Ballschrank
Aufregung über Gewalt gegen deutschen Nachwuchs – sportliche Hoffnung
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| Donnerstag, 25. März 2004Fußball mal wieder im Dienst der nationalen Sache
Michael Horeni (FAZ 20.11.) kommentiert die Gewalt beim U21-Länderspiel Türkei gegen Deutschland: “Was in Istanbul geschah, geht über die Grenzen der Fußballgerichtsbarkeit hinaus. Die türkisch-deutschen Reaktionen machten eine Distanz deutlich, die sich aus nationalistischen Gefühlen und Hochmut speist. Aus türkischen Medien klang es, als ob durch übertriebene Freude und beleidigende Gesten der deutschen Spieler die türkischen Zuschauer zu den Ausschreitungen provoziert worden und berechtigt gewesen wären. Politik und Fußball sind, und das hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, aber vor allem in der Türkei schwer voneinander zu trennen gewesen. Spiele der Nationalmannschaft im Ausnahmezustand häufen sich, und vor der entscheidenden EM-Qualifikationsbegegnung schikanierte in dieser Woche sogar der türkische Zoll die lettische Nationalmannschaft. Die Spieler mußten wegen ungültiger Visa zwei Stunden in einer Schlange warten, dann wurden sie von Rauschgifthunden beschnüffelt. Der Präsident des türkischen Verbandes hatte sich, wie gemeldet wird, für diese Maßnahme bei der Regierung eingesetzt. 75 Millionen Türken, so sagte er, warteten auf einen Sieg. Fußball mal wieder im Dienst der nationalen Sache – da hat noch nie jemand gewonnen.“
Christoph Schröder (FR 20.11.) hält die Aufregung für übertrieben: „Wer jemals Kontakt mit türkischen Fußballschaffenden hatte, weiß, dass das nichts mit einem politischen System zu tun hat, nichts mit Menschenrechten oder einer bestimmten Auffassung von Staatsmacht, sondern in erster Linie mit Fußball und allenfalls noch mit nationaler Psychologie. Das Zauberwort heißt Respekt, und das gilt für die Türkischen Sportfreunde Usingen in der Landesliga Hessen genau wie für die türkische Nationalmannschaft, nur eben im kleineren Rahmen. Die Deutschen hatten keinen Respekt. Das zeigte sich bereits im Hinspiel, als U 21-Nationaltorhüter Tim Wiese, ein in Fitness-Studios grotesk aufgeblasener und solariumverbrannter Vollprolet, der hin und wieder gut hält und sich ansonsten darauf konzentriert, seinen Gegenspielern die Knochen zu polieren, das türkische Publikum gezielt mit Feuerzeugen bewarf (die freilich zuvor ihn getroffen hatten). In Istanbul stürmte er nach dem Ausgleich quer über das Feld, provozierte das Publikum und verhöhnte, so sah es jedenfalls aus, seine Gegenspieler. Respektlos. Während die türkischen Spieler nach dem Abpfiff auf dem Rasen weinten, sorgte die staatliche Exekutive in ihrer kurzfristigen Funktion als verlängerte Ersatzbank der Jungen Wilden für Satisfaktion und Respekt. Unschön, aber damit hat sich’s auch.“
André Görke Thomas Seibert (Handelsblatt 20.11.) berichten Details: „Die Bilanz sah am Abend so aus: Der Schiedsrichter lag nach dem Abpfiff mit einer Kopfplatzwunde in seiner Kabine, die genäht werden musste. Dem deutschen Abwehrspieler Maik Franz wurde ein Funkgerät über den Kopf geschlagen, so dass er eine Risswunde am Ohr erlitt. Benjamin Auer wurde von einem Polizisten im Kabinengang getreten und der Dolmetscher „mit einem Faustschlag“ (Florin) niedergestreckt. „Das war kein Fußballspiel, das war Krieg“, sagte Trainer Ulli Stielike. Nach dem Abpfiff hatte er einem türkischen Fernsehsender ein Interview gegeben. „Wir geben zwei Millionen Menschen aus der Türkei Arbeit“, hatte Stielike auf unterstem Stammtischniveau herausposaunt. Da sei es nicht zu viel verlangt, dass türkische Fans beim Abspielen der deutschen Nationalhymne Ruhe bewahren. Dem deutschen Trainer warf der Präsident des türkischen Fußball-Verbandes, Haluk Ulusoy, daraufhin Rassismus vor. „Ich glaube, ihm ist rausgerutscht, was er im Innersten fühlt.“ Und der türkische Trainer Rasit Cetiner sagte, Stielike rede nicht wie ein Fußballtrainer, „sondern wie ein Politiker“. Am Tag danach, als auch noch der Stuttgarter Christian Tiffert „über Kopfschmerzen“, klagte, weil ihn „irgendwas“ getroffen habe, machten die türkischen Medien die deutsche Mannschaft verantwortlich für die Ausschreitungen. Deutsche hätten in der Kabine randaliert, heißt es, und die Zeitung Cumhurriyet schreibt, dass „die Fans halt getan haben, was sie nicht sein lassen konnten“. Bedauerlich sei nur, „dass wir wieder als barbarische Türken dastehen“. Angeblich überlegt der türkische Verband, sich über die Deutschen bei der Uefa zu beschweren.“
Man braucht die jungen Deutschen einfach nur spielen zu lassen
Josef Kelnberger (SZ 20.11.) widmet sich dem Sport: „Von den Franzosen lernen heißt – nein, nicht gleich siegen lernen, das ist so eine typische Übertreibung. Von den Franzosen lernen heißt erst einmal: Französisch lernen. Zum Beispiel das Wort espoir, vielmehr den Plural: espoirs. Hoffnungen. So nennen die Franzosen ganz offiziell ihre Nachwuchsauswahl, die man in Deutschland so hässlich U 21 nennt, bloß weil sie alle unter 21 Jahre alt sein müssen. Aber kann man jemanden, der U 21 heißt, hegen und pflegen und lieben? Die deutschen Hoffnungen, wie sie fortan heißen sollen, haben einen bemerkenswerten Aufschwung erfahren. Haben sich nach einem Rückstand nicht hängen lassen wie die Kollegen aus La Mannschaft von Rudi Völler, haben weiter gekämpft und kombiniert und sind belohnt worden. Mit französischem Pathos würde man sagen: Sie haben einer ganzen Generation von Fußballern einen Dienst erwiesen. Es locken Europameisterschaften im eigenen Land, Olympia, einigen vielleicht schon die Europameisterschaften der Großen in Portugal, in jedem Fall tragende Rollen bei der WM 2006 im eigenen Land. Hoffnungen eben. Die Meinung, dass man die Nachwuchsarbeit in Deutschland von Kindesbeinen an reformieren muss, ist jetzt nicht unbedingt widerlegt. Aber es zeigt sich: Man braucht in der Bundesliga die jungen Deutschen einfach nur spielen zu lassen, so wie das – aus Einsicht und auch aus Not – in Stuttgart Felix Magath vormachte.“
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