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Ballschrank

„Nach dem Skandal ist vor dem Skandal“

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für „Nach dem Skandal ist vor dem Skandal“

sehr lesenswert! in Aachen ist „nach dem Skandal ist vor dem Skandal“ (Zeit) – Mini-Sender für Schiedsrichter? – „Ballspotting“, das Berliner Fußball-Film-Festival – Fußball nun auch auf dem Laufsteg – Monica Lierhaus, neu bei der ARD-Sportschau u.v.m.

Nach dem Skandal ist hier vor dem Skandal

Sehr lesenswert! „Seit dreieinhalb Jahrzehnten jagt Alemannia Aachen dem Traum vom Spitzenfußball hinterher. In dieser Saison könnte er endlich wahr werden“ schreibt Christoph Biermann (Zeit 29.1.): „Willi Landgraf setzt auf den Kulturschock. „Das kennen die nicht, damit müssen sie erst mal klar kommen“, sagt der Verteidiger von Alemannia Aachen und will durchaus nicht drohend klingen. Eher vergnügt malt er sich die erstaunten Gesichter der Profis von Bayern München aus, wenn sie am kommenden Mittwoch zum Pokalspiel in Aachen antreten müssen. Landgraf erzählt davon, wie eng und alt die Umkleidekabinen des Zweitligisten sind. Von dort geht es durch einen langen, engen Tunnel zum Spielfeld hinaus, dessen Boden tief sein wird und von 23000 fanatischen Zuschauern umstellt, die fast nach den Spielern greifen können. „Es ist super, da zu spielen“, sagt Landgraf, der nicht nur Profi geworden, sondern Fan geblieben ist. Nichts im Stadion ist modern, wo sich, von einer elektronischen Anzeigetafel abgesehen, seit den späten fünfziger Jahren kaum etwas geändert hat. Die Ränge drängen sich immer noch so nah an den Rasen, wie man das früher aus England kannte. Der mächtige, ungedeckte Würselener Wall, die nicht überdachte Stehtribüne, wirkt wie eine kleinere Ausgabe des legendären Kop in Liverpool, und gegenüber der Haupttribüne gibt es eine der letzten Stehhallen in Deutschland. Dort feuern die Fans ihre Mannschaft noch entlang der Seitenlinie, unter einem Tribünendach stehend, an. Fußball auf dem Aachener „Tivoli“ ist eine Zeitreise, und wenn der im Stile eines Großunternehmens geführte FC Bayern dort antritt, trifft die Zukunft des Fußballs seine Vergangenheit. Während durch die VIP-Lounges in den Arenen der Neuzeit die Unterschiede im Publikum zelebriert werden, ist das Stadion, der Tivoli, noch ein großer Gleichmacher. Es gibt zwar ein VIP-Zelt, doch weil dafür hinter der Sitzgeraden kein Platz war, ist die Idee von der Trennung der Welten schon zur Halbzeitpause aufgehoben. Dann ist es für die VIPs bis ins Zelt zu weit, und sie stellen sich hinter nicht ganz so wichtigen Personen am Würstchenstand an. Für die Spieler ist es mitreißend, dass die Zuschauer auf den teuren Plätzen sie kaum weniger fanatisch unterstützen als die auf den billigen (…) „Nach dem Skandal ist hier immer vor dem Skandal“, sagt Christoph Pauli, der als Sportchef der Aachener Zeitung in den letzten Jahren etliche davon hat aufschreiben müssen. Zu viele, wie er meint, „hier haben zu oft die Pestfahnen geweht, und deshalb ist eine gewisse Müdigkeit eingetreten“. Selbst im Zeitraffer ist die Chronique scandaleuse der neueren Vergangenheit so imposant wie die Auflistung der Schicksalsschläge bewegend. Seit dem Frühjahr 2002 kämpft der damals mit 4,5 Millionen Euro verschuldete Klub gegen Insolvenz und Lizenzentzug, nachdem zuvor das Geld mit vollen Händen verschleudert worden war. Noch 2001 war der Vereinsvorstand im Privatjet zu Auswärtsspielen geflogen, während der damalige Trainer Eugen Hach seiner Mannschaft „Demut und Bescheidenheit“ predigte. Am nächsten Tag war er mit seinem neuen Dienstwagen zur Arbeit gekommen, einem Mercedes für 200000 Mark. Bei einer Mannschaftsfeier erhoben sich die Spieler reihum und brachten einen Toast auf „Demut und Bescheidenheit“ aus. Hachs Nachfolger Jörg Berger wurden Ende 2001 noch neue Spieler und ein modernes Stadion ins Aussicht gestellt, „am Ende habe ich nur diesen Dienstwagen mit zwei Fernsehern übernommen“. Der Trainer glaubt, dass „andere Mannschaften angesichts solch chaotischer Begleiterscheinungen abgestiegen wären“. Immerhin mussten die Spieler auf insgesamt eine halbe Million Euro Gehälter verzichten. Zugleich liefen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen der so genannten Kofferaffäre. Ein Spielervermittler hatte den Verein mit fingierten Ablöseforderungen für zwei Profis aus Australien um rund 300000 Euro geprellt. Das Geld war in einem Koffer bar übergeben worden und verschwand dann. Im Zuge der Ermittlungen trat der Vorstand ab, Alemannias Schatzmeister kam in Untersuchungshaft, weil er angebliche Umsatzsteuerzahlungen des Klubs auf das Konto seiner Frau überwiesen hatte.“

