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| Donnerstag, 25. März 2004Quatar will Brasilianer einbürgern und sie in der Nationalelf spielen lassen – „Politik ist in Italien die schönste Nebensache der Welt“ (FAZ) – SZ-Interview mit Geburtstagskind Sepp Maier – Traditionsverein SV Wuppertal auf dem Weg zurück nach oben – Benfica Lissabon wird 100 Jahre alt u.v.m.
In Qatar sprudelt Öl, in Brasilien Talente
Quatar will Brasilianer einbürgern und sie im Nationalteam spielen lassen, Michael Horeni (FAZ 27.2.) kommentiert: “Auch wenn es ein wenig schwerfällt, muß man zugeben, daß Qatar besser als alle anderen verstanden hat, wie es im von der petrochemischen Industrie getriebenen Fußball-Busineß derzeit läuft. Sich gleich eine Nationalmannschaft zu kaufen ist ein noch exklusiveres und konsequenteres Geschäftsmodell als jenes des Branchenkollegen Roman Abramowitsch. Der Russe bescheidet sich mit seinen Petrodollars noch mit Vereinen wie dem FC Chelsea und dem AS Rom. Ob das alles läuft wie geschmiert und brasilianische Fußballstars wie die umworbenen Ailton oder Dede tatsächlich dort leibhaftig erscheinen, wird man wohl bald erfahren. Bis zum Montag jedenfalls will sich Ailton entscheiden. Über eine Zusage dürfte man sich nicht wundern. Denn wenn man die arabischen Zahlen liest, dann ist es, als riebe im Scheichtum irgend jemand an der Wunderlampe. Eine Million Euro Handgeld scheint dabei als sofortige Belohnung für die Einbürgerung auf, und 400 000 Euro kommen jedes weitere Jahr dazu. Wo soviel Öl, Milch und Honig fließen, da ahnt Rudi Assauer wohl schon, daß er auch mit seiner dicksten Zigarre keinen Dampf mehr machen kann. Der Manager der Schalker, der selbst Fußball-Shoppingtouren liebt, vermag seine jüngste Erwerbung daher nur schwach vor einem arabischen Abenteuer zu warnen. Ailton aber, der wie Dutzende brasilianische Ausnahmespieler für die eigene Nationalelf nicht gut genug ist, reizt ein Auftritt auf der Weltbühne. Eine Marktlücke: In Qatar sprudelt Öl, in Brasilien Talente. Falls aus diesem Joint-venture tatsächlich etwas wird, dann muß sich nicht nur Assauer, sondern auch Deutschland und der Rest der Fußballwelt sorgen. Die Scheichs müßten die Einbürgerungsbehörde nur an die Copacabana verlegen.“
„Politik ist die schönste Nebensache der Welt“ – zumindest in Italien, meint Dirk Schümer (FAZ 27.2.): „Es gibt Situationen, da kennen Italiener keine politischen Parteien mehr. So geschieht es jede Woche, wenn etwa Juventus Turin oder der AC Mailand auf dem Fußballfeld aufläuft und die Nation in Befürworter und Gegner der jeweiligen Mannschaft spaltet. Der Riß geht quer durch Ehepaare, Sippen, Nachbarschaften und Gemeinden, die sonst wie Pech und Schwefel zusammenhalten. Und er geht tief. Nach einer ungerechten oder unerwarteten Niederlage des eigenen Vereins sprechen Gekränkte tagelang kein Wort mit ihren unsolidarischen Liebsten oder legen sich schmollend ins Bett. Umgekehrt hat der Fußball in seinem eigentlichen Heimatland – denn als Calcio wurde das Spiel in Florenz einst erfunden – wundersame Heilkräfte, die Wildfremde und Verfeindete fest verbrüdert. So ist der AC Mailand vor allem bei Industriearbeitern populär; die Fanclubs schmücken sich gern mit roten Fahnen und Porträts von Berlinguer. Daß der Eigner des Vereins der verhaßte Ministerpräsident ist, wird keinen Milanista zum Abschwören der schwarzroten Weltanschauung nötigen. Es ist leichter, von Stalin zu Mussolini und retour zu wechseln, als etwa fahnenflüchtig zu werden und die notorisch erfolglosen schwarzblauen Inter-Farben gegen die siegreiche Schwarzweißflagge von Juventus einzutauschen. Man kann den Italienern alles nachsagen, aber keinen Opportunismus, keine