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Bedeutungsverlust britischer Derbys

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Bedeutungsverlust britischer Derbys

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Tabellen, Torschützen, Zuschauer NZZ

Immer beliebt, nie nachhaltig erfolgreich

Manchester – Christian Eichler(FAZ 15.12.) schildert den Derby-Sieg Uniteds gegen City und die Differenz zwischen beiden: „Von allen Niederlagen war es die plausibelste, und doch könnte gerade das 1:3 von Manchester City bei Manchester United Trainer Kevin Keegan in Nöte bringen. Für den Meister war das Derby nur eine Pflichtübung. Für Manchester City dagegen ist das Derby immer noch etwas ganz Besonderes: eine Erinnerung an fast hundert Jahre, in denen man auf Augenhöhe mit United stand oder sogar darüber. Wenigstens im Derby will man die Illusion genießen, daß es immer noch so wäre – als Trost im tristen Alltag. Und der droht immer trister zu werden. Während United sich in den Neunzigern in Englands und Europas Spitze etablierte, mußte City sich aus der dritten Liga wieder hochkämpfen. Mit gewaltigem Finanzrisiko versuchte sich der Wiederaufsteiger in Reichweite des reichen Rivalen zu katapultieren. 51,2 Millionen Pfund (über siebzig Millionen Euro) gab City für neue Spieler aus, seit Kevin Keegan im April 2001 Trainer wurde. Nun soll erst mal Schluß sein. Klubchef John Wardle verkündete letzte Woche, daß in der nächsten Transferperiode im Januar keine Einkäufe möglich seien. Im vergangenen Geschäftsjahr (bis Mai 2003) machte City einen Verlust von 15,4 Millionen Pfund, womit sich die Schulden auf über fünfzig Millionen Pfund summierten. In dieser Situation, da City sich schon Vergleiche mit dem ruinösen Traditionsklub Leeds United anhören muß, erzeugt die jüngste Niederlagenserie große Nervosität. Bis Ende Oktober schien die Bereitschaft aufzugehen, riskante Verpflichtungen einzugehen. Spieler, die den meisten Klubs als zu teuer und zu schwierig galten, nahm City mit Kußhand. Das Risiko zahlte sich anfänglich aus. Vor zwei Monaten stand der Traditionsklub dort, wo er sich immer noch zu Hause fühlt: weit oben, auf Platz fünf, knapp hinter den großen drei, United, Arsenal, Chelsea. Doch seitdem ging fast alles schief (…) Als Spieler ein Weltstar beim FC Liverpool und Hamburger SV, hat Keegan als Trainer ein persönliches Strickmuster des Scheiterns entwickelt: immer beliebt, nie nachhaltig erfolgreich. Mit Newcastle United, das 60 Millionen Pfund in Spieler investiert hatte, verspielte er 1996 einen Vorsprung von zwölf Punkten und den Meistertitel. Mit dem Nationalteam scheiterte er mit antiquierter Taktik in der Europameisterschaftsvorrunde 2000. Nun scheint es, daß er auch mit Manchester City die Grenzen seiner Möglichkeiten auszuloten beginnt. Zweifel an Keegans Kompetenz verbreiteten nicht nur Resultate, auch Verpflichtungen wie die des argentinischen Stürmers Vicente Matias Vuoso, der 3,5 Millionen Pfund kostete, aber nie zum Einsatz kam und schließlich an den mexikanischen Provinzklub Santos Laguna verliehen wurde. Am meisten schaden dürften Kevin Keegan aber fachliche Einschätzungen von der Art, wie er sie nach dem 1:3 gegen Manchester United preisgab: Wir stehen nicht weit hinter United.“

