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Auslandsfußball
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| Donnerstag, 25. März 2004
AS Roma, arm und schön – FC Barcelona schwingt auf – Austria Wien will wieder Meister werden u.a
Ein Kindergarten unverstandener, eingebildeter Stars
Peter Hartmann (NZZ 2.3.) fasst den Spieltag der Serie A zusammen: „Eine fast schizophrene Situation. Die Roma-Artisten treten ohne Netz auf, ohne feste Bezahlung (ein halbes Jahressalär steht immer noch aus), aber die Schwierigkeiten beflügeln sie. Ihr Spiel wirkt wie eine Endlosschlaufe von Videoclips mit Virtuosennummern: Der kleine Cassano, den der Trainer Fabio Capello erst noch vor vier Wochen im Training massregelte mit dem Ordnungsruf „Du bist nicht Maradona!“ (worauf Cassano beleidigt den Übungsplatz verliess), manchmal ist er doch Maradona, so wie er den französischen Torhüter Frey ausdribbelte, tänzelnd, auf der Fläche eines Biertellers, und das Führungstor von Parma ausglich. Francesco Totti gelingt die beständigste Saison seiner Karriere, er hat bereits 14 Tore geschossen und spielt alle Rollen, den Erfinder des letzten Passes, den Regisseur, Antreiber, Stürmer, den Mann für die stehenden. Einen ähnlichen Charaktertest hatte letztes Jahr schon die Squadra des römischen Lokalrivalen Lazio hingelegt, doch dieser Aufopferungseffekt hat sich abgenützt. Lazio unterlag im Römer Olimpico einer zynischen Milan-Mannschaft, die mit sehr wenig Aufwand ein 1:0 herausholte. Milan ist als Meisterschaftsleader und Titelhalter in der Champions League doppelt belastet, und auch Juventus, der zweite Italo-Vertreter in den Achtelfinals der Königsklasse, spielt zwar wieder erfolgreich (nach drei 1:0-Siegen nun ein beiläufiges 3:0 gegen den Tabellenletzten Ancona), doch die Tropfenzählertaktik von Trainer Marcello Lippi hat sogar dem Ehrenpräsidenten Umberto Agnelli auf den Magen geschlagen, der öffentlich rügte, die Mannschaft sei „zu gut belohnt“ worden für ihre schwachen Leistungen. Der neue Verzweiflungstrend im kranken Calcio, die spektakuläre Flucht nach vorn nach römischer Art, steht in krassem Widerspruch zum neuerlichen Niedergang einer Mannschaft wie Inter, genannt „la pazza Inter“, die wahnsinnige Internazionale, ein Kindergarten unverstandener, eingebildeter Stars wie Vieri und Recoba, mit einem völlig verunsicherten Torhüter Toldo. Jetzt verlor Inter in San Siro gegen Brescia 1:3, und alle erinnerten sich, dass nach dem 2:2 der Vorrunde in Brescia der als „Betontrainer“ geschmähte Hector Cuper gefeuert und durch Alberto Zaccheroni ersetzt wurde. Es gibt keine Schocktherapie, auf die diese identitätslose Zweckgemeinschaft, die immerhin pünktlich bezahlt wird, noch anspricht. Auch der Rücktritt des Präsidenten Massimo Moratti, der seinen verhätschelten Lieblingen immer wieder grossmütig Verzeihung schenkte, erwies sich nicht als Denkanstoss. Der neue Presidente Giacinto Facchetti, der legendäre Verteidiger aus der Zeit des Grande Inter der sechziger Jahre, befahl seine Millionäre wieder in den Mannschaftsbus, der sie in der Abenddämmerung zurückfuhr ins Trainingszentrum von Appiano Gentile. Statt Disco und blauem Montag ein Straflager von unbestimmter Dauer. Es wird sich zeigen, ob sie am nächsten Sonntag im Olimpico-Kolosseum wie ausgehungerte Gladiatoren über die fröhliche Untergangsbande der AS Roma herfallen. Eine mächtige nationale Sympathiewelle hat die römischen Leichtfüsse erfasst. Vielleicht geht das System unter, aber nicht der Fussball, solange Cassano mit dem Ball tanzt.“
Gerog Bucher (NZZ 2.3.) schildert den Aufschwung Barcelonas: „Die gravierende Heimschwäche hatte Barça schon im ersten Drittel des Campeonato zurückgeworfen und Kritik an den Optionen des neuen Trainers Frank Rijkaard ausgelöst. Zumal jene Equipe, die unter Radomir Antics Leitung im Saisonfinish noch einen Uefa-Cup-Platz erreichte, mit Marquez, van Bronckhorst und Ronaldinho deutlich verstärkt worden war. Als der brasilianische Magier Ronaldinho drei Wochen pausieren musste, verlor die Mannschaft den Anschluss. Erinnerungen an den „Albtraum Louis van Gaal“ lebten wieder auf. Der Sportdirektor „Txiki“ Beguiristain liess sich vom nervösen Umfeld nicht anstecken und betonte, langfristig mit Rijkaard arbeiten zu wollen. Diese Saison werde als Übergangsphase betrachtet, um die Grundlagen für einen nachhaltigen Aufschwung zu schaffen, nach vier desaströsen Jahren wieder an die brillanten Zeiten anzuknüpfen, denen Beguiristain als Linksaussen selber angehört hatte. Die Geduld zahlt sich früher aus als erwartet. Sechs Erfolge in Folge liessen Barça aus dem Niemandsland der Tabelle in den vierten Rang vorrücken. Ohne spielerisch zu begeistern, dafür effizient und ungewohnt stabil in der Abwehr, wurde die Wende eingeleitet. Enttäuschung über das Ausscheiden in der Copa del Rey machten Exploits im Uefa-Cup wett.“
Werner Pietsch (NZZ 2.3.) befasst sich mit Austria Wien: „Frank Stronach habe inzwischen eingesehen, dass der sportliche Erfolg nicht erzwungen werden kann. Joachim „Jogi“ Löw, seit neun Monaten Trainer im FK Austria Wien, bringt die Entwicklung der letzten Jahre im Wiener Grossklub auf den Punkt. Von der Geburtsstunde einer neuen grossen Austria, die auch im europäischen Fussball Gewicht hat, sei man noch weit entfernt, aber die Entwicklung ziele in diese Richtung. Zur Vorgeschichte: Der fussballbegeisterte Industrielle Stronach steckte viel Geld in Österreichs Fussball, einen grossen Teil davon in die Austria. In guter Absicht wurde in neue Spieler und Trainer investiert. Der Ertrag stand aber oft nicht im Verhältnis zu den Mitteln. Inzwischen hat man aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und ist im Klub mit Unterstützung Stronachs um Kontinuität bemüht. Wenn ein Trainer, wie sein Vorgänger Christoph Daum, in wenigen Wochen neun neue Spieler in ein gut besetztes Kader integrieren solle, komme es zwangsläufig zu Spannungen, ist Löw überzeugt. In so kurzer Zeit eine Mannschaft zu bilden, gilt für ihn als fast unmöglich. Die Unsicherheit um den eigenen Arbeitsplatz führt unter den Spielern automatisch zu Egoismen. Unter Löws Führung wurde das Kader erstmals reduziert. Im Sommer soll ein weiterer Schritt in diese Richtung folgen.“
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Torschützen, Tabellen NZZ