Ballschrank
„Lustspiel ohne Verlierer“
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| Donnerstag, 25. März 2004
Manchester United besiegte in einem„Lustspiel ohne Verlierer“ (FAZ) Real Madrid mit 4:3; unter Begeisterung aller Anwesenden im ehrwürdigen Old Trafford. Bezeichnenderweise applaudierten die englischen Fans dem dreifachen Torschützen der Gäste bei dessen Auswechslung. Die taz „hatte das Gefühl, dass Ronaldo im Notfall auch fünf gemacht hätte.“
Sportliche Soiree zweier Klassemannschaften
Felix Reidhaar (NZZ 25.4.) ist vom Spiel in Manchester begeistert, teilt jedoch gleichzeitig die Sorgen seiner englischen Kollegen über die Konkurrenzfähigkeit des Inselfußballs. „Was für ein Match, welch intensiver Abtausch von Spielqualitäten höchst unterschiedlicher Natur, welch spannungsgeladene Dramaturgie der Torfolge, was für Sonderleistungen herausragender Individualisten, wie viele Fehler auf beiden Seiten auch, die diese Regie der überraschenden und oft zufälligen Wendungen erst ermöglichten! Man wird noch lange an diese sportliche Soiree zweier Klassemannschaften zurückdenken (…) Roy Keanes Zeiten sind vorbei; nichts konnte dies besser veranschaulichen als die beiden Spiele gegen Real. Seit seiner disziplinarisch angeordneten Abreise von der letzten WM und der darauf folgenden langwierigen Verletzung ist der Ire, lange die wichtigste Stütze im defensiven Mittelfeld der United, nicht mehr der Alte geworden. Als sogenanntes Anspielrelais zwar oft gesucht (und gefunden), nahm er keinen Einfluss mehr auf das Geschehen. Verglichen mit Zidane war er ein Bauer auf dem Feld. Andere Gründe gehen tiefer. Für Paul Hayward, Englands Sportjournalisten des Jahres (Telegraph), ist die Premier League generell nicht die passende Vorbereitung für die parallel laufende kontinentale Spitzenliga. Sie spreche trotz ihrem Reichtum eine andere Fussballsprache, sei anders in ihrer Spielart. Unterhaltung auf der Basis kampfbetonter, eher eindimensionaler Ausrichtung habe auf der Insel mehr Gewicht als balltechnisches Niveau und Spielkultur. Richard Williams vom Guardian verweist auf die Möglichkeit eines Generationenwechsels. Gut zehn Jahre ist es her, seit die 1992er Garde mit Beckham, Giggs, den Neville-Brothers, Scholes und Butt aus dem meisterlichen Jugendteam der United für höhere Aufgaben heranreifte. Schon die heutige Auswahl zeige, dass sie im Umbruch begriffen sei. Die Boomjahre des europäischen Fussballs gehen hiermit ohne weiteren englischen Eintrag in die Geschichtsbücher zu Ende. Es blieb Manchester United vorbehalten, vor vier Jahren wenigstens einmal den Gipfel in dieser goldenen Epoche zu erklimmen. Einem anderen Team von der Insel blieb Gleiches versagt, was insofern bemerkenswert ist, dass nach 1967 (Triumph Celtics im Meistercup gegen Inter) bis in den Frühsommer 1985 (Heysel-Tragödie) von 18 Finals deren 12 mit englischer Beteiligung stattfanden. Seither hat sich in der vergleichbaren Zeitphase nur ein Premier-League-Klub für das Endspiel qualifizieren können, die Mannschaft von Ferguson. Ob mit diesem Scheitern auch eine Ära zu Ende geht und personelle Erneuerung fällig wird, bleibt abzuwarten. Ebenso, ob Reals Flirt den schönen David betören wird, wie viele Einheimische vermuten. Beckhams Körpersprache beim Abgang, den Dress von Zidane über den Schultern, schien vielsagend. Es könnte sein internationaler Abschied im Old Trafford gewesen sein.“
Mangel an Innovationen und die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Motors
Raphael Honigstein (taz 25.4.) kritisiert Fergusons (Trainer von Manchester United) Personalstrategie. „Schon im April 2000 war Madrid hier ins Halbfinale eingezogen, 2001 triumphierten die Bayern im Viertelfinale, im letzten Jahr Leverkusen. Vier Jahre, vier Enttäuschungen. Nun mehren sich in Manchester die Fragezeichen. Wird Ferguson die lange angekündigte Drohung wahrmachen und den Kader radikal umstrukturieren? Oder wird er doch wieder auf die umstrittene Politik der punktuellen Verstärkungen setzen? Van Nistelrooy ist ein fantastischer Stürmer, doch Barthez, Verón, Ferdinand und Blanc haben das Team seit dem Europacupsieg gegen Bayern 1999 keinen Schritt weiter gebracht. Del Bosque hatte vor dem Hinspiel den Nagel auf den Kopf getroffen: United spielt seit Jahren das Gleiche. Die einst so Furcht erregende Red Machine arbeitet immer noch verlässlich genug, um jederzeit die Liga gewinnen zu können. Doch auf europäischem Terrain werden der Mangel an Innovationen und die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Motors – Roy Keane – zunehmend offensichtlich. Wie vor zwei Wochen fiel der Ire nur mit markigen Worten vor dem Spiel auf. Auch über ihn wird Ferguson intensiv nachdenken müssen, falls er verhindern will, dass das schwächelnde United-Imperium bald völlig auseinander bröckelt.“
Kann Fußball eigentlich schöner sein?
