Ballschrank
Am 12.12. fällt die Entscheidung, wer die Europameisterschaft 2008 austragen darf
Kommentare deaktiviert für Am 12.12. fällt die Entscheidung, wer die Europameisterschaft 2008 austragen darf
| Donnerstag, 25. März 2004
Am 12.12. fällt die Entscheidung, wer die Europameisterschaft 2008 austragen darf. An dieser Stelle sammeln wir für Sie Hintergründe über die einzelnen Bewerber (hier eine Übersicht) und weitere Informationen.
Michael Horeni (FAZ 12.12.) kommentiert die Vielzahl der Bewerber. “Rußland macht gutes Wetter für die Europameisterschaft 2008. Das kann man sogar wörtlich nehmen. Als vor einigen Monaten die Inspektorengruppe der Europäischen Fußball-Union (Uefa) in Moskau Station machte, präsentierte Oberbürgermeister Juri Luschkow die neueste russische Technik, um graue Wolken zu vertreiben. Sollte also das Land an diesem Donnerstag in Genf den Zuschlag für die EM erhalten, könnte das Turnier unter einem blankgeputzten Himmel stattfinden – so heißt es zumindest aus Moskau. Diese atmosphärische Skurrilität unter Europas Fußballhimmel kann man aber auch symbolisch verstehen. Denn mittlerweile, so scheint es, glauben die Kandidaten schon das Blaue vom Himmel versprechen zu müssen, um an eine Europameisterschaft heranzukommen (…) Die Uefa muß sich angesichts der massenhaften Bewerbungen und des enormen Aufwands jedoch fragen lassen, ob ihr Verfahren ohne zeitige Vorauswahl noch der veränderten Wirklichkeit entspricht. In Zeiten knapper Kassen werden in Genf die sechs enttäuschten Verlierer des Tages nicht nur ihre Hoffnung begraben müssen. Auch viele Millionen Euro sind dann vergeblich für viel zu viele Kandidaturen investiert worden – Mittel, die dem Fußball vor allem in den Ländern, die nicht zur first class in Europa zählen, fehlen werden.”
Gerhard Fischer (SZ 12.12.) fragt sich angesichts der gemeinsamen Bewerbung von Finnland/Schweden/Dänemark/Norwegen (Nordic 2008) . “Was ist mit den realen Problemen dieser EM-Bewerbung? Was ist zum Beispiel mit den Entfernungen zwischen den Ländern? Was macht ein Fan, der die Deutschen in Kopenhagen und die Engländer in Helsinki sehen will? Man kann nicht mit dem Auto von einem Stadion zum nächsten fahren – so wie in Portugal bei der EM 2004. Würde also eine richtige Endrunden-Atmosphäre aufkommen? Und wie verstehen sich überhaupt Finnen mit Dänen, Norweger mit Schweden. Politisch? Gesellschaftlich? Wirtschaftlich? Eigentlich kommen sie alle gut miteinander aus. Aber manchmal tauchen Rivalitäten auf, Ressentiments sogar. Vor drei Jahren scheiterte eine Fusion zwischen den Telekom-Konzernen Telia (Schweden) und Telenor (Norwegen) an, so hieß es, „nationalen Befindlichkeiten“. Schwedens Wirtschaftsminister Björn Rosengren sagte damals – im Glauben, die Kameras seien schon ausgeschaltet – einen Satz, der unter die Oberfläche blicken ließ: „Die Norweger“, meinte er, „sind der letzte der sowjetischen Satellitenstaaten. Die sind wirklich so nationalistisch.“ Jünger ist ein Konflikt zwischen der schwedischen und der dänischen Regierung. Stockholm warf Kopenhagen eine zu harte Ausländerpolitik vor. Die Dänen konterten, Schweden solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Die rechtslastige Politikerin Kjaersgaard drohte sogar damit, die Öresundbrücke nach Schweden zu schließen.”
