Ballschrank
Bundesliga
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| Donnerstag, 25. März 2004
Gereiztheit zwischen Freiburg und Kaiserslautern – Hannovers Trainer Ralf Rangnick nich sicher im Sessel? – Gewalt innerhalb Bochums Team: Oliseh schlägt Hashemian und wird entlassen – „Kölner Revolution von oben“ (SZ) u.v.m.
SC Freiburg – 1. FC Kaiserslautern 1:0
Am Charakter ihres Amateurs könnte sich das Profikader ein Beispiel nehmen
Martin Hägele (NZZ 2.3.) empfiehlt den Kaiserslauterern Ruhe und Bescheidenheit: „Tim Wiese kann innerhalb von Minuten ein total anderer Typ sein. Weil der Fussball-Torhüter die Verwandlung in einen erfolgreichen und ziemlich eitlen Jungunternehmer so pedantisch verfolgt, tauften ihn die Kollegen „Spiegel“. Bis „Spiegel“ die fingerdicke Goldkette um den Hals gelegt, die Ringe richtig ins Ohr gesteckt und den schwarzen Haarschopf glänzend mit Gel beschmiert hatte, war der Elfmeter schon eine Dreiviertelstunde alt. Doch obwohl er nun nicht mehr wie dieser halbstarke Rambo aussah, der vor dem Strafstoss aus seinem Tor gestürmt und den Penaltyschützen Zkitischwili angemacht hatte („was willst du, Blinder, ich halt den Ball sowieso“), seine Meinung zum Pfiff des Schiedsrichters („das war niemals Elfmeter“) und zum Spiel generell vertrat Wiese weiterhin ungeschminkt: „Mit elf Mann hätten wir hier drei Punkte gewonnen.“ Und überhaupt, dass er einmal wieder für Tumult verantwortlich gewesen sei und wie im letzten Auswärtsspiel in Bremen in den Schlusssekunden die gelbe Karte bekommen habe, das gehöre sich für einen guten Keeper: „Ich muss doch in dieser Situation provozieren.“ Der Trainer Kurt Jara hat sich über das Benehmen des jüngsten Pfälzer Shootingstars auch so seine Gedanken gemacht. (…) Bezeichnenderweise behielt ausgerechnet derjenige FCK-Spieler, der bisher mit dem ganzen Bundesliga-Stress am wenigsten zu tun hatte, einen klaren Überblick. Der Debütant Drescher zog sich reumütig das weisse Trikot über den Kopf, er schämte sich für sein Penaltyfoul. Am Charakter ihres Amateurs könnte sich das komplette Profikader vom Betzenberg ein Beispiel nehmen. Denn ein Stück mehr Realitätsbewusstsein hilft vor dem nächsten Abstiegs-Endspiel gegen Eintracht Frankfurt bestimmt mehr als Wieses Proleten-Parole: „Die hauen wir weg!“ Vielleicht sollte der Vorstandschef Jaeggi in dieser Richtung einen klaren Ton vorgeben – sonst muss er im nächsten Jahr sein eigenes Erbe in der Zweiten Liga verwalten.“
Christoph Kieslich (FAZ 2.3.) ergänzt: „Nach einem nervenaufreibenden Fußballspiel waren Kurt Jara und Volker Finke als erste wieder auf dem Boden der Vernunft angekommen. In den Gesichtern der beiden Trainer hatte die aufwühlende Partie zwar Spuren hinterlassen, aber die hochgekochten Reaktionen auf dem Spielfeld, die nach dem Abpfiff noch Handgreiflichkeiten zwischen Ordnern und Lauterer Spielern zur Folge hatten, wollten Jara und Finke nicht überbewerten. Sie schrieben die aggressiven Szenen dem hohen emotionalen Druck zu, unter dem beide Mannschaften standen. In der Bundesliga, das machten die Freiburger Bilder vom Sonntag klar, hat die heiße Phase des Abstiegskampfs begonnen. Das finale Scharmützel hatte Tim Wiese angezettelt, jener junge Tormann, der zuletzt mit famosen Paraden von sich reden machte, in Freiburg aber offensichtlich demonstrieren wollte, daß er überdies das Zeug zum Oliver Kahn besitzt – und zwar in dessen von allen guten Geistern verlassenen Momenten. Nach einem Elfmeterpfiff, an dem niemand etwas zu mäkeln hatte, griff Wiese den auserkorenen Freiburger Schützen Lewan Tskitischwili mit Worten an. Tim Wiese ist ein junger Mann, der mit vollem Herzen dabei ist, sagte Jara verständnisvoll, aber im Abstiegskampf muß man kühlen Kopf bewahren.“
Hannover 96 – Hertha BSC Berlin 1:3
