Ballschrank
Saison der Irrtümer und Peinlichkeiten
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| Donnerstag, 25. März 2004
Bezüglich der Lage am Tabellenende stellt Philipp Selldorf (SZ 19.5.) fest, „dass sich die Dinge im Abstiegskampf in einer Art gewendet haben, als ob ihnen ein Meisterplan aus Leverkusen zugrunde läge. Ein Sieg noch, und eine Saison der Irrtümer und Peinlichkeiten würde in Freudentränen enden. Einige würden es dann wohl für ungerecht halten, dass all die Fehler, die Calmund Co begangen haben, nicht bestraft worden wären, und statt dessen (wieder mal) Arminia Bielefeld als Absteiger herhalten müsste. Aber die sportliche Gerechtigkeit folgt nicht der moralischen Gewichtung von Schuld und Unschuld. Punkte entscheiden. Basta (…) Am Samstag kommt Bayer nach Nürnberg und bringt dessen früheren Trainer Augenthaler mit. Als Augenthaler noch mit dem Club gegen den Abstieg kämpfte, bekam er ein Angebot für die nächste Saison – aus Leverkusen (das zuvor schon nach alter Bayern-Manier dem Konkurrenten Cottbus den besten Spieler abgeworben hatte). Nach der Trennung von Nürnberg erhielt Augenthaler im Handumdrehen die Freigabe für Bayer. Denn der Club ist dankbar, dass ihm eine halbe Million Euro Abfindung erspart bleibt. Hoffentlich hat die Dankbarkeit am Samstag ein Ende. In Spanien ist es übrigens verboten, dass ein Trainer innerhalb einer Saison zwei Teams betreut.“
Michael Horeni (FAZ 19.5.) analysiert die verbesserte Situation In Leverkusen. “Bayer Leverkusen kann sich glücklich schätzen: Der Klub des scheinbar unendlichen Niedergangs hat doch noch Freunde, viele sogar. In den Stunden der größten Not erschienen tatsächlich weit mehr wohlmeinende Helfer, als der in Auflösung begriffene Werksklub dies wohl selbst für möglich hielt. So ließ sich der eine vom Abstiegskampf schon ermüdete Weltmeister vor knapp einer Woche überreden, ein Kommando anzutreten, das erfolgversprechend zu nennen die Übertreibung der Saison wäre. Und dann kam am Samstag plötzlich auch noch ein anderer, von langen Bundesligajahren ermüdeter Weltmeister, der sich kurz vor seinem wohlverdienten Ruhestand dann als einziger auch ohne Erfolgsprämie um Leverkusen verdient machte. Als der neue Trainer Klaus Augenthaler in seiner achten Leverkusener Dienstminute sah, wie unbedarft sich Thomas Häßler, sein weltmeisterlicher Kollege von einst, als letzter Mann an der Seitenlinie im Zweikampf anstellte, da hätte man glauben können: Alte Weltmeister helfen sich immer. Das meinen Sie doch hoffentlich nicht ernst, sagte Teamchef Rudi Völler, selbst ehemaliger Weltmeister und Leverkusener, als er im Fernsehen auf die besondere gemeinsame Verbindung angesichts des amateurhaften Fehlers vor dem 1:0 zwischen dem Löwen Häßler sowie dem Leverkusener Trainer Augenthaler und Sportdirektor Jürgen Kohler angesprochen wurde. Daß schon eine Verschwörungstheorie herhalten mußte, um das 3:0 des Abstiegskandidaten gegen den TSV München 1860 zu erklären, kann als ein eindeutiger Beleg dafür gelten, wie verblüffend diese letzte Wendung im großen Bayer-Theater anmutet. Vor einer Woche nahm eine bemitleidenswerte Mannschaft mitsamt einem Trainer der traurigen Gestalt beim 1:4 in Hamburg direkten Kurs auf die zweite Liga. Sieben Tage später waren Kämpfertypen und der beherzte Nachfolger Hörsters von der ersten Minute an dabei, sich gegen den Absturz zu stemmen (…) Wie es sich im sportlichen Überlebenskampf gehört, versuchte Bayer das Mittelfeld mit hohen Zuspielen auf die Stürmer schnell und ohne mögliche Komplikation hinter sich zu lassen. Die Verunsicherung der Mannschaft war zwar in vielen Momenten noch zu erkennen, aber auch diesem Mangel versuchte Augenthaler mit regelmäßigen Interventionen an der Seitenlinie zu begegnen. Als er dann kurz vor Schluß mit Ulf Kirsten auch noch das Symbol der unbeschwerten Bayer-Tage einwechselte, schien das Abstiegsgespenst tatsächlich wie vertrieben. Dem schlotternden Manager Reiner Calmund wird es bis zum Endspiel in Nürnberg jedoch sicher wieder auflauern. Aber Augenthaler gibt sich demonstrativ unerschrocken vor der Begegnung mit dem Leverkusener Hausgeist und den Geistern seiner fränkischen Vergangenheit. Die eigentliche Gefahr in Nürnberg ist, daß ich in die falsche Kabine gehe. Da sitzen nämlich die Absteiger.“
Die Vorbereitung des nächsten großen Scheiterns?