“Nur ein EM-Bewerber für 2008 überzeugt – trotzdem muss die Liaison Österreich/ Schweiz bangen.” Martin Hägele (SZ11.12.) ist skeptisch, ob die Besten gewinnen werden. “Bis zu sechs Herrschaften der 14-köpfigen Exekutive sind nämlich schon wegen Befangenheit vom ersten Wahlgang ausgeschlossen. Das deshalb nötige Prozedere kann nicht garantieren, dass wirklich der beste Bewerber den Zuschlag bekommt. Auch Top-Funktionäre denken – gerade in solch entscheidenden Momenten – gerne an den persönlichen Nutzen. Bestünde die elitäre Herrenrunde aus lauter echten Sportfreunden, die sich von den Idealen ihres Spiels sowie politischer, sozialer und geschäftlicher Vernunft leiten ließen, wäre allerdings längst klar, wo das Euro-Festival in sechs Jahren steigen wird: In der Alpenregion, wo sich acht Stadien auf 1000 Kilometern zwischen Genf und Wien in attraktiver Lage verteilen (…) dann ist da noch das russische Rätsel: Kann Moskau, dessen Fußball-Klubs immer mehr mit der Mafia und sonstigen Kriminellen verwoben sind, Aushängeschild für eine solche Turnier-Premiere sein? Greift Putin persönlich ein? Und bittet das Staatsoberhaupt den deutschen Kollegen um Hilfestellung? In russischen Politkreisen ist genau notiert worden, dass weniger Franz Beckenbauers Wahlkampfreisen, sondern viel mehr Kanzler Gerhard Schröders Lobby in den Großkonzernen die WM 2006 nach Deutschland gebracht hat. Zudem gehört ein Teil der Stimmberechtigten von damals auch den Wahlmännern von morgen an. Michel Platini etwa. Frankreichs früherer Mittelfeldstar verdankt seinen Aufstieg in die Kabinette von Uefa und Fifa vor allem einem Stimmenpaket aus dem Osten. Oder Gerhard Mayer-Vorfelder. Vielleicht erinnert sich der DFB-Chef noch daran, dass der Schweizer Fußballverband nach dem Krieg den geächteten Nachbarn Deutschland in die internationale Fußballfamilie zurückholte. Wahrscheinlich aber wird MV wieder denjenigen wählen, der ihn am wärmsten umgarnt. Dankbarkeit gibt es in jenen Kreisen schon noch, nur ist sie nicht garantiert. Und man sollte sie auf keinen Fall einplanen.”
Michael Horeni (FAZ 11.12.) begutachtet die gemeinsame Bewerbung Österreichs und der Schweiz. “Die hohen Anforderungen, die von der Uefa bei einem Turnier mit 16 Mannschaften gestellt werden, sind für eine Fußball-Mittelmacht nicht mehr zu bewältigen. Acht Stadien für mindestens 30.000 Zuschauer müssen her, und das glauben für 2008 gerade noch Rußland und Ungarn allein schaffen zu können. Wie das Alpenduo haben sich daher auch anderswo Partner unter dem Druck der ökonomischen Notwendigkeit mehr gefunden als gesucht: Schottland und Irland, die nordische Fraktion mit Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen, dazu Bosnien-Hercegovina und Kroatien sowie Griechenland und die Türkei. Die beiden Länder in der Mitte Europas können an diesem Mittwoch exzellente Bedingungen vorweisen, ohne sich ihrer Sache angesichts der großen Konkurrenz