. Und was ein bißchen aufgebautes Vertrauen ausmacht, konnte man am Samstag nachmittag beispielhaft auf dem Fußballplatz erleben. Der empfindsame Stürmer schoß gegen Energie Cottbus sein erstes Saisontor. Ein Superstar ist er deswegen noch lange nicht. Aber uns bleibt ja vorerst Alexander.“
Ralf Wiegand (SZ 10.3.) skizziert die Erwartungshaltung an einen Fußballtrainer. „Die meisten erwerben sich Charisma im Umgang mit Siegen und Niederlagen, mit Schmähungen und Überhöhungen – und manchmal durch Arbeitslosigkeit. Ein Jahr Pause haben ein Bewusstsein für die Besonderheit von Jürgen Röber geweckt, die der in seinen Berliner Jahren erlangt hatte. Ohne ihn herrschte auf dem Jobmarkt ein Defizit an anständigem Eifer, aufrichtiger Besessenheit, grundseriösem Auftreten. Wolfsburg wollte das alles. Kein Charisma haben: Peter Pacult, Thomas Hörster, Frank Neubarth. Woher auch? Sie arbeiten zum ersten Mal als Profitrainer, man kannte sie als Spieler, wo ihre Fähigkeiten auf dem Platz entscheidend waren. Ihre Persönlichkeit kannte man nicht. Alle drei gehen durch erste Krisen, sie haben jetzt schon keine Antworten mehr darauf. Schalkes Manager Rudi Assauer muss Neubarth decken, für Hörster spricht sein Leverkusener Chef Reiner Calmund Klartext, und während Pacult die Tabelle eigenwillig interpretiert („Ist ja noch nicht viel passiert“), zeigt 1860-Boss Karl-Heinz Wildmoser mit dem Finger auf dessen Hilflosigkeit: „Fragen Sie den Trainer.“ Ein richtiger Trainer ist man erst, heißt ein Credo der Branche, wenn man einmal rausgeflogen ist. Es scheint, als würden diese drei bald richtige Trainer werden.“
Borussia Mönchengladbach – Borussia Dortmund 1:0
Bernd Müllender (FTD 10.3.) gratuliert zu Lienens Einstand. „Exspieler Lienen war mit Heimatgefühlen und in gediegenem dunkelblauem Zweireiher zurückgekehrt, schritt mit gewollt gesetzter Feldherrngeste über den Platz und war ansonsten auffallend nervös. Abwechselnd fuhr er sich durch die Haare oder zurrte seinen hässlichen Clubschlips nach oben, als wäre der eine Nummer zu groß. Nur seine berühmten Zettel gaben den Händen Sinn. 90 Minuten lang gab er nur selten den Ewaldschen Rumpelstilzchen-Mix aus Standhüpfer, Wutstampfer und Gestikulierer. Dem Tor allerdings folgte ein ekstatischer mehrfacher Toeloop. Vor dem Spiel waren alle alten Reflexthemen zum Thema Lienen (Ernährung, Friedenspolitik, Zettelwirtschaft, Rauchen) abgearbeitet. Folgenlos war der vorgebliche Abstinenzler von der taz als Teilzeitalkoholiker geoutet worden, der einmal beim Genuss mehrerer Kölsch (2) erwischt worden war. Jetzt muss Lienen sogar für eine Biermarke, Borussias Hauptsponsor, am Reverskragen Reklame laufen. Und seine Rheinlandfähigkeit hat der fälschlich für humorarm gehaltene Ostwestfale schon in Köln durch Besuch des Rosenmontagszuges bewiesen (…) Verloren (Spiel und letzte illusiorische Titelhoffnungen) hatte an diesem Samstag nicht nur der Gegner, sondern auch die Bild-Zeitung. Deren Schreiberlinge hatten Hans Meyer mürbe intrigiert. Mit Folgen: Bei Erwähnung des Namens Bild, die am Bökelberg die Zwischenergebnisse aus den anderen Stadien eigenwerbend liefert, setzte es jedesmal ein gellendes Pfeifkonzert. Von all dem war auf dem Fernseh-Boulevard, bei den Springerblattfreunden von ran, nichts zu sehen. Stattdessen trat Bernd Weber, NRW-Sportchef bei Bild, noch einmal nach: Ich kann zynische Leute nicht leiden wie diesen Meyer. Deshalb war er zum Abschuss freigegeben, jenseits aller Sach- und Fachlichkeit. So war nicht nur das Spiel einigermaßen kurios: Den Job verdankt Boulevardhasser Lienen indirekt ausgerechnet dem Vierbuchstabenblatt. Dem indes gilt der sperrige Linke seit jeher als personifizierte Steigerung von Meyer. Ewald Lienen sagte, die Rückkehr war für ihn wie eine Droge. Am Boulevard werden sie beizeiten ihre eigenen Nadeln setzen.“
Christoph Biermann (SZ 10.3.) schreibt dazu. „So merkwürdig es nach nur einer Woche im Amt und nur einem Spiel auf der Bank auch klingen mag, blieb das Gefühl, als würde Lienen genau dort hingehören. Vielleicht hatte das auch damit zu tun, dass man von ihm erlebte, was aus Kölner Zeit nicht vergessen war: der demonstrative Dank ans Publikum vor der Fankurve etwa oder jene zwischen sachlicher Spröde und deutlichen Statements schwankenden Stellungnahmen nach dem Spiel. Mehr noch aber bildete der 1:0-Sieg über den Deutschen Meister aus Dortmund den Abschluss einer Woche, die unter neuer sportlicher Leitung nicht im Zeichen eines Neuanfangs stand, sondern auch von Lienen selbst ganz bewusst als kontinuierliche Fortführung der Arbeit seines Vorgängers angelegt worden war. So lobte er Hans Meyer noch einmal demonstrativ als „großartigen Trainer“, und man merkte, dass hier kein Respekt geheuchelt wurde, sondern Hochachtung vorhanden war. Ablesen konnte man das auch daran, wie Lienen das Spiel angelegt hatte. Im Vergleich zur Vorwoche war die Mannschaft nur auf zwei Positionen geändert – auf der Ersatzbank. Auch das für Gladbach typische 4-3-3-System blieb unangetastet, es wurde nur rigider defensiv interpretiert. Oder, wie Lienen selbst zugab, hatte er sich für eine „relativ destruktive Taktik“ entschieden. Weit zogen sich die Gladbacher zurück und machten sich zunächst fast ausschließlich an die Verhinderung des Dortmunder Spiels. Schön war das nicht, aber als Mittel im Abstiegskampf angemessen.“
