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Beckham grandios – Hoddle in Tottenham rausgejagt – Hahnenkämpfe in Manchester und Turin – Niedergang Benficas – Portrait Mia Hamm
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| Donnerstag, 25. März 2004„David Beckham wischt mit exzellenten Leistungen alle Bedenken vom Tisch, seine Verpflichtung beiReal Madrid sei nichts als ein PR-Gag“ schreibt Thilo Schäfer (FTD 23.9.): „Mit seinem zweiten spektakulären Treffer in der Primera División setzte Beckham einen weiteren Höhepunkt in der noch kurzen Karriere beim spanischen Rekordmeister. Den heimischen Reportern gehen jetzt schon die Adjektive aus, um die sensationelle Leistung des 35-Mio.-Euro-Einkaufs von Manchester United zu beschreiben. Der Fußballer mit Popstar-Status hat in wenigen Wochen auch die letzten Kritiker zum Schweigen gebracht, die im Sommer noch vermutet hatten, dass die Verpflichtung des Ehemanns von Ex-Spice- Girl Victoria Adams eine reine PR-Aktion war. „Beckham wird mit jedem Tag unentbehrlicher für die Mannschaft“, urteilte die Sportzeitung „Marca“. Die rasche Eingewöhnung des Briten ist um so erstaunlicher, wenn man die Probleme seiner illustren Mitspieler in Erinnerung ruft. Das französische Fußballgenie Zinedine Zidane wirkte nach seiner Verpflichtung vor zwei Jahren am Anfang wie ein Fremdkörper im Team. Brasiliens Weltmeister Ronaldo erntete in der vergangenen Saison sogar Pfiffe vom eigenen Publikum, ehe er in einem beeindruckenden Lauf Real zur Meisterschaft schoss. Beckham dagegen begeisterte die Menge im Madrider Bernabéu-Stadion vom ersten Spiel an. Dabei überzeugt er nicht allein durch technische Leckerbissen bei Freistößen, Flanken und Ecken („Beckham flankt bei Eckbällen nicht einfach in den Strafraum, sondern er liefert ein halbes Tor“– „El País“). Fans und Kritiker sind geradezu verblüfft über den unnachgiebigen Kampfgeist des Mittelfeldspielers mit den ständig wechselnden Frisuren. Beckham rennt unermüdlich und sucht die Zweikämpfe wie ein A-Jugend-Spieler, der seine große Chance auf einen Stammplatz in der Profielf wittert. „Beckham hat einen unglaublichen Kampfgeist“, freut sich denn auch Reals Präsident Florentino Pérez. Für ihn ist die Entwicklung ein besonderer Triumph: War doch die Verpflichtung Beckhams alles andere als unumstritten. Auch die Bedenken, dass Beckham taktisch nicht in das Starensemble der Königlichen passen und sich lediglich mit Figo auf die Füße treten würde, haben sich inzwischen zerstreut.“
Vernichtendes Zeugnis zum Abschied
Martin Pütter (NZZ 23.9.) berichtet die deftige Entlassung Glenn Hoddles bei Tottenham Hostpur: „Chairman Daniel Levy unterbrach seine Flitterwochen – und gab Hoddle in seiner offiziellen Mitteilung ein vernichtendes Zeugnis zum Abschied. Den von Levy angeführten Punkten mangelte es nicht an Deutlichkeit: Trotz massiven Investitionen in neue Spieler – die Londoner gaben 26,4 Millionen Franken für die drei Stürmer Bobby Zamora, Frederic Kanouté und Helder Postiga aus – habe der schlechteste Start in die Premier League seit deren Gründung resultiert. Dazu sei die zweite Hälfte der letzten Saison extrem schwach gewesen, und der fehlende Fortschritt sowie die Absenz sämtlicher Zeichen von Besserung seien schlicht inakzeptabel. Zudem müsse der Vorstand Vertrauen zum Trainer haben, dass Erfolge eintreffen – und dieses Vertrauen fehle. Bei solch starken Worten kommen sogar Zweifel auf, ob Hoddle je wieder eine Chance hat, in einem englischen Klub Trainer zu werden. Bei Tottenham schien der einst so elegante Mittelfeldspieler alles falsch zu machen, was man als Manager falsch machen kann. Er hielt stur am 3:5:2-System fest, selbst wenn mittlerweile Klubs wie Southampton zeigen, wie leicht dieses taktische Konzept auseinander zu nehmen ist. Er bestritt, dass Verteidigung und Mittelfeld verstärkt werden müssen, was nach zehn Gegentoren in den letzten drei Partien nicht mehr glaubhaft ist. Seine grössten Fehler beging Hoddle jedoch im Umgang mit den Spielern. Es sei kein Teamgeist vorhanden, der Coach habe keine Ahnung davon, wie er Spieler behandeln soll, und keiner werde ihm bei einer Entlassung eine Träne nachweinen, sagte der im Februar zu Portsmouth abgeschobene Tim Sherwood. Erwachsene Männer fühlten sich von ihm wie Kinder behandelt, fügte der ehemalige irische Internationale Tony Cascarino an, der zu Beginn der neunziger Jahre unter Hoddle mit Chelsea gespielt hatte. Anstatt Psychospiele mit dem Gegner zu veranstalten, betreibe Hoddle dies mit den eigenen Spielern, schrieb David Beckham jüngst in seiner Autobiografie.“
