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Bundesliga

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Bundesliga

Sonntagsspiele in Stuttgart und Bochum: Felix Magath will plötzlich Meister werden – „Peter, der Glückliche“ u.a.

VfB Stuttgart – 1860 München 2:0

Das radikale Ende der schwäbischen Bescheidenheit

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 16.3.): „Felix Magath ist tollkühn geworden! Oder war es blanke Ironie, als er via Premiere schon vor dem Anpfiff der Partie des VfB Stuttgart gegen den TSV München 1860 verbreitete: Wir wollen Meister werden! War das der gleiche Mann, der sich monatelang gesperrt hatte, von Titelambitionen für seine junge, unerfahrene Mannschaft zu sprechen? Nach dem 2:0 breitete Magath genüßlich das Szenario aus, wie Stuttgart die Meisterschale hole. Ihm, meinte der Teammanager listig, würde es auch reichen, wenn am Ende bei Punktgleichstand die Tordifferenz den Ausschlag gäbe. Pro Stuttgart natürlich. Meister nehmen es, wie es kommt. Immer wieder tauchte Magath den Teebeutel in jene Tasse, auf der Mach mal ’ne Pause steht. Aber er machte keine Pause bei seinem Strategieentwurf. Er malte im Detail aus, wie es denn klappen könnte mit seinem Titelfeldzug. Wir haben noch fast ein Drittel zu spielen. Bremen muß zu uns und nach München. Es ist durchaus realistisch, daß wir noch an die Bremer ranrücken können. Und die Münchner Bayern? Kein Thema für den Fünfzigjährigen, die wollen ja nur Zweiter werden. Der sonst so nüchterne Realist hörte sich plötzlich an wie ein Phantast. Wir sind in einer hervorragenden Position, ließ er nicht locker, seinen Zuhörern seine These plausibel zu machen. Wir gewinnen Samstag in Köln, Bremen verliert in Wolfsburg und in zwei Wochen bei uns. Dann wollen wir mal sehen, wie die Bremer mit nur noch sechs Punkten Vorsprung klarkommen. Die momentane Zwölf-Punkte-Differenz hält Magath für eine Marke ohne Wert. Es kann ja auch mal sein, daß Bremen nicht in der 90. Minute gewinnt, sagte er im Blick zurück auf den vergangenen Monat. Und reguläre Tore wie das von Köln in Bremen werden auch nicht immer abgepfiffen. Die haben ihre Krise noch vor sich, wir haben sie hinter uns. Werder muß demnach noch bangen. Und Platz zwei, der immerhin den Einzug in die Champions League garantierte? Wir wollen nicht Bayern München kopieren, begründete Magath das radikale Ende der schwäbischen Bescheidenheit.“

Christian Zaschke (SZ 16.3.) befasst sich mit den Verlierern: „Im Inneren des TSV 1860 München rumort es wie nie seit dem Bundesligaaufstieg vor zehn Jahren. Als die Mannschaft der Sechziger die Heimreise antreten wollte, blockierten etwa 250 Fans die Ausfahrt. Dabei ging es ihnen weniger um die Schlagzeilen produzierende Krise dieser Tage, den Bestechungsskandal um die Familie Wildmoser. Es ging ihnen um das, was im Schatten der Affäre um den mächtigen Präsidenten seit einiger Zeit zu besichtigen ist: die sportliche Krise der ersten Fußballmannschaft des Vereins. Der Skandal trifft eine Mannschaft, die ohnehin taumelte. ¸Die Situation kann keine Entschuldigung sein, sagte Götz. Sie kann vor allen Dingen keine Erklärung sein, denn seit Wochen werden die sportlichen Probleme des Teams immer offenbarer. Seit mehreren Spieltagen wird erschreckend deutlich, dass dem Spiel der Münchner jegliche Bindung von Abwehr und Angriff verloren gegangen ist. Stürmer zu sein in dieser Mannschaft ist in etwa so dankbar wie Fellmützen in der Wüste verkaufen zu müssen. Es ist eine traurige und einsame Aufgabe, oft vergehen Minuten, in denen Benjamin Lauth nicht in die Nähe des Balles kommt. Der junge Stürmer ist der Mann, von dem es in der Winterpause hieß, er allein sei Garant gegen einen Abstieg der Löwen. Nun nimmt er am Spiel unfreiwillig nicht mehr teil. Das einzige, was den Sechzigern Hoffnung machte, war der Name des Gegners. Immerhin war Stuttgarts Trainer Felix Magath so freundlich zu behaupten: ¸Das war schwieriger, als es ausgesehen hat. Anschließend machte er sich über die Stuttgarter Journalisten lustig, die während der Saison stets von ihm gefordert hatten, er solle offen die Meisterschaft anpeilen. ¸Wir wollen Meister werden, sagte er, es gelang ihm, dabei vollkommen ernst zu bleiben, rhythmisch tunkte er einen Teebeutel in eine Tasse mit heißem Wasser. ¸Ich bin guter Dinge, dass wir in diesem Jahr Deutscher Meister werden, führte Magath weiter aus. Nicht alle begriffen, dass Magath scherzte, schließlich beträgt der Rückstand auf Tabellenführer Bremen zwölf Punkte. Doch Falko Götz begriff, dass Magath gerade Witze machte, und dass er nur dabeisitzen konnte und warten, dass die Pressekonferenz ein Ende findet. Witze, Siege, heißer Tee – Welten lagen zwischen Magath und Götz, der sich in diesem Moment so einsam gefühlt haben mag wie seine Stürmer zuvor auf dem Platz. Götz schaute ein wenig abwesend, als Magath sprach, er hörte nicht mehr richtig zu. Die Worte werden nicht mehr einzeln an sein Ohr gedrungen sein, eher als monotones Geräusch, als ein ruhiger Klang, der von allem kündete, was den Münchnern derzeit fehlt: Gelassenheit, Zuversicht, Perspektive und eine Prise Humor.“