Rainer Seele (FAZ 10.3.) schreibt zum selben Thema. „Dreimal war Mönchengladbacher Pflicht, dreimal grüßte das Publikum, animiert vom Stadionsprecher, einen Abwesenden: Danke, Hans. Hans Meyer, Trainer von gestern, war auch am Samstag noch Tagesgespräch, und selbst sein Nachfolger ging noch einmal auf ihn und sein Wirken am Bökelberg ein – Ewald Lienen vermittelte dabei den Eindruck, ein großer Bewunderer Meyers zu sein. All das spricht für die Arbeit, die hier geleistet wurde, sagte Lienen am Samstag nachmittag, kurz nachdem die Gladbacher 1:0 im Duell der Borussen gewonnen hatten durch ein Tor des Finnen Mikael Forssell, über seine erste Woche in Mönchengladbach, die er als sehr angenehm empfunden hatte – nicht zuletzt wegen Meyers Aufbauwerk. Fast hatte es den Anschein, als müßte Meyer gleich wieder zur Tür hereinkommen, so anhänglich gab sich Borussia Mönchengladbach an dem Tag, an dem Lienen seinen ersten Sieg mit seiner neuen Mannschaft feierte. Auch die Kundschaft auf den Rängen machte, aus freien Stücken, kein Hehl aus ihrer Sympathie für den zurückgetretenen Fußball-Lehrer. Auf einem Transparent stellte sie die Zeitung an den Pranger, die ihrer Meinung nach Stimmung gegen Meyer gemacht hatte. Wir vergessen nicht, war zu lesen, aber natürlich war man auch geneigt, sich schnell dem Neuen zuzuwenden, zumal nach einem gelungenen Einstand. Lienen hatte es am Samstag, im Gegensatz zu seinem Dortmunder Kollegen Matthias Sammer, meist nicht auf seinem Sitz gehalten. Fast immer war er, mit flatternder Krawatte, in Bewegung, stets im Visier des Aufsehers vom Deutschen Fußball-Bund. Lienen gestikulierte und machte sich Notizen, und kurz vor dem Ende seines ersten Einsatzes für die Borussia vom Niederrhein erfaßte ihn besondere Aufregung, weil der Schiedsrichter das Treiben auf dem ramponierten Rasen, nach dem Geschmack der Mönchengladbacher jedenfalls, deutlich zu lange laufen ließ. Lienen war nicht lange genug aus dem Geschäft, um nicht zu wissen, was nach einem solchen Tag zuallererst zu sagen ist. Er pries die Moral seines Teams, seine Leidenschaft, er sprach von Disziplin, und er vergaß auch nicht den Hinweis darauf, daß es nicht um Schönheitspreise gehe in der Situation, in der die Mönchengladbacher derzeit steckten. Das war vor allem im ersten Teil dieses Fußball-Nachmittags offensichtlich, in dem Lienen seine Gefolgsleute so positionierte, als ginge es ihm darum, sich den Ruf eines Riegel-Ewald zu erwerben. Die Gladbacher begaben sich erst einmal geschlossen auf den Rückzug. Das hieß, sie bauten einen Abwehrwall auf, der dazu beitrug, daß ein wenig ansehnliches Fußballspiel ohne nennenswerte Strafraumszenen entstand. Die einen beschäftigten sich vorwiegend mit dem zerstörerischen Dienst, den anderen mangelte es an Entschlossenheit und Esprit, um die Linien des Gegners zu durchbrechen.“
Daniel Theweleit (SZ 10.3.) über die Perspektiven des Dortmunder Abwehrspielers Madouni. „In solchen Spielen müsse man eben im richtigen Moment „den einen Stich setzen“, sagte Matthias Sammer nach der Niederlage und fasste das spielerisch wie kämpferisch schwache Spiel seiner Mannschaft zusammen. Ein genialer Moment soll reichen, um den Platz am Ende als Sieger zu verlassen – für einen deutschen Meister ein äußerst bescheidener Anspruch an sich selbst. Den einen genialen Moment allerdings, den gab es tatsächlich für die Dortmunder Borussia. Es war die 40. Minute, Ahmet Reda Madouni führte den Ball vom eigenen Strafraum ins Mittelfeld, hob den Kopf, spielte einen völlig unerwarteten Pass, und plötzlich lief Evanilson allein auf das Gladbacher Tor zu. Er schoss vorbei. Aber eben jener Pass war die einzige Aktion in der gesamten Partie, an dem sich die Freunde spielerischen Einfallsreichtums erfreuen konnten. Und sie ging nicht von einem der zahlreichen Brasilianer aus und auch nicht von einem der Spieler aus der Kreativabteilung der deutschen Nationalmannschaft, sondern von einem Innenverteidiger, der gerade dabei ist, seine Reifeprüfung abzulegen. Ahmet Reda Madouni gehört in eine Reihe mit jungen Spielern wie Tomas Rosicky, Thorsten Frings, Sebastian Kehl und Ewerthon, die in den vergangenen beiden Jahren nach Dortmund geholt wurden, um die Mannschaft mit einer langfristigen Perspektive zu versehen. Im Gegensatz zu den anderen war der in der Fußballschule des SC Montpellier ausgebildete Madouni ablösefrei und noch nicht ganz reif für eine europäische Spitzenmannschaft. Er blieb eineinhalb Jahre lang ein Spieler, der vorwiegend zwischen der 85. und der 90. Minute eingewechselt wurde. Das hat sich in den vergangenen Wochen geändert. „Er hat seine Lehrzeit jetzt abgeschlossen“, sagte Sammer über den gebürtigen Marokkaner mit französischem Pass. Fehlte ihm zunächst noch die Routine – bei den sieben Einsätzen in der vergangenen Saison wusste er sich oft nur durch Fouls zu helfen – wird er nun immer souveräner.“
