Ballschrank
„Alle vier Jahre dreht sich die Welt mit dem Effet eines gut angeschnittenen Balles“
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| Donnerstag, 25. März 2004
„Alle vier Jahre dreht sich die Welt mit dem Effet eines gut angeschnittenen Balles“, lesen wir heute in der „Süddeutschen Zeitung“ anlässlich der mit dem Spiel Frankreich gegen Senegal beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea. Aber das Vorhaben birgt ökonomische und politische Risiken. „Alle, die jetzt von den großen Chancen schwärmen, die dieses partnerschaftlich ausgerichtete Großereignis biete“, schreibt Roland Zorn („Frankfurter Allgemeine Zeitung“), „wollen in Wirklichkeit nie wieder eine Weltmeisterschaft in zwei Ländern arrangieren.“ Erstens ist es fraglich, ob die immensen finanziellen Investitionen in Infrastruktur und Stadionbau sich amortisieren werden, zumal Einnahmen und Renommee geteilt werden müssen. Zweitens kann die immer wieder proklamierte völkerverbindende Wirkung des globalen Ereignisses paradoxerweise in der kleinsten denkbaren Zelle scheitern: Die jeweiligen Vorstellungen beider Gastgebervölker voneinander sind aus historischen Gründen von Ressentiments geprägt. Ob die Fußball-WM dazu beiträgt, diese zu überwinden oder ob die Konkurrenzsituation einer gemeinsamen Ausrichtung sie eher noch verstärken wird, ist eine spannende Frage, die in den nächsten vier Wochen immer wieder auf der Tagesordnung stehen wird.
Doch ungeachtet aller dieser wirtschaftlichen und politischen Ungewissheiten, ist die Zeit des Fußballfreunds nun gekommen. Dieser hält es mit Ralf Wiegand („Süddeutsche Zeitung“): „Das vor allem ist eine Fußball-Weltmeisterschaft: ein Weltmarkt der Gefühle. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die WM auf dem Mond ausgetragen würde. Zum Glück ist Fußball nur für die wenigsten Menschen ein ausgebuffter Kampf um Mächte und Märkte. Für die meisten ist es einfach – ein Spiel.“ Recht so.
Pressestimmen zum Verhältnis zwischen den beiden Gastgeberländern.
in den Augen von Christoph Biermann (SZ 31.5.) wird die WM zu einer wahrhaft grenzenlosen Angelegenheit. „Diese WM wird noch mehr als alle vorangegangenen im Zeichen von Migration und Globalisierung stehen. Das liegt nicht nur daran, dass das Turnier erstmals in Asien stattfindet. Auch im weltumspannenden Fußballgeschäft spielen nationale Zugehörigkeiten eine immer geringere Rolle. Spieler aus Slowenien sind in Japan unter Vertrag, Profis aus Paraguay spielen in Griechenland, Ekuadorianer in Schottland. Gerade ein Drittel der Kicker, die für die WM in Korea und Japan nominiert wurden, verdienen ihr Geld im eigenen Land. Und oft genug fällt die Beantwortung der Frage schwer, was das eigene Land überhaupt ist.“
Eine Meldung aus der französischen Tageszeitung Le Monde (30.5.) zeigt, dass in Asien der Kommerzialisierung des Sportes noch Grenzen gesetzt sind. „Der serbische Cheftrainer der chinesischen Fußball-Nationalmannschaft, Bora Milutinovic, riskiert den Verlust großer Summen, nachdem Ausländern das Erscheinen im Rahmen nationaler Werbesendungen seitens der chinesischen Regierung untersagt worden ist. Milutinovic, der China zu seiner ersten WM-Teilnahme geführt hat, zeigt sich in verschiedenen Werbespots für chinesische Alkoholika und DVD-Player, die ihm nach Presseberichten mehr als 2,6 Millionen Euro einbringen. Die chinesischen Sportfunktionäre befürchten, dass die Präsenz des Trainers in den Medien, sowie weiterer Spielerpersönlichkeiten des Weltfußballs wie in Spots von Nike, dem Anliegen des chinesischen Fußballverbandes schade, der das Image der Nationalelf verbessern möchte und seine eigenen Werbeeinnahmen sichern wolle.“
Die senegalesische Tageszeitung Le Soleil (30.5.) richtet gebannt den Blick auf das Eröffnungsspiel ihres Teams gegen Titelverteidiger Frankreich. „Nun wird man dem französischen Weltmeister gegenüber stehen, vor den Augen des gesamten Globus, dessen Leben und Rhythmus einen Monat lang und insbesondere vom Eröffnungsspiel in Seoul bestimmt sein wird, von der Bewegung eines kapriziösen und königlichen Balles.“
