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Augenthalers Verpflichtung war eine glückliche Wahl

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Augenthalers Verpflichtung war eine glückliche Wahl

Gerd Schneider (FAZ 26.5.) fasst Leverkusener Reaktionen zusammen. „Calmund und Augenthaler, das waren die beiden Hauptfiguren dieser atemlosen Inszenierung, die selbst einen hartgesottenen Profi wie Ulf Kirsten am Ende zu Tränen rührte. Durchatmen, Fehler aufarbeiten, alles kritisch hinterfragen, sagte Calmund über seine Aufgabe in den nächsten Wochen. Da kommt viel auf ihn zu. Nach den Verantwortlichen wird er freilich nicht lange suchen müssen. Er war es, der viel zu lange an Thomas Hörster festhielt und partout nicht wahrhaben wollte, daß Hörster der Anzug des Cheftrainers ein paar Nummern zu groß war. Immerhin kann man Calmund zugute halten, daß er gerade noch rechtzeitig die Kehrtwendung vollzog. Augenthalers Verpflichtung war eine glückliche Wahl. Erst mit ihm, dem wortkargen Niederbayern, kehrte Ruhe bei Bayer ein. Augenthaler legte dem freien Spiel der Leverkusener Kräfte taktische Fesseln an, er lehrte Sachlichkeit. Auch der Sieg in Nürnberg trug seine Handschrift. Mit bislang nicht gekannter Disziplin spielte Bayer seine Überlegenheit aus, die in dem Ergebnis nur unzureichend zum Ausdruck kam. Yildiray Bastürks Treffer blieb bis zum Schluß der einzige Ertrag aus einer Vielzahl von Torchancen. Der personell geschwächte Club hatte nicht das Format, den Zweiten der vergangenen drei Jahre ins Wanken zu bringen. Nur ein einziges Mal, bei einem Abseitstor von Cacau in der zweiten Hälfte, stockte den Leverkusenern der Atem. Immerhin widerlegten die Nürnberger mit ihrem hohen Einsatz den Verdacht, das Ergebnis könnte ein Werk von Manipulation sein.“

Keine Moral mehr, überall lauerten Betrüger und Schieber

Martin Hägele (NZZaS 25.5.) bestreitet Spekulationen um Nürnberger Freundschaftsdienste. „Die Not schien gross im Bundesligaland: Keine Moral mehr, überall lauerten Betrüger und Schieber. Weshalb Bild glaubte, gewissermassen im Namen des Volkes eine Fussballpolizei aufstellen zu müssen, welche am letzten Spieltag für Sauberkeit im Abstiegskampf der Bundesliga sorgen sollte. Zur „SOKO Bild“ gehörten sechs Kommissare: drei Reporter, ein Photograph, ein ehemaliger Schiedsrichter und das betagte Redaktions-Faktotum Max Merkel. Den hätte man nun wirklich nicht aus seiner Altersruhe aufschrecken müssen, um offiziell zu bestätigen, dass in der Partie zwischen dem 1.FC Nürnberg und Bayer Leverkusen alles ordnungsgemäss zugegangen ist. Bastürk gelang dort der entscheidende Treffer, der den Champions-League-Finalisten des letzten Jahres mitsamt dem schwergewichtigen Manager Calmund und einem verdammt teuren Ensemble von Nationalspielern aus aller Herren Ländern in der Bundesliga hält. Der Verdacht, der Weltkonzern mit den grossen Beziehungen könne auch das Resultat eines Fussballspiels manipulieren, wurde ausgerechnet von jener Mannschaft zerstreut, die diese Theorie zuvor in die Welt gesetzt hatte. Die Professionals von Arminia Bielefeld unterlagen nämlich vor eigenem Publikum Hannover 96 ebenfalls 0:1. Und wer selbst nichts zu seiner Rettung beisteuert, kann schlecht andere verantwortlich machen, wenn er in die Zweite Liga absteigt.“

Andreas Burkert (SZ 26.5.) beleuchtet Leverkusener Perspektiven. “Bereits am Sonntag haben sie mit den Aufräumarbeiten begonnen, Calmund und Klaus Augenthaler, der neue Mann auf der Trainerbank. So einer hat ihnen vielleicht gefehlt, die klare Linie und die Ruhe des Niederbayern verhalfen zu sechs Punkten. Seine Rückkehr zum Club, der ihn vor vier Wochen entlassen hatte, verlief so unspektakulär wie das Duell mit der Mannschaft, die er drei Jahre betreut hatte. Das Publikum begrüßte ihn eher wohlwollend und sparte sich Pfiffe fürs die eigenen Versager. Das Absteigerteam engagierte sich, wie das eben möglich ist für eine Mannschaft, die mit dem neuen Coach Wolfgang Wolf aus vier Partien nicht viel erreichte: null Punkte. „Sie können halt nicht mehr“, stichelte der rotgesichtige Präsident ein letztes Mal in der ersten Liga, „ich bedauere unseren Trainer, dass er diesen Haufen übernommen hat.“ Augenthaler genoss still lächelnd seinen Aufstieg binnen zwölf Tagen vom machtlosen Trainer zum Erlöser eines maladen Topklubs. Das Happy End ausgerechnet im Frankenstadion bezeichnete er „als schizophren“. Dann fuhr er für eine Nacht heim nach München, „heute Abend trinke ich ein schönes Mineralwasser“. Reiner Calmund indes genehmigte sich ein Pils, zwischendurch telefonierte er mit Rudi Völler („ja, danke, Rudi“), mit Karl-Heinz Rummenigge („danke Kalle, da freu’ ich mich“) und Uli Hoeneß („ja, danke, dann geh’n wir ’ne schöne Weißwurst essen“). Reden tat ihm gut, wie immer, aber noch so eine Saison wird er wohl nicht überleben, alle wissen das. Dann lieber ein Unterhaching II, sagte Calmund fast sehnsüchtig: „Wenn wir fünfmal Zweiter werden könnten, unterschreib’ ich das mit meinem Blut, mach’ einen Überschlag und spring’ aus dem Fenster.“ Bitte nicht.”