Zur Rückkehr Ewald Lienens an den Bökelberg lesen wir von Christoph Biermann (SZ 8.3.). „Wenn Hochstätter vom „Stallgeruch“ des neuen Trainers spricht, hat das nichts mit dem wohligen Gefühl alter Verbundenheiten zu tun, sondern mit einer Idee von Borussia Mönchengladbach. „Er hat beim 1.FC Köln den Fußball spielen lassen, wie er für unseren Klub immer typisch war“, sagt der Sportdirektor. Zumindest in der Saison 1999/ 2000, auf dem Weg aus der Zweiten Liga, und im ersten Jahr in der Bundesliga gab es beim rheinischen Rivalen genau den Konterfußball zu sehen, wie er traditionell auch in Gladbach gepflegt wurde. Hochstätter hat in den letzten Jahren begonnen, so etwas wie Trainerscouting zu betreiben. Nicht im großen Maßstab zwar, aber immer wieder hat er seine Eindrücke notiert, wie ihm der Stil von Mannschaften gefallen hat und welcher Coach dafür verantwortlich war. Das und weitere Trainer- Informationen hat er in seinem Computer gesammelt, um irgendwann der Notwendigkeit nicht unvorbereitet gegenüber zu stehen, einen neuen Coach verpflichten zu müssen. So war Lienen nicht der einzige Kandidat, als sich am Bökelberg die Ereignisse zuspitzten. Aber sicherlich ein schlüssiger. Für Lienen selbst könnte es bei seiner Heimkehr ein Vorteil sein, auf alte Bekannte zu treffen. „Er hat es mit Leuten zu tun, die seine Macken schon als Spieler kannten“, sagt Hochstätter und lacht. Deshalb werden sie gelassener damit umgehen können. Auf der anderen Seite wurde Lienen nicht als alter Kumpel, sondern als geschätzter Fachmann und besessener Arbeiter verpflichtet. „Er ist in dieser Woche morgens um Acht als Erster gekommen und abends als Letzter gegangen – so war er schon als Spieler“, sagt Hochstätter. Dieser Respekt ohne Illusionen dürfte Lienen an einem Punkt seiner Karriere entgegen kommen, wo er den Weg zu den Sternen verlassen hat. Wurde er vor drei Jahren noch als möglicher Nachfolger von Ottmar Hitzfeld beim FC Bayern gehandelt, ist davon heute nicht mehr die Rede. Sein letztes Jahr in Köln wurde zum Waterloo, und in Teneriffa blieb er nur ein halbes Jahr.“
Michael Horeni (FAZ 8.3.) meint dazu. “Wenn Lienen ein Vorstandsvorsitzender wäre, der ein sanierungsbedürftiges Unternehmen retten müßte, könnte er die Wirkung seiner Ansprache am nächsten Tag am Aktienkurs ablesen: irgendwo im Keller. Keine neuen Impulse, kein neuer Weg, kein überzeugendes Konzept. Das wäre das Urteil der Analysten. Aber Borussia Mönchengladbach ist nicht an der Börse, und vielleicht müssen auch gar keine großen Dinge geändert werden. Vielleicht sind es am Ende der Spielzeit wirklich nur ein paar Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen zwischen dem Absteiger und dem Erstligaklub Borussia Mönchengladbach. Die Ernährung etwa. Darauf achtet Lienen stets als Trainer. Schweinshaxe oder so was kommt bei den Rheinländern nicht mehr auf den Tisch. Aber das weiß man ja. Und auch der Umgang mit der Öffentlichkeit soll künftig ein anderer sein. Präsident Adalbert Jordan erfährt von ihm, daß ein paar unglückliche Aussagen der Führung schon genügten, um die Autorität des Trainers zu untergraben. Es wird bei der Borussia behauptet, Jordan habe ein Blatt schon vor dem Spiel am vergangenen Samstag gegen Schalke von Meyers Rücktritt am späten Abend informiert. Solche Dinge mag Lienen nicht. Und den Medien hat er untersagen lassen, sich an Trainingstagen wie üblich im Hof vor den Kabinen aufzuhalten. In das Gebäude, wo die Umkleiden liegen, dürfen die Journalisten auch nicht mehr rein. Von den Spielern, die unter Meyer kaum oder gar nicht spielten, verlangt er den gleichen hohen Einsatz wie in diesen ersten Trainingstagen. Das ist Vertragsgrundlage, sagt Lienen. Das Niveau im Training müsse hoch sein. Unspektakuläre Kleinigkeiten allesamt, aber womöglich wirken sie. In Teneriffa hat das nicht funktioniert, aber in der Vergangenheit hat es bei Hansa Rostock und beim 1. FC Köln am Anfang gut geklappt. Aber gehen mußte der Fußballerzieher auch dort. Die Akribie und Verbissenheit, mit der er seine Arbeit stets zu erledigen pflegt, haben ihm Respekt eingebracht. Aber Zuneigung hat Lienen nur gewonnen, wenn er siegte. Seinen Vorgänger Meyer haben sie bei der Borussia dagegen auch in der Niederlage geschätzt. Beim Training in dieser Woche haben sich ein paar ältere Romantiker eingefunden, die Unterschriften auf Fotos von Lienen erbitten, auf denen der Profi mit unangepaßtem Bärtchen zu sehen ist. Damals hat er keine gegeben, aus Prinzip.“
VfB Stuttgart – Hamburger SV 1:1