Martin Pütter (NZZ 16.12.) bedauert, mit den Fans, den Bedeutungsverlust britischer Derbys: „In der ersten Halbzeit sah es aus, als spiele der englische Meister gegen einen lustlosen zweitklassigen Gegner. Robbie Fowler schleppte zu viel Gewicht mit sich herum. Steve McManaman war sich mit seinem Gehabe einer Primadonna zu schade für ein engagiertes Tackling. Und Nicolas Anelka war vor allem damit beschäftigt, sich über die Unfähigkeit seiner Teamkollegen zu ärgern. Die Fans warten weiter auf den ersten Sieg ihrer City im Old Trafford seit 1974. Das Treffen in Manchester war heuer nicht das erste Derby, an dem auf dem Spielfeld nicht die Stimmung herrschte, die solche Spiele auszeichnet. So beklagten sich Fans und Medien in Schottland bitter darüber, das Rivalenspiel der Glasgower Vereine Rangers und Celtic habe wie das Abtasten zweier Mannschaften in einem Gruppenspiel der Champions League gewirkt. Als Argument dafür führten die Kritiker den Umstand an, dass bis zur Pause nur ein Spieler verwarnt wurde. Ähnliche Vorzeichen auch am ersten Nordlondoner Derby zwischen Arsenal und Tottenham Hotspur. Die „Gunners“ bezwangen trotz frühem Rückstand die „Spurs“ noch problemlos 2:1. In diesem Spiel hatten, wie im Old Trafford, nur die Fans mit ihren (mittlerweile extrem rüpelhaften) Gesängen neutralen Zuschauern klar gemacht, dass sie einem Spiel zweier Erzrivalen zusehen. Auch in anderen europäischen Ländern ist das gleiche Phänomen festzustellen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die heute aus verschiedenen Städten und Ländern stammenden Spieler keine Beziehung mehr zur Stadt haben, in der sie arbeiten, und sich mit dem Team, für das sie spielen, nicht gleich identifizieren wie die Fussballer von früher. Nur Manchester United schwimmt im Moment noch gegen diese Strömung.“

Real Madrid zaubert in der Liga vorneweg

Peter Burghardt (SZ 16.12.) erfreut sich an der attraktiven und erfolgreichen Spielweise Real Madrids: „Künstler setzen ihre Höhepunkte manchmal unbewusst, Zinedine Zidane findet dabei oft den passenden Moment. Wer dem Franzosen beim rauschenden 2:1-Sieg von Real Madrid gegen Deportivo La Coruña zusah, der kann nicht den leisesten Zweifel daran haben, dass die Juroren der Fifa mit ihrer Wahl anderntags richtig lagen. Vor 78 000 staunenden Augenzeugen im Bernabeu-Stadion stellte Zidane wieder Dinge an, die in dieser Form vermutlich nur er beherrscht. Beim Madrider Führungstreffer nach 45 Minuten nahm der Maestro ein Zuspiel von Ivan Helguera in vollem Lauf federleicht entgegen, legte den Ball mit dem rechten Absatz auf den linken Fuß, ließ den gegnerischen Abwehrspieler Manuel Pablo stehen und passte zentimetergenau zum Kollegen Ronaldo, der in den Strafraum geeilt war. Selbst seriöse Blätter widmeten dieser Aktion Fotoserien, Zidane fand sein Kunststück normal: „Kontrolle, nichts anderes.“ Dass Ronaldo kongenial abschloss, passte wunderbar zu dieser Show, wie sie die prominenteste Mannschaft der Welt bei guter Stimmung gelegentlich aufführt (…) So zaubert Real Madrid in der spanischen Liga vorneweg und entlastet vorübergehend den Trainer Carlos Queiroz von dem Verdacht, er könne der Aufgabe womöglich nicht gewachsen sein. Zuletzt wurden Atletico de Madrid, der FC Barcelona und jetzt auch Deportivo La Coruña in feinem Stil bezwungen, alle acht Heimspiele wurden gewonnen, und in der Champions League ist das Ensemble vor dem Treffen mit dem FC Bayern unbezwungen. Trotz löchriger Abwehr funktioniert das Kollektiv, dem sich David Beckham vorbildlich unterordnet.“

