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Albanien und Portugal

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Albanien und Portugal

Wieder mal ein kleiner Briegel

„Es sind dies die schönsten Geschichten, die der Fußball erzählen kann“, findet Christian Zaschke (SZ 6.6.) zu Recht. „Es gibt gerade ziemlich viele gute Nachrichten aus Albanien. Seit März zum Beispiel ist das Land wieder ans internationale Eisenbahnnetz angeschlossen. Bei der Wiedereröffnung der Eisenbahnlinie zwischen Shkodra und Montenegro saß der albanische Ministerpräsident Fatos Nano stolz im Zug. Überhaupt entpuppte sich der März als Wonnemonat Albaniens, besiegte doch die Fußball-Nationalmannschaft Russland 3:1. Die Freude im Land wurde noch größer als nach der Eisenbahnsache, und es geschah etwas so Seltsames wie Schönes: Viele junge Frauen im Land gebaren Kinder und gaben ihnen nicht einen guten albanischen Namen, etwa Fatos, dem Präsidenten zu Ehre, sondern sie sprachen, von der Säuglingsschwester gefragt, wie das Kleine denn hieße, voll Ernst und sehr stolz: „Briegel“. Die albanischen Schwestern zuckten nicht einmal mit der Wimper. So so, wieder mal ein kleiner Briegel. Na, du süßer, kleiner Briegel, wie geht es dir denn?“

Tobias Schächter (taz 6.6.) traf den albanischen Nationalspieler und Ex-Bundesligaprofi Tare. „Man muss es probieren – bei Igli Tare ist dieser Satz mehr als nur der Ausdruck romantischer Hoffnungen eines Underdogs. Nirgends in seiner Fußballerkarriere wurde er mit offenen Armen empfangen, überall schlug ihm Skepsis entgegen, manchmal blanker Hass – im schlimmsten Fall wurde er belächelt. 1992 kam er als 18-Jähriger nach Deutschland. Er hatte nichts und niemanden. Außer Walter Pradt. Walter Pradt arbeitete damals beim Ludwigshafener Sozialamt und war Trainer von Südwest Ludwigshafen. Er wies Tare eine Adresse auf einem Boot im Ludwigshafener Hafen zu, das Essen brachte ihm der Masseur, die Sprache brachte er sich mühsam selbst bei. Auch sportlich lief nicht viel zusammen. Der 1,91 m große Hüne schleppte zu viele Kilo über die Sportplätze. Und er war kein Ausnahmetalent, kein Rohdiamant. Eher sahen viele in ihm einen untalentierten Klotz. Ich war überhaupt nicht integriert und zog mich immer mehr zurück, erinnert sich Tare. Dennoch wechselte er eine Klasse höher und auf die andere Rheinseite zum VfR Mannheim, und wie bei allen späteren Wechseln – von Mannheim nach Karlsruhe, vom KSC nach Düsseldorf, von Düsseldorf nach Kaiserslautern und von dort nach Brescia – wurde immer gefragt: Was will der denn hier? Aber Tare fiel immer eine Stufe nach oben. Beim KSC zeigte er seine Stärken: Zuspiele auf die nachrückenden Mittelfeldakteure prallen lassen. Er lebte professionell, arbeitete hart, und Winnie Schäfer gab ihm eine Chance in der Bundesliga. Aber an Sean Dundee, auch er damals Karlsruher, kam er nicht vorbei. Also zog er weiter nach Düsseldorf, in die zweite Liga. Bei der Fortuna schoss er Tore und wurde zum Hoffnungsträger. Und in der Düsseldorfer Zeit machte er das Spiel seines Lebens: Bei der 3:4-Niederlage Albaniens gegen Deutschland im Oktober 1997 in Hannover schoss er nicht nur ein Tor, sondern spielte auch noch Jürgen Kohler schwindlig. Seit diesem Tag hatte ich endlich Selbstvertrauen, sagt Tare.“

Lösung aller Probleme

Andreas Obst (FAZ 5.6.) berichtet die Stimmung in Portugal, Austragungsort der EM 2004. „Im Fußball regieren seit je die Klischees – nicht alle sind falsch. Doch es ist wohl kaum je vorgekommen, daß ein Land solche Hoffnungen in ein Fußballturnier setzte wie Portugal in die Europameisterschaft, die im Sommer kommenden Jahres in dem Land am Ende Südwesteuropas stattfinden wird. Nun könnte man einwenden, so sind sie eben, die Südländer – auf dem Fußballplatz und wohl auch sonst im Leben: ewig überschäumend, immer enthusiastisch und manchmal eben ohne rechtes Augenmaß. Solange der Ball auf dem grünen Rasen rollt, entfaltet solche Mentalität ja ohne Zweifel ihren Charme. Und ist es nicht ohnehin so, daß der portugiesische Fußball, lange unterschätzt, erst bei den zuletzt ausgespielten Turnieren Europa, ja die ganze Welt begeisterte? Doch Portugal will mehr mit dieser Europameisterschaft im eigenen Land, viel mehr. Der Fußball soll das Land aus der Wirtschafts-, Politik- und Sinnkrise befreien, in der Portugal schon seit längerem steckt – allein gelassen, so versteht man es hier mit unverhohlenem Trotz, nicht nur geographisch am Ende der Europäischen Union. Da ist auf der einen Seite der übermächtige Nachbar Spanien, seit je der Erste auf der Iberischen Halbinsel, auf der anderen die Angst, auch noch von dem einen oder anderen der zehn neuen Länder, die im kommenden Frühjahr zur Union stoßen werden, überholt zu werden. So ist mit dem europäische Kräftemessen auf dem Fußballplatz die Hoffnung verbunden, es möge Portugal zu nicht weniger als einem ganz neuen Selbstgefühl führen. Die Europameisterschaft soll den Tourismus neu in Gang bringen, davon verspricht sich Portugal die Lösung aller Probleme.“

Gewinnspiel für Experten

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