Christian Eichler (FAZ 23.9.) berichtet die entscheidende Szene beim 0:0 zwischen ManU und Arsenal: „Achtzehn Elfmeter in Folge hatte van Nistelrooy in den vergangenen beiden Spielzeiten verwandelt, fast alle halbhoch, linke Seite. Die Torhüter wußten das und konnten doch nichts tun. Dann stand ihm Lehmann erstmals gegenüber, im Elfmeterschießen des Community Shield zwischen Meister und Pokalsieger. Van Nistelrooy wählte wie immer die linke Ecke – Lehmann hielt. Seitdem hat der Holländer eine Art Krise, trifft kaum und hat noch einen Elfmeter verschossen, gegen Bolton. Nun also Nachspielzeit in Manchester, Nistelrooy/Lehmann, die zweite. Der Schütze legt sich den Ball hin, der Hüter hüpft, wie es der Guardian formuliert, manisch auf der Linie hin und her, als wäre er Torwart in einem Tischfußballspiel in der Hand eines aufgeregten Schuljungen. Das Gehampel hat Methode: Schau, so klein ist das Tor, ich bin überall. Lehmann kennt sich aus mit dem Psychospiel, er hielt 1997 gegen Inter Mailand Zamoranos Elfmeter, der Schalke den Uefa-Cup brachte. Van Nistelrooy läuft an, scheint diesmal die andere, die rechte Ecke anzupeilen, dort aber taucht der Torwart auf; der Schütze dreht den Fuß – und hämmert den Ball links an die Latte. Es folgten aggressive Triumphgesten der Arsenal-Verteidiger bis hin zur körperlichen Provokation des geknickten Holländers. Die gegenseitigen Beschuldigungen setzten sich bis in die Wortduelle fort. Trainer Arsène Wenger beschuldigte van Nistelrooy zu provozieren und simulieren. Kollege Alex Ferguson fand diesen Kommentar schlimm und das Verhalten der Arsenal-Spieler jenseits der Grenze. Achtzig Minuten Langeweile, zehn Minuten Krieg – so etwa pointierte die Boulevardpresse dieses Duell, das über die Jahre der gemeinsamen Dominanz immer mehr vom spielerischen Vergleich zum hormonellen Hahnenkampf geworden ist. Jahrelang waren es eher die Spitzenduelle der Bundesliga, in denen Spieler mit der aufgepeitschten Stimmung nicht kreativ umgehen konnten, während das den England-Profis besser gelang. Nun produzierten Bayern und Bayer beim 3:3 in München Fußball zum Schwärmen und United und Arsenal beim 0:0 in Manchester Fußball zum Abschalten.“
Peter Hartmann (NZZ 23.9.) fasst den Spieltag in Italien anschaulich zusammen: „Die fünfte Kraft im Calcio, die letztes Jahr tief abgestürzte AS Roma, vergab in Turin in der Nachspielzeit einen kapitalen Matchball: Francesco Totti stand nach einem genialen Pass des Brasilianers Emerson plötzlich allein vor Torhüter Buffon. Ein angekündigter Showdown. Totti, dessen Bestseller mit Witzchen und Versprechern in diesem Sommer 600000-mal über den Ladentisch gegangen ist, versuchte es mit einer humoristischen Einlage, mit dem „cucchiaio“ (wörtlich: Löffel). Wenn die Geste gelingt, wird der Torhüter gedemütigt; wenn sie misslingt, kann sich der gescheiterte Artist mit dem Löffel das Grab schaufeln. In den verbalen Hahnenkämpfen vor dem Spiel behauptete Totti, die AS Roma werde 3:1 gewinnen, aber niemals würde er seinen Freund Buffon der Schmach eines „cucchiaio“ aussetzen. Nun hatte der Prophet den Siegtreffer auf dem Fuss, und Buffon wusste, was er von seinem römischen Kumpel zu erwarten hatte. Das Stadion hielt den Atem an. Totti zögerte eine Idee zu lange mit dem Ball am Fuss, vielleicht verfluchte er noch in der gleichen Sekunde, dass er die schlaue Variante gewählt hatte. Buffon riss den Arm hoch – er war der Sieger, wenn er auch nur das Unentschieden rettete (…) Der Mentalitätswandel in der SerieA ist unübersehbar: Die Zeichen stehen auf Angriff. Das auslösende Trauma war, wie Milan-Trainer Carlo Ancelotti wieder bestätigt hat, die WM-Niederlage gegen Südkorea, als der Nationalcoach Trapattoni das 1:0 mit herkömmlicher Betontaktik absichern wollte, als er die kreativen Spieler Zambrotta und Del Piero durch die Wadenbeisser Di Livio und Gattuso ersetzte – das ist bewältigte Vergangenheit. Drei von vier Halbfinalisten der Champions League waren italienische Klubs. Die Startsiege von Milan, Juve, Lazio und vor allem die Demonstration von Inter in Highbury gegen die Romantiker von Arsenal bestätigten den Trend. Auch wenn gerade Inter unter dem Pressing von Sampdoria wieder in den konfusen Trott der letzten Saison verfiel. Selbst eine Mannschaft wie Siena, die zum ersten Mal überhaupt in der SerieA auftritt, liefert ein Matchblatt mit vier Toren (gegen Empoli) ab. Brescia und die Reggina zeigten ein Pingpongspiel mit dem Resultat 4:4, wobei der 36-jährige, fast gänzlich ergraute Roberto Baggio auf den Tag genau 17 Jahre nach seinem Début in der Serie A einen Penalty für Brescia verschoss.“
