Ballschrank
Alles beim Alten
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| Donnerstag, 25. März 2004
Nach all dem Theater um den neuen Trainer Wilmots ist Tobias Schächter (taz 7.4.) vom Spiel enttäuscht. „Rudi Assauer, der Manager des FC Schalke 04, war der Mann, der sich Mitte letzter Woche seinen Dez bei einem Treppensturz aufgeschlagen hatte, und das gleich so vehement, dass ein Fernsehreporter auch am Samstag noch mitleidig bemerkte: Ui, das sieht aber schlimm aus. Die Kamera war noch ausgeschaltet, und Assauer, der immer noch aussieht wie ein Boxer nach dem Kampf, nahm einen kräftigen Zug an seiner Zigarre, lächelte – und sagte wie Männer es sagen, die zweifellos Männer sind: Jede Narbe macht mich nur noch interessanter. (…) Es war ein Spiel, bei dem Max Morlock und Ernst Kuzorra, die Heiligen der beiden in Fanfreundschaft verbundenen Altmeister, sich mit Grauen abgewendet hätten. Aber zumindest in Schalke scheint seit dem Trainerwechsel von Neubarth zu Wilmots alles ganz anders zu sein, obwohl alles beim Alten blieb und die ersatzgeschwächte Mannschaft sich auch im sechsten Spiel in Folge zu keinem Sieg rumpeln konnte. Hätte der Nürnberger Müller in der 90. Minute die Kugel aus drei Metern statt in den Himmel ins Schalker Tor gekloppt, die Reden vom positiven Aufbruch hätte dem mitgenommenen Assauer wohl niemand abgenommen. Dass Narben Menschen interessanter machen, muss nicht zutreffen. Die Trainerkarriere des 38-jährigen Frank Neubarth jedenfalls scheint nach der wundenreichen Entlassung durch Assauer vor neun Tagen genauso blitzartig beendet zu sein wie sie vor acht Monaten begann. Nicht mangelndes Fachwissen sei der Grund für Neubarths Demission gewesen, betete am Samstag der Chef der Schalker Lizenzspieler-Abteilung, Andreas Müller, den Reportern erneut vor. Aber es musste ein Schuss neues Leben in die Bude. Neubarth wirkte trotz seiner stattlichen Größe von 1,89 m seltsam unsichtbar im Schalker Theater.“
Alles, was einem der Job jenseits der Seitenlinie bringen kann
Detlef Dresslein (FAZ 7.4.) versetzt sich in das Innere eines Trainerneulings. „Das Trainerleben ist ein hartes Leben. Das durfte Marc Wilmots, seit knapp zwei Wochen im neuen Beruf, gleich beim ersten Auftritt feststellen. Denn er erlebte beim 0:0 des FC Schalke 04 in Nürnberg so ziemlich alles, was einem der Job jenseits der Seitenlinie bringen kann. Die Fassungslosigkeit, wenn ein Einwechselspieler aus sechs Metern das leere Tor verfehlt. Die Wut, wenn der Stürmer immer wieder am gegnerischen Torwart scheitert und der Ball als Krönung am Innenpfosten landet. Die Ohnmacht, wenn schließlich kurz vor Schluß der völlig unterlegene Gegner beinahe noch das Siegtor erzielt. Und daß alle geleistete Arbeit fast nur von derart unbeeinflußbaren Faktoren abhängt und nach ihnen bewertet wird. Und daß er nicht mehr das Kampfschwein geben, sondern nur noch zuschauen, mitleiden, hoffen und bangen kann. Noch mehr solche Spiele, und Wilmots wird sich mit Sicherheit für die avisierte Karriere als Politiker entscheiden.“
Viel biederes Handwerk
Felix Meininghaus (FTD 7.4.) analysiert die Reaktionen nach dem Spiel. „Es wurde vorwiegend gelobt. Der Wohlfühlfaktor scheint im Genesungsprogramm des FC Schalke 04 eine überragende Bedeutung zu haben. Bereits vor Spielbeginn hatte Wilmots verkündet, der Druck liege allein bei ihm, „für die Mannschaft ist es wichtig, die nötige Lockerheit zu bekommen“. Diese Therapie wendet der Trainerneuling seit seiner Inthronisierung konsequent an. Sehr zur Freude seiner Untergebenen: „Willi weiß genau, dass du beim Fußball auch Spaß haben musst“, weiß der Niederländer Marco van Hoogdalem, „nur trainieren und reden, das kann es doch nicht sein.