Martin Hägele (SZ 10.3.). „Kevin Kuranyi und Alexander Hleb rangelten um den Ball wie kleine Jungs beim Klassenkick auf dem Schulhof. Der Weißrusse war im Strafraum gefoult worden, Kuranyi hatte zuvor schon mit einem akrobatischen Kopfball das 1:0 für den VfB Stuttgart erzielt. Er fühlte sich also sicher für die Ausführung eines Elfmeters, wie das für diesen Fall zuvor in der Mannschaftssitzung besprochen worden war. Und Kuranyi hatte, auch wenn er das später nicht zugeben wollte, eine Tabelle vor Augen: die Torschützenliste der Bundesliga, in welcher er zu diesem Zeitpunkt, am Samstag kurz nach vier, auf Platz zwei stand. Und der gefährlichste Angreifer der wilden Schwaben hatte auch jenes Plakat „Kevin Kuranyi wird heute Abend Superstar“ in der Kurve des Daimler-Stadions gelesen, was einen 21-Jährigen, der wie viele seiner Kollegen zur begeisterten TV-Kundschaft der naiven Traumfabrik zählt, an so einem Tag in eigener Sache beeinflussen kann. Am Ende des kindischen Streits riss Kuranyi dem kleineren Hleb die Kugel aus der Hand, legte sie auf den Elfmeterpunkt und schoss so schnell, dass ihm bloß keiner dieses Tor mehr klauen konnte. Allerdings: Den Strafstoß des besten Bundesliga-Schützen mit deutschem Pass hätte auch der C-Jugend Torwart vom TB Gaisburg pariert, man hätte dafür keinen Könner wie Martin Pieckenhagen vom Hamburger SV zwischen den Pfosten gebraucht. Ärgerlicherweise war nach dieser Fehleinschätzung von Jungstar Kevin der schwäbische Angriff auf die Königshäuser von Europas Fußball einstweilen gestoppt. Nicht nur Teamchef Magath registrierte, wie sich der Bruch durchs ganze Stadion zog. Der Schwung war weg, die Euphorie und Atmosphäre waren dahin. Allein die Routine und das nun geschlossene Auftreten der Hamburger Profis genügte, die nach dem Ausfall ihres Mittelfeld-Organisators Soldo zusätzlich verunsicherte Jugendbande zu kontrollieren. Mehr als eine halbe Stunde sah man nun die Grenzen der Himmelsstürmer – die auf einmal sogar Angst haben müssen, dass eine bislang brillante Saison womöglich böse endet.“
Thomas Kilchenstein (FR 10.3.) fühlt sich an den Bolzplatz erinnert. „Früher, als wir noch im Park kickten, war die Sachlage klar: Wer schießen wollte, musste diskutieren, es gab ja keine Hierarchie. Es gab nur feste Richtlinien: Einer musste sich den Ball schnappen und Erster alles rufen, dann war er dran – es sei denn, im Team spielte einer, der deutlich kräftiger war oder der Besitzer des Lederballes. Dann musste man sich trollen. Nun ist leider nicht ganz überliefert, wer an diesem Samstag im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion im Spiel zwischen dem VfB und dem Hamburger SV, das 1:1 endete, Erster alles gerufen hat, Kevin Kuranyi oder Aliaksandr Hleb. Wahrscheinlich keiner, denn es steht zu befürchten, dass ihnen dieser Code nicht geläufig war: Hleb stammt aus Weißrussland, Kuranyi hat neben den deutschen auch noch brasilianische und panamesische Wurzeln. Sie wussten also vermutlich nicht, wie man einen Konflikt dieser Größe löst, weswegen es zu einer in der Bundesliga bis dahin selten gesehenen Rangelei unter Kollegen um den Ball gekommen ist: Jeder der beiden wollte nach gut einer halben Stunde partout den Strafstoß – Hleb war gefoult worden – schießen, keiner dem Anderen den Vortritt lassen. Und einen Moment sah es so aus, als würden sie sich nicht einig und das Ganze zu einer fröhlichen Klopperei im Park unter Dreikäsehochs ausarten. Dann hat sich der kräftigere Kuranyi durchgesetzt und hat so schnell geschossen, dass ihm keiner mehr hatte zuvorkommen können.“
Claus Dieterle (FAZ 10.3.) meint zum Spiel. „Der verschossene Elfmeter teilte wie ein Schnitt ein Spiel in zwei ungleiche Hälften, die eigentlich nichts miteinander zu tun hatten. Der HSV, bis dahin gegen die forschen Stuttgarter in argen Nöten, wachte aus seiner Lethargie auf und erzielte einen Glückstreffer, die schwäbische Spielkultur zerfaserte in zähe Einzelgefechte. Und die 37.000 Zuschauer, eine halbe Stunde lang schlichtweg begeistert vom jugendlichen Angriffsfußball des VfB, fingen an zu murren und zu nörgeln. Man ist anspruchsvoll geworden im Schwabenland. Und da schmerzt es um so mehr, wenn man einen der sogenannten Big Points leichtfertig vergibt (…) Der Stuttgarter Rückschlag auf dem Weg womöglich in die Champions League und das kleine Kompetenzgerangel waren auch Indizien für ein Vakuum der besonderen Art. Zwar sprechen in Stuttgart alle von den jungen Wilden. Aber was die Alten wert sind, erschließt sich oft erst, wenn sie nicht mittun können. Und ganz besonders, wenn ein Spiel aus dem Ruder zu laufen droht. Den Ausfall von Krassimir Balakow, der wegen Adduktorenproblemen pausieren mußte, konnte der VfB anfangs noch verkraften, aber als mit Zvonimir Soldo der zweite Fixpunkt im VfB-Mittelfeld verletzt vom Platz mußte, war der Qualitäts- und Stabilitätsverlust nicht mehr aufzufangen. Ohne die Alten können die Jungen nicht und umgekehrt, erklärte der VfB-Coach. Es ist eben die Mischung, die es macht.“
VfL Wolfsburg – Energie Cottbus 3:2