und eines komplizierten Wahlmodus auch nur halbwegs sicher zu sein. Seit die Europameisterschaft im Jahr 2000 durch die Erweiterung auf 16 Teams zu einem lukrativen Geschäft geworden ist, wurde die Sache auf einmal für viele Länder interessant. Die mittleren europäischen Fußball-Nationen – für die Österreich und die Schweiz exemplarisch stehen können – fürchten aber, daß eine EM künftig auch für die großen Länder wieder interessanter wird. Nämlich dann, wenn Europa bei der WM-Vergabe immer seltener an die Reihe kommt (…) Tatsächlich können die beiden Länder manche Schmuckkästchen vorweisen, die sich in der Bewerbung hinter dem technokratisch anmutenden Begriff vom multifunktionalen Stadion verstecken. Was den Ländern allerdings fehlt, sind Fußball-Leidenschaft und Erfolge im großen Stil. Als beste Argumente für die gemeinsame Sache führen die Partner daher nicht Pokale, sondern eine besondere Perspektive auf den Fußball an. Zunächst die günstige geographische Lage: Sie ermögliche vielen Fans aus ganz Europa, die EM zu sehen. Zudem wurden alle Mannschaften in der Vorrunde nur je zwei nahe beieinanderliegenden Städten zugeordnet, was Reisekosten, Logistik und Streß minimiert. In der Schweiz bilden Basel und Zürich sowie Bern und Genf ein Paar, in Österreich Salzburg und Innsbruck sowie Wien und Klagenfurt. Unter dem Slogan Kultivierter Fußball bringen die beiden Länder dann aber vor allem die Qualitäten ein, für die sie bei Touristen aus aller Welt hoch beliebt sind: schöne, sichere Länder, in denen sich eben nicht nur gut leben und arbeiten läßt – sondern wo 2008 auch mal ein Sommerurlaub mit Fußball-Europameisterschaft drin sein soll.”
Thomas Renggli (NZZ 10.12.) beleuchtet die Vorzüge der gemeinsamen Bewerbung von Schottland und Irland . “Glasgow als Zentrum Europas bezeichnen kann nur jemand, der im Geographieunterricht am Fenster sass – oder der schon einmal ein Fussballspiel in der grössten schottischen Stadt gesehen hat. Wohl kein anderes Derby dieser Welt weckt mehr Emotionen als “The Old Firm”, der Vergleich des irisch-katholischen Celtic FC mit den protestantisch geprägten Rangers. Die Glasgower Fussballkultur ist bis in den hintersten Winkel der Stadt spürbar. Restaurantbesitzer, die sich aus dem Glaubenskrieg der beiden Stadtrivalen heraushalten wollen, hängen Schilder mit der Aufschrift “No Football-Colours allowed” an die Tür. Jeder Taxichauffeur hat ein paar Tipps für den schottischen Nationaltrainer Berti Vogts auf Lager, jeder Pub-Besucher weiss, wie sich Celtic gegen Basel für die Champions League hätte qualifizieren können und wie die Blamage der Verbandsauswahl gegen die Färöer zu verhindern gewesen wäre. “Fussball ist in den Köpfen der Leute drin – unauslöschlich”, sagt Simon Lyons, Marketing-Direktor der schottisch-irischen Kandidatur. Leidenschaft und Enthusiasmus der fussballbesessenen Öffentlichkeit sind wichtige Argumente für “Scotland-Ireland 08”.”