Untreue in der Ballbehandlung. Ein Gerhard Schröder, der sich wechselweise als Fan von Hannover, Dortmund oder Cottbus einkleidet, gälte südlich der Alpen als ehrloser Lump. Und weil Italiens Politiker sich als echte Volksvertreter keinen Deut von den Normalbürgern unterscheiden, wurde unlängst im römischen Parlament der überfällige Schritt einer Parteigründung vollzogen: Torhüter Buffon hob endlich einen hauseigenen Juve-Fanclub aus der Taufe und fand gleich hundert Abgeordnete, die sich für die Turiner Nobelmannschaft einschrieben. Solche Stärke würde für eine achtbare Regierungspartei reichen. Präsident ist ein rechtskonservativer Volksvertreter der Exfaschisten, Ehrenpräsident ein in der Wolle gefärbter Kommunist, und im Präsidium finden sich bunt gemischt Berlusconianer, Grüne, Sozialdemokraten. Die neue Fraktion ist allzeit bereit, geschlossen zu Wahlkämpfen – sprich Auswärtsspielen – aufzubrechen, gemeinschaftlich zu bibbern, zu jubeln und es mit Gegenparteien – etwa dem linksdominierten Fanclub von Berlusconis AC Milan – notfalls handgreiflich aufzunehmen.“
Vincenzo Delle Donne (Tsp 28.2.) berichtet Ärger für italienische Klubs: “Seit Jahren schon warnen Kritiker, mit der glamourösen italienischen Fußballwelt könnte es schnell vorbei sein. Jetzt scheinen sie Recht zu bekommen. Der italienische Fußball wird vom schwersten Finanzskandal seiner Geschichte erschüttert – vom so genannten Bilanzdoping der Klubs. Am Donnerstag rückten landesweit Hundertschaften von Finanzpolizisten aus und nahmen Razzien bei allen Erst- und Zweitligaklubs vor. Daneben ordnete die Staatsanwaltschaft auch die Durchsuchung der Zentrale des Fußballverbandes in Rom und des Ligaausschusses in Mailand an. Die Klubs werden verdächtigt, die Bilanzen im großen Stile gefälscht und sowohl Steuern als auch Rentenversicherungsbeiträge hinterzogen zu haben. Auch der Verdacht von schwarzen Kassen und der Geldwäsche steht im Raum. Die Polizei beschlagnahmte tonnenweise verdächtige Dokumente. Ausgelöst wurden die Durchsuchungen durch jüngste Äußerungen von Giuseppe Gazzoni Frascara. Der Präsident des AC Bologna hatte in der Halbzeitpause des Spiels seiner Mannschaft gegen den AS Rom gesagt: „Rom spielt gut. Aber wir zahlen dafür auch jährlich 14 Millionen Euro Steuern an den Staat.“ Die ausstehenden Steuerschulden des AS Rom würden jedoch 50 Millionen Euro betragen, ohne dass der Staat seine Forderungen einziehe, was eine Wettbewerbsverzerrung darstelle. Nach dem Spiel legte Frascara der römischen Justiz ein umfangreiches Dossier vor.“
SZ-Interview mit Sepp Maier, der heute 60 wird
SZ: Wie feiern Sie Ihren 60.?
SM: Ich bin mit guten Freunden in Zürs beim Skifahren. Der Uli Hoeneß hat mir ja ein paar Tage freigegeben.
SZ: Das scheint ja ein strenges Regiment zu sein beim FC Bayern. Stimmt es eigentlich, dass Sie als Kind öfter eine Watschn bekommen haben, wenn Sie nach dem Kicken mit verdreckten Kleidern nach Hause kamen?
Maier: Ja, das war früher gang und gäbe. Da ist selten ein Tag vergangen, an denen man keine gefangen hätte – wir sind manchmal mit geduckter Haltung ins Haus gekommen. Später haben meine Eltern aber alles dafür getan, um mich bei meiner Fußballkarriere zu unterstützen.
SZ: Sie haben als Feldspieler angefangen und waren mal Torschützenkönig in der Jugendmannschaft beim TSV Haar. Warum sind Sie Torwart geworden?
SM: Das hat sich so ergeben. Ich war Kreismeister im Dreikampf, ein erfolgreicher Turner als Kind. Die Zähigkeit und Flinkheit hab’ ich dann gebraucht, als ich als kleiner Pimpf mit den Älteren im Verein mitkicken durfte. Irgendwann hat mich der Trainer ins Tor gestellt. Gegen meinen Willen. Die Dicken und die Faulen, die kommen ins Tor, hieß es.