Zu den Reaktionen der beiden Trainer nach dem Spiel heißt es bei Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 10.3.). „Was Geyer nach der Fußball-Vorstellung über seine Mannschaft sagte, kam einem Verriß gleich. Da war die Rede von mangelnder Konzentration, davon, nicht den Leistungsnachweis erbracht zu haben, Bundesligaspieler zu sein. Die Litanei ging weiter: Zu viele Fehler nach vorne, Abwehr nicht solide, die Zuordnung hat zu lange gebraucht, zuwenig die Zweikämpfe gesucht. Schleppenden Schrittes war Geyer zur Pressekonferenz gekommen. Bei den Ausführungen des Kollegen stütze er den Kopf auf. Er wirkte grau und resigniert, dabei trennen die beiden nur neun Lebensjahre. Der neue Trainer des VfL Wolfsburg sah am vierten Arbeitstag so aus, als käme er gerade aus der Sommerfrische. Blendend erholt – einer, der daherkommt, die Ärmel hochkrempelt und schon weht auf der Baustelle ein ganz anderer Wind. Begünstigt durch den Ertrag, der im speziellen Fall mit dem Plus von drei Punkten nicht üppiger hätte ausfallen können. Mit einem einzigen Satz – Fußball hat sich nicht verändert – überbrückte Röber jene Monate, die vergangen waren seit seinem Engagement bei Hertha. Seinen Optimismus, sein Selbstvertauen hat er auf Anhieb auf Roy Präger übertragen können. Der Trainer hat den Stürmer offensichtlich starkgeredet. Präger gelang sein erstes Saisontor und ein imponierender Auftritt auf dem rechten Flügel, bei dem er gegenüber den zurückliegenden Wochen nicht wiederzuerkennen war.“
Javier Cáceres (SZ 10.3.) analysiert Röbers Einstand. „Trainer gelten im Fußballgeschäft als Autoritäten, die ständig destabilisierenden Faktoren ausgesetzt sind. Meist wackelt ihre Macht, wenn sich ihre Wirkung erschöpft, also nach einer relativ langen Zeit. Was dem Fußball-Lehrer Jürgen Röber am Sonnabend, seinem vierten Arbeitstag als Übungsleiter des VfL Wolfsburg, widerfuhr, steht den bisherigen Erfahrungswerten entgegen. Fast nämlich hätte Röber, wie er es nannte, „einen schönen Abgang gemacht“ – bei seinem ersten Punktspiel. Sein Schalensitz am Spielfeldrand der VW-Arena war zwar, dank eingebauter Heizung, wohlig angewärmt, wackelte aber heftig. „Wäre ich nicht in so sportlicher Verfassung“, sagte Röber, „hätte ich alle Viere von mir gestreckt und am Boden gelegen.“ Es liegt nahe, zu vermuten, dass die Haltlosigkeit noch auf die fünfjährige Ära des Wolfgang Wolf zurückzuführen war, dessen Stuhl – Achtung Symbol– am Ende seiner Wolfsburger Tage .. . Einen neuen Trainer haben sie in ihrer frisch erbauten Arena zwar am Samstag installiert, nur zuvor offenbar vergessen, an allen Stellen die Schrauben zu justieren. Auch die Mannschaft zeigte beim 3:2 gegen Energie Cottbus eine gefährliche Neigung zu Instabilität (…) Dass Stefan Effenberg, der dem Fußball im postindustriellen Ambiente der neuen VW-Arena Glamour verleihen soll, verletzt ausfiel, merkten Beobachter in erster Linie daran, dass eine beachtlich geschlossene Teamleistung des VfL zu sehen war. Effenbergs Rückkehr bald bevor. Bisher galt, dass Munteanu und Effenberg in ihrem Regiespiel nicht kompatibel seien, Röber hofft dennoch auf einen baldigen Versuch. „Solche Probleme sind doch angenehm“, sagt er. Ebenso angenehm wie die „Du-bist-der-beste-Mann“-Rufe, die ihm Wolfsburgs Anhang erstaunlich schnell darbrachte – im Chor mit dem Hertha-Fan- Club „Röber 96“, der nach Wolfsburg gefahren war und so Herthas 6:0 gegen die Münchner Löwen verpasste. Das, was jetzt zum Glück noch fehlt, wollen sie auch bald erledigt haben: „Der Stuhl“, sagte Röber, „wird beim nächsten Mal festgemacht.““
Peter Unfried (FTD 10.3.) wirft ein. „Man muss sehen, wie sich die angebliche Zurückhaltung entwickelt, die Manager Peter Pander nach Recherchen der Lokalpresse lange der Personalie Röber entgegenbrachte. Dann muss der derzeit verletzte Star und Kapitän Stefan Effenberg beschnuppert werden. Dann wird irgendwann die Aufregung im Kader und in der Stadt dem Alltag weichen. Natürlich fand Röber es „erschreckend“, wie taktisch unterbelichtet sein Team am Ende ein Dutzend Konter vergeigte. Letztlich ist es halt doch so, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt. Sanft perlen Röbers Worte durch das Stadion. Überall sieht er „Potenzial“. Die Ansprüche der VW-Manager? Schrecken ihn nicht. Im Gegensatz zu ihnen war er schon in der Champions League. Die Hoffnung ist zurück in Wolfsburg. Alle hören wieder genau hin, was der Trainer sagt. Und die ersten rechnen nicht mehr den Abstand nach unten, sondern wieder den nach oben aus. Aber wenn er das hört, kriegt Manager Pander einen roten Kopf und legt hiermit offiziell fest: „Wer vom Uefa-Cup redet, hat keine Ahnung.“
Werder Bremen – VfL Bochum 2:0
