Ballschrank
Italienische Reaktionen
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| Donnerstag, 25. März 2004Pressestimmen zum Spiel Japan-Türkei (0:1)
Pressestimmen zum Tode Fritz Walters
„In breiterer kontinentaler Zusammensetzung als je zuvor“ (NZZ) tritt man in die Turnierphase der letzten Acht. Zum ersten mal in der 72-jährigen WM-Geschichte wird ein Viertelfinale ausgetragen, in dem fünf der sechs Konföderationen (alle außer Ozeanien) vertreten sind, woraus ein „schön koloriertes Bild“ (NZZ) resultiert. „Europas Vorherrschaft bröckelt“ (NZZ).
Die Italiener trifft es doppelt hart. Zum ersten müssen sie nach einer hochdramatischen 1:2-Niederlage gegen Gastgeber Südkorea die Heimreise antreten, nach dem ihnen in der Verlängerung erneut ein Treffer wegen angeblicher Abseitsstellung verwehrt wurde – zum vierten Mal während des Turnierverlaufs. Dementsprechend heftig fallen die Reaktionen im Land in Form von massiver Schiedsrichterkritik sowie Verschwörungstheorien aus. Nach Auffassung der NZZ ist der Ärger angesichts der „anhaltenden Benachteiligung der Italiener“ und einer „geballten Ladung Widerwärtigkeiten“ durchaus verständlich. Zum zweiten – das wird die Tiffosi gewiss weit weniger treffen – ist die Spielweise Italiens hierzulande oft einem einseitigen Urteil ausgesetzt, das ihm nicht oder nur zum Teil gerecht wird. Die Palette reicht von „zu routiniert und zu kühl“ bis zu „zynisches und pur defensiv“ (FAZ). Dabei wird freilich übersehen, dass die Squadra Azzura an zwei Matches beteiligt war, die als offener Schlagabtausch zu beschreiben und zweifellos zu den Highlights dieser WM zu zählen sind: das Vorrundenduell gegen Mexiko und eben jenes atemberaubende Achtelfinale gegen die Koreaner, in denen (auch) die Italiener zahlreiche Einschussmöglichkeiten besaßen und selbst noch in Unterzahl die Entscheidung suchten.
Felix Reidhaar (NZZ 19.6.) macht „Bestandsaufnahme“. „Der sensationelle Eröffnungssieg der Schwarzafrikaner gegen den Weltmeister, die verblüffenden Leistungen der Teams aus dem mittel- und nordamerikanischen Raum sowie der spritzig-frische Elan der Mannschaften aus den beiden Gastgeberländern inspirierten die Veranstaltung. Ungleich mehr jedenfalls, als es viele der häufig genannten Favoriten in ihrem ermüdeten wie gesättigten Zustand offensichtlich imstande waren (…) Die Europäer wurden schmerzhaft gerupft und noch auf ein Quartett gestutzt. So wenige hatten sich letztmals 1970 in Mexiko für die Viertelfinals qualifiziert, an den Endrunden der letzten 20 Jahre rückten jeweils zwischen fünf und sieben (1998) in dieses Stadium vor und demonstrierten so ihren unbeeinträchtigten Führungsanspruch (…) Man kann das durchaus als sportpolitischen Triumph der seit einem Vierteljahrhundert anhaltenden Entwicklungsarbeit der Fifa bewerten; auf jeden Fall ist diese Ausgleichung Ausdruck der Globalisierung des Fußballspiels nun auch auf höchster Ebene. Ein Glück für diesen Sport, möchte man beifügen (…) Man kommt in einer Zwischenbilanz aber trotz dem erfreulichen Aufstand der Hungrigen gegen das Establishment nicht umhin, einen Schwachpunkt des World Cup anzutippen. Die Spielleitungen sind bedauerlicherweise – man muss diese Pauschalisierung wählen – nicht besser geworden.“
Zum Imagewandel der deutschen Elf bemerkt Ludger Schulze (SZ 19.6.). „Die Mannschaft, die zur WM nach Asien reiste, wurde chronisch unterschätzt. Beim Abflug nach Japan hätte man am liebsten jedem Einzelnen sanft über den Kopf gestreichelt und tröstende Worte zugesprochen: Keine Angst, Jungs, wird schon nicht so schlimm. Inzwischen ist wegen des unerwarteten Erfolgs aus dem Mitleid wieder das gewohnte Muster der Antipathie geworden.“
Deutschen Fußballstil beschreibt Christian Eichler (FAZ 19.6.). „Typisch deutsch, dieses verstaubte Attribut erlebt eine Renaissance bei dieser Weltmeisterschaft. Im internationalen Gebrauch definiert es sich so: als umgekehrte Proportionalität von Aufwand und Ertrag – schlechtes Spiel, gutes Fortkommen (…) Typisch deutsch, das wäre bei unvoreingenommenem Blick immer noch viel mehr als nur Ergebnisfußball: die Fähigkeit, sich nicht selber zu schlagen; die Disziplin, sich bei Rückschlägen nicht selber leid zu tun; die Technik, in einem Spiel aus Fehlern zu lernen und sie abzustellen. Vor allem aber die Kunst, viele Wege zu wissen, um ein Spiel zu gewinnen: nicht nur den glanzvollen, aber auch nicht nur den glanzlosen. Für all diese Talente steht Fritz Walter.“
Felix Reidhaar (NZZ 19.6.) über das Team USA. „Dem US-Team hatte man aus Distanz vielleicht zu Unrecht wenig zugetraut. Die Tatsache, dass aus infrastrukturellen und finanziellen Gründen ihre Landesmeisterschaft (MLS) während der WM weiterlaufen musste (teure Stadionmieten), bestärkte einen noch in dieser Ansicht. An ihrem Beispiel zeigt sich womöglich ähnlich gut wie an jenem der Ostasiaten, wozu eine lange, konsequente und ungestörte Vorbereitung im Vergleich mit dem Stahlbad europäischer Luxus-Dauerwettbewerbe gut sein konnte.“
Zum Verhältnis zwischen den beiden Gastgebernationen meint Thomas Kistner (SZ 19.6.). „Während Japan an der Türkei zerschellte, die bisher nirgendwo ernsthaft im Kalkül stand, zwang der Erzrivale Südkorea das (gar nicht so) große Italien in die Knie – und bleibt als letzter Vertreter Asiens im Turnier. Schlimmer kann der Gesichtsverlust wohl nicht sein am Ende eines Jahre langen Kalten Fußballkriegs, den die zwei verfeindeten Stämme seit dem Zuschlag für ihren Doppelevent ausgefochten haben. Mal sehen, wie bekömmlich diese Entwicklung dem Binnenklima in den Gastgeberländern ist. Seit Beginn der WM wurde ja mit wachsender Irritation registriert, dass sich hier in den Straßen und Stadien gern ganz besondere patriotische Energien entladen. Und die Fifa selbst schloss vorsorglich über die Setzliste aus, dass beide Teams vorm Finale aufeinander treffen könnten – also gar nicht, die stille politische Vorgabe ließ sich leicht erfüllen.“
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