Ballschrank
Berti-Vogts-Internat für bodenständige Fußballtalente
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| Donnerstag, 25. März 2004
Matti Lieske (taz 7.6.). “Ein Zufall ist es nicht, dass Berti Vogts ausgerechnet in Schottland landete. Schon in seinen glorreichen Zeiten als Bundestrainer fühlte er sich stets den Bravehearts verbunden, die all das verkörpern,was der einstige Rasenterrier an Fußballern schätzt. Kampfkräftige, robuste Kerle ohne jeden Hang zu Glamour und Selbstdarstellung; keine Künstler, sondern Haudegen, die bis zum Schlusspfiff alles aus sich herausholen, egal, gegen wen und worum es geht. Zum Beispiel 1992, als sie bei der EM in Schweden schon ausgeschieden waren, aber trotzdem die Russen niederkämpften und damit das deutsche Team ins Halbfinale brachten. Bertis Elogen wollten damals kein Ende nehmen. Seit eh und je sind die Schotten auch als hervorragende Verlierer bekannt, eine Eigenschaft, die Vogts vielleicht besonders bewundert, weil sie ihm komplett abgeht. Ein pikanter Winkelzug der Geschichte, dass es Vogts heute genau mit der Mannschaft zu tun bekommt, die er immer gern gehabt hätte. Während seines gesamten Daseins als Bundestrainer musste er sich mit selbst ernannten Lautsprechern wie Matthäus, Effenberg oder Basler herumärgern, mit sensiblen Diven wie Möller oder Häßler, mit aufgeblasenen Möchtegern-Weltstars wie Illgner oder Berthold. Einsamer Fels in der Brandung war kein anderer als Rudi Völler, der populäre Rackerer mit Tordrang, ein geradezu schottenhafter Typ. Er sollte Bertis bester Schüler werden und hat nun als dessen Erbe im Überfluss das Glück, welches dem Kleinenbroicher meist versagt blieb. Die alten Störenfriede sind in die Wüste, nach Belgrad oder in die Weltliteratur geflüchtet, der zahlreiche Nachwuchs präsentiert sich durchweg so, als sei er im Berti-Vogts-Internat für bodenständige Fußballtalente groß geworden.“
Berti Bombproof
Philipp Selldorf (SZ 7.6.). „Berti Vogts, so hört man es hier von den schottischen Journalisten, sei argwöhnisch und misstrauisch und bringe immer die gleichen Klagen vor. Sie sagen, man könne ihn nicht zitieren, weil er so schlecht englisch spreche. Sie sagen, er mache schreckliche Witze. Sie sagen, sie könnten nicht begreifen, wie es Deutschland – das Kraftwerk des europäischen Fußballs – acht Jahre mit dem Bundestrainer Berti Vogts ausgehalten habe. Und schließlich sagen sie, dass Berti Vogts keine Schuld an den schlechten Resultaten seines Teams trage – weil die schottische Nationalmannschaft niemals so schlecht gewesen sei wie heute. Die Pressekonferenz fand wie üblich im „Rock Bowling Club“ in der Nähe von Glasgow statt, herrlich gelegen unterhalb der historischen Dumbarton Burg, die auf einem Felsen über dem weitläufigen Delta des River Clyde thront. Die schottische Presse macht Witze über diesen Ort, schreckliche Witze. Im Namen Dumbarton verbirgt sich das Wort dumb, das bedeutet dumm; der Witz lautet, dass dieser Ort wie geschaffen sei für Vogts (…) Alles in allem ist es, wie immer, ein bisschen traurig mit Berti Vogts. Gern möchte er Sportsgeist und Respekt vermitteln und jedermanns Freund sein. Den Deutschen berichtet er: „Die Schotten lieben die Deutschen!“ Den Schotten erzählt er: „Schottland hat einen großen Namen in Deutschland!“ Sein eigener Name in Schottland lautet seit Freitag „Berti Bombproof“ – Berti Bombensicher, weil Verbandschef Taylor mitgeteilt hatte, er werde Vogts auch bei einer Niederlage nicht entlassen. Umso größer waren die Schlagzeilen in den schottischen Blättern, nachdem DFB-Chef Mayer-Vorfelder erklärt hatte, er habe nichts gegen eine Rückkehr Vogts’ zum DFB. „Wir nehmen Euch Berti ab“, meldete der Daily Record. Zwischen den Zeilen stand: Seid so gut und macht es!“
