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Angesichts der „rasanten Talfahrt“ des europäischen Fußballfinanzmarkts

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Angesichts der „rasanten Talfahrt“ des europäischen Fußballfinanzmarkts

Angesichts der „rasanten Talfahrt“ des europäischen Fußballfinanzmarkts meint Philipp Selldorf (SZ 15.7.). „Was Hollywood uns vorenthält, das enthüllt im Fußball der Alltag gnadenlos. Erst zwei Wochen sind vergangen, seitdem Guus Hiddink in Seoul den „Orden des tapferen Tigers“ erhalten und Rudi Völler die Huldigungen seiner Landsleute empfangen hat. Tage wie mit Rosen umkränzt, aber jetzt scheint es, als wären sie in einem anderen Leben, vielleicht niemals geschehen. Nun ist alles wie vorher – nur viel schlimmer, denn im Erwachen wird die Wirklichkeit erdrückend.“

Den schleppenden „Sommerschlussverkauf“ auf dem europäischen Transfermarkt beschreibt Michael Ashelm (FAZ 16.7.). „In weniger als vier Wochen rollt der Ball wieder in der deutschen Bundesliga, doch ausgiebige Vorfreude will nach der hervorragenden Eigenwerbung in Fernost bei der Branche nicht aufkommen. Das schwerfällige Wechselspiel ist nichts anderes als das unverkennbare Zeichen dafür, dass die Finanzströme immer spärlicher fließen (…) Die Marktgesetze erfordern die ersten Anpassungserscheinungen. Daraus eine grundsätzliche Mentalitätsveränderung bei den Beteiligten abzuleiten wäre verfrüht: Der griechische Uefa-Pokal-Teilnehmer Paok Saloniki hat sich auf Kosten anderer Vereine so hoch verschuldet, dass er derzeit keine Transfergebühren begleichen kann und will. Bis sich das neue Prinzip des Fußballs – weniger ist mehr – durchgesetzt hat, sind wohl noch einige schmerzhafte Erfahrungen notwendig.“

Michael Ashelm (FAS 14.7.) an anderer Stelle. „Die große Sparwelle im Fußball zeigt in diesen Wochen viele Ausprägungen, spürbar wird sie in erster Linie für den Vertragsspieler aus dem zweiten oder dritten Glied, aber auch für einige der Stars. Der Abschwung, dessen Gründe wohl mehr im schlechten Wirtschaften der Vereine als in der Kirch-Krise zu suchen sind, hatte sich immer wieder angedeutet, für viele kam er trotzdem überraschend. Weniger Geld heißt weniger für alle in der langen Verwertungskette bis hin zu den Profis.“

Dirk Schümer (FAZ 16.7.) analysiert die Signalwirkung des freiwilligen Gehaltsverzichts von Profis der Serie A. „Dass nun drei der bestbezahlten Spieler, Ronaldo, Vieri und Recoba von Inter Mailand – sie kassieren zusammen vierzig Millionen Euro –, tatsächlich auf ungenannte Teilbezüge verzichten wollten, gaben sie über ihre Berater in altvertrauter Unverschämtheit als eine „Geste des Herzens“ aus. In Wahrheit, da andere Starspieler bereits Abstriche von zwanzig bis fünfzig Prozent machen mussten, handelt es sich um eine Geste der Brieftasche (…) Doch scheinen viele der jungen Multimillionäre immer noch in der rosafarbenen Welt der Sorglosigkeit und der kitschigen Sprüche zu leben, in der sie von Medien, Beratern und Klubs wie seltene Zootiere gehätschelt wurden.“

Zum selben Thema meint Philipp Selldorf (SZ 13./14.7.). „Uli Hoeneß, der in all den Jahren wie Moses vor dem Volke Israel zur Vernunft mahnte, als Italiener, Spanier, Engländer dem Transfermarkt neue, irrwitzige Grenzen steckten, darf sich bestätigt fühlen. Lustigerweise sind es besonders die Bayern, die beim Kauf von Deisler, Ballack und Zé Roberto das Geschäft mit frischem Geld beleben.“

Zur Reduzierung der Champions League meint Reinhard Sogl (FR 12.7.). „Nun ist es aber keineswegs so, als wolle die Uefa mit der Reduzierung der Champions League von 17 auf 13 Spieltage allein ihrem Produkt Europameisterschaft zu einer Qualitätssteigerung verhelfen. Das ist allenfalls ein hoffentlich positiver Nebeneffekt des Gesundschrumpfens. Es ging beim Votum für die Reduzierung vor allem um den finanziellen Aspekt, der die Klubs mindestens so stark interessiert wie die Sorge um die Gesundheit der Angestellten. Schließlich haben sich auch und gerade Spiele in der selten attraktiven Zwischenrunde häufig genug als Zuschussgeschäfte erwiesen, weil die Zuschauer ausblieben und die Quoten für die Fernsehübertragungen in den Keller gingen.“