Christoph Biermann (SZ 19.5.) bleibt skeptisch, kommentiert den Einstand Augenthaler jedoch wohlwollend. „In der BayArena war wieder Zuversicht zu spüren. Das mag man als Schritt nach vorne interpretieren – oder als die Vorbereitung des nächsten großen Scheiterns. Oft genug hat Bayer in dieser Saison ordentlichen Leistungen verheerende folgen lassen. Am Samstag in Nürnberg wird es sich erweisen, wenn Klaus Augenthaler zu dem Klub zurückkehrt, den er in dieser Saison 30 Spieltage lang betreut hatte. Seine ehemaligen Spieler mögen es ihm dann zeigen wollen und vielleicht auch die Fans, weil er schon mit Bayer verhandelt hat, als er noch bei den Franken auf der Bank saß. Doch am Samstag vermittelte Augenthaler den Eindruck, dass er im hühnerhaufenartigen Gegacker, das Leverkusen zuletzt bestimmte, der ersehnte Ruhepol ist. Sein Auftreten strahlte eine Klarheit aus, wie sie lange gefehlt hatte. Das war am besten an einer Nebensächlichkeit in Halbzeit eins zu erkennen, als Augenthaler den aufgeregten Jürgen Kohler mit beruhigenden Gesten in den Unterstand der Trainerbank zurückwies. Immer wieder war der Sportdirektor von dort aufgesprungen, um selbst bei klarsten Abseitsentscheidungen noch mit den Schiedsrichtern zu debattieren. „Die sind hier alle ein bisschen aufgeregt, aber ich habe alles im Griff“, schien Augenthaler mit einem freundlichen Nicken in Richtung des vierten Offiziellen zu sagen. Auch im Umgang mit seiner neuen Mannschaft hatte Augenthaler offenbar den Ton getroffen.“
Erik Eggers (FTD 19.5.) fasst Leverkusener Reaktionen zusammen. „Eindeutig waren – nicht verwunderlich nach den Erfahrungen dieser Saison, die an neuen Übungsleitern und Sportdirektoren nicht eben arm gewesen ist – die Antworten der Spieler nach dem „Auge-Effekt“, der eigentlich nahe lag nach der Verpflichtung Augenthalers. „Ein Trainer“, legte Butt kurz und knapp dar, „kann nicht in vier Tagen das taktische System entscheidend verändern.“ Und auch das lange Zögern Ramelows in dieser Angelegenheit verriet, wie wenig der Kapitän von der Idee hält, allein der Trainer sei verantwortlich zu machen für den souveränen Sieg. Immerhin ließ er sich entlocken, dass die Mannschaft, „sehr, sehr gut eingestellt“ worden sei, zudem sei Augenthalers Ansprache „absolut verständlich“, das komme an bei der Mannschaft. „Wenn er etwas sagt, dann macht das Sinn“, meinte auch Routinier Ulf Kirsten, der sieben Minuten vor Schluss eingewechselt worden war und beinahe noch ein Tor erzielt hätte. Augenthaler selbst legte eine Unaufgeregtheit an den Tag, die wahrlich wenig gemein hat mit jener Hysterie, die diesen Klub so oft befallen hat in dieser Spielzeit. „Der erste Teil des Ziels ist erledigt“, begann er die Pressekonferenz, und daraus sprach nun wirklich kein Euphoriker, sondern eher die Nüchternheit eines Betriebswissenschaftlers. Auch die Fragen zum ach so pikanten Spiel, dass ihn ja nun bei seiner Rückkehr ins Frankenstadion erwarte, empfand Augenthaler eher als lästig. Viel wichtiger schien ihm die Feststellung, dass sein Team „keine Söldnertruppe“ sei und die Akteure keine „wohlhabenden Absteiger“, zu der die Medien sie bereits abgestempelt hatten. „Jeder Spieler hat eine gewisse Ehre“, und an die habe er einfach appelliert. Als Wunderheiler begreift sich Augenthaler aber ganz offenbar nicht. Der Weltmeister von 1990 weiß eben von der Vergänglichkeit eines solchen Tages. „Den Sieg werden wir nicht feiern, sondern verdauen“, so Augenthaler, „das Ding ist noch lange nicht vorbei.“ Das ist es erst in Nürnberg. So oder so.“
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