Ralf Itzel (taz 31.5.) dazu. „Das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft ist vermutlich das kurioseste aller Zeiten: Franzosen, die im Ausland leben und arbeiten, treffen auf Senegalesen, die in Frankreich zu Hause sind. Einige kamen dort sogar zur Welt, während viele der Franzosen wiederum aus Afrika stammen. Senegal war bis 1960 französisch, und dieser Kolonialverbindung sowie den Regeln des modernen Fußball-Business entspringt die eigenartige Konstellation.“
Martín Hiller (Tsp 31.5.) über die Stärken des allgemeinen Turnierfavoriten. „Argentinien hat jedem seiner schärfsten Konkurrenten etwas voraus: Bei Italien sind nur die ersten zwölf, dreizehn Spieler wirklich stark, die Brasilianer haben überragende Einzelspieler, aber kein Team. Und den kleinen Unterschied zu den ebenfalls hochklassig besetzten Franzosen könnte die Leidenschaft ausmachen, mit der die Argentinier für ihr Volk spielen. Der Weltmeister von 1978 und 1986 hat nur ein Problem: die Überheblichkeit.“
Yousuf Almohimeed (FAZ 31.5.) beschreibt den gesellschaftlichen Stellenwert des Fußballs in Saudi-Arabien, morgiger Gegner Deutschlands. „Aufgrund der sozialen Ordnung, die an den gesellschaftlichen Gebräuchen und Traditionen als Grundlage festhält, gibt es in Saudi-Arabien nur wenige Möglichkeiten der Unterhaltung. Allein das Wort Theater erzeugt eine eigentümliche Empfindlichkeit und eine offen ablehnende Haltung, weil das Theater in den letzten Jahren im kollektiven Gedächtnis eine Assoziation mit Dekadenz, Sittenlosigkeit und Werteverfall hervorgerufen hat; jenen Werten, die darauf gerichtet sind, den Menschen zu erlösen und ihn ins Diesseits hinüberzuretten. Dies geschieht allerdings ohne Rücksicht auf ein allgemeines Verständnis gegenüber dem Theater als einer Kunst, die zur geistigen Bildung und zur sozialen und politischen Kritik beitragen kann. Hinzu kommt, daß die Kinosäle noch keinen Platz in diesem Land gefunden haben – wohl aus demselben Grund. Das Kino wird sogar noch schärfer abgelehnt. Auch wenn es seltene Theateraufführungen gibt, die meistens für die Teilnahme an arabischen oder internationalen Festivals inszeniert werden, bleibt das Theater völlig isoliert und wird mit Schüchternheit betrieben. Es wird weitgehend vom Publikum gemieden. Natürlich besteht das Publikum ausschließlich aus Männern, denn die Frauen dürfen weder das Theater besuchen noch mitwirken. Deshalb wurde der Fußball seit langem zu einem wichtigen Medium der Unterhaltung und des Zeitvertreibs.“
Über die Bedeutung des Fußballs in Politikerköpfen lesen wir bei Günter Bannas (FAZ 31.5.). „In ihren Träumen hätten die Kohls, Schröders, Fischers und Möllemanns lieber das dritte Tor von Bern geschossen, als sich mit Parteifreunden über kleinliche Details der Politik zu streiten. Dem Jubel der Freunde auf Parteitagen werden sie in Wirklichkeit wenig abgewinnen können: Sie wissen, dass sie ihn selbst inszeniert haben. Was dagegen ist ein tosendes Stadion mit seinen Gesängen!“
Über die Affinität deutscher Spitzenpolitiker zum Fußball schreibt Alexander Schwabe (Spiegel 27.5.). „Das Daumendrücken für Deutschland ist bei Schröder in Wahrheit ein Fiebern um den eigenen Job. Sollte ein Versagen der Nationalelf das angeschlagene Selbstwertgefühl der Deutschen weiter schwächen – Schlusslicht in Europa –, sollte der kollektive Narzissmus des deutschen Michel durch Niederlagen auf dem Rasen weiter gekränkt werden, fiele es Edmund Stoiber noch leichter als bisher, die schwärenden Wunden der Betrübten und Enttäuschten zu netzen. Das Abschneiden einer Elf schlägt sich seit je auf die Befindlichkeit einer Gesellschaft nieder. Umgekehrt spiegelt sich die mentale Verfasstheit eines Gemeinwesens in der Qualität der Nationalmannschaft wider. Als die Mannen um Toni Turek, Fritz Walter und Helmut Rahn im Juli 1954 beim Endspiel von Bern die haushoch favorisierten Ungarn mit dem legendären Ferenc Puskas schlugen, war das Balsam für die Seele der Deutschen. Nach der Erniedrigung durch den verloren gegangenen Krieg und nach Jahren der Scham darüber, dem Diktator Hitler gefolgt zu sein, waren die Deutschen in der Welt wieder wer.“
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