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Ballschrank

Magath wagt den Systemwechsel, Bochum gibt den Ton an, FC Arrogant

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Magath wagt den Systemwechsel, Bochum gibt den Ton an, FC Arrogant

Die Schlagzeilen: über Bayern München: „Fußball-Gesellschaft mit beschränkter Hingabe“ (FAZ), „der FC Arrogant – zu fein, ihre weißen Trikots schmutzig zu machen“ (Bild), „Münchner Energiesparprinzip: stark reden, schwach spielen“ (FAS); über Hertha BSC Berlin: „nur 17 Minuten erstligareif“ (FAZ), „Rückpass in den Herbst“ (BLZ); über den VfL Bochum: „im Revier gibt Bochum den Ton an“ (FAZ); über den VfB Stuttgart: „Magath wagt den Systemwechsel“ (FAS) u.v.m.

Allgemein

Roland Zorn (FAZ 2.2.) kommentiert den Start in die Rückrunde: „Die alten Vorurteile, die alten Gewißheiten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Wer immer geglaubt haben mag, die Bremer würden zum Rückrundenstart der Fußball-Bundesliga wie gehabt einknicken, sah sich getäuscht; wer immer im Brustton der Überzeugung behauptete, nun schlage wie alle Jahre wieder die Stunde der Bayern, muß sich fürs erste gedulden. Das mickrige 1:1 des deutschen Meisters beim Abstiegskandidaten Eintracht Frankfurt war nicht dazu angetan, die Konkurrenz in Angst und Schrecken zu versetzen. Werder dagegen knüpfte als Tabellenerster der Vorrunde beim lockeren 4:0-Sieg über Hertha BSC Berlin an die Tage in Saus und Braus an und gilt bei weiter vier Punkten Vorsprung nun auch unter professionellen Skeptikern als Titelanwärter Nummer eins. Wer an diesem Wochenende mit größeren Wertberichtigungen nach wochenlang ruhendem Spielbetrieb gerechnet hat, sah sich getäuscht. Die Teams, die in der ersten Halbserie angenehm aufgefallen waren, bestätigten ihren gehobenen oder hohen Kurswert – wie die Bremer, die Stuttgarter und die Bochumer mit ihren fast schon traditionellen Zu-null-Siegen im eigenen Stadion. Die Mannschaften aber, die unverhofft tief gesunken sind, sind auch im Januar ausgerutscht: allen voran Hertha BSC Berlin, das seinem Trainer Hans Meyer zu dessen Einstand genau den Fußball vorsetzte, den dessen Vorgänger Huub Stevens bis zu seinem Ausstand miterleben mußte.“

Ruhrgebietsherbstmeister 2003

Christoph Biermann (SZ 2.2.) stellt klar: „Es gibt anscheinend Menschen, die der Überzeugung sind, dass die Bundesliga dazu dient, den Deutschen Meister, die Teilnehmer an der Champions League und am Uefa-Cup sowie die Absteiger in die zweite Liga zu ermitteln. Das mag irgendwie auch nicht ganz falsch sein, doch inmitten dieses Getriebes wird der Wettbewerb ausgetragen, der wirklich zählt. Ein höchst inoffizieller doch um so gefühlsbeladener ist er. Im Fan-Shop des VfL Bochum etwa kann man ein T-Shirt kaufen – und ganz schön viele Leute taten das – in dem der „Ruhrgebietsherbstmeister 2003“ gefeiert wurde. Das legt nahe, dass es am Ende der Spielzeit auch einen Ruhrgebietsmeister gibt. Tief im Westen, wo die Sonne nicht mehr verstaubt, ist es auch nicht besser als man glaubt. Weil es das Ruhrgebiet als Einheit aus Kohle, Stahl, Tauben und Proletkult jedoch nicht mehr gibt, haben den verwaisten Job der Identitätsstiftung inzwischen fast komplett die ansässigen Bundesligisten übernommen.“