“Irland bewirbt sich gemeinsam mit Schottland um die Fußball-EM 2008. Das Problem: Es verfügt über kein Fußballstadion. Und im Dubliner Croke Park ist das barbarische Spiel verpönt”, schreibt Ralf Sotschek (taz 10.12.). “die irische Nationalmannschaft trägt ihre Heimspiele im Rugby-Stadion Lansdowne Road aus, dem antiksten Stadion Europas, wie es ein Funktionär des Europäischen Fußballverbands Uefa nannte. Es ist mehr als hundert Jahre alt, soll aber rechtzeitig zur EM modernisiert werden. Dabei hätte man ein perfektes Stadion: Croke Park, das vor kurzem mit Hilfe von Steuergeldern generalüberholt wurde und die Uefa-Anforderungen spielend erfüllt. 80.000 Zuschauer passen hinein, alle auf Sitzplätzen. Der Haken: Fußballer haben dort keinen Zutritt. Das Stadion in der nördlichen Dubliner Innenstadt gehört der Gaelic Athletic Association (GAA), die sich um die traditionellen Sportarten Gaelic Football, Hurling und Camogie kümmert. 1884 gegründet, war die GAA ein Hort des Widerstands gegen die britische Besatzung. So traf 1920 nach einem IRA-Attentat der britische Vergeltungsschlag nicht zufällig den Croke Park: Englische Söldner erschossen während eines Gälischen Fußballspiels 13 Menschen, darunter den Kapitän des Teams aus Tipperary. Deshalb verachten viele Traditionalisten noch heute vor allem die englischen Sportarten Fußball, Rugby, Hockey und Cricket. Bis 1971 war es den GAA-Mitgliedern sogar streng verboten, sich diese barbarischen Spiele anzusehen, geschweige denn selbst zu spielen (…) In Schottland sieht es besser aus. Mit Hampden Park, Ibrox und Celtic Park in Glasgow und Murrayfield in Edinburgh hat man bereits vier EM-taugliche Stadien, und dierestlichen beiden werden rechtzeitig für das Turnier fertig, so hat die schottische Regionalregierung versprochen. Eigentlich wollte sich der schottische Fußballverband ja auch im Alleingang für die EM bewerben, doch so viel Geld mochte die Regierung in Edinburgh dann doch nicht locker machen. So befürchtet man nun, dass das politische Gerangel in Dublin einen Strich durch die keltische Europameisterschaft machen könnte. Als Geheimwaffe hat der Verband Alex Ferguson aufgeboten, den schottischen Trainer von Manchester United, der für die Erfolge seiner Mannschaft von der Queen geadelt wurde. Man solle die Schotten und Iren das Turnier ruhig austragen lassen, erklärte er den Uefa-Funktionären neulich, schließlich hätten sie die besten Fans der Welt. Sicherheitsprobleme gäbe es daher nicht.”
“Noch ist die Fussball-EM 2008 nicht an die Schweiz und Österreich vergeben”, meldet Peter B. Birrer (NZZaS 8.12.). “Dass nämlich oft der im Vorfeld als Favorit gehandelte Kandidat das Rennen nicht macht, zeigt das jüngste EM-Beispiel. Denn Portugal, das 1999 den Zuschlag für die EM 2004 erhielt, wurde neben Favorit Spanien nur Aussenseiterchancen zugebilligt. Die Vorteile Spaniens waren offensichtlich: Eine kompetitive Landesliga mit grossen Stadien sowie die Erfahrung mit der Austragung der WM 1982 und der EM 1964. Dem hatte Portugal wenig entgegenzusetzen. Das Land hatte nur in den Zentren Lissabon und Porto (baufällige) Grossstadien anzubieten. Über die Gründe, warum Portugal mit zehn Stimmen gegenüber vier für Spanien (und zwei für die Doppelkandidatur Österreich/Ungarn) obsiegte, kann bis heute nur spekuliert werden. So soll der damalige DFB-Patriarch Egidius Braun über ein falsches Zitat in einer spanischen Sportzeitung so erzürnt gewesen sein, dass er die Stimmung gegen Spanien beeinflusst habe; Eigeninteressen der Uefa und auch EU-politische Überlegungen in Brüssel sollen ins Gewicht gefallen sein. Die Vergabe der EM 2004 zeigt jedenfalls, dass die Favoritenrolle nicht zwangsläufig zum Wahlsieg führt.”