Georg Bucher (NZZ 23.9.) beschreibt den Niedergang Benficas: „Genau 26 Jahre nachdem das autoritäre Salazar-Regime die Macht übernommen hatte, wurde am 28.Mai 1952 das Estádio das Antas eingeweiht. Sport Lisboa e Benfica, ein verlängerter sportlicher Arm der Nomenklatur, wurde nach Porto geladen und fertigte den Platzklub mit 8:2 ab. Im Laufe der Jahre verschoben sich jedoch die Kräfteverhältnisse. Porto schwenkte nach der Nelkenrevolution 1974 auf die Überholspur, etablierte sich auch in Europa und gewann von den letzten neun Heimspielen gegen Benfica acht; nur in der Saison 1999/2000 erreichten die Lissabonner ein torloses Unentschieden. Da das neue Estádio do Dragão im November bezogen werden soll, bildete die Antas-Arena am Sonntagabend letztmals die Kulisse einer Classique. Dieser besondere Umstand motivierte Vorspiele weit über das Einzugsgebiet der Metropolen hinaus. Unfreiwillig spiegelt die „Casa do Benfica“ in Valença do Minho, einer Kleinstadt an der galicischen Grenze, die Befindlichkeit des Lissabonner Traditionsklubs. Einwegfeuerzeuge mit dem Klubemblem sind ungebraucht und dennoch leer. Auch nach dem dritten Besuch liegen T-Shirts, Pullover und Kappen unverändert in der Merchandising-Vitrine aus. Ausgestopfte Adler simulieren Tiefflüge, die Augen melancholisch zum Himmel gerichtet. An der Wand hängen Bilder jener Mannschaften, die 1960/61, 1990/91 und 1993/94 Meister wurden.“
Matthias B. Krause (FTD 23.9.) porträtiert Mia Hamm: „Bei den ersten beiden Treffern konnte sie sich noch prima rausreden. Es habe sich um eine gute Teamleistung gehandelt, sagte Mia Hamm wieder und wieder, sie habe den Ball einfach nur weitergespielt. Doch ihren Anteil am dritten Treffer der US-Frauen in ihrem Auftaktspiel zur Fußball-WM gegen Schweden kleinzureden, gelang ihr dann nicht mehr. Zu genau hatte die 31 Jahre alte Stürmerin aus Washington den Eckball auf den Kopf ihrer Kollegin gezirkelt. Statt Shannon Boxx hätte wahrscheinlich auch ein Baumstamm gereicht, um den Ball direkt ins Tor zum finalen 3:1-Treffer zu lenken. Außerdem wollten die heimischen Reporter sowieso nichts anderes hören. Drei tödliche Zuspiele der großen Mia, das passt haargenau ins Bild, das alle längst in ihren Köpfen haben. Die „New York Times“ notierte danach: „Andere Spielerinnen trugen zum Sieg bei, doch Mia Hamm ist für viele der 34 114 Fans im Stadion der Star, das Symbol und das Covergirl dieses Teams. Gewählt durch einen mysteriösen Prozess, der neben individueller Leistung kommerzielles Kalkül ebenso einschließt wie öffentliche Anziehungskraft.“ 45 Kickerinnen führt die offizielle WM-Webseite auf, denen die Besucher besondere Aufmerksamkeit schenken sollten. Allein für das US-Team sind es neben Hamm fünf. Und eine, die viele für die derzeit beste Fußballspielerin überhaupt halten, taucht nicht einmal auf: die deutsche Stürmerin Maren Meinert. Zwar schied die 30 Jahre alte Rheinhausenerin mit den Boston Breakers im Halbfinale der US-Meisterschaft gegen Mia Hamms Washington Freedom aus, doch nahm sie den Titel der wertvollsten Spielerin der Profiliga WUSA mit nach Hause. Schon beim All-Star-Spiel war sie ebenfalls als Beste der Besten geehrt worden. Und zum Ende ihrer Karriere will sie mit dem als einer der Favoriten gehandelten deutschen Team nun den WM-Titel. Eigentlich auch eine schöne Story, doch die US-Medien beeindrucken solche Fakten wenig. Sie haben sich auf die öffentlichkeitsscheue Mia Hamm als Titelgesicht der WM eingeschworen. Dabei fühlt sich kaum jemand unwohler in dieser extrovertierten Rolle.“
FR-Interview mit Bettina Wiegmann und Linda Bresonik
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