VfL Bochum – Borussia Mönchengladbach 1:0

Das Stadion gehörte uns, das Spiel auch

Richard Leipold (FAZ 16.3.): “Holger Fach und Peter Neururer mögen sich nicht besonders. Auch bei ihrem jüngsten Treffen haben die beiden Fußballtrainer keine Freundschaft geschlossen. Neururer hatte die Art kritisiert, wie Fach seinen Vorgänger Ewald Lienen als Trainer von Borussia Mönchengladbach abgelöst hatte. Ein halbes Jahr später kickte ausgerechnet der Kritiker aus dem Revier Fach und dessen Gefolgschaft noch näher an den sportlichen Abgrund – in einem Spiel, das die Rheinländer zumeist beherrscht, am Ende aber 0:1 verloren hatten. Obwohl Fach derzeit keine guten Argumente und schon gar keine guten Ergebnisse vorweisen kann, schickte er eine kleine Spitze in Richtung seines Bochumer Kollegen. Dieses Partie habe nicht Peter der Große gewonnen, sondern Peter der Glückliche. Der Sieger wollte sich um das richtige Attribut nicht streiten. Solange ich Peter der Glückliche bin, reicht mir das vollkommen. Den Gladbachern hätte eines ihrer besten Auswärtsspiele genügen müssen, um neben Komplimenten auch den Sieg davonzutragen. Sie hatten alle Zutaten beisammen, derer es für einen Erfolg bedarf: viele Chancen, einen schwachen Gegner und fast zehntausend Anhänger, die mit ihrer Stimmgewalt eine Atmosphäre schufen wie am heimischen Bökelberg. Das Stadion gehörte uns, sagte der Mönchengladbacher Kapitän Arie van Lent. Das Spiel gehörte ihnen auch, aber sie schenkten es her, als wären sie auf drei Punkte nicht angewiesen. Kurz vor Schluß drängten die Borussen ihrem Gegner, der für seine Effizienz bei Standardsituationen bekannt ist, einen Freistoß auf. Und schließlich nahmen sie den Bochumern sogar die Vollstreckung ab.“

„Bei Pokal-Halbfinalist Mönchengladbach beginnt fast jeder Satz mit dem Wort „eigentlich – so rückt der Abstieg näher“, schreibt Christoph Biermann (SZ 16.3.): „Es liegt eine gefährliche Unschärfe im Wort „eigentlich, die im Fall von Borussia Mönchengladbach bedrohliche Züge annimmt. Denn eigentlich steht der Klub an diesem Mittwoch vor einem Höhepunkt der Saison. Nur 30 Kilometer von Mönchengladbach entfernt werden die Borussen am Tivoli in Aachen um den Einzug ins Finale des DFB-Pokals kämpfen. Zum ersten Mal seit 1995 können sie das Endspiel in Berlin erreichen, doch schon der Sieg beim Zweitligisten allein könnte für den Klub ungeheuer wichtig werden. Sollte sich nämlich im heutigen Halbfinale der SV Werder Bremen gegen den VfB Lübeck durchsetzen, wäre Mönchengladbach als Finalgegner automatisch für den Uefa-Cup qualifiziert. Das schöne, neue Stadion, das derzeit am Nordpark entsteht, würde also gleich in seiner ersten Saison internationalen Fußball erleben. Eigentlich könnte man sich also auf die Begegnung mit der Alemannia so richtig freuen. „Eigentlich ist unser Tagesgeschäft aber die Bundesliga, sagte Holger Fach, der Trainer der Borussen. Und in diesem „eigentlich liegen alle Probleme der Gladbacher verborgen. „Eigentlich bedeutet laut Wörterbuch: im Grunde genommen, wenn man es recht bedenkt, ursprünglich, genau gesagt oder in Wirklichkeit. Und wenn man es recht bedenkt, ist die Bemerkung von Arie van Lent ganz richtig, der sagte: „Es ist ein schöner Gedanke, im Endspiel zu stehen, aber wir haben nichts davon, wenn wir absteigen sollten. Der Mittelstürmer von Borussia Mönchengladbach geht davon aus, dass seine Mannschaft in der Bundesliga noch 15 Punkte in den verbleibenden sechs Heim- und vier Auswärtsspielen gewinnen muss. Drei davon, aber zumindest einer hätte es jedoch schon am Sonntag im Bochumer Ruhrstadion sein müssen. „Eigentlich hätten wir hier nicht verlieren müssen, sagte Holger Fach, und es war niemand da, der ihm hätte widersprechen mögen.“

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