Tragische Geschichte
Christof Kneer (BLZ 7.6.). “Zur tragischen Geschichte des Berti Vogts gehört, dass bis heute keiner wirklich weiß, ob der Mann immer nur gegen die Umstände verloren hat oder doch gegen sich selbst. Man weiß nicht, ob er etwas dafür konnte, dass Berti-Bashing eine Art Nationalsport gewesen ist. Man weiß nicht mehr, ob Vogts erst komisch war und dann der Spott kam, oder ob sie ihn unverschuldet solange als Comicfigur besetzt haben, bis alle glaubten, dass er eine ist. Die Wahrheit ist wohl, dass beides stimmt. Nein, Vogts kann nichts dafür, dass er nach 166 Zentimetern das Wachstum eingestellt hat, und es ist ihm auch nicht anzulasten, dass er ausgerechnet aus Kleinenbroich stammt. Aber ja, er konnte etwas dafür, dass er auch sachliche Kritik immer so verbissen nachgetragen hat, dass seine Kritiker ihn weiter freudig missverstanden. Ja, er konnte etwas dafür, dass er seinen bekannt kampfstarken schottischen Spielern einen Brief schrieb, indem er sie pathetisch zu verschärftem Kampfesmut aufrief. Vermutlich ist dies die Lebenstragik des Berti Vogts: Immer hat er rührend versucht, allen alles recht zu machen, und oft hat er dabei alles rührend falsch gemacht. Nun lauern seine Kritiker auf den nächsten Fehltritt: Bei den englischen Buchmachern stehen die Wetten auf 5:1, dass Vogts an diesem Sonnabend aus Versehen beide Hymnen mitsingt.“
Was machen wir nur mit Dir, mein kleines Nervenbündel?
Jan Christian Müller (FR 7.6.). „Fragt man sie drinnen im Bowling Club nach Vogts, senken sich die Blicke betreten zu Boden. Sie nennen ihn allesamt Bördi, weil sie Berti nicht aussprechen können, und Vieles, was er macht, verstehen sie nicht. Sie verstehen nicht, warum er wegen der Kritik zweier Ex-Internationaler ein Interviewboykott für BSkyB erließ, was für Schlagzeilen sorgte, weil der Bezahlsender dem schottischen Verband rund 27 Millionen Pfund für einen Vierjahresvertrag zahlt. Vor allem aber will es ihnen nicht in den Kopf, wieso Vogts bisweilen Linksfüßer rechts verteidigen lässt, zentrale Abwehrspieler links und Linksverteidiger ins zentrale Mittelfeld schickt. Deutsche, hat der einstige Außenverteidiger (links wie rechts) auf Nachfrage einfühlsam erläutert, seien vielseitig und könnten auf verschiedenen Posten ihren Mann stehen, Schotten, das habe er inzwischen gelernt, spielen nur eine Position. So was so zu formulieren, ist natürlich nicht sonderlich geschickt. Aber so ist er nun mal, der Bördi. Sie nennen ihn bisweilen den winzigen Bördi, obwohl das natürlich nicht fair ist. Aber es ist einfach, kleine Menschen nicht ganz ernst zu nehmen. Gerade, weil sie besonders ernst genommen werden wollen. Manche Schotten sagen, es gäbe keinen unangenehmeren Job, als Team-Manager ihrer Fußball-Nationalmannschaft zu sein. Wie ein Gärtner auf einem Eisberg, sagt einer und erntet bald heftigen Widerspruch. Es gäbe kaum Leichteres, sagen andere: Niemand erwarte etwa von der schottischen Mannschaft gegen Deutschland einen Punkt, aber eine performance, eine gediegene Mannschaftsleistung also, die erwartet die Nation schon (…)Seine optimistischen Prognosen aus der Vorwoche hat er inzwischen aber relativiert – was ihm prompt die nächste Breitseite einschlägiger Boulevardpostillen bescherte. OH BERTI, Berti, Berti, schreibt Bill Leckie, der Sun-Sportjournalist des Jahres in seiner gefürchteten Kolumne, was machen wir nur mit Dir, mein kleines Nervenbündel? Der Respekt könnte größer sein. Es gibt gar Stimmen in den Leserbriefspalten, die nach Rainer Bonhof rufen, Vogts altem Spezi, der einst für die schlichtesten Halbzeit-Analysen der deutschen Fernseh-Historie stand, mittlerweile aber über veritable Englischkenntnisse verfügt und mit Schottlands U 21 eine weit bessere Bilanz vorzuweisen hat als der kleine Freund mit dem rund erneuerten A-Team.“