Den Dortmundern schlägt Axel Kintzinger (FTD 2.2.) vor: „Ein Klub, bei dem sie jetzt – unabhängig von ihrer Nationalität – gar nicht mehr treffen, ist Borussia Dortmund. Der ganze BVB eiert herum wie ein Unternehmen, das dringend externer Beratung bedarf. Keine Krise kann so schlimm sein, als das nicht noch ein paar Millionen dafür ausgegeben werden könnten, da brauchen die Herren Niebaum und Meyer sich nur bei Gerhard Schröder zu erkundigen, dessen Herz ja zudem an der Borussia hängt (wie an Cottbus, Hannover). Roland Berger und McKinsey haben von Fußball keine Ahnung, aber das stört nicht. War bei Arbeitsamt und Bundeswehr ja auch nicht anders. Die Sanierung eines Bundesliga-Dinos jedenfalls muss doch eine Herausforderung für die smarten Consultants sein. Erstens: So ein Fußballklub ist eindeutig sexyer als die Firmen und Behörden. Zweitens: Falls es schief geht, müssen sie auch hier keine Verantwortung tragen. Denn was kann der Berater dafür, wenn Frings oder Koller Elfmeter verschießen?“

Werder Bremen – Hertha BSC Berlin 4:0

Ernsthaftigkeit und mannschaftliche Geschlossenheit

Frank Heike (FAZ 2.2.) wundert sich über Ailton: “Wenn sogar Ailton seine koboldartige Launenhaftigkeit verliert, wird Werder wohl tatsächlich Meister. Ein paar Tanzschritte machte der brasilianische Stürmer des SV Werder Bremen dem Kamerateam vor, um dann ganz ernst zu sagen: Nein, ich werde nur ein bißchen tanzen. Mit meiner Frau Rosalie. Aber nicht soviel. Dienstag spielen wir im Pokal. Wie bitte? Ailton Goncalves da Silva, dieser begnadete Hüftwackler, dieser Meister der Tanzfläche, wollte die Grün-Weiße Nacht später am Abend nicht für ein bißchen Show nutzen, obwohl er gerade zwei Tore geschossen und zum wiederholten Male zum Bremer Mann des Tages geworden war? Ailton scheint sich Ernsthaftigkeit verordnet zu haben, auch beim Vereinsball. Denn wenn irgend etwas die Bremer neben der mannschaftlichen Geschlossenheit an die eigene Stärke glauben läßt, dann ist es dieser Stürmer. Wie er sich auf die Rückrunde vorbereitet hat, ist ohne Beispiel in seinen fünf Jahren an der Weser. Dieses Mal kam er nicht später, sondern früher als verabredet aus dem Winterurlaub zurück. Dann verletzte er sich und konnte nicht mit in das Trainingslager in die Türkei reisen. Ailton kämpfte im Reha-Studio um den Anschluß und präsentierte sich im letzten Test beim sogenannten Blitzturnier in Kropp wie einst im Jahr 2003. Drei Tore schoß er, rannte, spielte, sprühte vor Fußballfreude. Und das bei Minusgraden auf dem Land. Irgendeiner seiner Berater, diese Männer mit langen Mänteln und schwarzen Hüten, die ihn stets umgeben, muß Ailton geraten haben, daß sein Abschied aus Bremen nur dann unfallfrei und ohne nachhaltige Verstimmungen klappen kann, wenn er für die verbleibende Zeit voll auf die Karte Ernsthaftigkeit setzt.“

