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Al-Saadi Ghadhafi, „die gedopte Schnecke“ (NZZ) – Collinas Autobiografie u.a.
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| Donnerstag, 25. März 2004
Peter Hartmann (NZZ 7.11.) bemerkt, dass Doping-Sünder Al-Saadi Ghadhafi, neureicher Sohn des lybischen Diktators im Trikot des AC Perugia, viel von seinen Lehrern gelernt hat: „Aus einer amüsanten Episode orientalischer Fussballfolklore wurde plötzlich eine kleine Staatsaffäre: Al-Saadi Ghadhafi, der 30-jährige Sohn des libyschen Revolutionsführers Muammar Ghadhafi, der seit August in Perugia das Leben eines Berufsspielers ausprobiert, war mit hoher Wahrscheinlichkeit gedopt. In seiner Urinprobe fanden sich Spuren von Norandrosteron, einem Metaboliten der Modedroge Nandrolon. Mit dieser Entdeckung endet der Fussballtraum des ehrgeizigen Diktatorensohnes, noch ehe er begann: Ghadhafi hat mit Perugia keinen einzigen Meisterschaftsmatch gespielt. Nach dem medialen Paukenschlag der Enttarnung begann sogleich die Ursachenforschung: Wie gelangte der unerlaubte anabole Kraftstoff in den hageren Körper des feudalen Gastarbeiters? Ghadhafi selber, ein studierter Ingenieur, stellte die Kernfrage: „Nandrolon, was ist das?“ Perugia-Präsident Luciano Gaucci vermutete ein Schmerzmittel gegen die Rückenbeschwerden, die Ghadhafi in München behandeln liess. Nach einigen Stunden verstieg sich Alessandro Gaucci, der Sohn des Besitzers, zur Verschwörungstheorie: „Mit einer Persönlichkeit diesen Ranges ist alles denkbar, auch ein Komplott der italienischen Regierung, um Libyen in der Frage der Bootsflüchtlinge unter Druck zu setzen.“ Eine Anspielung auf die illegalen Einwanderer aus Afrika, die vom libyschen Ufer auf die italienische Insel Pantelleria verschifft werden. Vor drei Jahren wurde das Nandrolon in Perugia noch auf dem Teller serviert. Als die Spieler Bucchi und Monaco als Erste einer langen Reihe von Nandrolon-Sündern des Calcio ertappt wurden, musste ein verseuchter Wildschweinbraten als Ausrede herhalten (…) Die hohen Werte in Ghadhafis Sample (2 Nanogramm pro Milliliter) sprechen gegen eine zufällige Einnahme des Mittels. Der italienische Trainer Francesco Scoglio, der ihn als libyscher Nationaltrainer kennen lernte (und nur ein einziges Mal in der Aufstellung berücksichtigte, was seinen Rausschmiss zur Folge hatte): „Er hat ein paar Nummern auf Lager. Er hat eine hervorragende Vista, seine individuelle Technik ist gut. Aber seine evidente Schwäche ist seine Langsamkeit.“ Im Klartext: Ghadhafi ist eine Schnecke. Gegen eine Gage von 5 Millionen Dollar liess er sich von Diego Maradona Privatlektionen erteilen, und in diesem Sommer holte er Ben Johnson, den Doping-stigmatisierten Sprinter, als persönlichen Fitnessguru nach Perugia. Der junge Ghadhafi residierte in Perugia mit einem Hofstaat aus Leibwächtern, Dienstpersonal und Freunden im Fünfsternehotel Brufani, der signalgelbe Lamborghini und der gepanzerte Mercedes fahrbereit vor dem Eingang, der Helikopter auf dem Flughafen Sant‘Egidio stets startklar für einen Hupfer zum Einkaufen nach Rom.“
Andreas Rüttenauer (taz 8.11.) hat Pierluigi Collinas Autobiografie gelesen: „Eigentlich gibt es keinen Grund, ein Buch zu kaufen, in dem sich ein eitler Mann pausenlos selbst beweihräuchert. Autobiografische Texte sind selten Zeugnisse von großen Selbstzweifeln und Ansammlungen von Eingeständnissen eigener Fehler. Aber es sind doch genau die Fehler auf dem Spielfeld, die den Schiedsrichter zu dem machen, was er für viele Fans ist: eine Figur, auf die Hass projiziert wird. Es gibt zwar ein Kapitel, in dem Collina zugibt, dass auch er nicht frei von Fehlern ist: Nobody is perfect …. Doch es geht darin nicht um die klassische Fehlentscheidung, einen nicht gegebenen Elfmeter, einen unangebrachten Abseitspfiff. Es geht vielmehr – wie kann es bei einem so besonderen Menschen, wie Collina einer sein möchte, anders sein – um eine ganz besondere Situation, in der ich mich heute anders verhalten würde. Es geht um ein Transparent, das er aus einem Stadion entfernen ließ, ein Transparent, das eine verletzende Meinungsäußerung dem Präsidenten des italienischen Schiedsrichterverbandes gegenüber zeigte. Durch das Entfernen des Stofffetzens habe er der Beleidigung eine Bedeutung zukommen lassen, die sie eigentlich nicht gehabt habe. Was für ein Fehler!“
Besprochenes Buch: Pierluigi Collina: Meine Regeln des Spiels. Hoffmann und Campe, Hamburg 2003, 17,90 Euro.
Die Eichler-Papiere. Christian Eichler (FAZ 8.11.) hat im Archiv gestöbert – oder in seiner Panini-Sammlung: „Früher hieß es: keine Späße mit Namen. Aber Spaß kann man in diesen Zeiten nie genug haben. Und es scheint, daß ein kleiner, aber nicht zu kleiner Teil sportlicher Unterhaltsamkeit auch mit Namen zu tun hat – eine, wie man sie in Politik, Wirtschaft oder Kultur lange suchen kann. Läßt sich etwa ein schönerer Name für einen Wintersportler ausdenken als der des britischen Bobfahrers Colin Snowball? Ein besserer für einen flotten Außen als der des früheren Ajax-Kickers Fritz Vlinkefleugel? Für einen Torwart als der des Belgiers Gert de Vlieger? Für einen Schiedsrichter als der jenes Schotten, der 1954 das torreichste Spiel der WM-Geschichte pfiff, Schweiz gegen Österreich 7:5: C. E. Faultless? Fehlerlos, das klang wesentlich vorteilhafter als bei jenem Vorgänger, der das englische Pokalfinale 1888 geleitet hatte: ein Herr namens Bastard. Der Fußballklub Lincoln City führte in der Saison 1958/59 den Verteidiger Ray Long und den Stürmer Joe Short im Kader. Ein Zufall? Long maß 1,91 Meter, Short 1,57. Es ist zu bewundern, wie Menschen mit solchen Namensvorgaben trotz der Hänseleien, die ihnen von klein auf gewiß waren, ihren Weg gemacht haben. Das gilt noch mehr für Sportler wie Urska Slapsak, eine slowenische Delphinschwimmerin bei der WM 2001. Oder für den wohl schwierigsten Namen der Sportgeschichte, Bob Ctvrtlik. Gegenüber solchen Konsonantenkaskaden hatten es Sportler wie Alfred Au (Fußball) oder Kimberley Po (Tennis) gewiß leichter. Solche Namen spricht und behält man auf Anhieb. Das gilt auch für so kraftvolle Namen wie die der früheren Bundesliga-Kicker Derbfuß und Kunstwadl; oder für solch klangvolle Silbenmusik wie die der Kollegen Olaidotter und Störzenhofecker.“
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