„Bosnien und Kroatien wollen die Vergangenheit vergessen – und werden von ihr eingeholt. Durch die Präsenz der internationalen Gemeinschaft ist es auf dem Balkan derzeit opportun, von Multikulturalismus und interethnischer Zusammenarbeit zu reden. Auch die Kandidatur der Verbände Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens für die Fussball- Europameisterschaft 2008 fällt in diesen Rahmen. Doch der Fussball auf dem Balkan wird weiterhin von der Vergangenheit belastet“, berichtet Dario Venutti (NZZ 7.12.). „In Sarajewo und Zagreb dominiert bei Fussballverantwortlichen neuerdings eine Phraseologie, die noch vor wenigen Jahren als Landesverrat gegolten hätte. “United in football, united in Europe” lautet das Motto der gemeinsamen Kandidatur Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens für die Fussball-EM 2008. Nachdem im jugoslawischen Zerfallskrieg der neunziger Jahre die Nationalisten in beiden Ländern die Unterschiede betont hatten und der Sport, insbesondere der Fussball, den Zerfallsprozess als Medium des Hasses mit vorbereitet hatte, präsentieren die beiden Verbände jetzt eine gemeinsame Broschüre, die jeden Tourismusdirektor vor Neid erblassen liesse. Die karge Schönheit der venezianisch geprägten dalmatinischen Küste wird dabei auf der gleichen Seite gezeigt wie der raue Charme des balkanischen Binnenlandes in Bosnien. Die Repräsentanten der beiden Verbände bemühen sich auf Schritt und Tritt um politische Korrektheit. Man gewinnt den Eindruck, dass sie die Gemeinsamkeiten nur deshalb hervorstreichen, weil auf Grund der Präsenz internationaler Organisationen und Geldgeber gar keine Alternative besteht (…) Die Kandidatur Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas zeigt nicht nur den Opportunismus einzelner Funktionäre, sie schliesst auch an eine Vergangenheit an, die man vor wenigen Jahren ebenfalls noch negiert hätte. Vlatko Markovic, der kroatische Verbandspräsident, beansprucht das Recht der beiden Länder auf die Durchführung der EM 2008, schliesslich liege das letzte Grossereignis mit den Olympischen Winterspielen in Sarajewo 1984 lange zurück. Zudem habe dieser Teil Europas Fussballer und Teams hervorgebracht, die den jeweiligen Konkurrenten um die EM 2008 hoch überlegen seien. Damit rekurriert Markovic auf den ex-jugoslawischen Fussball, dessen Ahnengalerie tatsächlich eindrücklich ist. Durch die politische Entspannung auf dem Balkan ist es ihm und seiner Generation wieder erlaubt, auf diesen Teil der Vergangenheit positiv zurückzublicken, schliesslich macht dieser Abschnitt auch einen grossen Teil ihrer Identität aus. Dass die jüngste Vergangenheit weiterhin eine Belastung für den Balkan darstellt und dies in absehbarer Zeit so bleiben wird, zeigt sich gerade im Fussball. Seit letzten Sommer existiert eine bosnisch-herzegowinische Fussballmeisterschaft, die alle drei ethnischen Gruppen umfasst. Die Spiele aber sind weiterhin eine Plattform für ethnischen Hass, was insofern auch nicht verwundern kann, als die Funktionäre noch die gleichen sind, die bereits in der Zeit der mentalen Vorbereitung des Krieges auf ihren Posten sassen. Am vorletzten Wochenende kam es im Stadtderby in Mostar zu Ausschreitungen, nachdem die Anhänger des kroatischen Vereins Zrinjski Bilder des Ustascha- Führers Ante Pavelic gezeigt und nach dem Spiel das Feld gestürmt hatten. Und in Banja Luka, im serbischen Teil Bosniens, feierten Fans das Massaker in Srebrenica mit einem Transparent, als Zeljeznicar aus Sarajewo dort spielte.”
