Ballschrank
„Plötzlich finden die Bayern den Pokal ganz toll“
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| Donnerstag, 25. März 2004
„Plötzlich finden die Bayern den Pokal ganz toll“, resümiert die FR die Reaktionen der Münchner nach deren Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale und entsinnt sich der gegenüber diesem Wettbewerb abschätzigen Bemerkungen seitens Beckenbauer Co. in der Vergangenheit; zu einer Zeit, als man noch auf internationalem Terrain Lorbeeren ernten konnte. Das 5:4 nach Elfmeterschießen gegen Titelverteidiger Schalke war allerdings „kein Beitrag für das Fußball-Geschichtsbuch“, wie die FAZ enttäuscht feststellt. „Die Spieler des FC Bayern München und des FC Schalke 04 müssen sich der Fußball-Verhinderung anklagen lassen“, heißt es an gleicher Stelle über das „schändliche Auftreten“ beider Teams. Von ihrem vor der Saison verkündeten und vermutlich an Konkurrent Bayer Leverkusen orientiertem Vorhaben, attraktiven Fußball zu spielen, sind die Bayern jedenfalls wieder abgekommen und zur alten „Ideologie des Realfußballs“ (SZ) zurückgekehrt.
Zwei Überraschungen gab es im Pokal-Achtelfinale. „Es ist immer derselbe Scherz, der den 1. FC Köln zum Lachen bringt“, schreibt die FAZ über den zweifachen Torschützen beim 2:0 des Zweitligisten in Nürnberg. Und: Regionalligist Unterhaching sehnt sich nach dem 3:2 über Hansa Rostock nach alten Bundesligazeiten.
Bayern München – Schalke 04 5:4 n.E.
Philipp Selldorf (SZ 6.12.) erläutert den Münchner Stil. „Gejammert haben vor allem die Fans, die im Olympiastadion ein gutes Fußballspiel sehen wollten. Obwohl sie Zeuge der fortgesetzten Restauration beim FC Bayern geworden waren. Es war kein Zufall, dass nach der Partie Thomas Linke zur Analyse erschien. Seine Sätze hatten den Charakter von Lehrmeinungen: „Entscheidend ist, dass man nicht in Rückstand gerät“, sagte er, „dass man hinten gut dicht macht, dass man nichts zulässt.“ Linke gerät mit diesen Forderungen zur ideologischen Schlüsselfigur beim FC Bayern. Sein wichtigstes Dogma: „Wir müssen defensiv denken!“ Aber gab es da nicht kürzlich noch einen FC Bayern, der sich vorgenommen hatte, schön und erfolgreich zu spielen? Verteidiger Bixente Lizarazu hat davon schon lange Abstand genommen: „Forget the culture of playing football – first we have to win Zweikampf. Zweikampf-Fußball is the real culture of Bayern.“ Der Franzose, der englisch besser als deutsch spricht, hat aus gutem Grund den Kernbegriff beim deutschen Namen genannt.“
Elisabeth Schlammerl (FAZ 6.12.) ist enttäuscht. „Bayern kann man wenigstens noch zugute halten, sich im eigenen Stadion bemüht zu haben. Sie versuchten, eine Lücke zu finden, die es im Gelsenkirchener Catenaccio bis kurz vor Ende der Verlängerung nicht gab. Erst als sich der Kräfteverschleiß bei den Schalkern mehr bemerkbar machte als bei den Münchnern, kamen Giovane Elber und Roque Santa Cruz zu Chancen, es waren dies die ersten im ganzen Spiel (…) Die beiden Mannschaften haben am Mittwoch abend eben das getan, was sie in den vergangenen Jahren am besten konnten: Tore verhindern. Schalke hat in der Saison 2000/2001 die wenigsten Gegentreffer in der Bundesliga hinnehmen müssen, der FC Bayern in der vergangenen. Zwischendrin hatten beide das Defensivziel etwas aus den Augen verloren, die Bayern mehr als die Schalker, aber das Pokalspiel hat den jüngsten Trend bestätigt. Für die Münchner war es die vierte Partie hintereinander ohne Gegentor. Aber der FC Bayern hat sich ohnehin wieder vom hohen Anspruch verabschiedet, attraktiven Fußball zu bieten. Es zählt nur noch der Erfolg, selbst im einst nicht sonderlich hochgeschätzten Pokalwettbewerb. Auch aus finanziellen Gründen ist die Reise zum Finale nach Berlin wichtiger denn je geworden.“
