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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Armer Ramelow – Provinzbühne Frankfurt

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Armer Ramelow – Provinzbühne Frankfurt

Ein Abbild der Durchschnittlichkeit

Ärgerlich! Jörg Kramer (Spiegel 16.6.) registriert, dass Optimismus und Stimmung im Umfeld der deutschen Nationalmannschaft gesunken sind. Dabei bedient er sich einer alten Leier: das blasse Image Carsten Ramelows. „Fußball-Deutschland befindet sich im Tief. Und die Hoffnung, ein durch erstaunliche Fügungen zu Stande gekommener zweiter Platz bei der letzten Weltmeisterschaft könnte beim globalen Championat 2006 im eigenen Land noch übertroffen werden, welkt dahin. Dem Münchner Teamleader Michael Ballack schwant, dass wir in der Quantität der Spieler noch nicht die Klasse haben. Auf dem Weg zur Qualifikation für die Europameisterschaft 2004 geht der Nationalmannschaft offenbar jede Zuversicht verloren. Auch wenn DFB-Boss Gerhard Mayer-Vorfelder keine Bereitschaft zur Kenntnisnahme der neuen Lage zeigte (Ich such jetzt nicht nach einem großen Haar in der Suppe): Inzwischen ist der Zweifel über die Glaubensgemeinschaft der deutschen Fußballfreunde gekommen. Bisher waren die Fans optimistisch: Mit kümmerlichen Vorstellungen wie zuletzt beim 1:1 gegen Litauen oder dem 1:0 gegen Serbien und Montenegro werde es ein Ende haben, sobald der Stratege Ballack, 26, wieder die Fäden ziehe. Doch jetzt folgte seinem schlappen Comeback gegen Schottland eine neuerliche Verletzungspause, und der Leverkusener Ramelow sagte im Teamquartier von East Kilbride bei Glasgow über den Fußballer des Jahres: Der Michael ist ein absolut wichtiger Spieler. Aber es wird ein bisschen viel drum gemacht. Ramelow klang genervt. Der blasse Biedermann vom Bayer-Team, wegen seiner zuverlässig unspektakulären Spielweise oft unterschätzt und dennoch beinahe mit Leverkusen brav und emotionslos in die Zweitklassigkeit abgestürzt, steht für eine ernüchternde Erkenntnis: Nicht die Eleganz des torgefährlichen Ballack ist stilbildend für die deutsche Auswahl. Das Spiel der DFB-Elf ist vielmehr ein Abbild der Durchschnittlichkeit Ramelows. Es ist schmucklos und bleiern. Der gebürtige Berliner vermeidet gern Risiken. Selbst wenn er mit dem Ball am Fuß stürmt, sieht es aus, als wollte er sich und die Kugel verteidigen. Manchmal haben seine unscheinbaren Ballabgaben strategischen Wert. Oft ist jedoch der Raumgewinn seiner Aktionen so wenig Aufsehen erregend, dass sein ehemaliger Vereinstrainer Berti Vogts darüber spottete: Drei Pässe nach links, drei Pässe nach rechts. Hauptsache, keine Fehler machen. Als er dann Ende März gegen Litauen ein Tor mit der Hacke erzielte, staunte die Öffentlichkeit. Wenn Ballack, der Beckham of Bavaria (Daily Record), für die Sehnsüchte der deutschen Fußballfans steht, repräsentiert Carsten Ramelow die unspektakuläre Wirklichkeit. Gegen Schottland erreichten 88 Prozent seiner Pässe zielsicher einen Mitspieler – ein Spitzenwert. Gewagte Spielzüge waren freilich kaum dabei. Nichts an Ramelow ist aufregend. Von ihm erwartet man nichts, außer dass er seine Pflicht erfüllt [offenbar doch]. Ramelow ist einer, der ohne viel Aufhebens die Vorschriften achtet. So erntet er kaum Kritik, ragt aber niemals heraus. Der Aufräumer, eigentlich Mittelfeldspieler, hilft ohne zu murren in der Abwehr aus. Sein früherer Trainer Christoph Daum nannte den Anti-Star seinen Umsetzer. Das legte schon den Verdacht nahe, dass Ramelow fremde Ideen verwirklichen kann, selbst aber keine Entwürfe kreiert. [Welch eine Verdrehung der Tatsachen, das bedeutendste Lob, das man einem Fußballer aussprechen kann – die „rechte Hand“ des Trainers auf dem Feld zu sein – derart gegen den Gelobten umzukehren! Boulevardstil!] Michael Ballack dagegen weckt das Verlangen nach der Schönheit des Spiels. Dabei greift er nur selten ein. Fast immer scheint er sich für die ganz wichtigen Augenblicke zu schonen. Fünf der letzten sechs Länderspiele ließ er aus. Und als er jetzt im Glasgower Hampden Park vom Gegner gezielt matt gesetzt wurde, sprang niemand in die Bresche, um das Spiel zu lenken (…) Ramelow, der eine Ausbildung zum Polizisten zu Gunsten der Profilaufbahn abbrach, ist schnell zufrieden. Er ist der Typ Angestellter, der, wie der Kommentator von Sport Bild lästerte, bei Gleitzeit nicht betrügt – eben der brave Mann von nebenan. Der FAZ galt er vor eineinhalb Jahren als Prototyp einer Fußball-Generation, die im Zweifel für Verlierer gehalten wird. Nach dem Finaleinzug bei der WM stand er vorübergehend im Ruf, Angehöriger einer Siegernation zu sein. Das ist nun wieder vorbei. Der Generation 2006, angeführt vom farblosen Ramelow, traut kaum noch jemand große Sprünge zu. Die Zeitung The Scotsman sieht den teutonischen Mythos von der Unfehlbarkeit unterminiert. Deutschlands Kick-Elite spielt den Fußball des 21. Jahrhunderts ideenlos und im Tempo der achtziger Jahre.“