Eintracht Frankfurt – Bayern München 1:1

Zeichen einer Niederlage

Richard Becker (FAS 1.2.) ist von den Bayern enttäuscht: „Nicht verloren und doch der Verlierer des Tages. Das 1:1 beim Abstiegskandidaten Eintracht Frankfurt trägt alle Zeichen einer Niederlage. Dabei hatten die Bayern doch zur Jagd blasen wollen nach der Winterpause, hatten sich sechs Wochen lang starkgeredet und vor allem stark reden lassen – und spielerisch nun schwach reagiert. Wer noch nicht einmal gegen den vormaligen Tabellenletzten gewinnt, wie will der dann gegen Real Madrid in der Champions League bestehen? Eine äußerst brisante Frage, die in den kommenden Tagen und Wochen in Bayern wohl immer häufiger gestellt werden wird, zumal sich die Bayern gar zu gerne auf eine Stufe mit den Topteams Europas stellen. Auf die Antwort darf man gespannt sein.“

Goliath gegen Mickymaus

Die FR (2.2.) stopft bayerische Großmäuler: „Dass die Bayern irgendwie stinkesauer waren über den leichterhand vergebenen Sieg gegen den Tabellenletzten, hat man hinterher so herrlich an Uli Hoeneß sehen können. Die Bayern waren gerade über ein mickriges 1:1 nicht hinausgekommen, da stapfte der Manager wütend aus dem Waldstadion, die Fernseh-Reporter blaffte er an, sofern er sie nicht ignorierte, dann bellte er was vom lächerlichsten Elfmeter in der Geschichte der Bundesliga, und für einen Augenblick musste man gar um Leib und Seele der Macher der bayern-eigenen Homepage fürchten, als die den geladenen Mann zartbitter-süß dies zu fragen wagten: Er, Hoeneß, habe den Fans doch schönen Fußball versprochen, ob er meine, dass das heute ein Schritt dahin war. Die mutigen Jungs hatten Glück, Hoeneß ließ sie nur stehen. Man muss das verstehen. Vor dem Spiel hatte Hoeneß im Radio noch gesagt, das sei heute wie Goliath gegen Mickymaus, und den Nachmittag im Waldstadion hatten sich Hoeneß und Co. in etwa so vorgestellt: Wir schießen ein schnelles Tor, dann werden verunsicherte Frankfurter noch unsicherer, wir schießen ein zweites Tor, dann noch ein drittes, wir schaukeln das locker heim, und dann geht den Bremern da oben ganz schön die Düse (…) Die Frankfurter Mickymäuse haben sich das Remis mit unbändigem Willen und einer ziemlich geschlossenen Mannschaftsleistung trotz mancher Unzulänglichkeit ehrlich verdient. Beeindruckt war auch Karl-Heinz Rummenigge, er kleidete das nur in andere Worte: Für einen Zweitligisten hat Frankfurt nicht schlecht gespielt. Für die Bayern hat’s an diesen Nachmittag gereicht.“

Hartmut Scherzer (Tsp 2.2.) hilft dabei: “Das vollmundige Versprechen von Uli Hoeneß für die Rückrunde wurde den Zuschauern des „Sportstudios“ zur Einstimmung in Erinnerung gebracht. „Wir sind sehr gut vorbereitet. Die Bundesliga kann sich auf einen sehr starken FC Bayern freuen – und Real Madrid sowieso“, hatte der Manager eine Woche zuvor schwadroniert. Dem Anspruch folgte der Widerspruch.“

