Ballschrank
Bitte keine Ironie, das verstehen die Leute hier nicht
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| Donnerstag, 25. März 2004
Volker Weidemann (FAZ 9.5.) besuchte eine Pressekonferenz Stefan Effenbergs. „Die Versuche des Verlegers, seinen Neu-Autor als guten Menschen zu präsentieren sind der peinlichste Moment des Tages. Lesen Sie es. Und jeder, der es gelesen hat, wird sehen, in diesem Mann steckt ein weicher Kern. Es ist ein etwas lächerlicher, etwas hilfloser Moment. Natürlich weiß auch Lunkewitz, daß das Buch ein Erfolg ist, weil es verspricht, eine Art Bibel des Bösen zu sein. Eine rücksichtslose Abrechnung mit allem und jedem. Ohne Respekt. Ohne Angst. Doch wer einerseits mit dem mitleidlos Bösen Geld machen möchte und auf der anderen Seite noch auf der moralisch richtigen Seite stehen will und seinen Autor als guten Menschen präsentiert, der bekommt früher oder später ein Problem. Und so mußte es wohl zu diesem einen entlarvenden Moment kommen, als Stefan Effenberg angab, als einziges Buch der Weltliteratur das Tagebuch Adolf Hitlers gelesen zu haben. Der Moment, in dem das Bündnis aus dem Willen zur Provokation und geistiger Schlichtheit sich offenbart. Bernd Lunkewitz saugt da immer nervöser an seiner Zigarre, kommt später ganz von selbst auf das Thema zurück, wohl wissend, daß da eigentlich nichts mehr zu retten ist und erklärt: Ich habe Stefan vorher extra noch gesagt, er soll nicht ironisch sein. Bitte keine Ironie, das verstehen die Leute hier nicht. Doch die Leute hatten es schon verstanden. Besser als dem Verleger in diesem Augenblick lieb war.“
Prolliges Umkleidekabinendeutsch
Christian Ewers (FTD 9.5.). “Vernichtende Besprechungen hatte Effenberg lesen müssen, sein Buch wurde zerfetzt, bevor es auf dem Ladentisch lag. Die Schelte hat den ehemaligen Kapitän des FC Bayern nicht beeindruckt: „Wir leben in einer Demokratie“, sagte Effenberg, „jeder darf seine Meinung äußern. Ich kann niemandem etwas verbieten.“ Mit dieser Einstellung, dass jeder alles sagen darf, hat Effenberg offensichtlich sein Buch verfasst. „Ich hab’s allen gezeigt“ liest sich wie das ungefilterte Protokoll einer endlosen Stammtischgeschichte. Der Protagonist säuft viel, kotzt in Kloschüsseln und erobert im Vollrausch nebenbei noch Frauen. Die Kapitel des Buches tragen Titel wie „Einmal blasen, bitte“, „Eine teure Verarschung“ und „Bekloppt vor dem Fernseher“. Es ist ein Leichtes, die Effenberg-Biografie zu verreißen. Jede Seite liefert ein Dutzend Steilvorlagen, man muss gar nicht inhaltlich werden, allein das prollige Umkleidekabinendeutsch bietet ausreichend Angriffsfläche. Es gibt dennoch eine Lesart, die Gewinn bringend sein kann. Ein, zwei Kapitel Lektüre genügen, und man hat eine Vorstellung, wie die Lebens- und Gedankenwelt eines der ehemals besten Fußballer Europas aussieht. Diese Welt ist ziemlich klein, weil sie Ego-Welt ist und nur Platz für Effenberg hat. Aber so scheint Hochleistungssport zu funktionieren: Da ist der unerschütterliche Glaube an die eigene Heldenhaftigkeit – und sonst nicht viel. Von diesem Glauben ist Effenberg noch immer beseelt, obwohl sein Marktwert tief gesunken ist.“
(7.5.)
Kickender Sozialdarwinist
Bernd Dörries (SZ 6.5.) hält nicht viel von Stefan Effenbergs Ergüssen. „In Bild schreibt er, dass er durchaus nicht gegen die Todesstrafe sei, wenn es um Kinderschändung geht. Und dass man Arbeitslosen doch bitte das Geld streichen sollte, und überhaupt, dass es mit Deutschland und der Regierung so nicht weiter gehe. Stefan Effenberg, 34, Profifußballer in der vorletzten Spielminute seiner Karriere, ist unter die Autoren gegangen: Seit zwei Wochen nun druckt Bild Auszüge aus der in dieser Woche offiziell erscheinenden Autobiografie Ich hab‘s allen gezeigt des kickenden Sozialdarwinisten – 320 Seiten geschriebenes „Ich sach ma“. Weil der Proll-Faktor bei Effenberg hoch ist, schreckten Verlage wie Random House oder Ullstein diesmal zurück; dabei stürzen sie sich sonst auf solche Werke, etwa die Selbst-Enthüllungen eines Dieter Bohlen. So kam der Berliner Aufbau-Verlag zum Zug, ein bisher angesehener Vertreter einer kränkelnden Branche; hier erscheint etwa Bertolt Brecht. Nun schreibt hier Effenberg im Bewusstsein, „dass Millionen mit mir einer Meinung sind“. Und man hofft, dass dem nicht so ist.“
(5.5.)
