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Aufsichtsratschef Beckenbauer

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Aufsichtsratschef Beckenbauer

„Wieder einmal wirbt Aufsichtsratschef Beckenbauer für einen Konkurrenten des teuren Klubsponsors“ berichtet Thomas Kistner in der SZ vom Mittwoch über das Engagement des Bayern-Aufsichtsratschef beim Telekom-Rivalen O2. Dabei fällt auf, dass dieses Thema selbst zwei Tage später in den anderen überregionalen Gazetten wenig Beachtung findet; ein Sonderfall, denn die Sportberichterstattung ist dafür bekannt, dass sie mehr als andere Ressorts Nachrichten verarbeitet und kommentiert, die bereits von anderen verarbeitet und kommentiert wurden. Für dieses Phänomen hält die Medienwissenschaft den Begriff „Agenda-Setting“ bereit. Gerne jedoch hätte man eine weitere Expertenstimme zu diesem heiklen Thema gehört. Schließlich ist Beckenbauer nicht nur Vereinsfunktionär, sondern greift als WM-Organisationschef und DFB-Vizepräsident in bundesweite Sportinteressen ein. Die Problematik wird aus der Tatsache ersichtlich, dass Telekom nicht nur die Münchner unterstützt. Auch für die in Deutschland stattfindende Weltmeisterschaft 2006 tritt der Bonner Konzern als Topsponsor auf.

Weitere Themen: der 1. FC Kaiserslautern verpflichtet einen „Spielertrainer“; Effenberg sagt Servus, oder doch nicht? und: Wie gehen Underdogs mit der ungewohnten Situation an der Tabellenspitze um? 1860-Niederlage gegen Hansa Rostock; Premier League vor dem Start u.a.

Martin Hägele (SZ 16.8.) schreibt über Kaiserslauterns Neuverpflichtung Ciriaco Sforza. „Mittlerweile wissen fast alle, dass hinter der “größten Sensation des deutschen Fußballs” (Günter Netzer zur Deutschen Meisterschaft des FCK 1998) nicht nur der selbstherrliche Otto Rehhagel gestanden hat; auf dem Rasen zog seinerzeit Ciriaco Sforza die Strippen. Nichts hat übrigens das Fußball-Lehrer-Ehepaar Beate und Otto Rehhagel mehr aufgeregt, hieß es, als wenn in den Zeitungen vom Spielertrainer Sforza zu lesen war. Als solcher ist er nun geholt worden. Obwohl man es offiziell schlecht schreiben kann – aber in der Tat ist es wohl so. Ciriaco Sforza versteht von diesem Spiel viel mehr als Weltmeister Brehme, einer Fachkraft ehrenhalber. Allerdings handelt es sich bei dem Spieler mit der Nummer 13 auf dem Trikot keinesfalls um die große Integrationsfigur für den in Cliquen und Grüppchen zerfallenen Mannschafts- Kader. Geschweige denn um einen, der die generellen Orientierungsprobleme des Traditionsklubs löst (…) Der eher introvertierte Eidgenosse hat sich noch nie groß um Klubpolitik gekümmert oder sich gar vor irgendeinen Karren spannen lassen – umgekehrt besitzt Sforza aber einen siebten Sinn für fußballerische Entwicklungen. Dieser Instinkt hat ihn am vergangenen Wochenende auch geleitet, als er die Offerten aus Kaiserslautern und Wolfsburg abwog. Dort die exklusive Konzeption des Weltkonzerns und der virtuelle Gang durch das VW-Stadion über die CD-Rom. Hier das Gefühl, dass er jeden Grashalm kennt und weiß, wie man das fanatischste Publikum Deutschlands und eine ganze Provinz dirigieren kann. Und in sich selbst das Ticken der Uhr, die auf den letzten Metern der Karriere schneller läuft und ihm immer deutlicher sagte, dass ihm nur noch ein letzter Versuch bleibt.“

Wolfgang Hettfleisch (FR 16.8.) über Stefan Effenberg, der vor einem Vertragsabschluss bei Austria Wien stehen soll. „Muss er sich das antun? Für einen Fußballer hat der schwierige Mann aus Hamburg-Barmbek fast alles erreicht. Geld hat er für zehn Leben genug verdient. Der Titel in der Champions League mit den Bayern 2001 war, das war an seiner Reaktion abzulesen, die Erfüllung seines sportlichen Traums. Was sollte danach noch kommen? Mal abgesehen von Schlagzeilen, für die Effenberg immer gut war – ob nun mit Stinkefinger, vermeintlichen Fußtritten gegen einen schnarchenden Trunkenbold vor der Garage, mit Ohrfeigen in der Nobeldisco, der Frau eines Ex-Kollegen an seiner Seite oder mit abenteuerlichen Einlassungen zum vorgeblich arbeitsscheuen Gesindel, zu dem er sich nun selbst zählen lassen muss. Hat er alles gehabt, alles ausgekostet bis zur Neige, hat nach Kräften ausgeteilt und eingesteckt. Und jetzt, nach Manchester, soll der alte Tiger wirklich noch die Beute Mödling hetzen? Na servus.“