„Die nordeuropäische Kandidatur für die Fussball-EM 2008 setzt neue Massstäbe. Erstmals bewerben sich vier Ländergemeinsam um die Durchführung eines bedeutenden Turniers. Nordic 2008 besticht durch Realismus und eine solide infrastrukturelle Basis. Noch wichtiger könnte aberein politischer Aspekt werden: Lennart Johansson ist Präsident der Uefa – und ausserdem Schwede“, schreibt Thomas Renggli (NZZ5.12.). „Vier Länder (Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland) als Veranstalter eines Turniers; dazu Island und die Färöer-Inseln als moralische und logistische Sekundanten: Aussenstehende runzeln irritiert die Stirn. Wo führt das hin, halb Europa als Organisator eines Anlasses? Beanspruchen die Veranstalter vier fixe Startplätze? Würde man während dreier Wochen öfter im Flugzeug als in Fussballstadien sitzen? Und überhaupt: Hat Schweden die EM nicht schon vor zehn Jahren durchgeführt? – Pertti Alaja bringt solchen Einwänden wenig Verständnis entgegen. Der Direktor der Kandidatur „Nordic 2008“ leistet Aufklärungsarbeit im Akkord, ist darum bemüht, Missverständnisse aus der Welt zu schaffen. Er weist auf die gemeinsame Geschichte der Länder, die kulturellen und politischen Schnittstellen hin. Der ehemalige Torhüter der finnischen Fussball-Nationalmannschaft hat auch in technischer Hinsicht stapelweise Argumente parat, wieso die nordische Kandidatur den Zuschlag verdient hätte – Argumente, die plausibel Tönen. Das Konzept, das Turnier auf vier Nationen zu verteilen, gilt als Entscheid der Vernunft und wird der Situation in den einzelnen Ländern gerecht. Auf Grund der breiten Basis befinden sich die Nordeuropäer in Sachen Infrastruktur in einer beneidenswerten Lage. Präsentierten andere Bewerbungs-Komitees den Uefa-Inspektoren vor allem Projekte, Absichtserklärungen und Luftschlösser, so stehen in Nordeuropa sieben von acht Stadien schon heute und müssten bloss ausgebaut oder renoviert werden. (…) „König Fussball“ hat auch in Nordeuropa das Sagen. Die Allsvenska beispielsweise überschritt in der zu Ende gegangenen Saison erstmals seit 1968 die Marke von 10.000 Zuschauern pro Spiel. Das Göteborger Stadtderby zwischen IFK und Örgryte – übrigens während der Eishockey-Weltmeisterschaft ausgetragen – sahen im letzten Mai 42.000 Fans. In Dänemark, Norwegen und Finnland werden diese Werte im Meisterschaftsalltag zwar nicht erreicht; schreiten aber die Nationalmannschaften zur Tat, erreicht der Enthusiasmus fast schon südländische Dimensionen. Ausserdem blickt der Fussball-Norden Wochenende für Wochenende gebannt in Richtung Grossbritannien. Die vielen skandinavischen Legionäre im britischen Fussball, aber auch die hohen Umsätze an den nordeuropäischen Wettschaltern machen die Premier League zum omnipräsenten Medienthema. Auch in anderer Beziehung könnte das am 12. Dezember zu einem relevanten Aspekt werden. Dass sich Nordeuropäer und Briten gern haben, bereitet in der Schweiz und in Österreich einigen Leuten Sorgen. In politischer Hinsicht noch wichtiger dürfte ein anderer Faktor werden. Lennart Johansson ist Präsident der Uefa und ausserdem Schwede. Er unterlag 1998 im Rennen um die Fifa-Präsidentschaft dem Schweizer Sepp Blatter. Auch sonst hatte er nur selten das letzte Wort. Johanssons Amtszeit neigt sich dem Ende entgegen. Könnte er seine Abtritts-Gratifikation frei wählen, wäre die Europameisterschaft 2008 vermutlich schon jetzt vergeben. Die Nordeuropäer setzen auf traditionelle Werte, auf die fast schon selbstverständliche Sportbegeisterung der Bevölkerung und auf einen gewissen Sympathie-Bonus. „United Smile“, steht auf ihrem Dossier. Wer schon einen Sommer im Norden erlebt hat, der weiss, dass das kein leeres Versprechen ist. Sind die Tage erst einmal länger als die Nächte, lacht im Norden nicht nur die Sonne. Und alle, die sich vor Eisbären fürchten, seien hier beruhigt. Die gibt’s nur am Nordpol. Und dort wird selten Fussball gespielt.“