Claus Dieterle (FAZ 29.1.) beäugt die Idee, Schiedsrichter mit Mini-Sender auszustatten: „Der Fußball steht schon immer in dem Ruf, im Grunde eine stockkonservative Sportart zu sein. Das macht sich nicht nur an Mode- und Textilfragen fest, sondern zeigt sich auch an der beharrlichen Ablehnung moderner Technik oder zeitgemäßer Konsumgewohnheiten. Den Fernsehbeweis im Stadion, im American Football längst üblich, gibt es immer noch nicht, und auch die Halbzeitpause ist noch bei weitem nicht den Erfordernissen des Zuschauers angepaßt. Da ist es schon erstaunlich, daß die Sportart Nummer eins jetzt doch endlich im Kommunikationszeitalter angekommen scheint. Was im Radsport, in der Formel 1 oder wiederum im American Football längst gang und gäbe ist, könnte jetzt auch im Fußball Einzug halten: der Knopf im Ohr, wie jener Minisender liebevoll genannt wird, der Sportler und Trainer im Eifer des Gefechts vertrauensvoll miteinander verbindet. Getestet haben sie die fußballtechnische Revolution schon, vor kurzem in der ersten belgischen Liga, und selbst der Internationale Fußballverband wird sich bei einer Regeländerungskonferenz Ende Februar mit der womöglich spielentscheidenden Innovation beschäftigen. Prominente Fürsprecher gibt es schon, zum Beispiel den höchsten aller Fußball-Schotten, Berti McVogts.“

Ballspotting

Christopher Buhl (Tsp 29.1.) mag Fußball-Filme: „Heinz Flohe ist sein Idol, der 1. FC Köln sein Lieblingsverein. Und nach eigener Aussage befindet sich Birger Schmidt auf der Vorstufe zum „Fußballverrücktsein“. Der Mann scheint wie gemacht für sein Amt. Er ist Diplom-Pädagoge in Diensten der Berliner Sportjugend und des British Council sowie Sprecher von „Brot Spiele“, dem Berliner Verein für Fußball und Kultur. Passend dazu: sein neues Projekt, das Filmfest „Ballspotting“, bei dem ab heute im Kino Central neun britische Fußballfilme gezeigt werden. Schmidts Augen leuchten, wenn er von den großen Zeiten des FC erzählt: „1964 ist mein Geburtsjahr, da ist der FC erster Bundesliga-Meister geworden.“ Ein Jahr später bestritten die Kölner im Europapokal der Landesmeister drei ihrer größten Spiele gegen den FC Liverpool. Den gebürtigen Fehmarner Schmidt hat die Verbindung zwischen Deutschland und England nicht losgelassen. Das zeigt auch „Ballspotting“. „Das sind Filme, die Fußball als Teil des Alltags verstehen“, erklärt Schmidt. Hier wird zum Beispiel die Geschichte von Manchesters Fußballlegende George Best mit allen Höhen und Tiefen erzählt („Best“), dort entscheidet sich das Mädchen Jess gegen die Traditionen ihrer indischen Familie und eifert lieber ihrem Idol nach („Kick it Like Beckham“).“

