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Die Akte Wildmoser

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Die Akte Wildmoser

Die Akte Wildmoser – Leicester Citys Spieler üben sexuelle Gewalt aus – die Biografien Ottmar Hitzfelds, David Beckhams und Marcel Reifs im Vergleich (SZ)

Detlef Dreßlein (FTD 12.3.) hält uns in der Sache Wildmoser auf dem Laufenden: „Es sind die Schlagzeilen, die bewegen. „Wecken um 6.45 Uhr. Zum Mittagessen gibt es Nudelsuppe“. So berichtet die „Bild“ über den prominentesten Knacki Münchens: Karl-Heinz Wildmoser, Großgastronom und Präsident des TSV 1860. Noch immer sitzt er in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim. Die letzte Nacht war seine dritte in Unfreiheit. Der Hauptbeschuldigte an dem Schmiergeldskandal, der München seit Dienstag aufrührt, ist aber Wildmosers Sohn Karl-Heinz Junior, genannt Heinzi. Er gestand, zwei Mio. Euro bekommen zu haben, beteuerte aber, der Vater habe von den Zahlungen nichts gewusst und auch nichts wissen dürfen. Das kann sich Staatsanwalt Schmidt-Sommerfeld jedoch nicht vorstellen: „Es widerspricht aller Lebenserfahrung, dass ein verwandtschaftlich und geschäftlich so eng verbundenes Duo so wichtige Dinge vom jeweils anderen nicht weiß.“ Dass der Junior sich selbst belaste, heiße nicht, „dass der Senior frei von Schuld ist“. Und: „Auch beim Junior können wir nicht davon ausgehen, dass wir ein vollständiges Geständnis haben.“ Karl-Heinz Wildmoser Senior hielt als Patriarch stets alle Fäden beim TSV 1860 in der Hand. Nur seinen Sohn Heinzi ließ er an der Macht teilhaben. Der Abnabelungsprozess hat in der Familie Wildmoser nicht stattgefunden, die Vater-Sohn-Beziehung gilt als symbiotisch.“

Jens Weinreich (BLZ 12.3.) ergänzt: „Wenig hilfreich ist es, Fälle von Korruption im deutschen Sportbusiness als Einzelphänomene zu beschreiben. Diese kurzsichtige Betrachtungsweise ähnelt der altertümlich-unrealistischen Betrachtung des Dopingproblems, das in weiten Kreisen der Sportbranche immer noch als von bösen, fremden Mächten gesteuertes Etwas verstanden wird. Weil man sich davor fürchtet zuzugeben, dass Doping immanenter Bestandteil eines Systems ist. Oder weil man die Zusammenhänge nicht begreift. Im Vergleich zu Politik und Wirtschaft, wo man den Entscheidungsträgern nahezu jede Sauerei zutraut, stand der Sport in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit vergleichsweise sauber da, sagt der Sportphilosoph Gunter Gebauer, Professor an der Freien Universität Berlin. Es gibt in diesem Land einen unglaublichen Willen, über Regelverstöße von Sportlern und Funktionären hinwegzusehen. Es ist frappierend, wie sehr man da bereit ist zu verzeihen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass hier weitgehend die Kritik versagt hat. Dabei muss man nur die Augen öffnen, analysieren und mit gesundem Menschenverstand folgern, dass die Korruption ebenso ein fest zementierter Bestandteil des Wirtschaftssystems Sport geworden ist wie das Doping. Bisher wurde ja nur in Leipzig und München, in zwei von zwölf Stadien für die WM 2006, ein bisschen nachgeschaut, und – hoppla – schon sind zwei veritable Skandälchen öffentlich, die sich nur in der Höhe der unrechtmäßig verteilten Summen und in der Prominenz der Beteiligten unterscheiden. In Leipzig droht daran die in langjähriger Landschaftspflege aufgepäppelte unsäglich große Koalition im Rathaus zu zerbersten, der quasi alle Fraktionen angehören – zum Schaden der öffentlichen Kontrollmöglichkeiten. In München könnten einer oder mehrere Verantwortliche ins Gefängnis marschieren.“

