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Arbeitstag Jürgen Kohlers in Leverkusen
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| Donnerstag, 25. März 2004
Christoph Biermann (SZ 1.4.) beschreibt den ersten Arbeitstag Jürgen Kohlers in Leverkusen. „Gerne werden in Leverkusen große Dinge, ideale Lösungen und zukunftsweisende Konzepte mit großem Trommelwirbel verkündet. Das kennt man schon. Doch Jürgen Kohler gelang es bei seiner Vorstellung als Sportdirektor von Bayer, die Fanfaren besonders ermutigend klingen zu lassen. So viel Schwung wie gestern war selten in Leverkusen, als Kohler in die Heimstatt von Trübsal und Depression hineinwehte. Aufgeräumt, munter und entschlossen wirkte er. Ich habe alles im Griff, signalisierte er mit jeder Äußerung und der vollen Kraft seiner Stimme. „Das ist eine Situation, wie wenn man zum Arzt kommt“, sagte Dr. Kohler, der in seinen ersten Tagen die Diagnose stellen soll, um dann die notwendige Therapie einzuleiten. Muss operiert werden? Wird mit Placebos gearbeitet? Reicht gutes Zureden und Handauflegen? Der neue Sportdirektor weiß es noch nicht, aber er vermittelte den entschlossenen Eindruck eines erfahrenen Intensivmediziners, der schon so manch moribunden Patienten geheilt hat. „Ich weiß, wie die Spieler denken und fühlen“, sagte er mit Hinweis auf seine persönlichen Erfahrungen im Abstiegskampf. Wenn man ihn so hörte, musste man an Trainer Thomas Hörster denken. Der hatte im Gegensatz zu Kohler wie ein Rettungssanitäter gewirkt, der sich am Unfallort zwar viel Mühe gab, aber nun war man doch froh, dass langsam mal der Chefarzt kommt. Freunde psychosomatischer Ansätze werden demnächst genauer nach Leverkusen schauen, denn Kohler wirkte schon durch die Ankündigung seiner Anwesenheit. „Obwohl er noch gar nicht da war, wurde das sehr positiv aufgenommen“, berichtete Torhüter Butt von der Krankenstation im Kabinentrakt. Nur fragte man sich, warum das eigentlich so ist? „Dazu braucht man kein Professor zu sein, schon mein sechsjähriger Sohn erkennt, dass er ein guter Mann ist“, sagte Bayer-Manager Reiner Calmund über seinen „absoluten Wunschkandidaten“. Dann rasselte er die sportlichen Erfolge des 37-Jährigen herunter, als wäre es die Liste seiner erfolgreichsten Eingriffe. Kein Wort davon, dass Kohler bislang immer auf dem Rasen notoperiert hatte und nicht als Trainer oder Sportdirektor. Und was ist eigentlich die Arbeitsplatzbeschreibung des neuen Mannes bei Bayer?“
Richard Leipold (FAZ 1.4.) meint dazu. „Fachkreise halten es auch für möglich, daß der frühere Weltmeisterspieler, der bis vorigen Freitag die Juniorenauswahl des Deutschen Fußball-Bundes betreute, im Laufe der Zeit in Leverkusen Cheftrainer werden könnte. Am ersten Arbeitstag wurden solche Spekulationen heftig dementiert. Die Frage stellt sich nicht, sagte Kohler. Wir haben in Thomas Hörster einen guten Trainer. Ein Mann dieser Klasse wird selbstverständlich nicht in seinen Kompetenzen beschnitten, nur weil jemand kommt, der im Fußball so gut wie jeden Titel gewonnen hat. Wenn Hörster Probleme sehe, werde er natürlich mit ihm darüber sprechen, sagt Kohler, aber für die Taktik und die Aufstellung der Mannschaft ist der Thomas zuständig. Hörster denkt, Kohler lenkt: So könnte man auch das Wortspiel einer Regionalzeitung deuten, die kürzlich meldete, Bayer suche einen Oberhörster. Der neue Sportdirektor lobte den Trainer beinahe so, wie Calmund zuvor Kohler selbst gepriesen hatte. Allerdings konnte der Laudator Kohler sich ein wenig kürzer fassen; er brauchte nicht so viele Erfolge aufzuzählen. Bei aller zur Schau gestellten Wertschätzung für den spröden Sportkameraden Hörster: Will Kohler wirklich ausschließen, daß er