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1:1-Remis der Türken gegen Costa Rica

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für 1:1-Remis der Türken gegen Costa Rica

Mark Schilling (NZZ 10.6.) sah beim 1:1-Remis der Türken gegen Costa Rica „unterhaltsame 90 Minuten“. „Geprägt wurden diese durch die schnörkellose und gefährliche Angriffsauslösung des Guimaraes-Teams und der Ballsicherheit der technisch versierten Türken, die allerdings auch das Spiel zu wenig in die Vertikale anlegten.“

Wieder kurz vor Abpfiff ein Gegentor für die Türken: Thomas Kilchenstein (FR 10.6.) dazu. „Warum also haben sich Türken noch die Butter vom Brot nehmen lassen? (…) Trainer Senol Günes fand wiederum allen Ernstes, dass sein Team das letzte Spiel gegen Brasilien noch nicht verkraftet habe, vor allem nervlich. Der unberechtigte Elfmeter habe sich auf das heutige Spiel ausgewirkt. Das klang dann schon ziemlich laut nach Ausrede.“

Roland Zorn (FAZ 10.6.) über das karibische Team. „Robust in der Defensive, elegant in der Offensive – so hatte Costa Rica schon dank einer ebenfalls besseren zweiten Halbzeit die Chinesen als die Anfänger ausschauen lassen, die sie bei ihrer ersten Weltmeisterschaft ja auch sind.“

Beim 1:1 der Türken gegen Costa Rica beobachtete Ralf Wiegand (SZ 10.6.) den Türken Bastürk. „Mit Leverkusen hatte er im Großen erlebt, was ihm nun mit den Türken im kleinen widerfährt, nämlich immer kurz vor Schluss den Boden unter den Füßen zu verlieren. Mit dem Verein verlor er Titel um Titel, die Meisterschaft, den Pokal, die Champions League und nun mit der Nationalmannschaft Punkt um Punkt und das Achtelfinale aus den Augen. „Es sind immer die letzten fünf Minuten“, klagte der türkische Trainer Günes und vermutete, seine Spieler fühlten sich womöglich zu sicher. Dazu freilich bestand gegen Costa Rica kein Anlass. Viel zu stark spielte dafür der gut organisierte Gegner, der selbst hätte führen müssen, litte er nicht unter einer Abschlussschwäche. Die Türken hielten bloß kämpferisch dagegen.“

Brasilien bezwang China mit 4:0. Über die Spielweisen beider Mannschaften schreibt Mark Schilling (NZZ 10.6.). „Sicherlich sind die Chinesen durchtrainiert bis in die letzte Faser, und vom athletischen Standpunkt her können sie den Vergleich mit den Grossen wohl aufnehmen. Aber die Kreativität lässt sich nicht einfach allein mit Fleiß implementieren. Hierzu benötigt es mitunter Erfahrung. Und die fehlt den Chinesen selbstredend am ersten Auftritt auf der Bühne des Weltfußballs (…) Milutinovic (Trainer China) diktierte nach der 0:4-Klatsche gegen den vierfachen Weltmeister in die Schreibblöcke, dass er mit Mexiko und den USA gegen Brasilien verloren habe, die Südamerikaner damals aber spielerisch klar besser, dafür vor dem Tor viel ineffizienter gewesen seien. Auch diese Einschätzung hat etwas Wahres, denn die Seleção hat bisher nicht „Samba-Fußball“ zelebriert, sondern sich eher von der „europäisierten“ Seite gezeigt. Viel weniger Firlefanz als früher, dafür mehr Realismus und Effizienz vor dem Tor; dazu die Gewissheit, bei Bedarf doch über herausragende Individualisten zu verfügen.“

Antworten auf die Frage, ob Brasiliens Abwehrtaktik aufgehen können wird, hat Christoph Biermann (SZ 10.6.) beim lockeren 4:0 gegen China nicht finden können. „Den wahren Test hat es bislang nicht bestehen müssen. Zweifel gibt es weiterhin an der Dreierkette in der Abwehr, die schon vor dem Turnier dunkle Erinnerungen weckte. Am Ende eines der schlechtesten Auftritte bei einer Endrunde hatte Brasilien 1990 in Italien nur vier Tore erzielt. Damals war die Mannschaft mit zwei Verteidigern und einem Ausputzer angetreten – das Spiel nach vorne blieb stecken. Ansonsten hatte Brasilien bei allen Turnieren stets eine Viererkette aufgeboten, wie es auch heute im Klubfußball des Landes üblich ist (…) Seit seiner Amtsübernahme im letzten Juni hat er (Trainer Scolari) die taktische Wende in Angriff genommen. Inspiriert hat ihn dazu der Nachbar und große Rivale Argentinien. Deren aggressive Vorwärtsverteidigung mit Angriffspressing, in der Südamerika-Qualifikation zur WM sehr erfolgreich, hatte es Scolari angetan. Dass sich seine Mannschaft damit jedoch schwer tut, bestätigte sich selbst gegen China. Die Defensive geriet mehrfach in Verlegenheiten, die sich gegen Stärkere rächen und lautes Wutgeheul provozieren könnten.“

