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Broadway-Star in der Provinz

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Broadway-Star in der Provinz

Klaus Brinkbäumer (Spiegel 1994) stellt den neuen Bayern-Trainer vor: „Zwei stämmige Herren vom Sicherheitsdienst, die Giovanni Trapattoni durch die dichten Reihen Freiburger Fans zum Bus bringen, halten den Trainer fest, als führten sie ihn zum Galgen. Ein Betrunkener zupft an seinem Jackett. Andere rufen hämisch benefatto, signore (gut gemacht). So werden Missionare behandelt, deren Lehre nicht verfängt. Im Hotel versucht der FC Bayern München wenig später ohne seinen italienischen Trainer, jene 1:5-Niederlage zu verstehen, die gerade über den Deutschen Meister hereingebrochen ist. Die Profis diskutieren mit dem Busfahrer. Manager Uli Hoeneß balanciert einen Schuh auf den nackten Zehen und erregt sich über unsere angeblichen Nationalspieler. Trapattoni ist auf sein Zimmer gegangen und hat sich die Krawatte abgenommen. Spielt seine Mannschaft nicht richtigen Fußball, sieht er ihn sich eben im Fernsehen an, hintereinander auf allen Kanälen. Calcio, sagt der Trainer so verklärt, wie ein Kind Eis schleckt: Calcio ist Liebe, Calcio ist Leben. Aber in München, beim FC Bayern, da ist Fußball derzeit auch ein wenig wie Sterben. Die meisten Bundesligatrainer haben sein Team zum Favoriten erklärt, aber dann verliert es fast alle wichtigen Testspiele, fliegt gegen Amateure aus dem DFB-Pokal, stochert gegen Aufsteiger Bochum lustlos zum Sieg und läßt sich in Freiburg vorführen. Trapattoni, 55, ist ein Fan. Er hat ein romantisches Verhältnis zu dem Spiel, das ihn nach eigenem Verständnis vom Sohn eines Bauern zum Weltbürger machte. Jeder einzelnen partita scheint er dafür zu danken; Stunden vor jedem Anpfiff macht er sich fein wie zum Kirchgang. Nun soll er erklären, warum die Mannschaft, die ohne ihn Deutscher Meister wurde, mit ihm ständig verliert. Trapattoni zittert ein wenig, schüttet Kondensmilch über den Tisch und stürzt den Kaffee in einem Zug hinab. Schnell nimmt er Haltung an. Die Gefahr, entlassen zu werden, sagt er schon wieder spöttisch, sehe er nicht. Dieser Verein habe schließlich auf ihn gewartet. Die Bayern, das läßt er jeden spüren, haben ihn doch verpflichtet, weil sie einen der Größten, einen aus der Kategorie der Franz Beckenbauer oder Johan Cruyff wollten. Führt nicht er diese Elite sogar an, weil er mehr Titel als alle anderen Trainer gewann, 16 oder 17? Und nun soll alles nur ein Irrtum sein? Wie ein kleiner Bruder der CSU glaubt der FC Bayern, die Nation ständig von der eigenen Größe überzeugen zu müssen. Bislang hielt Präsident Fritz Scherer dann eine Rede, in der er, bajuwarisch zünftig, die Gegner niedermachte. Und schon hatte der alte Oanszwoa-gsuffa-Stallgeruch die Führung, wie Hoeneß die Funktionäre gern nennt, wieder eingeholt. Darum suchten die Bayern für die Trainerbank eine Art Richard von Weizsäcker des Fußballs, eine Figur, einen Typ, einen Namen, so Hoeneß. Trapattoni, glaubten die Chefs, sei schon da, wo der FC Bayern hinwill – er würde den Verein zwischen Mailand und Madrid gesellschaftsfähig machen. Der Neue, der aus dem gelobten Land des Vereinsfußballs kam, sollte der komplette Trainer für komplizierte Zeiten sein: italienisch und erfolgreich, kompetent und kommunikativ. Er sei, wurde der Mannschaft eingetrichtert, sogar der bessere Beckenbauer. Der Vorgänger, nahezu magisch und mystisch, war seltsam ungreifbar; Trapattoni hingegen hat sich seine Pokale erarbeitet. Solche Siege, sagten sich die Bayern, seien noch echte Produkte und damit wertvoller. Dann überrascht der Trainer