Die Situation der beiden an der Tabellenspitze rangierenden Aufsteiger beleuchtet Michael Ashelm (FAZ 15.8.). „Nach den ersten magischen Momenten der Bundesligapremiere versuchen die überraschten Profiteure mit aller Macht dem Alltag seine Normalität zurückzugeben. Fast verlegen reagieren die Verantwortlichen des VfL Bochum dieser Tage auf allzu positive Begleitmusik wie die überschwängliche Umfrage eines lokalen Radiosenders, der seine Hörer befragte, mit welchem Resultat Neururers Mannschaft am Ende des Spieljahres abschneiden könnte. Also Meisterschaft? Oder Europapokalplatz wie vor ein paar Jahren? Für eine Nacht katapultierte sich sein Team an die Spitze der Liga. Einen Tag später übernahm Mitaufsteiger Arminia Bielefeld nach dem deutlichen 3:0 gegen Werder Bremen die Führungsposition. Schnell war so vom Zwergenaufstand die Rede, und viele freuten sich voller Schadenfreude, dass ausgerechnet in diesen Krisenzeiten die Kleinen aus der Fußballprovinz den Großen aus München, Dortmund, Berlin, Gelsenkirchen oder Leverkusen die Schau stehlen konnten. Dass dieser Zustand wohl nicht lange anhalten wird, darüber sind sich die Beteiligten im klaren. Gebetsmühlenartig wiederholen sie deshalb die branchenübliche Terminologie (…) Niemand, so scheint es, lässt sich vom ersten Hochgefühl verführen, Spekulanten haben keine Chance (…) Solange aber die ersten Sorgen noch nicht drücken und die Stimmung passt, wird – allerdings ohne großes Aufsehen – mitgenommen, was geht. Mit 4.000 bis 5.000 Zuschauern mehr rechnet der VfL Bochum zur Bundesliga-Heimpremiere. Nachdem am Freitag endlich ein neuer Trikotsponsor gefunden worden ist, verkaufen sich in diesen Tagen auch ein paar Vereinshemden mehr, was der leeren Vereinskasse etwas Geld einbringt. Die große Begeisterungswelle der Fans ist nach dem Anfangserfolg allerdings nicht ausgelöst worden. Wie in Bochum gilt der Verbleib in der höchsten Spielklasse auch in Bielefeld als höchstes Ziel. Wer mehr Potenzial sieht, gilt schnell als großmannssüchtig (…) Die Fußballfreunde in Bochum und Bielefeld verhalten sich derzeit eher wie Kleinaktionäre an der Börse, die nach den vielen Enttäuschungen der Vergangenheit nicht jedes Gebrüll überbewerten und hoffen, dass sich ihr Wertpapier erst einmal stabilisiert.“

Die taz (16.8.) berichtet von einem verzweifelten 1860-Präsidenten Wildmoser nach der 0:2-Heimniederlage gegen Hansa Rostock. „Schlaflose Nächte habe er, teilte er am Tresen in den Katakomben des Stadions mit. Nicht nur die sportliche Situation bereitet dem gewichtigen Münchner Sorgen, auch die Finanzsituation seines Vereins. Mit 6,5 Millionen Euro weniger als im Vorjahr muss der TSV 1860 auskommen. Dazu hat sich der Sponsor verabschiedet. Der jetzige Geldgeber, eine Motorenöl-Firma, dürfte weit weniger auf das 1860-Konto überweisen. Keinen großen Namen verpflichtet, für Hoffnungsträger Daniel Bierofka kein adäquater Ersatz und im UI-Cup kläglich gescheitert – 1860 ist auf bestem Wege, wieder einmal im Niemandsland der Bundesliga zu verschwinden.“

Raimund Witkop (FAZ 15.8.) meint. „Türkischer Fußball in Deutschland, das ist auch nach zwanzig Jahren noch ein Kampf um Selbstbewusstsein und Anerkennung, der mit hohen Einsätzen geführt wird – vor allem, wenn es um den Traum vom Profifußball geht. Der ist, als vielleicht naheliegendste Folge des dritten WM-Platzes der Türken, verbreiteter und drängender denn je (…) Warum die Späher aber in die höheren Amateurligen müssen, weil – abgesehen von der großen und einzigen Ausnahme Yildiray Bastürk – ihre Landsleute im deutschen Profifußball keine Rolle spielen: Das ist für Türken eine ernste und heikle Frage. „Ausländer werden nicht hochgeholt, sie bekommen keine echte Chance“, sagt Topcu und rattert Namen herunter, von denen die in Deutschland aufgewachsenen WM-Torschützen Mansiz und Davala nur die bekanntesten sind. Karrierechancen im Fußball als Abbild nationaler Ressentiments zu sehen, das ist sicher kein angenehmer Gedanke, hat aber doch viele Argumente für sich. Natürlich arbeitet Engin Topcu, der mit Anfang dreißig und wenig Training in der Landesliga gerade 35 Tore schoss, hier auch eigene Lebensgeschichte auf.“