Ilja Kaenzig (NZZ 4.12.) über den Kandidaten Russland. „Die russische Bewerbung für die Fussball-EM 2008 stand von Anfang an unter keinem guten Stern: Nach Ablauf der Frist eingereicht, wurde sie von der Uefa nur auf Grund der Datierung der Unterlagen noch akzeptiert. Schwächen der Kandidatur sind die unsichere Finanzierung von Stadionneubauten (…) Für das Lobbying der entscheidenden Uefa- Exekutivmitglieder wird das ganze politische Gewicht Russlands in die Waagschale geworfen: In den jeweiligen Herkunftsländern der Mitglieder wurden die russischen Botschafter für diese Aufgabe aktiviert. Auf allerhöchster Staats- und Wirtschaftsebene soll Präsident Wladimir Putin nach Vorbild von Bill Clinton und François Mitterrand (die die Olympischen Spiele 1996 beziehungsweise die Fussball-Weltmeisterschaft 1998 in ihre Länder holten) agieren. Für die Transfers der Uefa-Inspektorengruppe wurden standesgemäss das Flugzeug des Präsidenten und ein speziell für diesen gebautes Schiff zur Verfügung gestellt. Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow präsentierte anlässlich des Besuchs dieser Gruppe in Moskau eine Technologie zur Auflösung von Wolken, so dass, sollte Russland den Zuschlag zur Ausrichtung der Spiele erhalten, die Europameisterschaft garantiert unter klarem Himmel stattfinden würde. Lässt man Spekulationen über mögliche Einflüsse auf die Entscheidung über die Vergabe der Europameisterschaft 2008 jedoch beiseite und betrachtet nur die Fakten der einzelnen Bewerbungen, so erscheint die russische Kandidatur als sehr „künstlich“ und enthält zudem die typischen Unzulänglichkeiten. Bei der Auswahl der Städte wurde nicht auf touristische Orte wie beispielsweise Sotschi an der Schwarzmeerküste gesetzt, sondern, nach einem Prinzip von Koloskow, auf Städte, in denen eine entsprechende Organisations-Infrastruktur bis jetzt völlig fehlt, von Seiten der Bewohner und der regionalen Verwaltung aber eine grosse Fussballbegeisterung vorhanden ist. Gleichzeitig soll die Auswahl der Austragungsorte aus der Provinz des Riesenreichs die Möglichkeit eröffnen, den Tourismus im Land wiederzubeleben, besteht Russland für die meisten Westeuropäer doch nur noch aus den beiden Städten Moskau und St. Petersburg.“
„Die gemeinsame Bewerbung um die Austragung der Fußball-Europameisterschaft 2008 soll nicht nur die Versöhnung zwischen der Türkei und Griechenland vorantreiben, sondern auch das türkische Anliegen einer EU-Mitgliedschaft fördern“, berichtet Jürgen Gottschlich (taz 30.11.). „Tatsächlich hat die gemeinsame Bewerbung um die Ausrichtung der Fußball-EM das Glück des richtigen historischen Augenblicks im Rücken. Als die Idee vor ein paar Jahren aufkam, befanden sich Griechenland und die Türkei noch mitten im Kalten Krieg, und eine gemeinsame EM schien die Träumerei einiger Phantasten. Mittlerweile sieht das ganz anders aus. Seit der emotionalen Annäherung der beiden Länder im Gefolge des