The little german
Michael Horeni (FAZ 7.6.) referiert die eigenwillige Informationspolitik von Berti Vogts. “Der ehemalige Bundestrainer erteilt den Auftrag, deutsche Journalisten aus den beiden Pressekonferenzen, die er für die schottischen Medien gibt, zu verweisen. Es kommt zu Protesten. Vogts wird später behaupten, diese Trennung sei in Schottland üblich. Das ist sie jedoch nicht, wie sollte sie es auch sein, da die Schotten in über 100 Jahren immer nur einen der ihren zum Nationaltrainer gemacht haben. Aber Vogts, so wird gemunkelt, wolle wohl nicht, daß man ihn englisch sprechend in Deutschland vorführe. Deswegen gibt er am Tag vor dem Qualifikationsspiel zur Fußball-Europameisterschaft zwischen Schottland und Deutschland drei Pressekonferenzen. Eine für schottische Fernseh- und Rundfunkanstalten, eine für die schottische Presse (auch da: Zutritt für Deutsche verboten) und dann eine für die gesamten deutschen Medien. Die Aussperrung führt zu absurden Szenen. Als Kameras von außen durch die Fenster filmen wollen, werden die Vorhänge zugezogen. Als Vogts endlich allein unter Schotten ist, läuft im Raum nebenan ein Fernseher mit einer Livesendung von Skysports. Dort wird die Pressekonferenz live übertragen. An die Lautsprecher des Fernsehens halten deutsche Anstalten ihre Mikrofone, um Berti Vogts, der keine zwanzig Meter entfernt sitzt, in der Sprache seiner neuen sportlichen Heimat zu hören. Vogts bringt die Pressekonferenz auf englisch sicher und routiniert hinter sich. Die schottischen Medien, in denen er sich oft als the little german bezeichnen lassen muß, scherzen mit ihm. Irgendwann muß auch er lachen, als er gefragt wird, ob er der Lehrer von Rudi Völler sei, denn er war ja schon früh der Trainer des Weltmeisters und jetzigen Teamchefs. Nein, das sei er sicher nicht, sagt Vogts. Sich als Lehrer von Völler aufzuspielen, das ging ihm doch zu weit.“
Mit einem kommunistischen Mannschaftsprinzip kann ich nichts anfangen
Auszüge aus einem FAZ-Interview (7.6.) mit Oliver Kahn:
FAZ: Wenn Sie im Training 90 Minuten hart an sich arbeiten und sehen dann andere, die es ganz locker angehen lassen, was geht dann in Ihnen vor?
OK: Nichts mehr.
FAZ: Was ging mal in Ihnen vor?
OK: Früher konnte ich es nicht begreifen. Ich war der Meinung, wer viel trainiert, wird sich immer verbessern. Heute weiß ich, daß ich mein Denken nicht auf andere Menschen übertragen kann. Ich kann nicht von anderen erwarten, daß sie so sind wie ich. Das führt nur zu Frustrationen. Ich muß auch tolerieren, wie andere zum Erfolg kommen wollen. Ich kann nur Anregungen geben: Du kannst hier mal ein bißchen mehr machen oder das mal etwas verfeinern. Aber ich bin keiner mehr, der sich darüber aufregt. Jeder hat es selbst in der Hand, jeder kann erfolgreich sein, jeder kann viel Geld verdienen. Aber dafür muß man etwas tun. Ich hätte mit normalem Aufwand ein guter Torwart werden können. Ich wollte aber ein Super-Torwart werden. Ich wollte immer mehr. Dementsprechend habe ich gearbeitet. Das kann man von anderen nicht verlangen, das müssen sie selbst erkennen.FAZ: Es gibt zwei Reaktionen unter den Kollegen auf Ihren besonderen Leistungsethos. Die eine ist die öffentliche: ungeteilte Anerkennung. Die andere ist heimliches Kopfschütteln nach dem Motto: Warum macht der das, es geht doch auch einfacher?
