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Auslandsfußball

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Auslandsfußball

„Kotau vor der Macht“ (SZ): umstrittener Elfmeter für Real Madrid in der Nachspielzeit – die kritische Lage des Schweizer Vereinsfußballs – Vitesse Arnheim vor dem Abstieg? u.v.m.

Kotau vor der Macht

Peter Burghardt (SZ 17.2.) berichtet, dass Macht und Einfluss Real Madrids auf das Spiel wirken. „Sicher ist es nicht leicht, ein Fußballspiel unter Mitwirkung von Real Madrid zu leiten. Auf dem Platz stehen lauter hoch bezahlte Berühmtheiten, auf den Tribünen sitzen viele wichtige Menschen, und Pfiffe aus der Trillerpfeife werden leicht zum Politikum. Freunde des weißen Zauberensembles erwarten vom schwarzen Mann Respekt, ihre Feinde wittern hinter jedem zweiten Einfall des Schiedsrichters einen Kotau vor der Macht. So gesehen war es mutig, als ein Regelhüter vergangene Woche in Sevilla Reals genialen Regisseur Zinedine Zidane trotz heftiger Proteste kurzerhand vom Platz stellte, nachdem er einen Gegenspieler ins Gesicht geboxt hatte. Weniger mutig war sein Kollege am Sonntag im ausverkauften Bernabeu-Stadion: Er verfügte in letzter Minute einen Strafstoß für die Gastgeber, der ihnen im Spitzenspiel der spanischen Liga ein 1:1 gegen den FC Valencia und Platz eins in der Tabelle sicherte. Die weitgehend langweilige Partie vor 75 000 Zuschauern war fast vorbei, und die erste Heimniederlage seit Monaten kaum mehr abzuwenden, als Pedro Tristante aus Murcia nach anfänglichen Zweifeln auf Elfmeter für Real entschied. Das verblüffte nicht nur den Gegner, der im Falle dreier Punkte selbst Tabellenführer gewesen wäre. Valencias Verteidiger Carlos Marchena hatte Madrids Kapitän Raúl Gonzalez zwar beim Paso doble im Strafraum ein wenig mit Ellbogen und Fuß bearbeitet, allerdings sank Raúl überaus theatralisch zu Boden, um später zu erläutern, er habe sich keineswegs fallen gelassen. In 100 Spielen werde so etwas nie gepfiffen, klagte Valencias Trainer Rafael Benitez, ein mitgereister Reporter schlug ihm den Begriff „Überfall“ vor. „Wir sind empört“, meldete Täter Marchena. „Totaler Hohn“, schimpfte Präsident Jaime Orti. „Eine politische Entscheidung“, schloss Haudegen Amadeo Carboni. So entbrannte wieder ein landesweiter Glaubenskrieg um die Frage, welchen Einfluss Real Madrid auf die Herren besitzt, die unparteiisch sein sollen. Brisant war das Thema bereits nach Zidanes zweifelsfrei berechtigtem Feldverweis beim Pokal-Halbfinale in Sevilla geworden. Zunächst beschimpfte Madrids Manager Jorge Valdano (der Uli Hoeneß Spaniens, of) den Regelhüter im Kabinengang dermaßen, dass dem Vernehmen nach die Polizei eingreifen musste und der Verband 2000 Euro Geldstrafe verhängte. Valdano tue wie ein Menottista und benehme sich wie ein Bilardista, spottete Sevillas Trainer, er meinte den vermeintlichen Feingeist Menotti, dem Valdano nacheifert, und das überzeugte Raubein Bilardo, beide wie Valdano Argentinier. Sevillas Funktionäre wetterten, Real setze die Schiedsrichter systematisch unter Druck.“