Er bewegt sich schwerfällig, steht oft falsch, spielt haarsträubende Pässe
Frank Hellmann (FR 2.3.) ist entsetzt von Abel Xavier, Hannovers neuem Abwehrspieler: „Nein, hat Rangnick, von einem nörgelnden Präsidenten und besorgniserregenden Niederlagen geplagt, in ewig stoischer Manier wiederholt, diese Niederlage hat nichts mit nur einem Spieler zu tun. Und er werde nicht zulassen, dass nun alles auf Abel Xavier abgeladen wird, auch wenn der sicher kein überragendes Spiel abgeliefert hat. Man hätte sich gewünscht, manch einer der Profis von Hannover 96 hätte etwas von dieser beharrlich-verbissenen Defensivhaltung. Tugenden, die Rangnicks Anvertraute – gegen Hertha BSC in der Anfangself Spieler aus acht Nationen – vermissen lassen. Bei einem ist der Verlust aller abwehrenden Qualitäten des modernen Fußballs, wie Schnelligkeit, Stellungsspiel, Kommunikations- und Konzentrationsfähigkeit, besonders offenkundig. Abel Luis da Silva Costa Xavier, 31 Jahre, schon mit 17 Nationalspieler Portugals, ist derzeit auf bestem Wege, zur Karikatur eines Profis zu mutieren. Denn die Frage stellt sich dringender denn je: Was will Hannover mit einem Mann, der vielleicht dienlich ist, den Club in Haarnover (Bild) umzutaufen, aber sportlich die Mannschaft in den Abgrund reißt? Er bewegt sich schwerfällig, steht oft falsch, spielt haarsträubende Pässe. (…) Seit dem 28. Juni 2000 hat seine Karriere einen Knacks: Im EM-Halbfinale gegen Frankreich wurde ihm der Ball an die Hand geschossen. Strafstoß, Golden Goal, Aus für Portugal, Tumulte. Xavier fühlte sich hernach als Opfer, als ihm die Uefa neun Monate Sperre (wegen Stoßens des Schiedsrichters) aufbrummt. Bis heute steckt das Urteil, so hat es den Anschein, wie Blei in seinen Beinen.“
Frank Heike (FAZ 2.3.) vermutet Probleme für Trainer Rangnick: „Nur zwei Spiele haben genügt, um das zerbrechliche Gebilde Hannover 96 zum Einsturz zu bringen. Nach dem desolaten 1:3 in Rostock vor zehn Tagen waren die alten Strukturen in der Führung wieder offensichtlich geworden – Kind genügte ein schwaches Spiel, um Rangnicks Arbeit in Frage zu stellen. Ein erstes Krisengespräch der Rückrunde folgte. Das nächste 1:3 nun, daheim und ähnlich erschreckend in seinen Ausmaßen, bringt Rangnick in abermaligen Erklärungsnotstand: Trotz aller Umstellungen ist es ihm nicht gelungen, eine halbwegs stabile Abwehr zu stellen. Dabei hatten Kind und die Vereinsgesellschafter in der Winterpause wieder einmal in die Tasche gegriffen, um neue Spieler zu kaufen. Letztmalig, wie Kind dieser Zeitung sagte, und nur um eines zu verhindern: Ich will in Hannover keine Fahrstuhlstrukturen. Kinds Schreckensvision ist die eines fertiggestellten Stadions mit Spielen in der zweiten Liga. Ich bin davon ausgegangen, daß wir mit den neuen Spielern nichts mit dem Abstieg zu tun haben würden, sagt Kind. Er hat eine simple, aber verständliche Sicht der Dinge: Zum wiederholten Male hat er Rangnick Profis zur Verfügung gestellt. Nun erwartet er vom Coach schlichtweg das: Erfolg. Jeder weiß, daß es so leicht nicht geht. Aber Kind hat das Sagen. Und er ist zu Recht alarmiert. (…) Während die Berliner ihn nach dem dritten Sieg der Rückrunde am liebsten länger als nur bis zum Saisonende haben wollen, weil sie schon jetzt meinen, ihm den möglichen Klassenverbleib zu verdanken, haben in Hannover die elenden Krisengespräche in der Dreieckskonstellation Rangnick, Kind, Moar längst begonnen.“
Weiteres