Über Bremens ersten Sieg in der Rückrunde lesen wir von Jan Kahlcke (taz 10.3.). „Dass ausgerechnet Werder-Torwart Pascal Borel zwei Glanzparaden bei Chancen von Paul Freier zeigen würde, konnte nach menschlichem Ermessen keiner ahnen. Die Werder-Fans rieben sich verwirrt die Augen: War er es wirklich? Der Mann, über dem seit Beginn der Saison Kübel von Spott ausgegossen wurden, den der Bremer Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) ungestraft eine Zumutung nennen durfte, zuletzt ein reines Nervenbündel – dieser Borel fing Bälle, die er sonst dem Gegner zufaustet, verdiente sich Szenenapplaus und hielt für Werder den Sieg fest. Als Trainer Thomas Schaaf ihn auf die Bank gesetzt hatte, sah das nach demütigender Degradierung aus. Aber dann durfte er zwei Wochen zuschauen, wie sich sein Konkurrent Jakub Wierzchowski blamierte. Für Borel scheint das eine Minipsychotherapie gewesen zu sein. Dass Werder den freien Fall gestoppt hat und mit dem ersten Liga-Sieg in diesem Jahr sogar wieder auf einen Uefa-Cup-Platz vorrückt, ist einem weiteren Spieler zu verdanken, der schwere Zeiten hinter sich hat: Regisseur Johan Micoud, an der Weser wie ein Heilsbringer begrüßt, steckt seit der Winterpause in einer sportlichen Krise. Aufsehen hat der Franzose nur abseits des Platzes erregt: Er nölte über die unmenschlichen deutschen Schiedsrichter, kritisierte die mangelnde Erfahrung von Trainer Schaaf, spekulierte über einen Vereinswechsel und verpasste einem Bild-Reporter eine schallende Ohrfeige. Gegen Bochum dirigierte Le Chef jedoch wieder, und, was am wichtigsten war: Innerhalb von fünf Minuten hatte er zweimal die Übersicht, die besser postierten Ailton und Banovic die Werder-Tore schießen zu lassen. Die in diesem Jahr außergewöhnlich hartnäckige Bremer Krankheit – ein wie üblich verpatzter Rückrundenstart – ist damit noch nicht kuriert.“
Frank Heike (FAZ 10.3.) beobachtete den Bremer Trainer nach dem Spiel. „Schaaf war genervt. In den anschwellenden Bocksgesang der Kritiker, der Spieler und am Ende sogar des sich ansonsten vollkommen im Hintergrund haltenden Präsidenten Jürgen L. Born (Es kann nicht sein, daß die Spieler in der Rückrunde alles falsch machen, was sie in der Vorrunde richtig gemacht haben) mochte der Trainer nicht einstimmen. Daher legte er sich gewissermaßen selbst den Maulkorb um. Man muß daraus entnehmen, daß Schaaf dem neuen Frieden an der Weser nicht wirklich traut. Zu tief saß vor allem die Enttäuschung über das Ausscheiden im DFB-Pokal in Kaiserslautern am Mittwoch. Die Möglichkeit, sich vorzeitig für den Uefa-Cup zu qualifizieren – leichtfertig verspielt. Durch einen Erfolg gegen einen lange gleichwertigen, was die Torchancen anging, überlegenen Gegner ist die Krise der Bremer mit davor sechs Niederlagen am Stück zwar vorerst beendet, aber Grund zur Entwarnung gibt es nicht. Schaaf sagte: Heute zählte nur ein Sieg, sonst nichts. Nächste Woche in Rostock ist die Mannschaft in der Pflicht, dort weiterzumachen. Sprach’s und verschwand. Aus der von Schaaf quasi zum Sieg verpflichteten Mannschaft ragten ausgerechnet diejenigen heraus, an denen sich stellvertretend die Kritik der vergangenen, erfolglosen Wochen entzündet hatte: Johan Micoud, Pascal Borel, Ailton. Schaaf hatte nach diversen Umstellungen in den letzten Wochen wieder der Mannschaft vertraut, die in der Vorrunde zum Bayern-Jäger Nummer eins geworden war. Plötzlich lief es, trotz der sichtbaren Verunsicherung in den ersten Minuten. Und das ohne Unterstützung der Fans. Sie hatten ihren Frust mit Farbe auf zwei Laken gemalt: Wir reisen weit, zahlen viel, und ihr verliert jedes Spiel. Der Block, in dem die Anhänger in Grün und Weiß sonst stehen, blieb die erste Viertelstunde leer, und zwar deswegen: Eure Leistung ist ’ne Qual, ihr laßt uns keine andere Wahl. Nach 15 Minuten kletterten die Fans zurück auf ihre Plätze und hatten sich mit den Profis versöhnt. Die zahlten ihnen die Unterstützung spät, aber nicht zu spät zurück (…) Borel, dem scheinbar nichts seine jungenhafte Fröhlichkeit austreiben kann, wertete den Sieg und seine fünf guten Reaktionen schon als persönliches Bewerbungsschreiben für eine Weiterverpflichtung an der Weser: Normalerweise braucht Werder jetzt keinen neuen Torwart mehr.“
Bremer Reaktionen nach dem Spiel SZ
Hertha Berlin – 1860 München 6:0
Zur Diskussion um die vermeintlichen Verfehlungen des Berliner Spielmachers Marcelinho bemerkt Matti Lieske (taz 10.3.). “Er sollte sich auf dem Platz und nicht außerhalb austoben. Das hat er gemacht, oberlehrerte Kapitän Michael Preetz, nachdem Marcelinho vom Publikum mit Ovationen verabschiedet worden war. Sie sind schon arm dran, die Brasilianer in deutschen Landen. Läuft es gut, liegt ihnen alles zu Füßen, wenn nicht, geben sie die idealen Sündenböcke ab. Entweder sie kennen niemanden, dann gelten sie als integrationsunwillig, zickig und egoistisch, oder sie haben ein paar Kumpels, dann wird ihnen flugs Cliquenbildung, Fremdbeeinflussung und übermäßige Partylastigkeit vorgeworfen. Dabei geht es auch anders: Romário hatte einst beim FC Barcelona behauptet, er könne nur Tore schießen, wenn er zuvor die Nacht durchgetanzt habe. Der damalige Trainer Johan Cruyff akzeptierte dies klaglos – solange Romário Tore schoss. Marcelinho hat sich gleich ein kleines Stück Brasilien mitgebracht, eine Entourage nach dem Vorbild von Diego Maradona, der einst ein ganzes ehemaliges Elendsviertel von Buenos Aires nach Europa schleppte. Gute Laune ist garantiert im Marcelinho-Clan, und es spricht für den Spieler, dass er sich diese offenbar selbst durch eine miesepetrige Vereinsführung nicht verderben lässt. Nach außen zeigte er sich reumütig, doch vergessen wird er den Anschlag auf seine Lebensfreude, den Fußballklubs in ganz Europa gewiss interessiert verfolgt haben, sicher nicht. Ein Brasilianer ohne Lizenz zum Samba, das ist schließlich wie eine Caipirinha ohne Limone.“