Jürgen Berger (SZ 10.3.) meldet sich aus dem Parkett: „Der Ball wird auch im Juni rund sein. Schon während der Europameisterschaft wird es für die Nation um jenes Ganze gehen, das der Kanzler anlässlich des filmischen ¸¸Wunders von Bern beschworen hat. Bekommen die das nicht manierlich hin, kann es mit dem ganz großen Ganzen am 9. Juli und 22. September 2006 auch nichts werden. Ob Endspiel oder Bundestagswahl: Völler, Schröder und die Spitzen der deutschen Wirtschaft haben in den nächsten Monaten Gewichtiges zu stemmen. Immerhin geht es wie 1954 um die Möglichkeit eines Wirtschaftswunders. In solch einer Situation ist es misslich, wenn man zwar Völler heißt, aber nie aus dem Vollen schöpfen kann. Und es ist fatal, dass dem deutschen Fußball irgendwo zwischen Bern und Yokohama die preußischen Sekundärtugenden abhanden gekommen sind. Ob die jemals wieder zurückkehren, ist eine jener Fragen, um die sich auch das deutsche Theater kümmern sollte, will es sich nicht weiter ins selbstverschuldete gesellschaftliche Aus manövrieren. In Jena war es nun so weit. Mit Marc Beckers ¸Wir im Finale kam das erste Stück zur Uraufführung, das sich dem Spiel der Spiele im Jahr 2006 widmet. Zugegeben, es muss nicht unbedingt dieses Spiel sein, das Becker sich da vornimmt. Die Vorstellung allerdings, das Theater könne schon jetzt entscheiden, wie das Berliner WM-Finale ausgeht, ist denn doch zu verlockend. Um also sofort den größten Druck raus zu nehmen, sei verraten, dass Deutschland im Endspiel stehen wird. Ein halbes Jahrhundert nach Bern ist der Gegner aber natürlich nicht Ungarn, sondern jenes Brasilien, das 1954 von den Ungarn mit 4:2 aus dem Wettbewerb gekickt wurde. Heute ist Brasilien so unbesiegbar wie sein Elend, so dass man angesichts von Marc Beckers Mannschaftsaufstellung zuerst einmal ins Grübeln gerät. Als Abwehrriegel aufgeboten werden da Kühlmann, Fleischmann und Vissmann, was sich ja nicht unbedingt prickelnd anhört. Nach vorne hin allerdings und vor allem auf halb rechts tut sich dann doch was. Da tänzelt die Wühlmaus Kanulli, einer jener deutschen Flügelbrasilianer, die in der Regel türkischer Abstammung sind, und besorgt – nach einem schwindelerregenden Dribbling – das erlösende und psychologisch so ungemein wertvolle 2:2. Wir sind in der 56. Minute und das Spiel wird – so viel noch – kurz vor Schluss durch einen Elfmeter entschieden.“