Thomas Klemm (FAS 14.7.) zum selben Thema. „Doch geht die Uefa mit ihrer Entscheidung auf Konfrontationskurs zu den Vereinen, die im Februar den derzeitigen Modus mehrheitlich für gut befunden haben. Die „G 14“, der Zusammenschluss europäischer Spitzenklubs, hat prompt gegen die „Kehrtwende“ gewettert. In Zeiten wirtschaftlicher Not mögen sie sich nicht ums große Ganze kümmern, sondern sehen ihre Eigeninteressen gefährdet. Gerade Klubs aus Italien, Spanien oder Portugal, die jahrelang über ihre Verhältnisse lebten und jetzt im Eilverfahren das Krisenmanagement erlernen, würde der Verlust von Planungssicherheit, von Einnahmen aus zwei Heimspielen sowie voraussichtlich geringeren Fernsehgeldern ins Mark treffen. Selbst eine Verringerung der Spielerkader könnte die Finanzlücke schwerlich ausgleichen.“

Den Lizenzstreit kommentiert Wolfgang Hettfleisch (FR 16.7.). „Mehr und mehr drängt die Frage, wie die DFL ihren Spielbetrieb noch gebacken kriegen will, wenn die Rechtshändel fortdauern, alles andere in den Hintergrund. Die Hachinger, die so handeln, wie es wohl jeder an ihrer Stelle täte, setzen auf den Faktor Zeit. Solange die Angelegenheit gerichtlich nicht ausgestanden ist, gehören sie der zweithöchsten Spielklasse an. Und schon bald wird die DFL nicht mehr sagen können: Husch, husch in die Regionalliga.“

Norbert Seitz (Das Parlament 8./15.7.) resümiert die politische Wirkung der Fußball-WM in Asien. „Der Fußball hat sich mittlerweile zu einem globalen Machtfaktor entwickelt. Seine Popularität kann sich durchaus mit der von Weltreligionen messen. Von einer anachronistischen Gattung namens „Fußball-Länderspiel“ kann keine Rede sein, auch wenn dieses zwar spannende, aber spielerisch doch sehr dürftige Turnier in Korea und Japan die qualitativen Unterschiede zwischen Länderfußball und gehobenem Vereinsfußball deutlicher denn je offenbarte. Doch trotz fehlender Spitzenklasse blieb eine ungebrochene Identifikation mit Länderteams festzustellen. Noch immer tragen deren Siege zum nationalen Prestige bei, werden Niederlagen je nach politischer oder ökonomischer Situation als tragisch, schmachvoll oder sogar als Katastrophe empfunden (…) Neben eher verhaltenen Instrumentalisierungsversuchen wurde in Deutschland während der WM mit Blick auf die Bundestagswahl reichlich von den Fußballerfolgen symbolischen Gebrauch gemacht. Als das prächtig aufgelegte deutsche Team im ersten WM-Spiel einen 8:0-Kantersieg hinlegte, war vielen SPD-Delegierten die Freude auf dem Berliner Wahleröffnungsparteitag sichtlich anzumerken, Manche schienen das Schützenfest von Sapporo als Steilvorlage für die Kanzlerpartei zu werten.“

Über das Engagement Terry Venables bei Leeds United schreibt Raphael Honigstein (SZ 15.7.). „In der Tat dürfte es für den zuletzt im oberen Mittelfeld gestrandeten Traditionsklub unter Venables wieder aufwärts gehen. Der Mann mit dem Faible für den offenen Hemdkragen gilt seit der Euro 1996, als er die englische Mannschaft im eigenen Land mit taktisch ausgereiftem Angriffsfußball bis ins Halbfinale führte, unbestritten als Koryphäe seiner Zunft (…) Der im Londoner Eastend geborene Mann gilt in England als der Cockney Geezer schlechthin; der Prototyp eines unheimlich charmanten Londoner Schlitzohres, das es mit Regeln und Gesetzen nicht so genau nimmt, aber seine Freunde nie im Stich lassen würde. Venables vermag ähnlich wie Rudi Völler, Missstimmigkeiten kumpelhaft wegzuzwinkern und kleinere Probleme mit einer sanften Umarmung in reinem Wohlgefallen aufzulösen.“

Zur Gründung der Antidoping-Agentur Nada schreibt Thomas Kistner (SZ 16.7.). „Die Nada gibt es, weil Doping nicht als Einzelphänomen, sondern als Systemzwang erkannt wird. Systemzwänge aber sind nicht von innen zu lösen; schon gar nicht, wenn sie von gewaltigen Wirtschaftsinteressen geschürt werden. Es wird also, wenn schon der mächtigste Partner im Geschäftsfeld Leistungssport wegfällt (und als erfolgssüchtiger Sponsor eher den wettbewerbsverzerrenden Faktoren zuzuordnen ist), ein Antidoping-Gesetz weiter erforderlich sein.“

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