Ballschrank
Real Madrids Verschwörungstheorie
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| Donnerstag, 25. März 2004Real Madrids Verschwörungstheorie – taz-Rezension eines Buches über Schikanen der Polizei gegenüber Fans – Ottmar Walter wird 80 u.v.m.
Roland Zorn (FAZ 6.3.) gratuliert Ottmar Walter zum Achtzigsten: „Der robuste Ottes und der sensible Fritz – die beiden bildeten auf dem Fußballplatz das vielleicht eindrucksvollste Brüderpaar der Fußball-Geschichte. So etwas wie Neid des kleinen auf den großen Bruder drang nie nach außen. Dennoch dürfte Ottmar Walter so mancher Bericht gegrämt haben, in dem wieder einmal Fritz Walter für alles positiv verantwortlich gemacht wurde und er als bloßer Nutznießer genialer Vorleistungen seines Bruders dargestellt wurde. Wenn wir hoch gewannen und ich drei, vier Tore geschossen hatte, erinnert sich Ottmar Walter, hat es meistens geheißen, daß mir der Fritz die Bälle so hingelegt hat, daß ich sie nur noch reinmachen mußte. Er der Arbeiter, sein dreieinhalb Jahre älterer Bruder der Künstler: Ganz so einfach und eindeutig seien die Verhältnisse untereinander nie gewesen, beharrt Ottmar Walter. Beide hatten als torgefährliche Halbstürmer angefangen, die Welt des Fußballs auf ihre Art zu erobern, bis der Fritz dem Ottmar bedeutete: Wir brauchen vorne einen, der ein bißchen aufräumt. Von da an waren alle familiären Wettbewerbsfragen gelöst und ein Mittelstürmer von internationaler Klasse geboren. Der heute Achtzigjährige erzählt gern und mit immer noch leuchtenden Augen aus seinem ereignisreichen Leben. So denkt Ottmar Walter mit Freude an das erste deutsche Nachkriegsländerspiel am 22. November 1950 gegen die Schweiz in Stuttgart zurück. Damals war Fritz Walter verletzt und er ein Angreifer ohne Lobby. Bundestrainer Herberger aber entschied sich für Walter, den Jüngeren, und lag damit wie so oft richtig. Sie können auch ohne den Fritz spielen, habe ihm Bundestrainer Sepp Herberger eingeflüstert, und das sei das Höchste gewesen, was mir passieren konnte.“
Horrorstories
Andreas Rüttenauer (taz 6.3.) liest Geschichten von Fans, die die Polizei schikaniert hat: „Ein Gutes hatte ja das erste Geisterspiel im deutschen Profifußball, das unlängst zwischen Alemannia Aachen und dem 1. FC Nürnberg ausgetragen wurde. Denn eine Feststellung fand sich in allen Berichten über die Begegnung vor leeren Rängen: Ohne Fans macht Fußball keinen Spaß. Dass die gespenstische Veranstaltung überhaupt durchgeführt werden musste, dafür sind allerdings auch Menschen verantwortlich, deren Fehlen so beklagt wurde: Fans. Natürlich sind es immer nur Einzeltäter, die ihre Trinkbecher, Sitzkissen und Feuerzeuge zu Wurfgeschossen machen. Wahrgenommen werden die Anhänger aus den Kurven jedoch meist nur als Mob. Wer in größeren Gruppen zu Auswärtsspielen des Vereins seiner Wahl reist, gilt prinzipiell als verdächtig. Dieser Eindruck drängt sich zumindest bei der Lektüre des Buches Die 100 ,schönsten‘ Schikanen gegen Fußballfans auf, das vom Bündnis aktiver Fußballfans (Baff) herausgegeben wurde. In dem Buch kommen die Fans selbst zu Wort. Die Texte wurden zumeist in Fanzines oder ähnlichen Organen bereits veröffentlicht. Anekdotenhaft berichten die Anhänger darüber, wie sie von Polizei und Ordnungskräften be- bzw. misshandelt wurden. Von Freiheitsberaubung ist des Öfteren die Rede, weil Gästefans in einem Block des Stadions regelrecht eingesperrt werden und nicht einmal zur Verrichtung ihrer Notdurft herausgelassen werden. Von unverhältnismäßigen Personenkontrollen