O.F.: Was mich an diesem Text alles in allem stört? Kramer gibt im Titel vor, die Situation der deutschen Nationalmannschaft beurteilen zu wollen. Letztendlich widmet er seine Aufmerksamkeit jedoch allein dem vermeintlichen „Biedermann“ und Abwehrchef Ramelow, dem er allen Ernstes vorwirft, nicht riskant genug zu spielen. Spielerische und kreative Defizite des DFB-Teams ausgerechnet einem – im übrigen meist sehr verlässlichen – Abwehrspieler anzukreiden widerspricht fairer Argumentation und gängiger Fußball-Logik. Carsten Ramelow, an den Erfolgen Bayer Leverkusens und am Finaleinzug der DFB-Elf bei der WM 2002 maßgeblich beteiligt, taugt sicherlich nicht zum Idol, und man muss seine staksigen Bewegungen nicht mögen. Allerdings stehen pflichtbewusste sowie auf Eleganz und Posen verzichtende Spieler seiner Art hierzulande immer zurecht in gutem Ruf, zumal Fußballdeutschland diesem Typ sehr viel zu verdanken hat. Darüber hinaus: Sollte man die Ursachen der Misere nicht eher im Sturm und im zentralen Mittelfeld vor der Abwehr suchen? Ich bleibe dabei: Mit dem damals gesperrten Ramelow hätten wir nicht 5:1 gegen England verloren!

Warum der Deutsche Fußball-Bund zur neuen Saison die A-Junioren-Bundesliga einführt Tsp

Laiendarsteller auf der hessischen Provinzbühne

Thomas Kilchenstein (FR 23.6.) kritisiert die Führungsschwäche des Bundesliga-Aufsteigers. „Das Bild, das die Eintracht in der Öffentlichkeit abgibt, ist ein grauenvolles, ein elendiges. Der Streit um Macht, Einfluss und Kompetenz fußt im Kern auf der Aufsplitterung des Clubs in einen Verein (für Jugend und Breitensport verantwortlich) und in die AG (für die Profis zuständig). Eine Aufsplitterung, die zwar vollzogen, im Grunde aber nie wirklich gewünscht wurde: Seitdem ging und geht es um verletzte Eitelkeiten, um fehlenden Respekt, um verlorene Besitzstände und die schiere Lust an der Provokation. Es herrscht latentes Misstrauen. Von kaltem Profitdenken, vom Ausverkauf der Ideale ist auf der einen Seite die Rede, während die andere heillos überforderte Vereinsmeier am Rad drehen sieht, kleinkariert und provinziell. Und alle miteinander wissen es sowieso immer besser. So kommt es, dass inzwischen ein (vom Verein kommender) Aufsichtsratsvorsitzender deutschlandweit bekannter ist als etwa der linke Verteidiger der Profimannschaft. Die nervigen, aus Profilsucht angezettelten Scharmützel vieler Laiendarsteller auf der hessischen Provinzbühne zeigen evident, dass Eintracht Frankfurt ein eklatantes Führungsproblem hat. Da ist keiner da, der die große, klare Linie vorgeben würde, der die Kontrahenten endlich zum Schweigen bringen könnte. In dieses Machtvakuum stößt immer mal rein, wer gerade meint, was zum Besten geben zu müssen.“

Erik Eggers (FR 21.6.) erzählt die Story eines Knaben in der Champions League. „Er hat es schon einmal erlebt. Durfte kosten von diesen unfassbaren Emotionen, die in der Champions League von Zehntausenden auf das Spielfeld geschleudert werden. Erfuhr die ungebremste Wucht der Gesänge. Die Fans von Newcastle United verhöhnten den Gastgeber Leverkusen mit Are you Sunderland-Chören, weil Bayer genauso schlecht war wie der verhasste englische Tabellenletzte. Doch das hat Jan-Ingwer Callsen-Bracker nicht registriert. Er musste sich kümmern um die vielen Konter, die das 1:3 fast in ein Debakel verwandelt hätten. Pfeilschnelle Stars rasten auf ihn zu in den letzten 20 Minuten, die seine waren. Aber nicht die Stürmer flogen dann an ihm vorbei, sondern die Zeit. Wie in einem Traum, wie ihn so viele träumen. Dabei ist er erst 18 und geht noch zur Schule. Dieser 18. Februar ist nun ein paar Monate her, das Davor jedoch ist noch immer präsent: Als Thomas Hörster Trainer wurde, weiß Callsen-Bracker noch, hat der mich angerufen und gesagt: Komm‘, Du trainierst mit. Bei den Profis (…) Nicht, dass Callsen-Bracker versagt hätte auf dem Rasen, im Gegenteil. Er machte seine Sache souverän, urteilte etwa die taz. Nein, die Probleme verursachte der lange Name und die unbekannte Vita. Ein Hänfling von 18 Jahren. Halbdäne, Regionalligaspieler, wusste die taz nur vage. Nicht mal der Mann von Bild, der sonst alle Akteure in seinem Claim kennt, hatte diesen Namen in petto – und auch nicht Patron Reiner Calmund, der ihn nach der Partie Callsen-Gedönsheimer-Schmallenberg nannte. Als Bild den Wechsel per Telefon in die Redaktion durchbuchstabierte, beschwerte sich die Redaktion: Name zu lang. Passt nicht in die Zeile. Am nächsten Tag stand überall Callsen Bracher. Das war ihm egal.”

Gewinnspiel für Experten

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