Alex Rühle (SZ 10.3.) hat drei Biografien gelesen: „Aufstellung: Am Spielfeldrand des Madrider Bernabeu-Stadions wird steht das Lörracher Magengeschwür, die Hände tief vergraben in den Manteltaschen, den Mund verkniffen zum büroklammerdünnen Strich, der Mann, über den Marcel Reif bei einem Champions-League-Spiel einmal sagte: ¸¸Das Schweigen von Ottmar Hitzfeld wird lauter. Auf dem Feld aber wird der Held glänzen, die Sport- und Mode-Ikone, der einzige Fußballer weltweit, bei dem die Haartracht mindestens so wichtig sein dürfte wie sein Spiel. Als David Beckham im Champions-League-Hinspiel von Madrid gegen den FC Bayern in der 80. Minute sein Haarband abzog, rief Jörg Wontorra: ¸¸Beckham öffnet sein Haar! Das wird Real nach vorne bringen! Und hoch oben, irgendwo in den Sprecherkabinen, schwebt wieder Marcel Reif und besingt den Agon der Champions. In literarischer Hinsicht freilich ist die Schlacht schon geschlagen. Zufall oder nicht – alle drei haben kürzlich ihre Biographie herausgebracht. Ersatzspieler: Berti Vogts antwortete im ¸¸Aktuellen Sportstudio einmal auf die Frage, ob er jemals daran gedacht habe, seine Autobiographie zu schreiben: ¸Wenn ich mal ein Buch schreibe, dann schreibt das meine Frau. David Beckhams Biographie heißt zwar ¸Mein Leben, geschrieben aber hat sie der BBC-Journalist Tom Watt. Marcel Reif führte der Sportjournalist Christoph Biermann die Feder. Ottmar Hitzfeld hat als einziger von den dreien erst gar nicht so getan, als ob er seine Lebensgeschichte selbst verfasst hätte: Der Pfarrer Josef Hochstrasser hat das für ihn unter dem sachdienlichen Titel ¸Ottmar Hitzfeld – Die Biographie erledigt. Anpfiff: Reif beginnt mit einer ¸¸Fahrt ins Glück, Marcel als Fünfjähriger auf dem Weg zum ersten Fußballspiel: ¸¸Endlich darf ich vorn sitzen. ,Papa, schneller, bitte schneller! Die Sonne scheint, der Fahrtwind ist warm. Ich fliege die Häuser und die Bäume der Allee entlang. Es ist ein weiter Weg durch die Straßen von Warschau, aber mir kann nichts passieren: Vor mir ist der große Tank des Motorrads und hinter mir mein Vater. Hier bin ich sicher und endlich glücklich. Ein langer Pass von einer Warschauer Seitenstraße im Jahr 1954 auf den Flughafen von Madrid im Sommer 2003. Auch David Beckham ist in der ersten Szene seines Buches anscheinend glücklich. Zumindest ist er verkehrstechnisch auf der sicheren Seite: ¸¸Kaum war ich in die Limousine gestiegen, lösten sich alle Zweifel in Luft auf. Sechs Polizisten auf Motorrädern bildeten eine Traube um das Auto. Sehr gut! Mein Sohn Brooklyn war begeistert, mit Blaulichtern und Sirenen ist er selig. Wie in einer Szene aus ,French Connection schoben wir uns auf die Autobahn, es folgten rapide Spurwechsel, die restlichen Verkehrsteilnehmer mussten sehen, wie sie klarkamen. Noch ein Schnitt. Diesmal ins wintergraue Basel: ¸¸An einem kalten Dezembertag besteige ich am Barfüßerplatz die Straßenbahn Nr. 6. Sie führt mich stadtauswärts zur Schweizer Grenze. Ich passiere das Zollamt Stetten. Niemand will etwas von mir, also marschiere ich los. So nähert sich der geruhsame Schweizer Hochstrasser dem Objekt seiner Neugier, vielleicht weniger mondän als Beckham, aber immerhin bringt er dabei niemanden in Lebensgefahr. Die Eingangsszenen sind symptomatisch für die drei Bücher: Der Pfarrer in der Straßenbahn, dem Vehikel des Flaneurs; der glückliche Junge mit seinem Vater, man sieht die Szene in einer dieser Erich-Kästner-Verfilmungen vor sich, in denen einem der Wind durchs Herz weht; und dann, in Cinemascope und ohrenbetäubendem Dolby Surround die Action-Soap um den irrealen Real-Star.“

Besprochene Bücher:

David Beckham. Mein Leben. Random House, München, 2004. 448 Seiten, 60 Abbildungen, 22,90 Euro.

Marcel Reif. Aus spitzem Winkel. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2004. 256 Seiten, 18,90 Euro.

Josef Hochstrasser. Ottmar Hitzfeld. Die Biografie. Argon, Berlin 2003. 326 Seiten, 19,90 Euro.