Thomas Kilchenstein (FR 25.4.) ist angetan. „Kann Fußball eigentlich schöner sein, als in jenen Augenblicken vor dem 2:1 von Real Madrid gegen Manchester United? Wie der Ball da über viele, viele Stationen zirkulierte, hin- und hergespielt wurde wie selbstverständlich, bis Zidane den Ball hatte und ihn in die Tiefe des Raumes spielte zu Roberto Carlos und der dann auf Ronaldo? Das war ein einziger Fluss, scheinbar eine einzige Bewegung, von nichts und niemandem zu stoppen. Fußball in seiner reinsten Form, Fußball in Perfektion. Und dieser Traumfußball wurde nicht nur im Theater der Träume in Manchester gespielt, auch in Valencia, auch in Mailand. Diese Champions-League-Runde hat für viele öde Spiele in Gruppen- und Zwischenphase entschädigt, weswegen wir Hände klatschend nochmals begrüßen können, dass im nächsten Jahr wenigstens die Zwischenrunde zugunsten des K.-O.-Systems wegfällt. Spiele, bei denen elf Spieler an der Querlatte kleben, wie der uruguayische Literat Eduardo Galeano einst schrieb, haben wir zur Genüge gesehen, uns zu oft bei tristen Null-zu-Nulls, zwei offene Münder, zwei Mal Gähnen, gelangweilt. Jetzt, da es um die Wurst geht, um hopp oder top, jetzt, da sich die Spreu vom Weizen getrennt hat, jetzt, da zwei Schulen aufeinander treffen – hier: verschnörkelter Angriffsfußball, dort disziplinierter Strukturfußball aus Italien – gibt es endlich Herz erfrischenden, guten Fußball.“
Lässt eine Plastiktüte wie einen Designerbeutel erscheinen
„Kaum hatte der Mann sich den Haarreif zurechtgerückt wie ein kokettes Schulmädchen, beschrieb der Ball auch schon seine Bahn über die Mauer hinweg und hinein ins Tor.“ Stefan Osterhaus (BLZ 25.4.) kommentiert die Wechselgerüchte um David Beckham. „Was also erwartet Madrid, wenn Beckham tatsächlich das Trikot wechselt? Nahtlos würde sich die Personalie Beckham einfügen in das Konzept des Clubs: In jedem Jahr einen der besten Spieler der Welt zu locken ist die Devise des Präsidenten Florentino Perez. Geld spielte niemals eine Rolle. So kreierte Trainer Vicente Del Bosque ein System von monströser Eleganz, die beste Mannschaft der Welt, nicht unschlagbar, da ihre Verteidiger Laiendarsteller sind, doch in ihren besseren Momenten atemberaubend schön spielen, dem Grundsatz folgend, dass ein 5:4 viel berauschender als ein 2:0 ist. Und Beckham kann überhaupt nicht verteidigen. Es passt also alles. Perez, der wahnwitzige Visionär, hielt immer Wort, wenn es darum ging, die Besten der Welt zu holen: Figo, Zidane, Ronaldo. Sie mögen alle fantastisch Fußball spielen, diese Männer, doch über eines verfügen sie nicht: Flair, Glamour und Stil außerhalb der Kreidebahnen des Platzes. Ronaldo hat keine Ahnung von Mode, Figo hat zwar Ahnung von Mode, aber keinen Popstar zur Frau – und Zidane hat eine Glatze. Mangels Prachtvisage sind sie alle zum Schönspielen verdonnert. Und Beckham? Der trägt ein Pflaster zur Platzwunde und erklärt es zum Trend, schlüpft in den Wickelrock, lässt eine Plastiktüte wie einen Designerbeutel erscheinen und lackiert sich die Fingernägel. Andere würden für solcherlei Firlefanz aus der Stadt gejagt, doch Beckham darf sich trotz allem auch mal ein schwaches Spiel leisten. Käme Beckham, hätte Real nach langer Zeit wieder einen Popstar in seinen Reihen. Der letzte ging vor einer Ewigkeit. Er fuhr Ferrari wie der Brite, kam aber vom Niederrhein und sah Jung-Siegfried verblüffend ähnlich. Er hieß Günter Netzer. Nur gewann Real mit ihm nichts Großes.“
Der produktive Neid der Besitzlosen