wird berichtet, bei denen sich Fans bis auf die Unterhose ausziehen mussten, obwohl nichts gegen sie vorlag, und es werden Prügelorgien geschildert, die von der Polizei ausgehen oder von Ordnungskräften, von denen die Autoren nicht selten vermuten, dass sie aus der Hooliganszene rekrutiert würden. Erzählt sind diese Horrorstories in einer launigen, anekdotenhaften Art, ohne jede Larmoyanz, beinahe so, als wären die Opfer ein wenig stolz darauf, dass sie in Konflikt mit der Polizei geraten sind. (…) Aus Schweinfurt berichtet ein Fan von Hannover 96, dass man DNA-Analysen von Fingerabdrücken an Trinkbechern, die aufs Feld geworfen worden waren, durchgeführt habe. Ob diese Daten auch schon gespeichert werden? Wundern würde es die Leser des Baff-Buches sicher nicht. Mit dem Argument, den Hooliganismus in Europas Stadien zu bekämpfen, sind weitreichende Einschränkungen der Bürgerrechte durchgesetzt worden. Die Fans fühlen sich, das wird in beinahe jedem Beitrag des Buches deutlich, provoziert. Überdies sind viele der Meinung, dass die überreagierenden Sicherheitskräfte selbst zur Gewalt in den Stadien beitragen. Ein St.-Pauli-Fan drückt das so aus: Und dann ist es tatsächlich nicht mehr weit, bis man halt auch mal selbst so weit ist, dass man diesen Knüppelschlag nicht mehr abwartet, sondern sich selbst mal Schienbeinschoner anlegt.“
Besprochenes Buch: Baff (Hrsg.): Die 100 ,schönsten‘ Schikanen gegen Fußballfans. Trotzdem Verlagsgenossenschaft 2004, 10 Euro.
Leo Wieland (FAZ 5.3.) besucht EM-Stätten: „Ein Winter des portugiesischen Mißvergnügens neigt sich dem Ende zu. Nach Monaten politischer Depression und zwei Jahren wirtschaftlicher Rezession hellen die Fußballgötter allmählich den lusitanischen Horizont auf. Noch vor den Frühlingsblumen setzen die Monumentalplakate ihrer Nationalmannschaft und der renommierten Klubs aus Lissabon, Porto oder Braga unübersehbar ihre bunten Akzente auf den Fassaden der Hauptstadt. Das Leitmotiv Wir haben einen Traum, nämlich den, im Sommer die Europameisterschaft zu gewinnen, wurde dem schwarzen Amerikaner Martin Luther King gewissermaßen aus dem Munde genommen. Die übrigen Mutmacherparolen könnten die Politiker des Landes erfunden haben: Wir haben den Ehrgeiz, Wir haben die Leidenschaft, Wir haben die Mannschaft. Unterstützt wird die Werbekampagne symbolträchtig von dem Banco Espírito Santo, der in eigener Sache nicht ganz selbstlos mitwirkenden Bank des Heiligen Geistes. Die berüchtigt melancholischen Portugiesen zählen nicht gerade zu den größten Optimisten in der Europäischen Union. Die Demoskopen, die ihnen gerade auf vielfältige Weise den Stimmungspuls fühlten, fanden heraus, daß die Bevölkerung, offenkundig unter dem Eindruck der ökonomischen Schwierigkeiten, im EU-Vergleich am untersten Ende der Zuversichtsskala rangiert. Sind im europäischen Durchschnitt mehr als zwei Drittel mit ihrem Leben zufrieden – im prosperierenden benachbarten Spanien gar mehr als siebzig Prozent –, wollten das nur 56 Prozent der Portugiesen von sich behaupten. Sogar eine absolute Mehrheit meint, daß das Fußballfest Portugal letztlich wenig einbringen und der ganze Aufwand es vielleicht sogar noch ärmer machen werde. Schon als der Vorgänger des jetzigen konservativen Ministerpräsidenten Durão Barroso, der Sozialist Guterres, sich erfolgreich um die EM bemühte, lagen die Pessimisten mit ihren Rivalen nahezu gleichauf. Die Tourismusindustrie, die mit mehr als drei Millionen Besuchern rechnet, verspricht sich dennoch einen spürbaren wirtschaftlichen Bonus.“