nicht eines Tages selbst das Training übernimmt? Letztlich wehrte er diese Frage ab wie alle anderen, die ihm unangenehm waren. Die Frage ist hypothetisch. Was in zwanzig Jahren sein wird, weiß ich nicht. Kohler behauptete, er habe genug Angebote gehabt, Trainer in der Bundesliga zu werden. Aber ich habe mich entschlossen, den Sportdirektor bei Bayer zu machen. Trotz der gegenwärtig mißlichen Lage überzeuge ihn das Konzept des Klubs. So reizvoll der Job des Sportdirektors bei diesem Klub sein mag, einen Mann wie Kohler stellen sich viele eher als Trainer vor, zumal Calmund mit seiner Beschreibung richtig liegt. Jürgen steht für Fleiß, Leidenschaft und Disziplin. Wenn Training und Taktik Hörsters Domäne bleiben sollen, was macht dann eigentlich Kohler? Calmund erwartet von ihm nicht nur Strategien für die Zukunft, sondern eine Initialzündung für die letzten acht Spiele der Saison. Also soll er doch ins Tagesgeschäft eingreifen, wenn auch nicht als Trainer.“
Von Erik Eggers (FTD 1.4.) lesen wir. „Warum diese überraschende Verpflichtung ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt erfolgt, das offenbarte der Geschäftsführer erst am Ende der Präsentation. „Das war mehr oder weniger ein Verzweiflungsakt nach den Absagen Rettigs und Bratseths“, sagte Calmund, es erscheint demnach als purer Aktionismus in einer fast aussichtslosen Situation. Calmund aber wirkte gestern sehr viel gelassener als in den letzten Wochen. Diesmal, wird er sich gedacht haben, werden sie ihm nicht wie bei der Toppmöller-Entlassung vorwerfen können, zu spät gehandelt zu haben. Jürgen Kohler wirkte während dieser Anfangspredigt fast abwesend. Sein Blick schweifte ab und richtete sich auf einen imaginären Punkt irgendwo zwischen den zahlreichen Kameras. Erst als Calmund überraschend zügig das Ende seiner Rede kundtat, erwachte Kohler. „Ich freue mich, diese Aufgabe anzugehen“, waren die ersten Worte des Sportdirektors. Es folgte eine unglücklichere Wortwahl: „Das Schöne ist“, so Kohler, „ich habe diese Situation, die Leverkusen gerade durchmacht, mit Dortmund schon einmal erlebt.“ Doch im Anschluss machte er sofort klar, dass er anders als der stets hölzern wirkende Trainer Thomas Hörster um einiges souveräner mit den Medien umzugehen versteht.“
Michael Ashelm (FAS 30.3.). „Ob der Sportdirektor Kohler in der Praxis die Aufgabe des Trainers bei den abstiegsbedrohten Leverkusenern übernehmen wird, muß man abwarten. Vielleicht als Supervisor des glücklosen Fußballehrers Thomas Hörster, der dem Neuen übrigens den Platz auf der Bank schon angeboten hat – neben ihm.Ganz sicher ist, daß der Weltmeister in den verbleibenden Wochen im Tagesgeschäft ein gewichtiges Wörtchen mitreden wird. Das erwarten auch die Spieler, einer wie Hanno Balitsch, der am Freitag bei Kohlers Abschiedsvorstellung dabei war und ihn zu Wochenbeginn in Leverkusen wiedersehen wird. So, wie ich das verstanden habe, soll er sehr nahe an der Mannschaft sein, sagte der Mittelfeldspieler über die Rolle von Kohler. Mit seiner Erfahrung könnte das einen Schub für die letzten Spiele geben. Andere, die den ehemaligen Nationalspieler aus langjähriger Zusammenarbeit kennen, glauben, daß er sich schnell in seine Rolle einfinden wird. Ich gratuliere Bayer zu der Entscheidung, sagt Michael Meier, der Manager von Meister Borussia Dortmund. Der administrativ unerfahrene Kohler wie gemacht für das Anforderungsprofil des Sportdirektors? Die Leverkusener haben versucht, die erfolgreiche Personalentscheidung mit Rudi Völler zu kopieren. Der Jürgen verfügt über enorme Kontakte, beherrscht die italienische Sprache und ist ein ehrlicher, konsequenter Arbeiter.“
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