Ein weiterer schwarzer Tag für Englands Fußball

Einige Spieler Leicester Citys werden verdächtigt, sexuelle Gewalt ausgeübt zu haben. Christoph Schwennicke (SZ 11.3.) recherchiert: „Wie immer diese Geschichte ausgehen mag: Ein Opfer steht schon fest. Es ist der englische Fußball und sein Ruf. ¸Shame ist das Schlüsselwort, das die britische Zeitungen bemühen, Schande. Erst waren es nur die Hooligans, jetzt sind es die Spieler selbst, die den Sport in Verruf bringen, ausgerechnet jenen Sport, den die Briten so leidenschaftlich lieben wie keinen anderen. Was ist passiert? Mitte vergangener Woche machte sich die Mannschaft des Erstligisten aus Leicester auf in ein Trainingslager im feinen südspanischen La Manga. Der Club, schwer im Abstiegstaumel, schickte seine Spieler und Trainer zur Selbstfindung in den sonnigen Süden. Kaum einen Tag nach Ankunft fanden sich drei Spieler in Sangonera La Verde wieder, dem Gefängnis in der Nähe von Murcia. Dort dürfen sich nun die hoch bezahlten Herren Frank Sinclair, Keith Gillespie und Paul Dickov seit einer Woche der Gesellschaft von Mördern und Drogendealern erfreuen, statt an der Costa Blanca neue Kräfte gegen den drohenden Abstieg zu sammeln. Zum Verhängnis wurden den dreien ein ausgiebiger Abend kurz nach Ankunft des Teams in La Manga. In einem Restaurant machten sie die Bekanntschaft dreier Frauen im Alter zwischen 32 und 38 Jahren, die aus Malawi und Kenia stammen und derzeit in Deutschland leben. Danach gingen Spieler und Frauen in eine Bar. Urlauberfotos existieren von diesem Abend, auf einem ist Sinclair zu sehen, wie er den Oberschenkel einer dunkelhäutigen Frau hält, die ihr Bein um seine Hüfte legt, gekleidet in ein hautenges Minikostüm. Was schließlich in Zimmer 305 des Hyatt Regency Hotels passierte, darüber gehen die Beschreibungen auseinander. Die drei Frauen jedenfalls gingen am nächsten Tag zur Polizei und sagten, sie seien vergewaltigt worden. Zum Beweis legten sie blutgetränkte Unterwäsche vor. Nach ihrer Darstellung haben zwei der drei Beschuldigten eine der Frauen festgehalten, der dritte habe sie vergewaltigt. Darüber hinaus habe es den Versuch gegeben, eine zweite der drei Frauen zu vergewaltigen. Wie viele Spieler in der Nacht in dem Hotelzimmer 305 waren, ist nicht ganz klar. Neun Spieler sind jedenfalls tags darauf verhaftet worden, darunter auch der deutsche Mittelfeldspieler Steffen Freund – wegen des Verdachts auf unterlassene Hilfeleistung. Steffen Freund ist aber sofort und im Unterschied zu anderen auch ohne Kaution wieder auf freien Fuß gekommen. Seit Tagen nun herrscht große Aufregung in England. (…) Ein weiterer schwarzer Tag für den Fußball sei das, was da im fernen Spanien geschehen sei. Der Ruf des ganzen Landes scheint auf dem Spiel zu stehen, und die spanischen Behörden machen keine Anstalten, die Sache still und leise aus der Welt zu räumen. Alle Versuche, die Spieler auf Kaution frei zu bekommen, sind bisher gescheitert. Dass bei den hoch bezahlten Superstars öfter ein gewisses Missverhältnis zwischen materieller, sexueller und geistiger Potenz herrscht, haben andere Vorfälle erwiesen. Gerade delektierten sich die englischen Leser am Fall des Fußballers Stan Collymore, dessen Vorliebe für Dogging ruchbar wurde. Dogging ist, wenn man an einem öffentlichen Ort, zum Beispiel auf einem Parkplatz, mit einem fremden Menschen, den man über Dogging-Netzwerke anmailt, trifft und dann Geschlechtsverkehr hat. Wir, und immer wieder wir, stöhnen die Fußballkommentatoren. Seit 1998 seien ungefähr 125 Fußballmannschaften aus aller Welt in La Manga gewesen, nur vier Vorfälle habe es dort seitdem gegeben, alle ausgelöst von englischen Spielern. ¸Sind wir nicht wunderbar?, schreibt der Kommentator der Daily Mail. Berserker Paul Gascoigne zertrümmerte einmal sein ganzes Zimmer, Stan Collymore fiel einmal mit dem Feuerlöscher unangenehm auf, als er in den Speiseraum stürmte und die Gäste mit Löschschaum überzog, und Rio Ferdinand randalierte in La Manga betrunken am Billardtisch. Einige der Fußballerfrauen sind inzwischen in Spanien eingetroffen, die Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen und große Sonnenbrillen vor den Augen. Und der Kommentator des Independent schreibt: ¸Es ist höchste Zeit für ein paar bittere Wahrheiten.“

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