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Auslosung für die EM in Portugal

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Auslosung für die EM in Portugal

Bei der Auslosung für die EM in Portugal hat jemand unentschuldigt gefehlt: „Die deutsche Glücksfee macht frei“ (FAZ) und ist schuld daran, dass die deutsche Elf auf Gegner aus der Beletage treffen wird: Tschechien und Holland. Die SZ zwinkert mit den Augen: „Es gibt nur einen Außenseiter in dieser Gruppe: Deutschland. Aber die können jeden bezwingen.“

Die vielleicht schwierigste Aufgabe, die den Deutschen vorgesetzt wurde

Michael Horeni (FAZ 1.12.) holt tief Luft: “Portugal hat etwas übrig für Fußball-Romantik. Die Symbole, mit denen sich das Land am westlichen Zipfel Europas am Sonntag erstmals ins große Spiel brachte, wollen von Effizienz und Realismus jedenfalls nichts wissen, mit denen der Fußball in Europa tatsächlich längst unbarmherzig regiert wird. Die nüchterne Auslosung auf der Bühne des Pavilhao Atlantico jedenfalls umrahmten die Gastgeber mit schnörkelhaften, herzförmigen Ornamenten, im Hintergrund leuchteten Sterne und Sternchen, und auch die musikalische Untermalung lag jenseits des kommerziell gefälligen europäischen Einheitsgeschmacks. Im portugiesischen Logo der Europameisterschaft 2004 wird der Fußball symbolisch ins goldene Herz geschlossen, und daher ist es vielleicht auch keine Überraschung, daß Portugals Fußball-Legende Eusebio bei der Auslosung am Sonntag nicht als Glücksbringer für den weltbekanntesten und erfolgreichsten Vertreter des nüchternen Nutz- und Zweckfußballs mitspielte: die deutsche Nationalmannschaft. Die Wirklichkeit hat den WM-Zweiten so ziemlich mit der größten sportlichen Härte, die eine Auslosung zu bieten hat, eingeholt. Es ist mit Gegnern wie den Niederlanden, Tschechien und Lettland die vielleicht schwierigste Aufgabe, die den Deutschen bei einem Turnier von Beginn an vorgesetzt wurde.“

Ohne Fortunas Küsse wird es nicht weit gehen

Frank Ketterer (taz 1.12.) vermisst eine alte Bekannte: „Rudi Völler hatte seinen feinsten Zwirn angelegt, sich sogar eine Krawatte um den Hals gebunden, seine graue Pudelfrisur frisch geföhnt und, natürlich, sein nettestes Rudi-Riese-Lächeln aufgesetzt. Der Republik oberster Teamchef sah auffallend schnieke aus – und an Grund dazu mangelte es auch nicht. Rudi wandelte gestern in Lissabon auf Freiersfüßen, und die Dame, die es zu becircen galt, war keine Geringere als: Glücksgöttin Fortuna. Die beiden kennen sich gut, schließlich hatten sie schon einmal ein Techtelmechtel miteinander, vor nicht ganz zwei Jahren. Da muss Fortuna sehr verliebt gewesen sein in unseren Rudi, was man durchaus verstehen kann, ist ja auch ein netter Kerl. Und deshalb hat die schöne Dame ihn reichlich beschenkt, damals, ein halbes Jahr vor der WM auf den Fußballfeldern Asiens, nämlich mit: Saudi-Arabien, Irland und Kamerun. Fortuna hat Rudi damals sehr glücklich gemacht. Liebe kann erkalten, manchmal endet das sogar in einem Rosenkrieg. So weit ist es zwischen Fortuna und Rudi noch nicht gekommen, aber immerhin: So richtig lodernd ist das Feuer wirklich nicht mehr. Ohne Fortunas Küsse, das steht heute schon fest, wird es in Portugal jedenfalls nicht weit gehen.“

Thomas Klemm (FAZ 1.12.) schildert die Bedeutung des Fußballs in Portugal: „Ein Portugiese kommt in ein Friseurgeschäft. Der Friseur fragt: Wie soll ich Ihnen die Haare schneiden? Der Kunde antwortet: Ohne über Fußball zu reden! Über solche Anekdoten amüsieren sich die Portugiesen. Sie finden die Vorstellung wirklich aberwitzig, daß zwei Männer gemeinsam Zeit verbringen, ohne über Fußball zu fachsimpeln oder zumindest zu plaudern. Jeder hat schließlich seinen Lieblingsverein, und jeder hat seine feste Meinung, warum die anderen Klubs nichts taugen. Verrückt nach Fußball ist also das Volk, zumindest dessen männlicher Teil: Alte wie Junge, Fischer wie Finanzbeamte, Busfahrer wie Intellektuelle. Wenn ich nicht schreibe, sagt der portugiesische Schriftsteller António Lobo Antunes, bin ich desorientiert, schaue mir nur Fußball im Fernsehen an. Fußball bietet Identifikation, Zerstreuung und stiftet Sinn – und in einem halben Jahr soll Fußball sogar das Land erlösen, das sich mit Wirtschafts-, Politik und Sinnkrisen herumplagt. Es ist um das angeschlagene Selbstbewußtsein der Portugiesen immer dann besser bestellt, wenn ihre Profikicker international für Aufsehen sorgen. So wie vor einem halben Jahr, als der FC Porto als erstes lusitanisches Team den UEFA-Pokal gewann und Ministerpräsident Durao Barroso den Erfolg der Nordportugiesen sogleich voller Stolz für das ganze Land reklamierte. Oder wie drei Jahre zuvor, als sich Figo, Gomes, Conceicao und Co. bei der EM in Belgien und den Niederlanden mit künstlerisch wertvollem und endlich auch einmal erfolgreichem Fußball viele Freunde machten; nach dem Erreichen des Halbfinales waren portugiesische Profis in europäischen Spitzenligen begehrt wie selten seit den besten Tagen Eusebios, des WM-Torschützenkönigs von 1966. Die portugiesische Fußballgemeinde ist sich der Außenwirkung ihrer Stars wohl bewußt, wie eine Umfrage der Katholischen Universität vor drei Wochen ergeben hat. Auf die Frage, wer oder was ein positives Bild des Landes nach außen vermittle, antwortete jeder vierte die Sportler; nur die eigene Lebensart und die touristischen Gegebenheiten wurden für wichtiger gehalten. Zwei Drittel der 741 Befragten zeigten sich sogar sicher, daß die kommende EM das Image Portugals deutlich verbessern werde (…) Welcher Fußballklub angebetet werden soll, entscheiden oft die Väter. Portugiesische Papis gehen sogar so weit, für den Säugling gleich unmittelbar nach dessen Geburt die Mitgliedschaft in ihrem Lieblingsverein zu beantragen. Das Foto auf dem Klubausweis zeigt dann mitunter den Kopf eines schlafenden Babys. So drohen Portugal keine Nachwuchsprobleme: Selbst wer noch nicht krabbeln kann, ist schon dem Fußball verbunden.“

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