Opfer der Genügsamkeit

Andreas Burkert (SZ 2.2.) schildert Münchner Nachlässigkeit: “Das ist vielleicht gravierender aus Sicht der Bayern als ihr Punktestand: dass sich offenbar nicht viel bei ihnen geändert hat trotz der historischen Tat von Dubai („härtestes Trainingslager aller Zeiten“), trotz Systemrochaden und jener Energieschübe, die der Vorstand jüngst bei einem Gruppenabend mit feurigen Ansprachen geliefert zu haben glaubte. Denn trotz 20:7 Torschüssen und 58 Prozent Ballbesitz musste Trainer Hitzfeld feststellen: „Bei uns hat sich im Verlauf Leichtsinn eingeschlichen.“ In Frankfurt sind seine vorgeblich geläuterten Profis erneut Opfer der Genügsamkeit geworden. Denn wehr- und chancenloser als sich die Eintracht im Angesicht der schneeweißen Bayern-Trikots eine gute halbe Stunde nach dem 39-Sekunden-Tor von Makaay präsentierte – wehrloser kann sich nicht einmal San Marinos Auswahl präsentieren. Die Eintracht empfing ehrfürchtig Angriff auf Angriff, sie ließ auf Sicherheitsabstand kombinieren. Hinterher klagte Ottmar Hitzfeld: „Man muss dem Gegner den K.o.-Schlag geben, dann hat man Ruhe.“ Statt des Niederschlags sah man eine artistische Einlage des begabten Karateschülers Lizarazu gegen Chris, und Skelas Strafstoß, das gab Michael Ballack an, „hat uns wohl aus der Bahn geworfen“. Wenn aber ein Tabellenletzter tatsächlich mit einem unverhofften Tor eine Starelf mit zehn Nationalspielern verunsichern, sie zunehmend mit Kontern überlaufen und beinahe besiegen kann, dann dürfen die Bremer für Ende Mai schon mal die Sperrung ihrer gemütlichen City anordnen. Sofern sie sich nicht vor Stuttgartern und Leverkusenern fürchten. In Stresssituationen, diesen Eindruck hat die aktuelle Bayern-Generation abermals belegt, verlässt sie sich zu sehr auf die Individualisten Ballack und Makaay.”

Gerd Schneider (FAZ 2.2.) berichtet das Spiel: “Tatsächlich hatten die begrenzten Möglichkeiten der nach wie vor akut abstiegsbedrohten Frankfurter gereicht, um gegen das Münchner Starensemble zu bestehen. Das war höchst erstaunlich. Die Bayern traten in bester körperlicher Verfassung an, (noch) nicht abgelenkt von Aufgaben auf der internationalen Bühne, und als dann nach einem Fehler des Frankfurter Liberos Christoph Preuß nach nicht einmal einer Minute Roy Makaay freie Bahn hatte, war alles gerichtet für eine spektakuläre Vorstellung. Doch anstatt die davon sichtlich angeschlagene Eintracht an die Wand zu spielen, verfielen die Münchner in den altbekannten Bayern-Trott: abwartend, distanziert, unterkühlt – eine Fußball-Gesellschaft mit beschränkter Hingabe. Anders als die Bayern früherer Jahre hat die aktuelle Mannschaft nicht die Größe, Gegnern ihren Stil aufzuzwingen. So fiel unmittelbar vor der Halbzeitpause der Ausgleich, ohne daß die Eintracht allzuviel dafür tun mußte. Erst fabrizierte Willy Sagnol unbedrängt einen kapitalen Querschläger, der zu einem Eckball führte. Und dann stieg sein französischer Landsmann Bixente Lizarazu im Strafraum gegen Chris so ungestüm ein, daß der Schiedsrichter gar nicht anders konnte, als einen Elfmeter zu verhängen.“

Thomas Kilchenstein (FR 2.2.) freut sich mit der Eintracht: “Ein Punkt gegen den Meister, das sind deren drei für die Psyche. In der Tabelle sind die Frankfurter nicht wirklich vorangekommen. Weiterhin fehlen drei Punkte (und zwei Tore) auf einen Nichtabstiegsplatz. Aber der Abstand ist auch nicht größer geworden. Eben das war angesichts des schwierigen Auftaktprogramms – erst gegen die Bayern, dann gegen Bayer – allenthalben erwartet worden. Doch wieder haben emsige Frankfurter über weite Strecken bewiesen, dass sie mit ihren überschaubaren Mitteln und limitierten Möglichkeiten durchaus mitzuhalten in der Lage sind. Sie haben auch gezeigt, dass sie einen denkbar unglücklichen Spielbeginn wegstecken können und nicht gewillt sind, den Kampf um den Klassenerhalt vorzeitig aufzugeben. Mit den drei Neuverpflichtungen ist frischer Wind eingezogen, der Konkurrenzdruck ist größer, Trainer Willi Reimann hat mehr Alternativen. Das alles muss nun nicht zwingend zum Happyend am 22. Mai führen. Die Aufgabe ist schwer genug. Doch den Vorwurf, nicht alles versucht zu haben, braucht man sich bei Eintracht Frankfurt momentan (noch) nicht gefallen zu lassen.“