Claudio Catuogno (taz 6.12.) hat sich gelangweilt. „Ach, guck mal, der Johannes B. Kerner. Gut sieht er wieder aus, der Fernsehstar, im hellen Wildledermantel. Old-fashioned, aber cool. Die Blicke folgen ihm unwillkürlich durch das Münchner Olympiastadion, erst die Pressetribüne hinunter, dann vorbei an den Ehrengästen (graue Sitzpolster, eigene Aschenbecher, rote Wolldecken mit FC-Bayern-Gravur). Er wirkt geschminkt. Ob er eitel ist? Nein Blödsinn – ist natürlich sein Fernseh-Make-up. Jetzt schreitet er, langsam, fast 50 Meter das Spielfeld entlang. Und während man so nachdenkt über Schminke und Leder und Ehrengäste fällt der Blick wie zufällig zurück auf den Rasen, wo der FC Bayern München gegen den FC Schalke 04 spielt. Da kann man aber getrost gleich wieder weggucken. Es war vor allem ein enttäuschender Fußballabend: Als liefe im Kino zwei Stunden Werbung – und dann dauert der Hauptfilm keine zehn Minuten.“
1. FC Nürnberg – 1. FC Köln 0:2
Thomas Klemm (FAZ 6.12.) schreibt über die Verlierer aus Nürnberg. „Aus Nürnberg sind dieser Tage keine guten Nachrichten zu erwarten. Am Mittwoch kam es gleich doppelt dicke: Vormittags verkündete die Bundesanstalt für Arbeit, daß die Zahl der Erwerbslosen auf mehr als vier Millionen angestiegen ist; abends mußten fränkische Fußballfans mitansehen, daß auch das Gros der Spieler vom 1. FC Nürnberg ihren Beruf nicht recht ausfüllen kann. Während der Arbeitsmarkt auf die Pläne der Hartz-Kommission hofft, kommen Augenthalers Konzepte nicht wirklich bei der Mannschaft an. Am Mittwoch hatte er die Spieler in der Halbzeitpause ermahnt: Geduldig spielen, hinten nicht aufmachen. Knapp drei Minuten später war die Losung aus den Köpfen verschwunden. Alle Nürnberger waren aufgerückt, als Matthias Scherz einen Kölner Konter zum 0:1 abschloß.“
Hamburger SV – VfL Bochum 0:1
Jörg Marwedel (SZ 5.12.) hat ein Duell beobachtet. „Für die Bochumer war es der Lohn für ein „60 Minuten lang taktisch sehr diszipliniertes Spiel“ (Neururer), für Paul Freier Genugtuung für die pausenlosen unfairen Attacken seines Gegenspielers Bernd Hollerbach, die er trotz einer malträtierten Nase hinnahm, als habe er gerade die Bergpredigt studiert. Man darf nun darüber debattieren, ob Freier zu brav ist oder ob er die Nehmerqualitäten für eine ganz große Karriere hat. Hollerbach wiederum sei nach diesem Auftritt geraten, so bald wie möglich in die elterliche Metzgerei einzutreten. Das Geld aus dem Pokalwettbewerb wird den Hamburgern fehlen. Gerade jetzt wird das besonders offenbar, da nicht nur der „der einfachste Weg nach Europa“ (Trainer Jara) verstellt ist, sondern der HSV Bares dringend benötigt, um sich den als neuen Vorstandsvorsitzenden umworbenen Bernd Hoffmann leisten zu können.“