Christoph Biermann (SZ 10.6.) über den lockeren 4:0-Sieg Brasiliens gegen China. „Im Vergleich zu den Brasilianern wirkten sie wie ein Amateurteam, gegen das der Gegner sonst nur spielen würde, um sich etwas warm zu machen. Die Chinesen konnten nicht nur technisch und taktisch nicht mithalten, sie waren auch physisch dramatisch unterlegen. Mit Saudi-Arabien und China stellte Asien die beiden schlechtesten Mannschaften dieser Weltmeisterschaft, was trotz der ansprechenden Leistungen von Korea und Japan ein deutliches Gegenargument für eine Erhöhung der Zahl von WM-Teilnehmern sein dürfte. Die Begeisterung für Fußball in China war in Seogwipo beeindruckend, allerdings müssen die sportlichen Leistungen dazu nun erst einmal aufschließen.“

Vom 4:0-Sieg Brasiliens gegen China berichtet Roland Zorn (FAS 9.6.). „Auch Fußball-Weltmeisterschaften bieten Gelegenheit zu angenehmen Trainingsspielchen. Der viermalige Weltmeister Brasilien hatte am Samstag auf der Ferieninsel Cheju in Seogwipo die Chance, ganz entspannt und doch konzentriert genug seine zweite Probe aufs Exempel locker zu bestehen. WM-Neuling China tat den Stars auch Südamerika nie weh, und die waren so freundlich, die Asiaten nicht vorsätzlich zu demütigen.“

Über Chinas Mannschaft fällt Thomas Kilchenstein (FR 5.6.) nach der 0:2-Niederlage gegen Costa Rica ein hartes Urteil. „Gerannt und gelaufen sind sie viel, doch nie hatte man den Eindruck, als stecke dahinter eine gewisse Idee, ein Plan; oft verhaspelten sie sich im Übereifer, alles besonders gut zu machen (…) Man versteht jetzt gut, warum das Team vor Wochen in einem offenen Brief die Landsleute gebeten hatte, nachsichtig zu sein mit den Spielern, falls es vielleicht doch nicht so gut ausgehen sollte in Südkorea. Man weiß jetzt, dass sich die Mannschaft ganz gut einschätzen kann. Man weiß auch, was sie nicht gut kann: Fußball spielen.“

Ralf Wiegand (SZ 5.6.). „Selbst gegenüber einem kleinen Land wie Costa Rica ist der Rückstand riesengroß. Costa Rica ist selbst keine Größe im Weltfußball, spielt erst zum zweiten Mal bei einer WM mit und schöpft für seinen Sport lediglich aus einem Reservoir von knapp vier Millionen Einwohnern. Aber es liegt in Mittelamerika und mithin in einer Region, die gegenüber den vom internationalen Fußball lange Zeit isolierten chinesischen Fußball ein paar Jahrzehnte Vorsprung hat, was Tradition, Begeisterung und Wettkampf angeht (…) Es ist der klassisch sozialistische Weg, den Chinas Auswahlfußball bisher gegangen ist: Körperlich ist die Mannschaft in ausgezeichnetem Zustand und zudem von beeindruckender Kompaktheit. Fast alle Spieler messen deutlich über 1,80 Meter, keiner läuft die 100 Meter langsamer als in 12 Sekunden. Dahingehend hatte das strenge Auslesesystem durchaus Erfolg. Technisch, taktisch und vor allem emotional lag das Team gegen Costa Rica aber um Längen zurück. Schon in der ersten Halbzeit zeichnete sich ab, dass die Chinesen aus ihren körperlichen Attributen nichts würden machen können. Bei den Sprints vergaßen sie den Ball, nach gewonnenen Zweikämpfen verpatzten sie prompt das nächste Abspiel, und in der Abwehr brachten sich die chinesischen Hochgeschwindigkeitsspieler durch Stellungsfehler in Schwierigkeiten.“