Georg Bucher (NZZ 16.12.) protokolliert die standfeste Begeisterung Jorge Valdanos, Sportdirektor Real Madrids, über sein Team: „Valdano hatte sich bei einem Gala-Essen eine Lebensmittelvergiftung zugezogen und zehn Tage im Spital verbracht. Im Gespräch mit der Sportzeitung ‚as‘ ließ er diesen Schock mit biophilen Nachwirkungen Revue passieren, vor allem analysierte er jedoch die Lage in seinem Klub. Zu denken an den wie gewohnt brillanten Statements gibt allein die abgehoben-positive Bewertung aller Details, das Gefühl, die ‚Königlichen‘ schwebten auf einer Wolke und könnten sich nur selber ein Bein stellen. Alles eitel Sonnenschein. Die Vermutung, Ronaldo habe Fett angesetzt, sei aus der Luft gegriffen. Wie könne er sonst auf 20m die Gegner wie Statisten stehen lassen. Der Brasilianer verbinde Antritt, Kraft, Präzision und Talent und sei die beste Nummer neun der Welt. Beckham wird ebenfalls gehuldigt, mit Leistungswerten wie ein Marathonläufer komme der Brite in seiner neuen zentralen Rolle besser zur Geltung als am Flügel. Ausserdem habe er nach Querelen in Manchester die Lust am Spiel wieder gefunden, werde vom Madridismo bewundert und fühle sich im Klub und in der Stadt gleichermassen wohl. Hoch angerechnet wird dem Trainer Queiroz, dass er aus personeller Not eine recht stabile, aus Eigengewächsen gebildete Innenverteidigung aus dem Hut gezaubert hat. Pavon sammelte schon letzte Saison an Hierros Seite – nicht immer positive – Erfahrungen. Raul Bravo ist von der linken Seite in die Mitte gerückt. Dass die Novizen ihre Aufgabe so gut erfüllen, liegt gemäss Valdano auch an Michel Salgado und Roberto Carlos. Die Aussenverteidiger von Weltklasseformat helfen schon einmal aus, wenn es brennt, und an ihnen können Youngster wachsen. Diesen Schritt hat der 22-jährige Goalie Casillas bereits hinter sich. Statt immer nur auf die ‚Galacticos‘ zu starren, sollte man überlegen, wie viele Punkte weniger auf dem Konto stünden ohne die stupenden Reflexe und Flugeinlagen des an die Goalie-Legende Zamora erinnernden Tausendsassas.“

Die Muttermilch bleibt aus

Peter Hartmann (NZZ 16.12.) kommentiert den Niedergang des AC Parma: „Es war einmal ein Wirtschaftsmärchen: In Parma (170.000 Einwohner) verwandelte der Unternehmer Calisto Tanzi den elterlichen Salami-Laden in einen globalen Lebensmittelkonzern. Der junge Tanzi hatte sein Erweckungserlebnis in Stockholm, als er in Karton abgepackte Milch sah. Das Tetrapack-Prinzip war der Schlüssel zum Erfolg, und weil Milch so gesund ist, liess er berühmte Sportler für sein Parmalat-Label werben, von den Slalom-Künstlern Gustavo Thöni und Ingemar Stenmark bis zum ewigen Rotkapperl-Träger Niki Lauda. Vor 14 Jahren kaufte sich Tanzi noch den lokalen Serie-B-Fussballklub. Die AC Parma erblühte zum Provinzwunder: Nach zwei Jahren der Aufstieg, nach vier Jahren Sieg im Cup-Sieger-Cup, 1995 zweiter Platz in der Meisterschaft und Gewinn des Uefa- Wettbewerbs. Doch jetzt ist Parmalat (weltweit 35000 Beschäftigte) mit 6,9, möglicherweise sogar mit 9 Milliarden Euro Schulden ein dramatischer Sanierungsfall. Und weil die lebenserhaltende Muttermilch aus dem Stammhaus ausbleibt, droht auch der AC Parma der Bankrott. Für Parma sieht es zappenduster aus, obwohl in den letzten Jahren Stefano Tanzi, der jugendliche Sohn des Padrone, als Präsident vermeintlich rechtzeitig ein ganzes Ensemble von Superstars noch gewinnbringend auf den Markt geworfen hatte: Torhüter Buffon, der teuerste Torhüter der Welt, ging für umgerechnet 80 Millionen Franken zu Juventus, gemeinsam mit Thuram; die Argentinier Crespo und Veron landeten, vorübergehend, im Portefeuille des Finanzakrobaten Sergio Cragnotti bei Lazio Rom, zuletzt der Stopper Cannavaro bei Inter und Mutu bei Chelsea. Liquidiert wurde auch das satellitäre Sponsoring-System, etwa das Engagement beim brasilianischen Farmklub Palmeiras. Tanzi jr., voreilig als Musterknabe der neuen Sparepoche gefeiert, erteilte dem rücksichtslosen Sanierer Baraldi freie Hand: Die Salärsumme fiel von 75,5 auf 41,3 Millionen Euro, und dennoch schliesst die Bilanz mit einem Rekordverlust von 77 Millionen Euro. Die Verfallsfrist der AC Parma scheint abgelaufen, wie das Datum einer Milchpackung. Der brave Milchhändler Tanzi und der grössenwahnsinnige Monopoly-Player Cragnotti spielten beide mit dem Geld von ahnungslosen Kleinanlegern.“

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