Frank Heike (FAZ 5.12.) äußert sich zu Stilfragen. „Peter Neururer sah aus, als wäre er im Manta nach Hamburg gefahren: braune Slipper, Jeans, Hemd und eine speckige Lederjacke. Es fehlte nur der Fuchsschwanz am Schlüsselbund. Aus Sicht Neururers fehlte etwas anderes: Gibt es hier keinen Aschenbecher? Als jemand dem Trainer des VfL Bochum die gläserne Ablage gereicht und er ein paarmal an seiner Zigarette gezogen hatte, lief der redselige Coach zu großer Form auf. Es gab nämlich etwas klarzustellen. Den Sieg heute widmen wir unserem Torwart, sagte Neururer, Christian Vander hat gezeigt, wie stark er sein kann. Zuletzt war der Ersatzmann für den am Knie verletzten Stammtorwart Rein van Duijnhoven böse in die Kritik geraten – insbesondere nach dem 0:3 gegen Bielefeld. In vier Bundesligaspielen mit dem 22 Jahre alten Vander im Tor setzte es vier Niederlagen. Vor allem das offensive Verhalten eines Torwarts hinter einer Viererkette und die Strafraumbeherrschung müsse er noch lernen, hieß es. Da kam seine großartige Leistung am Dienstag gerade recht. Vander hielt das überraschende 1:0 der Westfalen beim Hamburger SV fest und transportierte den VfL ins Viertelfinale des DFB-Pokals.“
SpVgg. Unterhaching – Hansa Rostock 3:2
Von Hachinger Nostalgie berichtet Elisabeth Schlammerl (FAZ 5.12.). „Die emotionalen Minuten des Glücks im Sportpark von Unterhaching waren wie eine Rückkehr in die Vergangenheit. Die Zuschauer feierten die Mannschaft, die Spieler machten vor den Fans den Diver und herzten jeden, der ihnen auf dem Weg in die Kabine über den Weg lief. Am Spielfeldrand warteten Fernsehkameras, Fotografen, Journalisten, so viele wie schon lange nicht mehr. Als dann tatsächlich aus den Lautsprechern auch noch Anton aus Tirol dröhnte, der ehemalige Stadion-Hit, der anderswo längst aus dem Stimmungslieder-Repertoire gestrichen ist, schien die Zeit endgültig stehengeblieben zu sein. Irgendwann vor zwei, drei Jahren, als die Spielvereinigung Unterhaching noch ein Bundesligaklub war. Nach dem 3:2-Sieg am Dienstag über Hansa Rostock im DFB-Pokalachtelfinale war die Mannschaft für einen Abend wieder dort angekommen, wo sie einmal dazugehörte: bei den Großen (…) In der Regionalliga Süd feiert Unterhaching zwar auch Siege, sehr viele sogar, liegt mit zwei Spielen und drei Punkten Rückstand auf dem zweiten Tabellenplatz, aber die höchste Amateurliga ist nicht die Klasse, in der sich Unterhaching dem eigenen Selbstverständnis nach am besten aufgehoben fühlt. Sich zu motivieren ist in der Regionalliga für die Spieler nicht immer ganz einfach, gibt Frank zu. Nach dem Sieg über Rostock fürchtet der Trainer noch ein paar Schwierigkeiten mehr in dieser Richtung. Deshalb hat er seine Mannschaft gleich am Abend noch ins Trainingslager beordert, am Freitag steht das nächste Punktspiel in Hoffenheim an. Die Pokalüberraschung weckte nicht nur die Erinnerung an schöne Zeiten im Profifußball, sondern weckte noch mehr Begehrlichkeiten Wir wollen wieder dahin zurück, sagte Strehmel. Bei Präsident Engelbert Kupka kamen traurige Gedanken auf, warum man die Bundesliga so leichtfertig verspielt hat. Der sofortige Wiederaufstieg in die Zweite Liga ist für den Klub vor allem finanziell zwingend notwendig, denn Unterhaching beschäftigt viele Spieler aus dem Profikader der vergangenen Zweitligasaison. Nach dem Lizenz-Hickhack im Sommer, als der Verein bis zwei Wochen vor dem ersten Punktspiel noch nicht wußte, in welche Liga er künftig gehöre, gingen die Verantwortlichen das teure Risiko ein, sich eine Profimannschaft zu leisten. Daß Unterhaching spielerisch selbst mit mittelmäßigen Bundesligavereinen mithalten kann, hat die Mannschaft am Dienstag abend gezeigt. Anders als in ihrer Profizeit unter Trainer Lorenz Köstner, als es die Hachinger mit Mauertaktik weit brachten, gefielen sie gegen Rostock mit forschem Offensivfußball.“