Walter Haubrich (FAZ 17.2.) gähnt: „Ronaldo, sonst Reals treffsicherster Angreifer, traf den Nagel auf den Kopf, als er kurz nach elf Uhr nachts, als das Spiel gerade zu Ende war, sagte: Ich glaube, die Zuschauer haben sich sehr gelangweilt, und fügte augenzwinkernd hinzu: Ich habe in dem Spiel ja kaum einmal den Ball gesehen. Für seine eigene Langeweile ist Ronaldo vorwiegend selbst verantwortlich. Er bewegte sich noch gemächlicher als in anderen Spielen und vermied die Nähe zum Strafraum, von wo er sonst seine Sprints zum gegnerischen Tor zu starten pflegt. Für die Langeweile der Zuschauer, darf man in erster Linie den FC Valencia verantwortlich machen. Die Mannschaft, 2002 zum letzten Mal spanischer Meister und zwei Jahre zuvor Finalist der Champions League, ist wegen ihrer Vorliebe für defensiven Fußball in Spanien nicht gerade populär, doch in allen Stadien gefürchtet.“

Plötzlich untersucht er deine Prostata

Christian Eichler (FAS 15.2.) fügt hinzu: „Der Italiener Gentile quälte bei der WM 1982 Maradona so lange, bis der rot sah – Italien wurde Weltmeister. Heute sind Künstler besser geschützt, durch Regelwerk und viele Kameras. Doch längst gibt es eine lernfähige Generation von Spielern, die unter diesen Bedingungen die Techniken der Einschüchterung und Provokation verfeinert haben. Es ist der Typ Spieler, der nie ein Zidane sein wird; aber vielleicht der, der einen Zidane entnervt. Der amtierende Meister dieser Schwarzen Kunst heißt Pablo Alfaro. Er trieb Zidane zur Roten Karte. Die Frage, was zuvor geschah, wird heiß diskutiert. Es heißt, der Franzose habe einen Schlag ins Genick bekommen. Das klingt nicht unplausibel. Alfaros Ellbogen neigen dazu, wie das englische BlattGuardian etwas spitz formuliert, die Augäpfel seiner Gegner aufzuspießen wie Silberzwiebeln auf einem Cocktailspießchen. Diesmal war er wohl geschickt genug, das nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Fünfzehnmal ist Alfaro vom Platz geflogen – Ligarekord, Berufsrisiko. Doch diesmal flog nur der andere, der Star. Für die Alfaros der Welt ist das wie ein WM-Titel für einen Zidane. In Spanien, Italien oder England, wo Vinnie Jones eine Filmkarriere als harter Bursche auf Foulqualitäten gründete, ist der Treter eine respektierte, ja bisweilen verklärte Figur – was in der Bundesliga zum Glück nie richtig funktionierte. So ist Alfaros Prominenz wohl kaum noch aufzuhalten, denn schon vor Zidanes Backpfeife machte ihn ein Foto über den Fußball hinaus bekannt. Es zeigte im Pokalspiel gegen Atletico Madrid, wie er einen Gegner mit dem passenden Namen Touche auf ungewöhnliche Weise deckt: Alfaros Hand ruht auf Touches verlängerter Rückseite; seine Finger sind nicht zu sehen. Einem Kommentator des Blattes, das diesen befremdlichen Einblick veröffentlichte, fiel dazu ein medizinischer Vergleich ein: Alfaro ist ein echter Urologe: Du gehst nach vorn für eine Ecke, und plötzlich untersucht er deine Prostata. Ups, so genau wollte man das dann doch nicht wissen. Andererseits sind solche Unappetitlichkeiten die Risiken und Nebenwirkungen der visuellen Rundumversorgung, die uns ungefragt mit allen Winkeln, Zeitlupen, Zooms alles haarklein serviert; auch das unter der Gürtellinie. Real Madrid hat angekündigt, mit Fernsehbildern zu beweisen, wie Zidane von Alfaro provoziert worden sei. Bitte nicht vor dem Essen einschalten.“