Borussia Dortmund – FC Schalke 04 0:1

Es geht vielleicht nicht um Ihren Job, aber um meinen

Richard Leipold (FAZ 2.2.) schreibt über Sammers Zorn und Nervosität: „Mit Schiedsrichtern hat Matthias Sammer seine Schwierigkeiten, nicht erst seit der jüngsten, besonders schwerwiegenden. Der Trainer von Borussia Dortmund hat mit den Unparteiischen schon manchen Streit ausgetragen, vorzugsweise am Spielfeldrand oder sogar auf dem Rasen. Das gehört für einen Feuerkopf wie ihn zum Business. Sein Zwiegespräch mit Herbert Fandel war jedoch von anderer Qualität als die übliche Nörgelei des Beschwerdeführers Sammer. In der Halbzeit des Schalkespiels muß dem Fußball-Lehrer die Dramatik seiner Lage auf eine Art bewußt geworden sein, daß er nicht mehr nur als Trainer argumentierte, sondern auch als Arbeitnehmer. Denken Sie daran: Es geht vielleicht nicht um Ihren Job, aber um meinen, rief er Richtung Schiedsrichter. Sammers Perspektive verzerrte sich zusehends. Kurz nach dem Spiel machte er dem Schiedsrichter abermals Vorwürfe. Wir hätten noch zwei Elfmeter kriegen müssen, behauptete der Übungsleiter und zählte umstrittene Situationen auf, wie sie in jedem Spiel vorkommen. Bei allen Fehlern, die Fandel unterlaufen sind: An Elfmetern ließ er es den Dortmundern nicht mangeln: Nach der Pause ahndete er Thomas Kläseners Handspiel mit dem zweiten Strafstoß und stellte auch den zuvor verwarnten Schalker hinaus. Weder Jan Koller im ersten Versuch noch Torsten Frings im zweiten wußten ihre Elfmeterchance zu nutzen. Die Schiedsrichterschelte offenbarte die Hilflosigkeit Sammers. Seine Vorstellung, ein Unparteiischer würde ein und derselben Mannschaft in einem solchen Derby vier Elfmeter geben, zeugt von Realitätsverlust. Die Klage über Fandel illustriert Sammers Not wie die Leistung der seltsam gehemmt wirkenden Mannschaft: Sammer ist angeschlagen. Er wirkt wie ein angezählter Boxer. Aber Sammer ist hart im Nehmen; er wird wieder aufstehen.“

Matti Lieske (taz 2.2.) beschreibt Dortmunder Dünnhäutigkeit: „Wir haben uns auf dieses Spiel gefreut und dann einen bösen Traum gehabt, der am Ende Realität geworden ist, berichtete der gramgebeugte Michael Meier, der selbst immer mehr aussieht wie ein Fleisch gewordener böser Traum. Kurz zuvor hatte der Däne Sand, über dessen letztes Tor und seine genaue Datierung längst ein heftiger Archäologenstreit entbrannt ist, im Westfalenstadion zum 1:0 für Schalke getroffen. In der 89. Minute – wie sich das gehört, wenn man einen ohnehin wankenden Gegner endgültig in den Boden stampfen will. Es kommt aber auch wirklich knüppeldick im Moment für die Borussen. Anstatt ihren Rückrundenauftakt gnädig im Strudel der anderen Spiele untergehen zu lassen, wurde er der Fernsehnation am Freitagabend in all seiner öffentlich-rechtlichen Schaurigkeit live präsentiert. Ein fußballerischer Dschungelkampf par excellence, doch wo andere Sender Ekel fördernde Ingredienzen wie Kakerlaken, Spinnentiere und Küblböcks benötigen, reicht in der Bundesliga schon ein Fandel, um BVB-Coach Matthias Sammer zum Hilfeschrei Holt mich hier raus bzw. Hier gehts um meinen Kopf zu bewegen. Ein geradezu genialer Regieeinfall, den fröhlichen Pianisten Herbert Fandel mit der Leitung dieses brisanten Spiels zu betrauen, einen Schiedsrichter, der stets über eine ganz eigene Sicht der Dinge verfügt und darob europaweit gefürchtet ist. Dass die Dortmunder jetzt aber sogar schon über Referees herfallen, die ihnen gleich zwei Elfmeter gönnen, sagt einiges über ihren Gemütszustand.“