Roland Zorn (FAZ 25.4.) meint dazu. „So zauberhaft Zidane, Ronaldo, Figo und demnächst auch wieder Raúl die Ästheten des Fußballs zu becircen verstehen, so ungewiß bleibt, ob eine Mannschaft, in der bis auf Torwart Iker Casillas niemand ein bekennender Abwehrspieler zu sein scheint, auch die taktisch ausgebufften, kühlen Italiener an den Rand der Selbstaufgabe spielen kann. Juventus Turin, das könnte zur wahren Reifeprüfung für die Spielernaturen aus dem Bernabéu-Stadion werden; besteht Real das Halbfinalexamen, wird’s zum letzten Showdown zurück an magischer Stätte Old Trafford gegen den AC oder Inter Mailand auch nicht wesentlich leichter. Wie die Italiener im Vorjahr schauten diesmal die Deutschen zu, als saisonal oder wirklich bessere Teams den Glanz der Champions League in die Welt des Fußballs trugen. Bleibt zu hoffen, daß dadurch, analog zu den Kollegen aus der Serie A, der produktive Neid der Besitzlosen geweckt wurde. Auch die Fernsehrechteinhaber RTL, die laut vom Ausstieg aus der Klasse der Meister reden, dürften zumindest am Mittwoch gespürt haben, daß sie ein wertvolles Hochglanzprodukt aufs zugegeben teure Spiel setzen.“
Phantastischphantastischphantastisch
Stefan Coppell (FAZ 25.4.) referiert die Reaktionen der beiden Trainer. „Mit Superlativen wurde nur so um sich geworfen. Real-Trainer Vicente del Bosque etwa hörte sich so an: Ein phantastisches Spiel mit phantastischem Tempo zweier phantastischer Mannschaften vor einem phantastischen Publikum. Selbst sein Widerpart Sir Alex Ferguson, der nach bitteren Niederlagen seines Teams meist Gift und Galle spuckt, suchte nicht nach Haaren in der köstlichen Suppe. Unglaublich, dieses Spiel. Es war eine Nacht für den Fußball. Meine Mannschaft hat Tolles geleistet, aber Ronaldo war nicht zu bändigen. Ob er dem Paß von Guti erfolgreich hinterhersprintete, ob er der Endverwerter einer genialen Ballstafette (mit Figos Lattenstreichler als Zwischenakt) war oder das Heft des Handelns selbst an sich riß und mit einem wuchtigen Fernschuß reüssierte – Ronaldo an diesem Abend zu stellen hieß, aussichtslos auf Schattenjagd zu gehen.“
(24.4.)
Technisch hochstehendes Direktspiel der Iberer
Ein Chapeau! von Felix Reidhaar (NZZ 24.4.). „Real Madrid – Manchester United hatte der Wunschfinal in der Champions League Ende Mai im Old Trafford gelautet. Beide Klubteams rechtfertigten diese Einschätzung vollauf. Die beiden Viertelfinals werden als seltene spielerische Höhepunkte des internationalen Fussballs festgehalten bleiben. 13 Tage nach der Demonstration technisch brillanten Direktspiels nach Façon Real Madrids mit entsprechendem Zweitore-Polster für den zweiten Match lieferten beide Parteien im faszinierenden Abnützungskampf in Manchester die Bestätigung für ihre derzeit unerreichte Klasse nach und boten dem ausverkauften Haus in Old Trafford einen spannenden, ausgeglichenen, selten trefferreichen Match mit einem Platzteam, das sich wenigstens resultatmässig revanchieren konnte. Dreimal im Rückstand gegen den selbstsicheren Titelhalter, gab die United nie auf und zwang schliesslich das (Abschluss-)Glück doch noch auf ihre Seite. Ein atmosphärisches Ereignis wird trotz den sieben Treffern noch lange im Gedächtnis haften: Als Ronaldo in der 67. Minute das Feld vorzeitig verliess, erhob sich (fast) jeder in der mit knapp 70′000 Schaulustigen voll besetzten Arena und beklatschte voller Respekt den Brasilianer. Fast im Alleingang hatte der Brasilianer innerhalb knapp einer Stunde das Platzteam zurückgeworfen – allerdings meist mustergültig und genau freigespielt bis auf das 3:1, das er nach kurzem Dribbling (und nicht angegriffen) mit einem 24-m-Schuss in die hohe Torecke abschloss: das Qualitätssiegel unter eine superbe Leistung, das im typisch fairen englischen Publikum nicht ohne Nachhall bleiben konnte (…) Es war nicht etwa so, wie viele englische Beobachter nach dem Match im Bernabeu festzustellen glaubten, dass sich die ManU-Spieler zurücklehnten und die stupenden Pass-Varianten bewunderten und dass sie zu wenig unternahmen, um den Gegner an der Konstruktivität zu stören. Sie waren im Gegensatz wieder paralysiert durch das technisch hochstehende Direktspiel der Iberer, dem sie erneut in keiner Weise beikamen. Abermals lag die hauptsächliche Ursache in der balltechnischen und läuferischen Unterlegenheit der Briten im Mittelfeld. “
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