Ballschrank
2:0 gegen Polen
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| Donnerstag, 25. März 2004
Mit zwei Paukenschlägen sind gestern die beiden Gastgeber in das Turnier eingestiegen. Südkorea gelang bei seiner insgesamt sechsten (und fünften in Folge) Endrundenteilnahme endlich der erste WM-Sieg und „bot beim 2:0 gegen Polen die beste Leistung, die je eine asiatische Mannschaft bei einer WM gezeigt hat“, meint die FR. „Hiddinks persönlicher Marshallplan“ ging auf, spielt die NZZ auf die akribische, schweißtreibende und bienenfleißige Vorbereitung des niederländischen Nationaltrainers an. Japan erreichte gegen Belgien immerhin ein 2:2-Unentschieden und war dem Sieg am Ende näher als die favorisierten Europäer. Insbesondere das leidenschaftliche und mutige Auftreten Nippons in einer dramatischen zweiten Halbzeit hat die globale Fußballöffentlichkeit überrascht. „Offenbar funktionieren die japanischen Fußballer ähnlich wie die Autos, die sie exportieren. Nur mit Vollgas laufen sie richtig“, kommentiert der Berliner Tagesspiegel die japanische Spielweise.
Doch das eigentlich Erstaunliche war die Atmosphäre unter den heimischen Zuschauern, die – Zeugenaussagen zufolge – die beiden Stadien in Busan und Saitama in Hexenkessel verwandelt haben und ihre Teams unaufhörlich nach vorne peitschten. Von Südkorea konnte man das erwarten. „45 Millionen Südkoreaner haben tagelang gehofft, gebangt und gezittert – und am Dienstag endlich feiern dürfen“, schreibt die FAZ dazu. Die SZ meint: „Die Stimmung auf den Rängen wirkte wie mit ihrer besonderen Mischung aus Massenekstase und straffer Organisation so, als ob der nordkoreanische Parteitag diesmal in Neapel stattfinden würde.“ Dahingegen hat die japanische Fußballbegeisterung uns eine freudige Überraschung bereitet. „Ein rundum geglückter Beginn also, der der allgemeinen Stimmung im Turnier nur gut tun kann.“ Diesem Schluss der NZZ ist zuzustimmen, zumal beide Ausrichternationen ihre Chancen auf ein längeres Verweilen im Turniergeschehen erhöht haben.
Außerdem: China ist eine Nummer zu klein, Debatten um Schiedsrichter und Schauspieler und vor dem Spiel der Deutschen gegen die Iren.
Pressestimmen zum Spiel Japan-Belgien (2:2)
Pressestimmen zum Spiel Südkorea-Polen (2:0)
Pressestimmen zum Spiel China-Costa Rica (0:2)
Philipp Selldorf (SZ 5.6.) relativiert die „Lobeshymnen“ eines Großteils der Weltpresse auf die deutschen Spieler. „Plötzlich, so soll man nun glauben, hat Deutschland wieder Weltklassespieler en gros: den „Seiltänzer“ und „Hattrick-Hero“ Klose, den Strategen Hamann, das Genie Ballack und, sowieso, den unheimlichen „King Kahn“. Alte Zeiten und militärische Klischees werden wach, und in der ausländischen Presse wird das „Brüllen der Panzer“ wieder laut (…) Inzwischen ist auch Franz Beckenbauer im Quartier auf der Insel Kyushu eingetroffen. Sein Wort gilt aus Gründen einer eigendynamisch funktionierenden und sinnfrei orientierten Medienmaschinerie selbst dann als erkenntnisbildend, wenn er zwischen zwei Golfpartien innerhalb von dreieinhalb Minuten komplett widerstreitende Ansichten formuliert. Beckenbauer kann nicht mal was dafür: Es ist die unsichere Sache Fußball, die zwei Wahrheiten für denselben Sachverhalt zulässt. Einerseits also weist er darauf hin, dass der Triumph einem wehrlosen Gegner zu verdanken war („Ich weiß gar nicht, warum sich alle so aufregen“), andererseits erklärt er: „Aber wenn die ihre Ordnung und Bewegung beibehalten, hast du auch gegen Brasilien und Argentinien wenig Probleme.“ Brasilien. Argentinien. Wenig Probleme. Genau.“