Klaus Hoeltzenbein (SZ 10.3.) bewertet die Analysen des Gästecoaches aus München. „Peter Pacult hat ein beeindruckendes Talent, die Schuld am Zerfall seiner Mannschaft von sich zu weisen. Seit anderthalb Jahren arbeitet er schon mit ihr, Mitte der Woche bekam sie das Misstrauen schriftlich ausgesprochen. In einem Interview mit der Abendzeitung erklärte der Wiener, ihm fehlten drei, vier Spieler, um das bevorzugte System aufzuführen. Seine Elf nimmt ihm dieses Manöver nach außen hin nicht übel, im Gegenteil, Torwart Jentzsch sagt kategorisch: „Die Schuldigen stehen auf dem Platz. Wir spielen, kein anderer.“ In Berlin taten sie es in einem Orange, wie man es in der Hauptstadt sonst nur von den Arbeitsanzügen der dortigen Stadtreinigung kennt. Werbespruch der populären Truppe: „We kehr for you!“ Nur nie vor der eigenen Türe.“
Bayern München – Bayer Leverkusen 3:0
Andreas Burkert (SZ10.3.) fragt. “Kann man dem FC Bayern seine Arroganz verübeln? Wohl kaum, wenn die nicht minder millionenschwere Konkurrenz vergeblich um Konstanz ringt, zumal in einem von Mittelmaß dominierten Feld. Und wenn sich ein vermeintlicher Überlebenskämpfer wie Bayer Leverkusen des Jahrgangs 2003 nach dem kläglichen Pokalauftritt vom Mittwoch (1:3) nochmals an Harmlosigkeit selbst übertrumpft. Trainer Ottmar Hitzfeld jedenfalls demütigte den Gast in seiner Analyse unfreiwillig, als er seiner Bayern-Elf eine „viel schlechtere Leistung als am Mittwoch“ attestierte. Dem zweiten Duell ging dennoch weit mehr Spannung ab als dem ersten, und im Gegensatz zum Mittwoch kritisierte Bayer-Manager Reiner Calmund sein Personal recht drastisch. Calmund sagte: „Ab der dritten Minute fehlte uns der Siegeswille.“ Weil das Spiel der Leverkusener ohne Ball absolut unterentwickelt blieb. Weil sie gegen Münchens Techniker ein Zweikampfverhalten wie Gänseblümchen zeigten. Und weil „vorne im Strafraum nichts und hinten zu viel passiert“, wie Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser urteilte. So haben die Bayern nun endgültig den Eindruck gewonnen, erst nächste Saison wieder in Gefahr geraten zu können. (…) Das graue Bild, das Bayer in München ablieferte, machte sogar auf den gewöhnlich hingebungsvoll unterkühlten Bayern-Torwart Kahn Eindruck; wie ein Vater sein Neugeborenes schloss er Bernd Schneider in die Arme, als Bayers verzweifelter Regisseur die größte – und einzige – Chance zum Anschluss versiebt hatte.“
Zu den Perspektiven des Tabellenführers heißt es bei Thomas Becker (FR 10.3.). „Die einzige Gefahr für die Bayern bis zum Saisonende heißt Überheblichkeit, sichtbar bei Schweinsteigers Tunnel gegen Brdaric oder Kahns tröstender Kuschel-Geste für den Fehl-Schützen Bernd Schneider. Die Fans singen Und so schießen Anfänger, Kahn streichelt lieber. Der Neu-Papa offenbart auf dem Platz ein nie gekanntes Bedürfnis nach Nähe, herzt jeden, den er in die Pranken kriegt und ist auch ansonsten etwas durcheinander: Der Kapitän lief ohne Binde auf, bekam das Chef-Insignum erst nach einer Viertelstunde gereicht und sagte hinterher: Wenn man zu konzentriert ist, kann das mal passieren. Den Satz des Tages lieferte aber Bayern-Pressesprecher Markus Hörwick, der die Leverkusener mit den gängigen Worten verabschiedete: Wir sehen uns dann nächstes Jahr. Ob er darauf wetten würde?“
Roland Zorn (FAZ 10.3.) widmet sich dem Torsteher des FC Bayern. „Für einen Münchner war dieser Samstag mehr als nur ein Spiel: Oliver Kahn. Nach turbulenten Tagen und einer schrillen Boulevardmedienkampagne rund um Kahns Affäre mit einem Partymädchen suchte der Torwart die Nähe zum Fan demonstrativ wie lange nicht mehr. Einem behinderten Kind schenkte er nach Spielschluß sein Trikot und genoß dabei die aufmunternden Zurufe aus der Menge. Kahn sprach anschließend von der größten Zuneigung, die ich in acht Jahren München erfahren habe. Sie sei ein Zeichen dafür gewesen, daß die Leute ein feines Gespür dafür haben, wann es genug ist. Seine schwerste Woche seit Jahren bescherte dem Torwart-Goliath zum Schluß genau die Glücksgefühle, nach denen sich der Mensch Kahn gesehnt hatte: Seine Frau Simone gebar am Freitag Sohn David; tags darauf fand der Kapitän der Bayern auch an seinem Arbeitsplatz ein Stück Seelenheil wieder. Kleine Gesten, große Gefühle: Oliver Kahn war, eine Spur sensibler und nachdenklicher als zuletzt, wieder bei den Gewinnern angekommen.“
Schalke 04 – Arminia Bielefeld 1:1