Ohne den Hauch eines Spielzuges

Freddie Röckenhaus (SZ 2.2.) schildert Dortmunder Spielarmut: „So konfus der sichtlich angeschlagene Matthias Sammer das Derby-Debakel kommentierte, passte das zum Gesamteindruck, den Borussia Dortmund in diesen Wochen abgibt. Was als Befreiungsschlag von den tristen Realitäten des Finanzchaos’ beim Meister von 2002 gedacht war, trieb den BVB nur noch tiefer in die Agonie. Und als die Diskussionen um Schalkes Sieg, meldete sich auch noch Anleihen-Guru Stephen Schechter telefonisch von der Geschäftsreise aus New York zu Wort. Von der unter der Woche vermeldeten Unterschriftsreife einer 100-Millionen-Anleihe, die für Dortmund als Nothilfe bereit stehe, habe er nie gesprochen: „Ich verstehe nicht, wie es zu solchen Zitaten kommt. Ich habe in den letzten Tagen weder mit dem Klub geredet noch mit Journalisten.“ Und von einer Summe in der Größenordnung von 100 Millionen könne „definitiv nicht die Rede“ sein. „Das ist erfunden.“ Donnerstag und Freitag hatte Dortmunds Führungsduo Gerd Niebaum und Michael Meier die Öffentlichkeit allerdings Glauben gemacht, es läge ein solches Schechter-Angebot tatsächlich vor. Und dies beweise, dass Investoren nach wie vor „Vertrauen in das Unternehmen Borussia Dortmund“ hätten: Sozusagen als Gegenbeweis für die anhaltende Erfolglosigkeit der BVB-Spitze auf der Suche nach Banken, welche die Bilanzlöcher stopfen könnten. Schechters Dementi passt indes in den Eindruck von Tohuwabohu und Handlungsunfähigkeit. Auf dem Platz setzte die Mannschaft von Matthias Sammer den chaotischen, konzeptlosen Eindruck fort, den Dortmunds Führungsspitze seit Wochen auf dem geschäftlichen Parkett bietet (…) Längst pfeifen es in Dortmund die Spatzen von den Dächern, dass die Geduld mit den spielerisch ungenügenden Leistungen der hochkarätigen Mannschaft bei Meier und Niebaum erschöpft ist. Offiziell ist vor allem der besonders kritische Meier verständlicherweise zu keinem Statement in dieser Richtung zu verleiten. Doch am Freitag beantwortete der Manager entsprechende Fragen ebenso eigenwillig wie diplomatisch: „Wenn sie die Trainerfrage stellen wollen, dann stellen Sie sie doch.“ Um dann nachzuschieben: „Ich stelle sie nicht.“ Fest steht, dass Dortmund unverändert verkrampft und ohne den Hauch eines Spielzuges aus der Winterpause zurück kam. Der wichtigste Grund dafür, warum die seit langem als phantasielos erkannte Spielweise unter Sammer weiterhin toleriert wird, ist in der Finanzlage zu sehen. Sammers Gehalt liegt in der Größenordnung von Ottmar Hitzfeld – der immerhin der erfolgreichste Vereinstrainer Europas in der laufenden Dekade ist. Sammer wurde sozusagen für sein üppiges Spielergehalt nahtlos in die Trainerlaufbahn übernommen.“