Der Sieg von Brasilien mit einem zweifelhaften Elfmeter hat negative internationale Konsequenzen. Das Spiel hat eine Polemik und eine internationale Kritikwelle entfaltet. Die brasilianische Zeitung O Globo (4.6.) fasst die Reaktionen der ausländischen Presse zusammen. Die argentinische Zeitung Ambito financiero behauptet, dass der brasilianische Sieg dank der Fehler des Referees zustande gekommen sei. Trotzdem wird die brasilianische Überlegenheit im Angriff anerkannt, aber auch „die immer wieder zu beklagende Verteidigungsprobleme“ der brasilianischen Abwehr. Die spanische Zeitung Marca behauptet, dass der Referee Brasilien mit drei Punkten beschenkt habe. Die „Netzerisierung“ der deutschen Medien findet auch ein Echo in der brasilianischer Presse. Sie zitieren Netzer und Schumacher bei ihrer Kritik an Rivaldo, der eine Tätlichkeit des türkischen Spielers Hasan Unsal simuliert habe und dadurch eine rote Karte provozierte. Der türkischen Seite – nämlich Trainer Senol Günes – wird auch eine Stimme eingeräumt: „Wir haben eine große Anstrengung gemacht, aber wir haben nicht erreicht, was wir verdient hätten. Das Ergebnis war eine Ungerechtigkeit“.

El País (4.6.) über zwei Fußballkulturen. “Italien und Brasilien verkörpern die zwei Extreme des fußballerischen Bogens. Italien hat eine spekulative Natur, funktioniert mit Pragmatismus und ist stolz darauf, die besten Fußballer in ihrer Liga spielen zu lassen. Die brasilianische Mannschaft ist der Ort, wo das Spiel sich von der kreativsten Seite zeigt. Ein Land, das nie aufhört, Fußballer zu exportieren. Gestern musste Brasilien schwitzen, um gegen die Türkei zu siegen, eine lebendige Mannschaft, die keine Komplexe empfindet. Sie kämpften um jeden Meter, und obwohl ihre Unterlegenheit deutlich war, stellten sie die Brasilianer in eine Extremsituation. Brasilien spielt immer zwei Spiele. Eins, gegen den Gegner und ein anderes gegen die Geschichte seiner großen Mannschaften. Deswegen wird mehr von den Brasilianer verlangt. Genau betrachtet waren sie der Türkei überlegen, aber das ist nicht genug. Die Geschichte verlangt die Perfektion von den Brasilianern. Momentan suchen sie noch nach dem Weg zu dieser Perfektion. Sie haben ihre traditionelle Vierabwehrkette mit ihren zwei vorgezogenen „Staubsaugern“ aufgegeben und ein neues System übernommen. Das sei in Brasilien eine „kontrakulturelle“ Idee, ein Akt gegen die Natur, die mit Polemik in eigenem Land angenommen wurde.”

Die Elfmeterentscheidung zu Gunsten Brasiliens beim 2:1-Sieg gegen die Türkei bewertet Christoph Biermann (SZ 4.6.). „Offensichtlich geriet der einzige Mensch im Stadion, der gegen diesen Zauber eigentlich gefeit sein sollte, ebenfalls in den Bann der brasilianischen Mannschaft. Bereits über weite Strecken der Partie hatte der koreanischen Schiedsrichters Young Joo Kim das türkische Team leicht benachteiligt. In den meisten strittigen Situationen entschied er für die Brasilianer, doch das waren Nebensächlichkeiten, die am 1:1-Unentschieden wenig geändert hätten. Die wirkliche Bevorzugung der brasilianischen Mannschaft hatte sich Kim für die Schlussminuten aufgehoben. (…) Alpay stürzte dem allein aufs Tor zu eilenden Stürmer Luizao hinterher. In der gleichen Situation hatte der Türke bei der EM ’96 in England seinen Gegenspieler Zahovic (war es nicht der Kroate Vlaovic?, of) noch allein aufs Tor laufen lassen. Der Slowene traf, und Alpay bekam den Fair-Play-Preis. Diesmal riss er Luizao um; die Rote Karte für diese Notbremse war berechtigt. Der von Kim verhängte Elfmeter jedoch nicht, weil das Foul vor der Strafraumgrenze passierte.“

Thomas Klemm (FAZ 4.6.) über die Matchwinner Brasiliens. „Ausgerechnet die Sorgenkinder der vergangenen Wochen, trugen am Montag mit ihren Treffern entscheidend zum 2:1-Auftaktsieg des viermaligen Weltmeisters gegen die Türkei bei. Der lange verletzte und zuletzt formschwache Ronaldo feierte mit seinem 38. Länderspieltreffer in der 50. Minute ein gelungenes WM-Comeback, der angeschlagen ins Turnier gegangene Rivaldo rechtfertigte seinen Einsatz mit einem verwandelten Elfmeter.“

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