Peter Heß (FAZ 5.6.) über einen deutschen Leistungs- und Hoffnungsträger. „Dietmar Hamann fällt den Laien im Publikum nur selten auf. Seine Rolle besteht darin, unspektakuläre Dinge zu tun, damit spektakuläre Angriffe des Gegners ausbleiben. Wenn sich die Innenverteidiger über mangelnde Arbeit beklagen, hat Hamann als defensiver Mittelfeldspieler seine Aufgabe erfüllt. Das geschieht nicht zwangsweise dadurch, dass der Schlaks den Ball erobert – obwohl ein abgefangener Pass und ein gewonnener Zweikampf natürlich den Idealfall darstellen. Aber oft ist es genauso wichtig, nur im Weg zu sein, das Tempo aus des Gegners Spiel zu nehmen, so dass sich die Abwehr formieren kann. Hamann beherrscht alle Nuancen.“
Ronald Reng (FR 5.6.) erwartet heute irische Tugenden. „Ihr Auftritt an diesem Mittwoch wird eine Feldstudie der Sportpsychologie: Wie lange kann eine Elf aus widrigen Umständen ihre Kraft schöpfen ? Der aufgestaute Frust aus der Keane-Affäre entlud sich in der zweiten Halbzeit gegen Kamerun in einem mitreißenden Angriffsspiel. Eine Mannschaft spielte sich frei. Doch objektiv gesehen ist dieses Irland ohne Keane eigentlich nicht gut genug, über mehrere Wochen solche Qualitätsproben abzuliefern. Andererseits macht die Elf schon seit zwei Jahren nichts anderes, als über sich hinauszuwachsen.“
Bernhard Heimrich (FAZ 5.6.) über die Bedeutung des ehemaligen Nationaltrainers für das Land Irland. „Jack Charlton ist für Irland, was Sepp Herberger für Deutschland war. Charltons irische Verehrer rühmen, die Erfolge seiner Männer hätten mehr dazu beigetragen, die Welt mit Irland bekannt zu machen, als tausend historische Essays oder eine Million politische Reden.“
In Nordkorea wird die WM fast nicht wahrgenommen. Die NZZ (5.6.) dazu. „Zum einen ist ein World Cup eben nicht nur eine Leistungsschau des beliebtesten Sportes in Nordkorea, sondern auch eine Plattform des Kommerzes, und zudem ist diese Kontaminierung des Gedankengutes noch verwerflicher, wenn sie aus Südkorea kommt. Die hermetische Abriegelung ist nun aber gemäss diversen südkoreanischen Medienberichten (ein wenig) durchbrochen worden. Nachdem die nordkoreanische staatliche Fernsehanstalt bereits am Samstag eine 40-minütige Zusammenfassung vom Eröffnungsspiel Frankreich – Senegal gezeigt hatte, wurden am Sonntagabend nach den Zehn-Uhr-Nachrichten ebenfalls 40 Minuten von der zweiten Halbzeit von Irland – Kamerun ausgestrahlt. Die Bilder sollen von Tapes stammen, die irgendwie den Weg nach Pjongjang gefunden haben. In den südkoreanischen Zeitungen wurde dabei die Auswahl gerade dieser Partien dahingehend interpretiert, dass die beiden afrikanischen Verbände nicht in die Weltpolitik verstrickt sind.“