Thomas Kilchenstein (FR 10.3.) fragt. „Was ist nur los auf Schalke? Es gärt und blubbert und brodelt gewaltig. Und sportlich tritt der Club auf der Stelle, S04 ist der König des Unentschiedens, des Nicht-Fisch-nicht-Fleisch. Schon schreit das Volk im schönsten Stadion der Liga verächtlich nach Huub Stevens, dem alten Coach, der jetzt in Berlin an der Linie steht und auf Schalke einst Euro-Fighter mit einer stehenden Null stark gemacht hat. Das war die Zeit, als der Pott in den Pott geholt, als Schalke wenigstens Meister der Herzen und die Perspektive nicht blau, sondern rosarot gemalt wurde. Dann kam der Umzug in die Arena und nichts war mehr wie früher: Der Auftritt in der Champions League geriet zur Peinlichkeit, ein Jahr später waren selbst Nobodies von Wisla Krakau zu stark. Die Verunsicherung auf Schalke ist mit Händen zu greifen. Es stimmt nicht in der Mannschaft, die aus aller Herren Länder zusammengeholt wurde, vieles passt da nicht recht zusammen. Die Fußstapfen, die Stevens hinterlassen hat, scheinen noch zu groß für Frank Neubarth, den spröden Hanseaten. All diese Schwierigkeiten sind freilich nicht urplötzlich auf Schalke niedergegangen, vieles hat der Erfolg überdeckt, anderes ist womöglich unterschätzt worden.“
Peter Penders (FAZ 10.3.) berichtet das Spiel. „Es ist so eine Sache mit Prophezeiungen – manche sind irgendwann gegen jede Erwartung meilenweit von der Realität entfernt. Über die neue Arena in Gelsenkirchen beispielsweise wurde einst gemutmaßt, daß sie dem FC Schalke pro Saison einige Punkte mehr aus den Heimspielen einbringen werde. Das war kurz nach der Eröffnung des Schmuckkästchens, aber im Jahr zwei des beeindruckenden Beispiels modernen Stadionbaus sieht die Geschichte ganz anders aus. Mittlerweile scheinen sich die Gegner so auf die ungewöhnliche Atmosphäre zu freuen, wie die Schalker Profis die Akustik fürchten. Nirgendwo klingen Pfiffe schließlich lauter, und weil die Schalker Fans mittlerweile gerne auf die eigene Mannschaft pfeifen, hat die Arena mühelos ihren scheinbar so einschüchternden Charakter für den Gegner verloren. Selbst einem Neuling fährt da nicht mehr der Schrecken in die Glieder, wenn er zum Spiel unterm Dach antritt. Tolle Atmosphäre hier, fand der Bielefelder Vata nach dem 1:1, aber wir hätten hier gewinnen müssen. Das Schlimmste an der forschen Aussage für alle Schalker: Dem Arminen konnte nicht widersprochen werden. Für Zusatzpunkte ist die Arena AufSchalke also nicht gut, aber wenigstens wuchern Verschwörungstheorien nirgendwo in der Bundesliga so üppig. Das ist richtig Beschiß – das kennt man von Schalke, sagten diesmal allerdings beide. Schalkes Manager Rudi Assauer hatte beim Führungstreffer der Bielefelder vor dem Eigentor von Waldoch ein Foul des Bielefelders Reinhardt gesehen und lieferte eine weitere wütende Version seiner Sichtweise der Dinge. Das hat uns in der Saison schon sechs Punkte gekostet, die fehlen uns am Ende. Wenn es einen Schiedsrichter-Verbund in der Bundesliga gegen uns gibt, dann sollen sie es offen sagen. Können sie ja gar nicht, fanden die Bielefelder, denn die fühlen sich mittlerweile viel mehr verfolgt von Fehlentscheidungen, als es die Schalker je sein könnten. Vielleicht liegt es daran, daß wir nur das kleine Bielefeld sind, argwöhnten alle, von Torwart Hain über Spielmacher Dammeier und Stürmer Brinkmann bis zu Trainer Möhlmann und Manager von Heesen. Zweifelsfrei war der Fall, der die Arminen so erzürnte, deutlich klarer als das vermeintliche Foul, das die Schalker mal wieder auf die Palme brachte. Hajtos Attacke gegen Brinkmann hätte in der 86. Minute nicht nur zum Elfmeter führen müssen, sondern vermutlich auch die Partie entschieden.“
Dirk Graalmann (SZ 10.3.) fühlt mit den Arminen. „In Bielefeld wiederholt sich das traurige Schicksal in beängstigender Art und Weise. Wenn das Team schlecht spielt, verliert es die Partie. Tritt die Elf dagegen so erstaunlich kompakt und überzeugend auf wie am Samstag beim 1:1 gegen den FC Schalke, müssen sie sich mit einem Punkt zufrieden geben. Und außerdem, darin haben die Arminen ebenfalls Übung, werden sie in fortgesetzter Manier vom Schiedsrichter benachteiligt. So stand Ansgar Brinkmann wenige Minuten vor dem ersten Telefonkontakt im Flur und echauffierte sich, stellvertretend für dessen Kollegen, über die Leistung von Schiedsrichter Jörg Keßler: „Als ich das erste Mal im Strafraum gefoult wurde und der Schiri nicht pfiff, hab ich gesagt: Okay. Beim zweiten Mal war es auch noch okay. Aber jetzt ist es der fünfte oder sechste Elfer, den wir nicht kriegen.“ Ergo würde Arminia Bielefeld, fänden die Regularien des DFB auch für die Ostwestfalen Anwendung, längst in Uefa-Cup-Träumen schwelgen. Es sind Nebenkriegsschauplätze, wie sie stets eröffnet werden, wenn ein Team merkt, dass das eigene Unvermögen, ein Spiel wie jenes auf Schalke für sich entscheiden zu können, nicht aufzuhören vermag. Also sind andere schuld.“
Interview mit Andreas Möller SpOn
Europas Fußball vom Wochenende: Resultate – Tabellen – Zuschauerzahlen – Torschützen NZZ
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