Die Haare kleben über den Ohren an der Kopfhaut fest

Ingo Durstewitz (FR 26.5.) beschreibt anschaulich den Macher von Bayer. “Kurz nach fünf lässt der Dämon vom Fleischberg ab. Zuvor hat er noch einmal gewütet, hat ihn bei fast 30 Grad übel zugerichtet, den Calli. Die Haare kleben über den Ohren an der Kopfhaut fest, die käsige Stirn ist schweißnass, auf der Glatze leuchten hektische rote Flecken, die Augen sind rot geädert. Reiner Calmund hält ein zerknäultes Tempo in der linken Hand, presst es vor den Mund, ein Hustenanfall schüttelt ihn. Er dreht sich um, winkt den Beinharten zu, die seinen Namen skandieren, er lächelt gequält. Ich bin überglücklich, japst der Manager von Bayer Leverkusen. Überglücklich? Überglücklich sieht anders aus. Eine Stunde später bricht Calmunds Stimme, Tränen schießen in die Augen. Nicht vor Glück, vor Rührung. Er erzählt von seinen Freunden, die ihn angerufen haben, Berti Vogts aus Schottland, Rudi Völler; Michael Ballack hat eine SMS geschickt, und jetzt, 18.10 Uhr am Samstag, bekommt Calmund das Handy gereicht von einem verdienten Bayer-Mitarbeiter; die Bayern sind dran, Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß gratulieren. Danke, Kalle, säuselt Calmund ins Handy, ja, ich bin erleichtert, dann der fliegende Wechsel am anderen Ende: Uli, mein Jung‘, ja, wunderbar, danke. Ich komm‘ vorbei bei euch, am Mittwoch oder Donnerstag, vielleicht können wir ’ne Weißwurst essen. Calmund wankt, die Augen flackern: Uli, jetzt können mich alle am Arsch lecken. Der Kohler und der Auge machen das jetzt. Mich können se alle mal.“

Reiner Calmund im FAZ-Interview. „Das ist nicht mehr zu toppen. Der Fußball hat mir schon gar keinen Spaß mehr gemacht. Ich war eine Leiche und atme jetzt mal durch. Ich habe in den letzten vier Jahren auch mit meiner Gesundheit für all die Aufregungen, Stichwort Unterhaching, Daum, Vogts, dreimal Zweiter, Abstiegskampf, gezahlt. Diese Saison hat mir in aller Brutalität gezeigt, daß man sich für Erfolge aus der Vorsaison absolut gar nichts kaufen kann. Wenn man dazu noch Fehler macht, und ich schließe uns alle ein, kann man jederzeit in größte Gefahr kommen.“

Yildiray Bastürk. „„Dieses Tor war für mich sehr wichtig, da man mir nachsagt hat, ich wollte, dass die Mannschaft absteigt, um ablösefrei zu wechseln. Dabei hänge ich an diesem Verein.““

Der leichenblasse Ritter des Humors der Wiesdorfer Rheinkadetten

Szenen nach dem Schlusspfiff von Tobias Schächter (taz 26.5.). „Der leichenblasse Ritter des Humors der Wiesdorfer Rheinkadetten machte sich auf den Weg, 30, 40 Fotografen und Kameramänner vor sich hertreibend. Rainer Calmund – du bist der beste Mann, schallte es aus dem Fanblock des Werksklubs. Sie wollten ihn sehen, den Calli, jetzt, wo alles vorbei war und sie doch noch den Verbleib in Liga eins feiern durften. Aber Calmund, von Grippe und Abstiegsangst gebeutelt, schaffte es nicht an den Zaun. Er kam einfach nicht an dieser Mauer aus gierig knipsenden Menschen vorbei. Calli blieb stehen. Die Leverkusener Fans pfiffen. Dann brannten dem Nürnberger Ordnungsdienst die Sicherungen durch: Fäuste flogen, Kameras klatschten auf den Boden. Das Chaos kehrte plötzlich zurück. Die Szene steht wie ein Sinnbild für diese Saison von Bayer Leverkusen, in der dem Champions-League-Finalisten des Vorjahres so ziemlich alles misslang. Jetzt lief sogar das Jubeln über den Klassenerhalt nicht unfallfrei ab. Immerhin: Sie haben 1:0 gewonnen in Nürnberg. Durch ein Tor von Bastürk. Es war ein grausames Gerumpel. Beide Mannschaften spielten so, wie ihr Tabellenplatz es vermuten ließ. Wofür Geschäftsführer Calmund Riesenverständnis aufbrachte: Als wir 1996 gegen Kaiserslautern so ein Endspiel hatten, da schlotterten selbst einem Rudi Völler die Knie.“

siehe auch: zur Lage der Liga

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