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Agonie der Größe

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Agonie der Größe

Christoph Biermann (taz) erklärt den Abschwung Borussia Dortmunds mit dem Wirken des Präsidenten Gerd Niebaum – “Mit Fremdgeld klotzen, bis der Jackpot kommt” (SZ): die Schuldenstrategie Schalkes – DFL kontrolliert strenger u.a.

Agonie der Größe

Sehr lesenswert! Christoph Biermann (taz 22.1.) erörtert den Einfluss Gerd Niebaums auf den Werdegang Borussia Dortmunds: „Zwischenzeitlich erschien mir Gerd Niebaum wie der ideale Vorsitzende eines Fußballklubs. Er gab ein schlüssiges Bild ab, vor einer Bücherwand voller Gesetzestexte und deren Interpretationen in seiner Kanzlei nahe dem Ruhrschnellweg. Das suggerierte Solidität, während seine schwärmerischen Worte ein tiefes Verständnis von Fußball, auf jeden Fall aber von Borussia Dortmund nahe legten. Niebaum ist Jurist, hat aber das sprachliche Geschick eines Werbetexters, der Zusammenhänge in einem griffigen Claim zusammenfassen kann. Von ihm stammt etwa die Formulierung, dass Borussia Dortmund in Steine und Beine investieren müsse. Besonders in Erinnerung ist mir aber eine andere Bemerkung geblieben, die wie die Grundidee seiner Vereinsführung klang: Zukunft braucht Herkunft. Das klingt inzwischen vor allem nach einem der lauen Leitsätze, wie man sie aus Grundsatzentschließungen von CDU-Parteitagen kennt, doch vor mehr als zehn Jahren hatte das im Zusammenhang mit Fußball einen besonderen Reiz (…) Der Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1995 war zwar ein großer romantischer Moment, hatte aber mit großen Investitionen für Möller, für Poulsen, Herrlich oder Reuter zu tun. Zwei Jahre später gewann die nun komplettierte Ägide der Italienheimkehrer um Sammer und Kohler die Champions League. Geld hatte eben doch Tore geschossen. Doch gerade dieser Abend des größten Triumphs bereitete ein langes Ende vor, das sich derzeit zu vollziehen scheint. Ottmar Hitzfeld war nach dem Triumph über Juventus Turin schon ein trauriger Mann. Aufgerieben durch schleichende Konflikte mit dem Präsidenten, saß er im Münchner Olympiastadion auf dem Podium und hatte Tränen in den Augen. Anschließend lobte Niebaum ihn zum Sportdirektor weg. Doch es war nicht diese Personalie allein, denn Ikarus Niebaum begann seinen Flug zur Sonne mit Fremdvermarktung, Börsengang und Stadionausbau. Borussia Dortmund wurde dabei jedoch zunehmend ein hässlicher Klub. Aus der Ferne wehten zwar immer noch die Sätze von einst heran und beschworen das alte Borussia-Gefühl, doch der Klub, der so unbedingt mit dem FC Bayern mithalten wollte, wurde vor allem zu einer Geldmaschine. Wichtiger als die vermeintliche oder wirkliche Misswirtschaft waren dabei Details. Ob das nun ein Fußballbilder-Sammelalbum ist, in dem das Logo und das Stadion der Borussia nicht abgebildet werden dürfen, weil der Klub dafür extra kassieren wollte. Oder sei es der Versuch, bei den Fans für den Besuch der Homepage zu kassieren. Borussia Dortmund hatte früher auch deshalb Soul, weil Niebaum ein großer Gospelsänger war. Was immer aus diesem Talent geworden ist, geblieben ist nur noch schwarz-gelber Stadionrock und Agonie der Größe.“

Manager und Präsident reden den Kranken gesund

Frank Hellmann (FR 20.1.) fügt hinzu: „Das Schlimme in diesem akuten Stadium: Manager und Präsident reden den Kranken gesund anstatt die überfällige Radikalkur zu veranlassen. Das würde heißen: runter mit den Gehältern, kickende Angestellte am sportlichen Risiko beteiligen. Das Dortmunder Dilemma steht beispielhaft für eine Branche, die über ihre Verhältnisse und in einer Scheinwelt lebt. Und deren Weichensteller, so lange Zuschauer in Scharen strömen, allerorten Kameras surren, jedes Tor aus einem Testspiel irgendwo live über die Mattscheibe flimmert, nicht wahrhaben wollen, wie tief Tagträumer unbegrenzten Wachstums fallen können. Sie sollten mal an der Börse fragen.“