Europas Fußball: Ergebnisse, Tabellen, TorschützenNZZ

Felix Reidhaar (NZZ 16.2.) kommentiert die kritische Lage des Schweizer Vereinsfußballs: „Die Situation ist paradox. Da eilt der FC Basel nach einem verblüffenden Lauf durch die letzte Champions League der Konkurrenz meilenweit voraus. Da holt das Schweizer Nationalteam langen Atem für das erst zweite EM-Turnier mit hiesiger Beteiligung und misst sich der Verbands-Nachwuchs auf höchster europäischer Ebene. Doch trotz blank polierten Aushängeschildern kann die Diagnose für den professionellen Klubfussball unseres Landes nur negativ lauten: Er liegt – mit der erwähnten, zyklisch bedingten Ausnahme – auf dem Krankenbett, teils knapp auf den Beinen, teils ausgemergelt oder mit Geldspritzen schwer identifizierbarer Herkunft überhaupt am Leben erhalten. Dem Schweizer Spitzenfussball geht es so schlecht wie kaum einmal in seiner über 100-jährigen Geschichte. Ein schwacher Trost bleibt dabei, dass sich auch in Ländern mit grösserem Potenzial und höherer sozialer Anerkennung des kommerziellen Berufssports inzwischen hohe Schuldenberge im fussballerischen Profibetrieb türmen. Hierzulande sind traditionsreiche Vereine schon von der Landkarte verschwunden. Der FC Lugano und Lausanne-Sports schrieben nicht nur erinnerungswürdige Kapitel, sie standen für wichtige Landesteile – für die Vielfalt an Sprach- und Kulturregionen. Tessin und Waadt sind nicht mehr repräsentiert in der obersten Liga, Genf und Neuenburg droht ein ähnliches Schicksal, dem Fürstenland Wil ebenso. Andernorts gelingt der Klimmzug nur noch mit roten Köpfen, sei es dank unternehmerischem Haushalten (was seltener der Fall ist) oder eher unter gütiger Mithilfe von Mäzenen, deren Vermögenswerte Abschwungphase und Börsenbaisse nicht unbeschadet überstanden. Was aber tun die Vereinegegen die epidemieartig ausgeweiteten Finanzierungslücken? Sie haben meistens wenig Ahnung in der Ursachenbekämpfung, lassen Sicherheitsmassnahmen sträflich ausser acht und betreiben den risikobehafteten, weil schwer planbaren Fussballbetrieb wie ein Kasinogeschäft.“

Bertram Job (NZZ 17.2.) sorgt sich um Vitesse Arnheim: “Der einst auf europäischem Niveau etablierte Klub, der vor anderthalb Jahren in der 3.Runde des Uefa-Cups am FC Liverpool scheiterte, ist inzwischen in doppelt prekärer Situation. Nach dem Rückzug mehrerer Sponsoren, darunter ein potenter Energieversorger, sind die finanziellen Mittel drastisch zurückgegangen. Und mit ihnen verabschiedete sich bis auf weiteres auch der sportliche Erfolg. Plötzlich ist der Traditionsverein aus dem Gelderland, der jahrelang als Synonym für den Status eines Sub-Toppers galt, also eines ambitionierten Klubs hinter den Top Drie aus Amsterdam, Eindhoven und Rotterdam, zum Sozialfall der niederländischen Liga geworden. Besondere Kennzeichen: Klassenerhalt ungewiss (…) „Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen“, ist Klubsprecherin Ester Bal überzeugt. Von den grösseren Sponsoren sind nur noch einige und von einst 22000 Dauerkarten-Inhabern rund 16000 übrig geblieben. „Alle haben genug von den ständigen schlechten Nachrichten“, weiss Bal. Die Kur aber hat schon begonnen. Ein neuer Vertrag hat den Anteil des Klubs am Unterhalt des in ganz Europa hochgelobten, aber äusserst kostenintensiven Gelredome um etwa drei Viertel reduziert – was nicht ohne öffentliche Proteste ablief, da nun die Stadtkasse erheblich mehr belastet wird. Die Anzahl der bezahlten Spieler in den verschiedenen Auswahlen wurde durchschnittlich auf die Hälfte zusammengestrichen. Mancher im Betreuerstab hat plötzlich eine doppelte Funktion – wie etwa der erste Torhütertrainer, der jetzt wie selbstverständlich auch eine Jugendmannschaft betreut. Dazu wurden die Preise für Eintrittskarten und Werbeengagements schlanker gestaltet und nicht zuletzt auch der Umfang des Saisonbudgets – gerade noch 13 Millionen geben die einst so betuchten Gelderlander in dieser Saison für ihre Professionals aus. Ob man dafür noch die Spieler bekommt, mit denen die Klasse erhalten werden kann?“

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