Anke Schipp (FAZ 26.1.) berichtet vom Laufsteg: „Ein Mann, der sich stets um sein Aussehen kümmert, einen extravaganten Geschmack hat und trotzdem nicht schwul ist, nennt man neuerdings nicht mehr soft, sondern metrosexuell. Das klingt interessant und läßt sich wunderbar vermarkten. In Hochglanzkampagnen wird dem Mann so hartnäckig weisgemacht, er brauche Tageslotion, Nachtcreme und Make-up, daß man den Trend zum Metrosexuellen für eine Erfindung der Kosmetikindustrie halten und schnell wieder vergessen könnte. Aber es gibt ihn wirklich. Zunächst war er nur eine Idee des englischen Journalisten Mark Simpson, der mit dieser ironisch gemeinten Bezeichnung den idealen männlichen Konsumenten definieren wollte. Knapp zehn Jahre später ist Fleisch und Blut aus ihm geworden. Nun müssen wir damit leben, daß ein begabter, aber eigentlich nicht besonders interessanter Fußballspieler, der sich Zöpfchen dreht, angeblich gerne Damenunterwäsche trägt und ansonsten vor allem clevere Imageberater hat, als die Stilikone unserer Zeit gilt. Das hat auch Auswirkungen auf den Laufsteg, der bekannt dafür ist, Abbilder von Kultfiguren rauf-, runter- und noch mal raufzuschicken. Wo allerdings sonst Steve McQueen oder David Bowie ihrer Wege gehen, dribbelt bei den Pariser Männerschauen, die auch am Montag noch Kollektionen für den nächsten Herbst zeigen, David Beckham entlang. Vorder- und hintergründig schießt der englische Fußballstar in den meisten Kollektionen seine Pässe. Der erste, der ihm freies Spiel läßt, ist John Galliano. Als Kreativdirektor des Modehauses Christian Dior sorgt der Brite seit sieben Jahren für fulminante und spektakuläre Defilees. Nun zeigte er seine erste Männerkollektion, Galliano Homme, und kündigte schon vorher im Figaro an, daß sich seine Mode an Männer wie Beckham richtet, die äußerst männlich sind und auf ihren Look achten. Tatsächlich treibt er das Männliche zunächst bis zum Äußersten. Er schickt wilde Kerle durch das Zirkuszelt am Bois de Boulogne. Sie tragen riesige Pelzmützen mit Fuchsschwänzen bis zur Hüfte und knappe T-Shirts über sechsfach gewellten Waschbrettbäuchen. Er betont den Mann durch festgezurrte Bänder an den männlichsten Stellen und transportiert den Lingerie-Stil aus der Damenmode auf den Herrn, indem er ihn Unterhosen tragen läßt, lang und kurz und superkurz. Gallianos Version vom Mann ist eine Mischung aus Boxer, Zuhälter und Cowboy, der allerdings seinen Daumen nicht machohaft in die Gürtelschlaufe, sondern in den Eingriff seiner Unterhose hängt. Den aggressiven Mann bricht Galliano – und an dieser Stelle wird’s metrosexuell – mit femininen Elementen, die wenig subtil sind. Er hängt ihm Hüfthalter um den Bauch und schneidet die Jeans am Bein in zwei Teile, um sie dann mit Strapsen wieder zu verbinden. Auch Röcke trägt der Beckham/Galliano-Mann, reich mit Blüten und Volants verziert.“

Lierhaus soll gezielt Zuschauerinnen ansprechen

Stefan Fischer (SZ 29.1.) begrüßt Monica Lierhaus in der ARD-Sportschau: „Juli 1997, Mallorca: Gotthilf Fischer, Chorleiter aller Chorleiter seit Jahrzehnten, dirigiert mehr als tausend Pauschaltouristen im Ballermann 6, dem Himmel der Hemmungslosen. Doch nicht „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ intonieren die seltsamen Chorknaben, sondern: „Ausziehen, ausziehen!“ Das gilt der Frau neben Fischer, Monica Lierhaus, damals Moderatorin des Boulevardmagazins Blitz, das auf der Insel Stimmung machte (…) Am Samstag wird sie erstmals die Sportschau präsentieren. Jene Sendung im Ersten, in der einst Männer wie Ernst Huberty, Joachim Rauschenbach oder Heribert Fassbender über Spieltage und Tore des Monats dozierten. Später kam Anne Will, doch da hatte die Sportschau die Fußballbilder an die Konkurrenz verloren. „Ich fühle mich gut gerüstet für den Job“, sagt Monica Lierhaus, „ich glaube, da wird’s keine bösen Überraschungen geben.“ Sie wusste sehr schnell, dass sie das Angebot der ARD annehmen würde. Und sie weiß auch, dass sie die erste bei den Privaten ausgebildete Frau ist, die im Öffentlich-Rechtlichen glänzen kann. ARD-Programmdirektor Günter Struve war es, der unbedingt eine Frau im Moderationsteam der Sportschau haben wollte; und er versicherte nach ihrer Verpflichtung, dass man „ein so schönes Gesicht“ nicht nur alle drei Wochen zeigen dürfe. Struve hat Pläne: Im Sommer wird Lierhaus von den Olympischen Spielen berichten, vielleicht kommt es zu Einsätzen bei der Fußball-EM und der Tour de France. Monica Lierhaus soll gezielt Zuschauerinnen ansprechen. Zwei Millionen Frauen sahen samstags in der Sportschau durchschnittlich die Bundesliga-Vorrunde. Die ARD-Manager sehen da noch Zuwachschancen. Schließlich wurden das deutsche Frauen-Nationalteam Weltmeister: Fußball, Frauen, Fernsehen als Trendthema.“

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