SZ: Sie waren dick und faul?
SM: Nein, und mir hat es dann doch Spaß gemacht, im Tor zu stehen. Wenn der Boden weich war und man sich richtig in den Dreck schmeißen konnte! Als wir im Pokal gegen die zweite Bayern-Jugend spielten, bin ich dem Jugendleiter aufgefallen – obwohl wir 12 Gegentore kassierten. Ich sollte zum Probetraining kommen, was ich erst gar nicht wollte – da gab es ja schon so viele Talente bei den Bayern. Ein Freund hat mich überredet. Irgendwann hab’ ich mich aufs Mofa geschmissen und bin hingefahren.
SZ: Ist der Job des Torhüters nicht grausam? Ein Missgriff, so wie er jetzt Oliver Kahn beim Real-Spiel unterlaufen ist, und man ist der Depp der Nation.
SM: Das muss jedem Torhüter bewusst sein. Solche Fehler sind nicht mehr gut zu machen. Aber das Härteste ist es, sich immer wieder neu zu motivieren. Oliver Kahn ist jetzt seit sechs Jahren der beste Torhüter der Welt – für den liegt die Messlatte so hoch, das hält ein normaler Mensch nicht aus.
SZ: Sie haben in Ihren besten Jahren die Reporter gerne zum Narren gehalten.
SM: Einmal hab’ ich einem gesteckt, ich würde mit Haftschalen gegen Real Madrid spielen – ich seh’ heute noch die Schlagzeilen. Ein andernmal hab’ ich behauptet, wir würden zum Frühstück immer ein Stamperl Schnaps trinken. „FC Bayern dopt sich gegen Glasgow Rangers mit Whiskey“, haben die geschrieben. Dann habe ich im Bus das Gerücht gestreut, Dean Martin würde uns in der Säbenerstraße besuchen. Was passierte? Zum Bayern-Training erschienen lauter Kamerateams, hungrig auf Dean Martin – was haben wir gelacht.
SZ: Zu Journalisten sollen Sie kein sehr gutes Verhältnis gehabt haben.
SM: Ach was. Gut, zu meiner aktiven Zeit war ich schon mal grantig zu Reportern. Einen hab’ ich geohrfeigt, im Trainingslager, weil er ständig unfair über mich berichtete. Eine saubere Watschn war das, rechts und links, Zackzack. Heinz Engler hieß der Mann, ausgerechnet ein guter Freund von Nationaltrainer Helmut Schön! „Was soll denn das!“, schreit der auf. „Das ist die Quittung für den saublöden Artikel, den du über mich geschrieben hast.“ Danach war der nur noch nett zu mir.
Georg Bucher (NZZ 28.2.) blättert in der Chronik Benfica Lissabons: „Dem sportlichen wie wirtschaftlichen Malaise zum Trotz fasziniert der „Mythos“ Benfica weiterhin die Massen. Rund 45 Prozent aller Lusitaner (14 Millionen einschliesslich Emigranten) sind Sympathisanten des rotweissen Emblems und schwelgen gerne in Erinnerungen an die sechziger Jahre: 1961 in Bern und 1962 in Amsterdam gewann Benfica unter Bela Guttmanns Regie den Meistercup und erreichte noch dreimal in Folge das Endspiel. Die stürmenden Protagonisten dieser Epoche werden heute Samstag an der einem Staatsakt vergleichbaren Feier zum hundertjährigen Bestehen in der ersten Reihe sitzen: Eusebio und Coluna, beide gebürtig aus Moçambique, Jose Augusto, Jose Aguas und der aktuelle Sportdirektor Antonio Simões. Vor dem Hintergrund des Jetzt erscheinen sie als strahlende Helden, Träger jener „Mystik“, die in der heutigen materiellen Überhitzung schmerzhaft vermisst wird. Primus inter Pares und offizieller Botschafter Benficas ist der 62-jährige Eusebio da Silva Ferreira. Gewürdigt werden auch die Vereinsgründer, Schüler des seit Monaten in einen Pädophilie- Skandal verwickelten Waisenhauses Real Casa Pia de Lisboa, die Präsidenten Bogalho, „Vater“ des 1954 eingeweihten Estadio da Luz, und Fernando Martins, der das Fassungsvermögen auf 120000 Plätze erweiterte. In diese Tradition einreihen könnten sich Manuel Vilarinho sowie der amtierende