“ Aus diesen Worten spricht die Wertschätzung für den alten Haudegen, sie sind aber auch eine deutliche Spitze gegen Wilmots Vorgänger. Wochen, bevor er ausgetauscht wurde, war Frank Neubarth von Torhüter Frank Rost ein katastrophales Zeugnis ausgestellt worden: „Seit du hier bist, macht Fußball keinen Spaß mehr“, hatte der Sachse gesagt und mit dieser folgenschweren Aussage das vorzeitige Ende eingeläutet. In Nürnberg gab sich der sonst so wortgewaltige Rost rhetorisch ungewohnt defensiv: „Was in der Vergangenheit war, kommentiere ich nicht. Es wird einem doch sowieso jedes Wort im Mund rumgedreht.“ Bestimmt ist das eine weise Erkenntnis, denn so kann sich Rost auf das konzentrieren, was er am besten kann: Seinen Kasten sauber zu halten. Das ist gegen Schalke auch Nürnbergs Torhüter Darius Kampa geglückt, dem Wilmots eine Weltklasseleistung bescheinigte. Das war eine Wertung, die ebenfalls leicht übertrieben anmutete. Wahr ist, dass der Keeper mit Abstand der Beste in Reihen des Klubs war. Eine Einschätzung, die sich relativiert, wenn man bedenkt, dass die Feldspieler so viel biederes Handwerk boten, dass den Freunden des Altmeisters angst und bange werden konnte. Der FCN schrammte nur deshalb an einer Niederlage vorbei, weil die Gäste in der Chancenauswertung katastrophale Schwächen offenbarten. Allein Victor Agali vergab vier hochkarätige Möglichkeiten. So konnten die beiden Klubs mit dem schnöden Remis durchaus leben. Die Schalker auch deshalb, weil sie den ersten Auftritt des Novizen als kleinen moralischen Neuanfang werteten.“
Häufung von Fehlpässen und abgefangenen Flanken
Zur Atmosphäre im Stadion heißt es bei Volker Kreisl (SZ 7.4.). „Die Erwartungen stiegen minütlich. Die Anhänger des 1. FC Nürnberg und von Schalke 04 verbindet eine lange Freundschaft, und die Sitzreihen des Frankenstadions schimmerten eine halbe Stunde vor Anpfiff rot-blau. Die Fans begrüßten sich und sangen in Vorfreude. Die Trainer gingen in Position, mit ihnen keimten Hoffnungen auf einen Aufschwung und einen abwechslungsreichen Nachmittag. Die Zuschauer hielten Pappdeckel hoch und malten ein großes rotblaues Bild auf den oberen Nordrang, die Spieler grüßten, die Manager gaben Interviews, die Lautstärke der Musik steigerte sich, und das Bundesligaspiel Nürnberg – Schalke ging seinem Höhepunkt entgegen wie ein perfekt inszenierter Kindergeburtstag mit Luftballons und Girlanden kurz vorm Wattepusten. Doch inszenierte Kindergeburtstage sind langweilig und Wattepusten macht nur Spaß, wenn man dabei streitet. Im Fußball ist es ähnlich, große Feste lassen sich nicht planen, und wenn zudem zwei Vereine gegeneinander antreten, die soeben die Weichen für die Zukunft neu gestellt hatten, dann erwarten alle besonders viel Einsatz, doch die Anzeigetafel sieht am Ende so aus wie am Anfang. Das Fußballfest Nürnberg – Schalke endete 0:0, und die Trainer erklärten: „Manchmal musst du froh sein, wenn du nicht verlierst“ (Wilmots). Und: „Man muss auch mal mit einem Punkt zufrieden sein“ (Augenthaler). Das Spiel war eine Häufung von Fehlpässen und abgefangenen Flanken, interessant waren höchstens drei Gestalten: Schalkes Stürmer Victor Agali, der vier Mal knapp vorm Tor scheiterte; Nürnbergs Torwart Darius Kampa, der drei dieser Schüsse mit unglaublichen Reflexen parierte; und Marc Wilmots. Er stand 90 Minuten lang mit den Zehenspitzen am Rand der Coachingzone, und es war gut, dass er einen königsblauen Trainingsanzug trug, denn Wilmots führte eine Art Skigymnastik vor. Er fuchtelte mit den Armen, ging in die Knie, verdrehte die rechte Hand und dirigierte sachte von links nach rechts, stieß die Faust rhythmisch vor, als rüttele er an einer klemmenden Schublade.“
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