Schiedsrichterdiskussionen gehören bedauerlicherweise zum Fußballalltag. Michael Horeni (FAZ 5.6.) kommentiert die Debatte um den ob seiner Spielleitung (Brasilien gegen Türkei) in die Schlagzeilen geratenen südkoreanischen Referee Kim Young-joo. „Nicht das Gefühl, sondern die Erfahrung sagt, dass die Beschwerden – Franz Beckenbauer forderte gar den sofortigem Rauswurf – gegenüber Schiedsrichtern aus Südkorea, Benin oder der Arabischen Halbinsel eben erst begonnen haben. Das wird sich auch so lange nicht ändern, wie die Fifa glaubt, mit der bunten Auswahl von Unparteiischen aus allen Ländern noch ein bisschen Folklore in einer ansonsten brutal kommerzialisierten WM treiben zu können. Gerade in dieser sportlichen Frage ist nicht Fingerspitzengefühl gefragt, sondern Wettbewerb.“
Philipp Selldorf (SZ 5.6.) über den Fall Rivaldo, dem wegen einer Schauspieleinlage eine Sperre droht. „In den letzten Jahren konnte man entdecken, wie sich, anders als sonst wo in der Welt, auf dem Fußballplatz ein minimaler Konsens der Fairness entwickelt hat. Man hat bei dieser WM gesehen, dass die Spieler aus Uruguay nicht mehr die brachial zutretenden „Urus“ sind; Italiener haben sich längst abgewöhnt, dem Gegner, den sie gerade umgenietet haben, mit der einen Hand auf die Beine zu helfen und mit der anderen böse in den Unterleib zu kneifen; Kroaten und Spanier fallen nicht mehr um, wenn sie in kleine Raufereien verwickelt werden. Sie wissen: Sie machen sich lächerlich. Nur Rivaldo, der begnadete Fußballer und miserable Lügner, stürzt sich zu Boden, wenn ihn ein Bällchen trifft. Und er schämt sich nicht mal dafür, sondern rechtfertigt sich damit, dass er eine Strafe für seinen Gegner provozieren wollte. Ein trauriger Fall.“
TV-Konsument Michael Hanfeld (FAZ 4.6.) meldet. „Wo in der ARD vor allem Gerhard Delling und Günter Netzer vor furioser Fußballkulisse mit acht Toren farblos wie zwei Staubsaugerverkäufer herumstehen, die in der Halbzeit gerade mal ein Tor zeigen können, damit sie den Rest mit Werbung für ihre sonstigen Produkte vollpumpen können, da beweisen Breitner und Welke, dass Fußball zwar die wichtigste, aber selbst bei einer Weltmeisterschaft wie dieser immer noch nicht bis ins Letzte ernstzunehmende Nebensache in dieser Welt ist. Oliver Welke – soviel lässt sich nach dem WM-Auftakt schon sagen – wird zum Miroslav Klose unter den hiesigen Moderatoren avancieren. Er ist kompetent, er ist witzig, er ist schlagfertig, er ist unterhaltsam, und allein deswegen ist er eine Ausnahmeerscheinung unter den Sportmoderatoren. Wir sind fast geneigt, ihm Kultpotenzial zu unterstellen.“
„Nationalhymnen sind selten Höhepunkte des lyrischen Schaffens eines Volkes. Schwülstig und hochtrabend tönen sie von der Größe der Eigenen und den Schwächen der anderen“, schreibt Thomas Götz (Berliner Zeitung 3.6.) über die italienische Hymne. „Vom Blut der Italiener und Polen geht der Gesang, Blut, das der „Adler Österreichs trank“, bis es ihm „das Herz verbrannte“. „Wir sind bereit zu sterben!“, hämmert der Refrain dem Hörer ein, „Italien hat uns gerufen“. Der Verfasser starb zwei Jahre nach der Niederschrift im Kampf um Rom. Dass die meisten Italiener seinen Text nicht beherrschen, und, wo sie ihn mitsingen können, nicht verstehen, könnte ja noch hingehen. Zum Skandal aber wird die Sache jedes Mal, wenn die Nationalelf auf dem Rasen steht. Die Männer pflegen dann zu den Klängen ihrer Hymne Kaugummi zu kauen oder mit verschlossenem Mund verbohrt ins Unendliche zu starren.“
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