großen Erdbebens 1999 hat sich die politische Szenerie erstaunlich verändert. Heute treffen sich griechische und türkische Außenminister mitsamt ihren Familien an ihren Urlaubsorten, die Zahl griechischer Besucher in der Türkei hat erheblich zugenommen, und der griechische Ministerpräsident ist im Kreise seiner EU-Kollegen mittlerweile zum eifrigsten Befürworter einer türkischen EU-Mitgliedschaft geworden. In der letzten Woche reiste der Sieger der jüngsten türkischen Wahlen, Tayyip Erdogan, zu einem Besuch von Ministerpräsident Kostas Simitis nach Athen. Und seit UN-Generalsekretär Kofi Annan seinen Zypernplan vorlegte, gibt es berechtigte Hoffnungen, dass dieser größte Stolperstein zwischen den beiden Ländern genau rechtzeitig zum 11. Dezember aus dem Weg geräumt sein könnte.“
Andreas Oplatka (NZZ 3.12.) beleuchtet die Kandidatur Ungarns. „Ungarn hatte sich, zusammen mit Österreich, schon um die Veranstaltung der Europameisterschaft von 2004 beworben, und nun wurde in Budapest wie in Wien erwogen, diese gemeinsame Kandidatur zu erneuern. Dass das westliche Nachbarland schliesslich lieber mit der Schweiz zusammenspannte, empfand man in Ungarn als einen kleinen Verrat der aus historischen Gründen neckend-freundlich „Schwäger“ genannten Österreicher. Gespräche mit Kroatien über die gemeinsame Veranstaltung der EM führten schliesslich zu keinem Ergebnis, wobei nach kroatischer Angabe die Ungarn auch die Idee aufwarfen, eine „mitteleuropäische Meisterschaft“ unter Beiziehung der Slowakei, Sloweniens und Rumäniens ins Auge zu fassen. Hernach entschloss man sich aber in Budapest, allein zu kandidieren. Bestärkt fühlten sich die ungarischen Instanzen in dieser Wahl durch Fachmeinungen, so auch durch den Präsidenten der Fifa, Sepp Blatter, der bei einem Besuch in Budapest erklärt hatte, Ungarn habe wohl dann die günstigsten Aussichten, wenn es sich allein bewerbe. Der damalige Minister für Jugend und Sport, Tamás Deutsch, schätzte, dass die Chancen seines Landes jetzt etwas besser seien als vor der EM von 2004, er trauerte allerdings ein wenig der – seinerzeit auch erwogenen – Möglichkeit einer ungarisch-österreichisch-kroatischen Kandidatur nach (…) Das in Budapest vor rund fünfzig Jahren eingeweihte Népstadion ist unlängst wohl nach Ferenc Puskás, dem legendären Stürmer der «goldenen Mannschaft» jener Zeit, umbenannt worden. Doch man hat die zweite obere Hälfte der Arena bis heute nicht gebaut. Wozu auch? Damals, 1954, wohnten gut 80.000 Zuschauer dem Spiel bei, in dem das von Puskás angeführte ungarische Nationalteam die Fussballgrossmacht England mit 7 zu 1 Toren überfuhr. Jetzt dagegen machen die Fussballbegeisterten an einem Länderspiel, selbst wenn der Gegner Rang und Namen hat, zumeist nur noch einen Viertel der einstigen Besucherzahlen aus. Auf Begegnungen in der ungarischen Meisterschaft sind gewöhnlich nur einige Tausende neugierig, und selbst die populärste Klubmannschaft, Ferencváros, ist schon zufrieden, wenn sie ein Heimspiel vor mehr als 10.000 Anhängern austragen darf. Die Gleichgültigkeit hat, versteht sich, mit dem ärgerlich bescheidenen Niveau zu tun, auf dem der ungarische Fussball nun schon seit längerer Zeit verharrt. Nur allzu natürlich in dieser Lage, dass sich angesichts der Ambitionen, die Europameisterschaften 2008 zu organisieren, Zweifel regen. Eine einzige einfache Frage fasst sie zusammen: Und was geschieht nachher?“
Gewinnspiel für Experten