Chairman Luis Felipe Vieira. Nachdem ihr Vorgänger João Vale e Azevedo wegen Veruntreuung zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war, gelang es ihnen, Vertrauen bei Anhängern und Banken zurückzugewinnen. So war es denn auch möglich, das neue Stadion mit 65000 Sitzplätzen zu finanzieren und kurzfristige in langfristige Verbindlichkeiten umzuwandeln. Mit dem Gewinn der Taça Latina, damals der wichtigste europäische Wettbewerb, war Benfica 1950 in den Blickpunkt gerückt. Ted Smith leitete die Equipe in den Endspielen gegen Girondins de Bordeaux, die erst in der Verlängerung entschieden wurden. Mitte der fünfziger Jahre kam mit Otto Gloria die Professionalisierung. Der Brasilianer gründete ein Spielerheim, verpflichtete aus den afrikanischen Kolonien und aus der Lissabonner Banlieue die besten Spieler lusitanischer Sprache und bescherte dem Nationalteam, einer verstärkten Benfica-Equipe, 1966 den dritten WM-Rang. Guttmann erntete die Früchte des Aufbaus, erwies sich auch als genialer Stratege, der es vermied, die Kreativität seiner Angreifer in taktische Fesseln zu zwingen. Unter Jimmy Hagan erlebte Benfica in den siebziger Jahren eine Renaissance; Sven-Göran Eriksson (1981 bis 87 und 1989 bis 92) ist als letzter Trainer von Weltformat in die Annalen eingegangen.“
Daniel Theweleit (FR 28.2.) hofft auf die Rückkehr des SV Wuppertal in den Profifußball: „Es regnet oft in Wuppertal. Metall rostet vor sich hin, die Träger der Schwebebahn ebenso wie die Rohre des Bayer-Chemie-Werks an den Ufern der Wupper. Wer mit der Schwebebahn Richtung Südosten fährt, passiert kurz hinter der Innenstadt ein großes Industriegebiet und gelangt zum Stadion am Zoo. Auch hier mischen sich mühsam konservierter Glanz und von der Witterung angenagtes Material. Eine prunkvoll restaurierte Haupttribüne mit einer Fassade im Kolonialstil verdeckt die vermoosten und aus der Balance geratenen Betonstufen der Stehtribünen, die sich in den Hang am Rande des engen Tals schmiegen. Doch dieser Ort birgt die große Hoffnung auf neuen Glanz. Hier spielt der Wuppertaler SV. Der WSV ist das beherrschende Thema der Stadt, sagt Georg Kreß, der Trainer des Traditionsclubs, der zwischen 1972 und 1975 in der Bundesliga spielte und 1973 sogar den Uefa-Cup erreichte. Nun führen die Wuppertaler als Aufsteiger die Tabelle der Regionalliga Nord an, die heute ihre Winterpause beendet. Die Leute leben immer noch mit den Ansprüchen aus der Erfolgszeit in den 70ern, das hat hier viel verhindert in der Vergangenheit, sagt Kreß, der selbst Teil der merkwürdigen Mixtur dieser Stadt ist. Gerade mal 41 Jahre alt, führte er den WSV gemeinsam mit Manager Thomas Richter, ebenfalls 41, zu lange vermissten Erfolgen. Trotz des mit 1,6 Millionen Euro vergleichsweise bescheidenen Etats hat der Club sieben Punkte Vorsprung auf einen Nichtaufstiegsplatz und beste Aussichten auf den Sprung in Liga zwei. Der jungen Führung steht dabei ein in die Jahre gekommenes Team zur Verfügung. Zehn Spieler sind über 30. Jugendlich wirkende Verantwortliche und alternde Spieler: Das ist das Erfolgsrezept des Wuppertaler Fußballs – eine Mischung, die indes auch seltsame Blüten treibt. Im kargen Büro, das sich Trainer und Manager teilen, befinden sich zwei Tische, drei Stühle, zwei Aschenbecher und zwei Telefone. Es wird viel geraucht, Kaffee getrunken, und es werden alberne Witze gerissen. Wäre da nicht der ältere Herr im Vorzimmer, der die Stellung in der Geschäftsstelle hält, könnte man sich glatt in der Schaltzentrale einer Studentenvertretung wähnen.“