Wer Effenberg gelesen hat, der wird in Verona Feldbusch eine charmante Abgesandte des Bürgertums sehen
Nach der Lektüre von Effenbergs Werk ist Claudius Seidl (FAS 4.5.) entsetzt. „Der ehemalige Fußballer Stefan Effenberg hat etwas getan, was man wohl, allen inneren Widerständen zum Trotz, schreiben nennen muß, ein ganzes Buch mit dem Titel Ich hab’s allen gezeigt, Bild druckt vorab, die Konkurrenz zitiert – und schon nach unserer ersten Woche mit Effenbergs Prosa stellt sich die Frage, ob es tatsächlich, wann immer man glaubt, den absoluten Tiefpunkt gesehen zu haben, noch ein bißchen tiefer, schmutziger, gemeiner geht. Effenberg jedenfalls ist ganz weit unten – in den Vereinigten Staaten würde man Schauplatz und Personal seines Buchs als White Trash bezeichnen. Er schreibt über Sex (mit der Frau eines ehemaligen Mannschaftskameraden), über Drogen und deren Folgen (…mußte erst mal auf die Toilette und ordentlich über der Kloschüssel abhängen, um zu kotzen), über Leute und was er von ihnen hält (Verpisser) – und die einzige halbwegs angenehme Wirkung dieser Prosa ist die: Die jüngere Vergangenheit der deutschen Trash-Kultur erscheint auf einmal in einem milderen Licht. Wer Effenberg gelesen hat, der wird in Verona Feldbusch eine charmante Abgesandte des Bürgertums sehen (…) Stefan Effenbergs Prosa wirft nicht nur ästhetische, sondern vor allem auch moralische Fragen auf. Es gibt da eine Passage, die müßte man, um die Probleme wirklich deutlich zu machen, eigentlich wörtlich zitieren; und andererseits möchte man sie, noch während man die Sätze liest, am liebsten schon wieder vergessen haben. Es geht darin um einen bösen Morgen im Leben des Fußballers, um den Tag, an dem er in seiner Einfahrt einen Penner liegen sah, einen Mann, der in seinem eigenen Schmutz lag, mit blutverschmiertem Gesicht, einen Menschen, also, dem es an jenem Morgen offenbar sehr schlecht ging. Effenberg allerdings sieht weniger die Kreatur als seinen eigenen Ekel, den er ausführlich beschreibt, und das einzige, was ihm leid tut, sind die Sohlen seiner Schuhe, mit denen er den Mann berührt, um ihn aufzuwecken. Offenbar wissen Effenberg und seine Ghostwriter nicht, was sie da tun – sonst hätte ihnen doch, was die Ästhetik der Szene angeht, auffallen müssen, daß die Begriffe, die armseligen Sätze und die Gossenwörter, mit denen hier hantiert wird, noch fürchterlicher stinken als der Mann, den sie beschreiben wollen: daß also ein durchschnittlich sensibler Leser sich eher vor Effenberg als vor dem armen Penner ekeln wird. Was die Moral angeht, war wohl nichts anderes zu erwarten von diesem Mann – das Bestürzende an dieser Passage ist nicht bloß der Umstand, daß da einem Mannschaftsspieler solche Gefühle wie Mitleid und Erbarmen offenbar völlig unbekannt sind: Beunruhigend ist vor allem, daß der Mann sich traut, seine eigene Verkommenheit so lautstark zu bekennen. Wenn das die Emanzipation der unteren Schichten ist, dann wünscht man sich ganz dringend eine Elite zurück, welche über genügend Autorität verfügte, einen wie Effenberg, wenn schon nicht zur Scham, dann wenigstens zum Schweigen zu bringen. In dieser Hinsicht ist Effenbergs Text jedenfalls mehr als bloß das Selbstzeugnis eines besonders unangenehmen Zeitgenossen: Dieter Bohlen forderte moralische Autoritäten noch heraus. Stefan Effenberg weiß überhaupt nichts mehr von deren Existenz. Und offenbar ist er nicht der einzige. Man darf nicht traurig werden über der Lektüre und auch nicht pessimistisch. Man muß solche Typen bekämpfen.“
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