Mit Fremdgeld klotzen, bis der Jackpot kommt

Thomas Kistner (SZ 21.1.) kommentiert die Schuldenpolitik Schalkes: „Die Liga wundert sich über die Scheckheft-Offensive aus dem Revier. Dass alles, was Rang und Namen hat, plötzlich locker erschwinglich wird für Schalke, dürfte den üblichen Dementis zum Trotz mit jener Anleihe zusammenhängen, die der Klub 2003 mit dem Londoner Investor Stephen Schechter getätigt hat. Die Schalker traten der Schechter Co ihre Zuschauereinnahmen bis 2027 ab und erhielten dafür um die 85 Millionen Euro. Ein Frischgeld-Modell, das nun auch die in Nöte geratenen Dortmunder fasziniert. Der Trend ist so unselig wie unübersehbar: Kirch-Crash und sinkende TV-Einkünfte diktieren den Profiklubs engere Gehaltsrahmen; wenn dann wie in Dortmund und Schalke der sportliche Erfolg und die internationalen Erwerbsmöglichkeiten ausbleiben, gerät rasch die Bilanz aus den Fugen. Sparen, wie einst in Stuttgart geübt, wäre die eine Variante – die Zukunft des Vereins zu verpfänden, ist eine andere. So wird flugs die aktuelle Schieflage bereinigt und der Fan beruhigt – den Rest muss der liebe Gott richten. Zu Risiken und Nebenwirkungen seines Pfandmodells gab Stephen Schechter bereits Auskunft: „Ich stelle den Klubs diese Anleihe nicht als schöne Frau mit tiefem Dekolletee vor, sondern als die Frau, die am Morgen danach ohne Make-up im Bett liegt. Und zwar lange Zeit jeden Morgen.“ Doch bis sich Frau Schechter als jener Drachen entpuppt, der über die Jahre alles verschlungen hat, werden die Väter des famosen Modells in Rente sein – zumindest diese stille Rechnung dürfte aufgehen. Sie passt nur perfekt ins Gesamtwirtschaftsbild: Mit Fremdgeld klotzen, bis der Jackpot kommt – oder halt der Insolvenzverwalter.“

Die FAZ (21.1.) berichtet die neue Strenge der DFL: „Die Zentrale des deutschen Profifußballs erhält in der kommenden Woche hohen Besuch. Die Vertreter von Borussia Dortmund machen der DFL in Frankfurt ihre Aufwartung – allerdings nicht ganz freiwillig. Denn nach den besorgniserregenden Berichten über eine Finanzkrise des westfälischen Vorzeigeklubs begnügt sich die DFL nicht mehr allein mit schönen Reden der Dortmunder Führungskräfte. Die DFL verlangt Fakten von der Borussia Dortmund GmbH Co KGaA. Wir haben die Dortmunder zu einem Gespräch gebeten, weil wir Antworten auf einige Fragen brauchen, sagt Christian Müller, zuständiger DFL-Geschäftsführer für Finanzen. Wir müssen uns einige Vorgänge anschauen, erläutert Müller, nachdem er wohl in diesen Tagen die Lizenzierungsunterlagen der Borussia aus dem Schrank geholt und sich das Zahlenwerk noch einmal ganz genau zu Gemüte geführt hat. Doch Panikstimmung in Sachen Borussia Dortmund will die DFL partout vermeiden. Wir können ruhig schlafen wegen Dortmund, sagt Müller – und dies noch bevor der einzige börsennotierte Verein der Bundesliga bei der Liga vorstellig wurde. Obwohl die Liga in der Vorsaison mit dem Finanzgebaren des 1. FC Kaiserslautern sehr schlechte Erfahrungen gemacht hat (die zum Abzug von drei Punkten führte), gibt Müller in dieser Richtung vorab schon Entwarnung: Man kann Kaiserslautern und Dortmund nicht in einem Atemzug nennen und diesbezüglich nicht vergleichen. In die Kritik geraten angesichts der vermeintlichen Schieflage des nach dem FC Bayern München größten und mächtigsten Klubs des Landes bei der DFL vielmehr die Banken. Ich finde es eine bemerkenswerte Entwicklung, daß sich immer mehr Bankvertreter zur wirtschaftlichen Lage von Wirtschaftsunternehmen äußern – auch in der Bundesliga. Das Bankgeheimnis wird aufgeweicht, sagt Müller. Tatsächlich jedoch haben sich im Fall von Borussia Dortmund zuletzt nur Aktienanalysten kritisch zu Wort gemeldet – ganz wie es ihrer Aufgabe entspricht. Trotzdem sagt Müller: Analysten, die die Entwicklung einer Aktie vorhersagen wollen, bewirken mit ihren Aussagen vielleicht ungewollt eine Beeinträchtigung des Kreditspielraums. Das erinnert an Breuer und Kirch.“

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