OK: Nein. Man kann es nicht einfacher haben. Man kann es nur einfacher haben, wenn man Durchschnitt sein will. Alle erfolgreichen Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe, sind Leute, die hart dafür gearbeitet haben. Nach außen hat es manchmal eine gewisse Leichtigkeit. Aber wenn man hinter die Kulissen blickt, sieht man nur eins: harte Arbeit. Jeder große Pianist muß jeden Tag sein Programm durcharbeiten. Genauso ist es bei mir auch. Wenn ich aufhöre konsequent zu arbeiten, beginnt ein langsamer, schleichender Prozeß des Abstiegs.
(…)
FAZ: Gehören zur Extraklasse auch Sonderrechte?
OK: Ich bin zehn Jahre bei Bayern München und der Nationalmannschaft. Da ist es doch völlig normal, daß man das ein oder andere Zugeständnis bekommt. Es ist total lächerlich, darüber auch nur im Ansatz zu diskutieren.
FAZ: Mit anderen Worten: Wenn alle Spieler gleichbehandelt werden, ist das auch nicht gerecht?OK: Mit einem kommunistischen Mannschaftsprinzip kann ich nichts anfangen. Alle großen Trainer, die ich bisher hatte, hielten überhaupt nichts davon, jeden Spieler exakt gleich zu behandeln. Sie haben immer Strukturen und Hierarchien in einer Mannschaft geschaffen, damit eine Mannschaft besser funktioniert. Aber dieses kommunistische Prinzip: Jeder muß das gleiche Hemd anhaben, die gleiche Hose, 8.30 Uhr pünktlich Frühstück, 11.30 Uhr pünktlich dies, 15 Uhr pünktlich das – damit kann ich nichts anfangen.
Christian Eichler (FAZ 7.6.). „Diesen Samstag wird man es hoffentlich im schottischen Tor zappeln hören: das Leder. Das Leder ist natürlich schon lange kein Leder mehr. Es ist ein kugelförmiges Polyurethangebilde mit Zwischenschicht aus polysyntaktischem Schaum. Nur wäre diese korrekte Umschreibung des Wortes Ball am Mikrofon eher unpraktisch. Ehe sie beim Mittelfeldgeplänkel komplett ausgesprochen wäre, läge ihr Gegenstand womöglich schon längst im Tor. Deshalb ziehen Rundfunkreporter immer noch gern vom Leder. Nur ein Pedant wird das bemäkeln und für das behördenhaft klingende Spielgerät plädieren. Das Leder hat auch deshalb seine sprachliche Berechtigung, weil es die Erinnerung an mehr als hundert Jahre Fußball mit Naturmaterial wachhält. Der gute alte Lederball, dessen Nähte sich der Stirn des Kopfballspielers einprägten, der sich bei Regen vollsog, bis er wie Blei am Fuß lag, so daß es einen Kraftathleten verlangte, um ihn wie Helmut Rahn 1954 aus der Distanz ins Tor zu wuchten. Wer ihn je trat, weiß noch, wie ein solcher Ball sich anfühlt, verändert, ja lebt. Und wie er riecht. Denn Fußball sprach einmal nicht nur Auge und Ohr an, auch die Nase. Bald aber wird wohl nicht mal das Gras mehr duften. Denn die Zukunft des Profifußballs soll der Kunstrasen sein. Der ist so perfekt plan wie der Kunstball rund. Und genauso geruchlos.“
Vor dem Spiel Schweiz gegen Russland NZZ
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