Ballschrank
1:0-Sieg der Türkei über Senegal
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| Donnerstag, 25. März 2004
Ronald Reng (FR 24.6.) beschreibt das entscheidende Tor beim 1:0-Sieg der Türkei über Senegal. Im Gesicht von Ilhan Mansiz konnte man das Tor schon sehen. Der Fußball war noch unterwegs im Schwebezustand, und im Nagai-Stadion von Osaka herrschte das Schweigen der offenen Münder; jener kurze Moment vor dem Gefühlsausbruch, wenn noch niemand weiß, welche Emotionen der Flug des Balls in uns auslösen wird, Freude oder Ärger, Erstaunen oder Verzagen. Bloß Ilhan Mansiz lächelte schon. Stürmer fühlen das: Ob ihr Schuss ins Tor geht. Stürmer, die, wenn sie es von Natur aus nicht sind, nach ein paar Jahren auf ihrer Position zwangsläufig selbstverliebt werden, verbringen halbe Tage damit, solch ein Tor zu schießen. In ihren Träumen, in ihrer Fantasie. Aber den wenigsten gelingt es in Wirklichkeit: das perfekte Tor. Ilhan Mansiz‘ 1:0 für die Türkei in der vierten Minute der Verlängerung im WM-Viertelfinale gegen Senegal hatte alles: die Schönheit und die Bedeutung.“
Martin Hägele (taz 24.6.) über die türkische Mannschaft. „Dass der Kader nun in zwei Lager gespalten sei, hänge nicht nur an den alten Klubbanden. Auch religiöse Gründe spielten eine Rolle. Die Fraktion der ordentlichen Muslime mit Hakan befolge auch während der WM die Weisungen des Islam. Dagegen stünden jene Profis, die im Ausland aufgewachsen seien und sich wie Ungläubige aufführten. Angesichts solch interner Probleme war es fast schon ein Wunder, wie sachlich die Spieler ihren Plan gegen Senegal durchgezogen haben. Mit einer Ausnahme.“
Die Bedeutung des sportlichen Erfolgs für die türkische Nation beleuchtet Rainer Hermann (FAZ 24.6.). „Wie in wenigen Ländern eint in der Türkei der Fußball die gesamte Nation. Der Fußball stiftet Identität. Er ist nicht allein der Sport der einfachen Leute, sondern gerade der Mittelklasse, aber auch der Oberschicht. Die Wirtschaftskrise, die seit Anfang 2001 auf dem Land lastet, hat viele Türken in große Nöte gestürzt. Mit dem Erfolg bei der WM habe die Türkei ihre Ehre wiederhergestellt, freut sich auch Ahmet Karamercan, Beamter im Erziehungsministerium, der lange in Deutschland gelebt hat. Die Elf wirbt für die Türkei, und sie knüpft Bande des Dialogs. Nach dem Sieg über Senegal verabschiedete sie sich im Stadion von Osaka von den Zuschauern mit dem japanischen Gruß und einer tiefen Verbeugung. Nicht mehr mit gesenktem Kopf werden künftig die Türken in Deutschland mit den Deutschen über Fußball reden. Über den Fußball hinaus werden die Türken darauf bestehen, als Partner ernst genommen zu werden. Die Einstellung beginnt sich zu ändern. Mit der Dankbarkeit des lange Verkannten nimmt die Türkei die Aufmacherüberschriften in den deutschen Zeitungen wahr (…) Die Türkei wünscht sich jetzt, dass auch Europa die Türkei akzeptiert.“
Christiane Schloetzer (SZ 24.6.) wohnte den Feierlichkeiten in Istanbul bei. „Wer jetzt noch eine türkische Fahne will, der muss zum Farbtopf greifen und sich seine Flagge selbst malen. Das rote Tuch mit Halbmond und Stern ist restlos ausverkauft. Friseure haben daher Hochkonjunktur. Sie pinseln ihren Kunden das türkische Sternenbanner gleich aufs Gesicht. Mit dem Schlusspfiff des Spiels der siegreichen türkischen Elf verwandelten sich Plätze und Straßen von Erzurum im Osten bis Edirne im Westen in wogende rot-weiße Tanzflächen. Die Menschen bewarfen sich mit roten Rosenblättern und Konfetti und intonierten die neue Nationalparole: „En büyük Türkiye“ (die Türkei ist die größte). In Istanbul waren fast alle Hauptstraßen in Minuten durch einen endlosen Autokorso blockiert. In den Lärm stimmten tutende Schiffe auf dem Bosporus ein. Fußballsiege werden in der Türkei stets mit Ausdauer gefeiert.“
Nach Aussagen der FAZ (24.6.) leidet der ganze afrikanische Kontinent mit Senegal. „Der Erfolg der senegalesischen Nationalmannschaft war seit dem Erreichen des Achtelfinales eine gesamtafrikanische Angelegenheit geworden, und mit jedem weiteren Sieg jubelte nicht nur Dakar, sondern ebenso Niamey, Abidjan, Lagos und Khartum. Und so wie die Senegalesen die Niederlage ihrer Mannschaft zur Kenntnis nahmen, so trauerte der ganze Kontinent. Selbst aus dem südafrikanischen Johannesburg wurde Niedergeschlagenheit gemeldet.“
Zum epochalen 1:0-Sieg der Türken gegen Senegal heißt es bei Peter B. Birrer (NZZaS 23.6.). „Die Partie gegen Senegal bot dem Publikum zwei Bilder, die sich nicht krasser hätten voneinander abheben können. Auf der einen Seite versuchten sich die Afrikaner erneut positiv in Szene zu setzen, dank ihrer physischen Präsenz, dank ihrer Athletik und dank ihrem auf Intuition ausgerichteten Spiel. Auf der anderen Seite präsentierten sich als Kontrast die Türken, die meisten zwar einen Kopf kleiner als der Gegner, dafür aber äußerst ballsicher, schnell und gewandt (…) Hat der überraschende Halbfinalist auch eine große Equipe? Der Erfolg der Türken basiert auf keiner langen Vorlaufzeit, kommt aber nicht aus heiterem Himmel. Vor zwei Jahren an der Euro 2000 wurde die Türkei mit Trainer Mustafa Denizli erst im Viertelfinal durch Portugal gestoppt. Der Effort folgte unmittelbar auf den Uefa-Cup-Erfolg, den der in diesem Land vergötterte Fatih Terim mit Galatasaray Istanbul nach Hause gebracht hatte (…) Die geschlagenen Senegalesen werden dem Turnier fehlen, auch wenn ihr letzter Auftritt fast gänzlich missriet und nicht mehr viel mit den vorangegangenen Vorstellungen zu tun hatte. Man wird sie in angenehmer Erinnerung behalten.“
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