VfB Stuttgart – Hansa Rostock 2:0

Zeitlupen-Fußball im Breitwandformat

Claus Dieterle (SZ 2.2.) sieht zwei Stuttgarter Gesichter: “Als Schiedsrichter Wolfgang Stark im Gottlieb-Daimler-Stadion zur Halbzeit pfiff, fühlte sich Magath noch in seinen dunklen Vorahnungen bestätigt. Die Magenschmerzen, die ihn schon vor dem Anpfiff geplagt hatten, hatten sich nicht gebessert. Der Groll über den Zeitlupen-Fußball im Breitwandformat gegen die harmlosen Rostocker, der auch unter den 42 000 Zuschauern für Unmut sorgte, saß tief. Allein der dynamische Solist Alexander Hleb bewies Mut zum Risiko, der Rest schob sich den Ball zu. So behäbig spielt keiner, der sich ernsthaft Chancen auf den Titel ausrechnet und in der Champions League weiter mitmischen will. Der Trainer ist in der Kabine etwas laut geworden, gestand Hleb hinterher. Ich mußte ein Signal setzen, ergänzte Magath. Ob es nun die eindringliche Ansprache, die Auswechslungen oder der Systemwechsel oder die Summe der Maßnahmen waren, vermochte hinterher niemand genau zu sagen. Fakt war, daß der VfB mit drei frischen Kräften auf einen Schlag – Streller, Gerber und Tiffert – und der Umstellung von der alten 4-4-2-Ordnung hin zu Magaths favorisiertem 3-5-2-System endlich zum gewünschten Erfolg kam.“

VfL Bochum – VfL Wolfsburg 1:0

Hat man Töne für diesen VfL?

Richard Leipold (FAZ 2.2.) freut sich über Bochum: ”Nach dem Schlußpfiff mimte Sunday Oliseh den Dirigenten. Mit der einen Hand schwang einen imaginären Taktstock, die andere Hand hielt er sich ans Ohr, um zu prüfen, ob auch alle schön mitsingen. Die Anhänger des Reviervereins feierten ihre Lieblingsmannschaft mit dem aktuellen Bochumer Stadionschlager Die Nummer eins im Pott sind wir. Passend zum Gesangsvortrag von Kapellmeister Oliseh und seinen Chören, stellte Cheftrainer Peter Neururer fest, wer in diesen Tagen den Takt im Fußballrevier vorgibt. Wir bestimmen, wo die Musik spielt. Hat man Töne für diesen VfL? Zwei Punkte vor Schalke und vier vor Dortmund. Der Außenseiter darf sich eine weitere Woche der Illusion hingeben, in der Region die erste Kraft zu sein. Nicht nur notorische Skeptiker fragen sich, wie lange diese Reihenfolge noch gültig sein mag. Früher hätte Neururer sich in solcher Lage (zu) weit vorgewagt. Nach einer langen Zeit des Lernens ist er aus Schaden klug geworden. Das Potential der Mannschaft reiche noch nicht aus, längere Zeit vor Schalke zu stehen, vielleicht aber vor Dortmund, zumindest in dieser Saison. Neururer äußert sich geschickter als früher, aber nicht so diplomatisch, daß es langweilig wird. Wir wollen wieder 26 Punkte holen, sagt er. Das wäre die gleiche Ausbeute wie in der Hinrunde. Wenn am Ende Platz fünf herausspringt, wäre es in Ordnung, für die Gesamtentwicklung aber vielleicht ein zu großer Schritt. Seit dem Aufstieg vor anderthalb Jahren hat die Mannschaft an Reife, Ruhe und Routine gewonnen. Diese Vorzüge haben das Team in die Lage versetzt, knappe Siege schmucklos über die Zeit zu bringen.“