Richard Leipold (FAZ 2.3.) berichtet Gewalt in der Bochumer Mannschaft: “Der VfL Bochum galt lange als intakter Fußballverein, frei von großen Erfolgen, aber auch frei von Skandalen. Das familiäre Flair des Revierklubs wurde vor allem von den Spielern geschätzt. In dieser Saison spielt die Mannschaft auch noch erfolgreich Fußball. Just an dem Tag, an dem sie den vierten Tabellenplatz erklomm, nahm das saubere Image Schaden. Bei einem Streit unmittelbar nach dem Bundesliga-Heimspiel gegen Hansa Rostock zertrümmerte Mittelfeldspieler Sunday Oliseh seinem Mannschaftskollegen Vahid Hashemian das Nasenbein. Während die Fraktur im Krankenhaus gerichtet wurde, scheint der Bruch zwischen Oliseh und seinem Arbeitgeber endgültig. Am Montag vormittag teilte der VfL Bochum in einem Dreizeiler mit, er stelle mit sofortiger Wirkung den Lizenzspieler Sunday Oliseh von seinen arbeitsrechtlichen Verpflichtungen frei. (…) Wie Insider berichten, hatte Oliseh die Kabinentür abgeschlossen, um mit Hashemian Klartext zu reden. Der als zurückhaltend bekannte Stürmer warf Oliseh vor, er überschreite seine Kompetenzen. Du bist nicht der Kapitän. Wenn jeder Spieler der Chef sein will, geht die Mannschaft kaputt. Dann soll der Satz gefallen sein, den Oliseh als Beleidigung aufgefaßt hat. Wir sind hier nicht in Nigeria. Wie Insider berichten, verlor der frühere Kapitän der nigerianischen Nationalmannschaft die Kontrolle. Spätestens in diesem Augenblick war er nicht mehr der weltmännische Junge, als den ihn Trainer Peter Neururer vor kurzem noch hingestellt hatte. Oliseh nahm Anlauf und verpaßte Hashemian eine Kopfnuß. Wie der Vorstand hatten auch die Mitspieler nicht mit einer Eskalation gerechnet, obwohl Oliseh schon früher empfindlich auf vermeintliche Anspielungen reagierte, die seine Herkunft betrafen. Man kann in einen Menschen nicht hineinschauen, sagte Kapitän Dariusz Wosz, der Olisehs Verpflichtung vor gut einem Jahr gegen skeptische Stimmen verteidigt hatte. Oliseh soll die Tat inzwischen bereuen. Doch die Einsicht kommt zu spät. (…) Der Austausch schlagkräftiger Argumente unter Kollegen ist in der Bundesliga nichts Neues. Beim deutschen Rekordmeister Bayern München ist es in den vergangenen Jahren mehrmals zu handfesten Auseinandersetzungen gekommen. Dem Basken Bixente Lizarazu rutschte einst gegen Lothar Matthäus die Hand aus; Samuel Kuffour ging auf Jens Jeremies los. Anders als in Bochum hatten die hollywoodreifen Schlägereien bei den Bayern aber keine Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Mannschaft.“
Der Tagesspiegel listet Schlägereien der letzten Jahre auf
Revolution von oben
Philipp Selldorf (SZ 2.3.) sorgt sich um den 1. FC Köln: „Neu ist, dass sich in den weitverzweigten, durch die Liebe zur Heimat und zum Geschäft verbundenen Kontroll- und Hinterzimmergremien des Klubs eine Initiative gebildet hat, um Wolfgang Overath zum Vizepräsidenten zu küren. Overath, 60, der seit seinem Abschied als Fußballer vor 26 Jahren oft und immer vergebens aufgefordert worden war, dem FC zu helfen, lässt sich Zeit mit der Antwort, hat aber schon Bedingungen genannt: Ohne die Einbeziehung seiner alten Kameraden Hennes Löhr (derzeit im Ruhestand), Stefan Engels (bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse beschäftigt) und Jürgen Glowacz (Leiter einer Fußballschule) will er sich nicht in die Verantwortung begeben. Und spätestens jetzt muss man entsetzt fragen: Was soll das? Der drohende Einmarsch der FC-Idole aus glorreichen, leider schon arg verblassten Zeiten wirkt wie der Versuch der Restaurierung eines goldenen Vorvorgestern, weil die Gegenwart so trübe ist. Also: wie ein reaktionärer Umsturz. Der FC-Führung um Manager Rettig und Präsident Caspers fällt es jedoch schwer, die von einflussreichen Leuten einschließlich des Oberbürgermeisters Schramma veranlasste ¸¸Hilfsaktion abzuwehren. Zwar hat sie in den vergangenen Jahren einen solide organisierten Fußballklub mit gesunden Perspektiven aufgebaut, aber wer hört auf dieses Argument im allgemeinen Geschrei zur akuten Lage? Wenn die Revolution von oben Erfolg hat, ist der dritte Abstieg womöglich nicht das einzige Problem des FC.“