Volker Kreisl (SZ 5.12.) meint dazu. „Früher war die Welt hier geordnet und gekämmt wie ein deutscher Vorgarten. Es gab zwar ungewöhnlichen Erfolg – der Klub spielte in der Bundesliga, entschied einmal die Meisterschaft –, aber alles war zu erklären. Der Verein hatte sich nie finanziell übernommen, hatte gehorsame Spieler und einen Trainer Köstner mit einem klaren Weltbild: Nur wer hart arbeitet, wird belohnt. Es folgten zwei Abstiege und ein unschöner Lizenz-Prozess, es gab finanzielle Ängste, aber Unterhaching hat trotzdem wieder Erfolg. Nur kann sich diesmal keiner richtig erklären, warum. Frank bespricht in Sitzungen nicht nur Taktik sondern auch Lebensfragen wie: „Gibt es eigentlich den Zufall?“ Das Team pflegt Zusammenhalt, auch ohne das Gerede vom „gallischen Dorf“. Und Verteidiger, die früher nur hinter den Beinen der Angreifer herrannten, trauen sich auf einmal, die Tiefe des Raums zu überwachen (…) In Kleinvereinen wie der SpVgg Unterhaching bilden sich oft Symbiosen. Trainer, die woanders keinen Erfolg haben, können ihre Methoden ungestört entfalten. Der frühere Fußballlehrer Köstner hatte in Ruhe ein System der Disziplin aufgebaut, und auch Frank sagt, er sei froh, dass sein Stil hier fruchtet, ein Stil, der Geduld erfordert. Dazu gehören unkonventionelle Überlegungen (…) Fehler annehmen. Vielleicht liegt das Geheimnis des stillen Trainers darin, dass er Banalitäten so vermitteln kann, dass sie sich einprägen. Er ist kein Motivator mit flimmernden Augen und lauter Stimme, er stellt nur Querpässe her zwischen dem Fußball und dem Leben und verlangt von seinen Spielern, über dieses zwischendurch nachzudenken. Insoweit hat sich etwas tiefgreifend verändert im Vorort, manches ist aber auch geblieben. Pokalmentalität wollte man früher nie haben. Unterhachinger Spieler waren stolz, in der Saison 34 Bundesligaspiele zu machen, und nicht nur zweimal im Pokal über sich hinauszuwachsen. Nach dem Pokal-Erfolg halten sie sich nun entsprechend zurück, und dazu passt die Art des neuen Trainers.“
1. FC Kaiserslautern – SC Freiburg 2:0
Peter Heß (FAZ 6.12.). „Er wird kurzfristig neue Geldquellen erschließen müssen, um Kaiserslautern das Überleben zu sichern. Eine – allerdings nur spärlich sprudelnde – bleibt derDFB-Pokal, der bei der Auslosung des Viertelfinales an diesem Samstag attraktive Gegner und mehr Zuschauer als jene 16.800 gegen Freiburg in Aussicht stellt. Doch selbst wenn jetzt die Bayern kämen, wären sie kein Lebensretter, sondern allenfalls ein vorübergehender Tröster. Der Verein braucht buchstäblich mehr. Deshalb stellt Jäggi alles zur Disposition: das Stadion, die Vereinsstruktur, die besten Spieler. Weil von Banken oder vom Land Rheinland-Pfalz nichts oder nicht mehr viel zu erwarten ist, wird möglicherweise das Tafelsilber dran glauben müssen. Man muß darüber nachdenken, ob der Verein ein Stadion besitzen muß, sagt Jäggi. Einen Verkauf oder eine Beleihung hatte er zuletzt noch ausgeschlossen. Es spricht der besorgte Buchhalter, wenn er den Grund für seinen Sinneswandel nennt: Sachzwänge. Auch neue Investoren, die angesichts der wirtschaftlichen Lage nur schwer zu finden sein dürften, kämen als Helfer in Frage – allerdings nur dann, wenn ihnen Mitsprache gewährt würde. Kapital zur Verfügung stellen und nichts zu sagen haben, weil die Mitgliederversammlung am Ende entscheidet, das ist unrealistisch, sagt er (…) Jäggi spürt mitunter Hilflosigkeit beim Blick nach vorn. Der 1. FC Kaiserslautern darf nicht untergehen, sagt er, und es klingt wie ein Appell. Er darf vielleicht nicht – aber er kann.“
zum Thema Steuerhinterziehung in Kaiserslautern siehe auch
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