1. FC Köln – Borussia Mönchengladbach 1:0

Milan Pavlovic (SZ 2.2.) stellt uns den Torschützen vor: “Es ist viel über ihn geredet worden in der Winterpause – Granate, Original, Glücksgriff, Jahrhunderttalent, das waren da noch zurückhaltende Vokabeln –, aber dies alles war bloß ein lauer Vorgeschmack auf das, was nach dem 1:0 verkündet werden wird. Die Pointe dabei ist, dass Podolski kein Mann großer Worte ist. Als er dem Kölner Stadt-Anzeiger seine beiden Hinrunden-Tore schildern sollte, klang das so: „Flugkopfball, Superding“ und „Außenrist, patsch!“ Podolski redet schnell und schlicht, in Schlagworten. Verben bleiben in der Minderheit, der Rest ist mit deftigem lokalen Akzent versehen. Als ihn am Samstag jemand fragte: „Kommen Sie sich vor wie in einem Märchen, Herr Podolski?“, kölschte er zurück: „Eigentlisch nischt.“ Aber er soll ja auch keine Vorträge halten, eher werden bald Vorträge über ihn gehalten, seine Art, Fußball zu spielen: schnell, schnörkellos, mit fulminantem Antritt, zielgerichtet, mit hervorragender Antizipation, gutem Auge für die Mitspieler und einer Ruhe vor dem Tor, „die nicht selbstverständlich ist für einen 18- Jährigen“, wie es Kölns kühler Schweizer Trainer Marcel Koller beschrieb. Er ist Podolskis Mentor – sein Entdecker ist er nicht. Es mag so aussehen, als sei Podolski über den Klub gekommen wie eine Naturgewalt, aber in Wahrheit spielt er seit sechs Jahren beim FC.“

1860 München – 1. FC Kaiserslautern 2:1

Symptome eines Zerfalls

Klaus Hoeltzenbein (SZ 2.2.) sorgt sich um Kaiserslauterns Zukunft: „In München offenbarten die Pfälzer Symptome eines fortschreitenden Zerfalls. Sinnestäuschungen sind dafür oft der beste Beleg. „Hier dürfen wir nicht verlieren, hier können wir nicht verlieren“, habe seine Mannschaft zur Halbzeit bei der Einkehr festgestellt, erzählte Trainer Erik Gerets. Als sie wieder raus musste, habe sie „sofort den Faden verloren“. In endlosen, zielarmen Ballstafetten suchten die Gäste Trost für ihre Säumnisse vor der Pause. Für jenen aus ihrer Sicht spielentscheidenden Augenblick, in dem der Schiedsrichter dem Münchner Torben Hoffmann für dessen Notbremse gegen Miroslav Klose nur Gelb statt der zwingend vorgeschriebenen Roten Karte zeigte. Für jenen Moment kurz zuvor, in dem Lauth die Konfusion nutzte, aber besonders für Gegentor Nummer zwei: Das Publikum erkannte eine halbe Minute vorher, was passieren würde – nur fünf! Lauterer Abwehrkräfte nicht. Lauth gab den Ball zu Andreas Görlitz, lief in den Strafraum, erwartete die Flanke und nickte sie – unbelästigt vom dösenden Quintett – mit der Stirn ins Netz. „Wenn man das Spiel so dominiert, muss die Ausbeute besser sein“, suchte Kaiserslauterns Präsident Rene C. Jäggi das Positive im Desaster, verwies aber sogleich aufs nächste Abstiegsendspiel gegen den 1. FC Köln. Da wird dem Publikum wohl noch mehr einfallen als jene als Plakat nach München mitgebrachte Zahlen-Alliteration auf seine müden Pfälzer Gladiatoren: „400 000 Euro auf dem Konto/40 000 Fans im Stadion/4000 Ausreden auf Lager/400 PS in der Garage/40 Punkte fehlen euch!““

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Tabellen, Torschützen, Zuschauer NZZ

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