Jürgen Ahäuser (FR 15.8.) kritisiert Strigels, des DFB-Schiedsrichterlehrwart, Ankündigung, seine Fernseh-Rubrik aufzugeben. „In der vergangenen Fußballsaison präsentierte das ZDF-Sportstudio dann einen Schiedsrichter, der so gar nicht dem Klischee des selbstherrlichen zu keiner Selbstkritik fähigen Pfeifenmannes entsprach. Mit Eugen Strigel hielt das Bildungsfernsehen in seiner besten Ausprägung, wenn auch nur für ein paar Minuten, Einzug in die Sportberichterstattung. Der Schwabe hatte etwas zu sagen. Ein Aufklärer, der den Kritikern auf ihrer Couch auch mal die unbekannte Seite des Regelwerkes erläuterte, komplizierte Situationen verständlich machte und sehr oft sowohl die Kameras als auch die Kommentatoren als die wahren Blinden überführte (…) Die lieben Kollegen schätzen die offene, ehrliche Art des Tuttlingers keineswegs. Die Zunft fühlt sich auf den Schlips getreten. Anders ist jedenfalls nicht zu erklären, warum Strigel nach einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Schiedsrichterausschusses, Volker Roth, zurückgepfiffen wurde. Damit haben die Schiedsrichter aber nur ein (Vor-)Urteil über sie selbst bestätigt: Pfeifen mit absolutistischem Gebaren, die keine Kritik vertragen können.“

Martin Pütter (NZZ 15.8.) wähnt Englands Vereinsfußball in „fremden Händen“. „Englands Fußball wird von ausländischen Managern beherrscht. Wenn die englische Fußballmeisterschaft dieses Wochenende beginnt, ist die Frage von Interesse, ob es endlich wieder einmal einem englischen Manager gelingt, mit seiner Mannschaft einen der drei Wettbewerbe zu gewinnen; in den letzten sechs Jahren hatten drei Schotten, zwei Franzosen, ein Nordire, ein Italiener und ein Holländer die Erfolge in der Premier League, im FA-Cup und im Ligacup erzielt (…) Es ist unwahrscheinlich, dass weder Doublegewinner Arsenal noch Liverpool oder Manchester United am Ende der Saison ganz oben stehen werden. Bis wieder ein englischer Manager eine nennenswerte Trophäe in England gewinnt, dürfte es wahrscheinlich noch etwas dauern.“

Vor dem Start der Premier League schreibt Thomas Dahlhaus (FAZ 16.8.). „Mit einem gehörigen finanziellen Vorsprung vor der europäischen Konkurrenz startet die englische Premier League an diesem Wochenende in die neue Saison. Ist der Saisonbeginn in Deutschland, Spanien und Italien von Sparzwang, Prämienkürzungen und Appellen zum Gehaltsverzicht geprägt, so schöpft das Oberhaus des englischen Fußballs vorerst weiter aus dem vollen. Umgerechnet rund 550 Millionen Euro kassieren die 20 Premier-League-Vereine für die kommende Spielzeit aus dem Fernsehdeal mit Rupert Murdochs Bezahlsender BSkyB – fast doppelt soviel wie Bundesliga, Serie A oder Primera Division (…) Krösus unter den vergleichsweise wohlsituierten Premier-League-Klubs (von Europas 20 umsatzstärksten Vereinen stammen allein sieben aus England) ist nach wie vor Manchester United. Die Konkurrenz aus Liverpool und Arsenal steht ähnlich gut da (…) Die eigentliche Kluft zwischen Arm und Reich im englischen Fußball besteht allerdings nicht so sehr innerhalb der Premier League, sondern zwischen Premier League und dem Unterbau aus erster, zweiter und dritter Division. Denn dort droht nach dem Zusammenbruch des Fernsehvertragspartners ITV Digital ohne einschneidende Ausgabenkürzungen der kollektive Bankrott.“

Hans-Joachim Waldbröl (FAZ 15.8.). „Leider ist der besagte 22. zwar eine Schnapszahl, aber doch nicht so hochprozentig wirksam wie der Elfte im Elften. Und eine Bundestagswahl ist kein Karnevalsauftakt; jedenfalls nicht dem ernsten Anspruch nach, mit dem die Prognosen aus Allensbach und anderswo den Ausgang der Volksabstimmung vorherzusagen versuchen. Darüber macht sich der organisierte Sport in seinen soeben veröffentlichten „Noten im Wahlkampf“ lustig. Oder meint der Deutsche Sportbund (DSB) seine Fleißkärtchen-Aktion für verdiente Angehörige von Regierung und Parlament ernst? Damit droht er sich lächerlich zu machen – vielleicht aber auch nur die Meinungsforschungsinstitute zu widerlegen, die der aktuellen Regierungskoalition für die nächste Zukunft Deutschlands keine Chance mehr geben. Doch der DSB ist, getreu seiner eigenen Kampagne, unerbittlich fair. Er gibt jedem eine Chance, verkneift sich auch noch den geringsten Tadel und zollt allen nur Lob. Streng nach Hierarchie allerdings und ohne Rücksicht darauf, dass allein die Regierung ihren Worten auch Taten folgen lassen konnte und die Opposition lediglich beim Widerwort zu nehmen war.“

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