in den ersten Münchner Wochen seine Spieler damit, daß sie nur eine Viertelstunde üben würden. Aber kaum hat er das Tonband abgehört, auf dem er während des Trainings die vielen Fehler der Profis speichert, da müssen sie doch wieder zweieinhalb Stunden am Stück arbeiten. Auch die kleinen Machtkämpfe besteht er. Findet Kapitän Lothar Matthäus es irgendwann langweilig, wie ein Handballspieler Körpertäuschungen zu proben, ordnet der Libero kurzentschlossen etwas Spaß und ein Elfmeterschießen an. Trapattoni aber bellt drei Nachwuchsprofis zu sich, stellt, als wäre er der letzte Zampano, den rechten Fuß auf einen Ball und läßt weiterüben: Immer Pressing, bum, bum! Und als er in der Nacht darauf Matthäus beim Small talk in der Hotelbar erwischt, schnellt zweimal der Daumen über die Schulter in Richtung Ausgang. Ruck, zuck, feixt Hoeneß, war der Lothar im Bett. So ist jeder Befehl, jede Übung immer auch populistisch: Endlich, murmeln Zaungäste, würden die Wohlstandsjünglinge wieder lernen, was deutsche Wertarbeit ist – und sei es von einem Ausländer. Den direkten Kontakt zwischen Fan und Fußballer hat der FC Bayern weitgehend abgeschafft. Der Trainingsplatz ist eingezäunt; Kommunikation findet über die Medien statt, und das, sagt Giovanni Trapattoni, kann ich. Da funktioniert er, weil er verstanden hat, daß die Glitzerwelt Profifußball nach immer neuen Begriffen giert, die mehr aus dem Ballspiel machen: plakativ, originell, schlicht. Wie programmiert liefert Trapattoni die Bilder. Mal ist Fußball polyphone Musik und Bayern wie Bach. Doch kaum heißt der Coach Don Giovanni (Abendzeitung), erklärt er das Spiel bereits zur Wissenschaft. Reportern, die er schon kennt, stärkt er das Ego, indem er sie in großer Runde mit einem Augenzwinkern grüßt. Während der Antworten zieht Trapattoni Mund und Nase hoch, als sollten sie durch die Augen verschwinden: Sehr, sehr ernst, heißt das, nimmt er jede Frage. Seine Taktik erläutert er, indem er Glas, Flasche und Kronkorken über den Tisch schiebt. Ähnlich wie sich etwa der Kollege Dragoslav Stepanovic als cleverer Kauz, eine Art Einstein von Leverkusen, stilisiert, spielt auch Trapattoni eine Rolle. Er gibt den Guru, den die Branche seit Beckenbauers Abgang vermißt hatte. Was im deutschen Fußball faul ist? Taktische Defizite heißt die Diagnose, die prophylaktisch schon vor seiner Ankunft verbreitet wird; Disziplin Trapattonis Therapie. Beinahe jeder Trainer im Land spricht auch die banalsten Weisheiten nach, als sei endlich der Coach gefunden, der das ewig ungelöste Rätsel des Fußballs entschlüsseln kann und den Sieg garantiert. Vorab steht der Broadway-Star in der Provinz (Bremens Manager Willi Lemke) damit als Gesamtbester praktisch fest. Seine drei Maßanzüge, die er pro Spieltag für Trainerbank, Pressekonferenz und Fernsehinterview braucht, darf der Italiener siegesgewiß, wie immer neue Gelbe Trikots, tragen. Trapattoni tritt als personifizierter Gesamtverein auf. Mal plaudert er charmant vor sich hin wie der höchste Mann im Klub, so daß der neben ihm leise vor sich hin schmatzende Präsident Scherer langsam zu entschwinden scheint. Mal sieht er den modernen Trainer als technischen Geschäftsführer, dessen erste Aufgabe es sei, daß die Spieler am Ende einer Saison mehr wert sind als am Anfang – gerade so, als könne nun Hoeneß in Rente gehen. Dann wieder steht er in kurzen Hosen auf dem Platz und kickt mit. Doch fordert er den Bayern-Spielmacher Mehmet Scholl auf, bei ihm einen Beinschuß zu versuchen, traut der sich nicht recht. Da war Roberto Baggio, damals bei Juventus Turin, ganz anders.

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