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Bundesliga
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| Donnerstag, 25. März 2004Werder Bremen im Glück dank Ailton, „ein Held aus einem Western“ (SZ) – Miroslav Klose hat sich wie ein guter Gast benommen – Borussia Dortmund auf dem Weg zurück nach oben – Torsten Frings, Straßenfußballer – „VfL Bochum auf den Spuren der Stuttgarter“ (NZZ) u.v.m.
Werder Bremen – 1. FC Kaiserslautern 1:0
Ein Held aus einem Western
Jörg Marwedel (SZ 17.2.) beobachtet Ailton beim Elfmeter: „kalt, konzentriert, unbeeindruckt wie ein Held aus einem Western. Er hat gewusst, dass er damit wohl die Deutsche Meisterschaft 2004 vorzeitig entschieden hat. Neun Punkte Vorsprung sind nicht leicht zu verspielen angesichts der weiter schwächelnden Konkurrenz aus München und Stuttgart. Im Grunde haben sich am Sonntagabend 93 Minuten Fußball auf diesen einen, entscheidenden Moment reduziert. Und dieser eine Moment hatte ein aus Bremer Sicht missratenes Spiel gegen einen überraschend gefährlichen Gegner noch zum Fest gemacht, zu einem Meilenstein auf dem Weg zum großen Ziel (…) Die Frage aber, ob Kirchers Entscheidung überhaupt korrekt war, ließ sich erst später klären, und sie erhöhte den Respekt vor dem Unparteiischen noch, der sofort erkannt hatte, was viele Beobachter erst nach Studium der Fernsehbilder realisierten: Knavs hatte Ailton getreten. Als Torwart Wiese – der wegen seiner Beleidigungen vom DFB am Dienstag mit einer Strafe von 15 000 Euro belegt wurde – die Szene noch einmal auf dem TV-Schirm gesehen hatte, räumte er kleinlaut ein: „Bitter. Ich dachte, es war eine Schwalbe.“ Für die Legende vom geschenkten Elfmeter blieb kein Platz. Nur Kaiserslauterns neuer Trainer Kurt Jara mochte sich mit dem Ende nicht abfinden. „Ein halbes Foul“ hatte er nur gesehen. Außerdem eins von der Sorte, bei dem man „zehn Sekunden vor Schluss nicht mehr pfeift“. Als zählten die letzten Momente nicht mehr zum Spiel. Die Bremer erinnerten sich derweil an einen anderen historischen Elfmeter. Er liegt bald 17 Jahre zurück und kostete Werder damals die sicher geglaubte Meisterschaft. Michael Kutzop hätte mit einem Schuss gegen den FC Bayern den Titel perfekt machen können. Doch statt ins Netz flog der Ball in der Schlussminute des 33. Spieltags gegen den Außenpfosten des von Jean-Marie Pfaff gehüteten Tors. Das Geräusch verfolgt Kutzop noch immer. „Bis heute“, sagte der inzwischen 48 Jahre alte Elfmeterspezialist kürzlich, „kann ich es nicht glauben oder gar erklären.“ Manches im Fußball bleibt eben für immer ein Mysterium. Doch Ailton Goncales da Silva wird das gewiss nicht interessieren. Schon gar nicht als Deutscher Meister.“
Frank Heike (FAZ 17.2.) schildert Bremer Glück und Freude: „Manfred Müllers Strahlen füllte den ganzen Presseraum aus. Glücklich ging der Geschäftsführer Marketing von Tisch zu Tisch und drückte Hand um Hand, um jedem seinen Plan mitzuteilen, wie Werder Bremen denn nun tatsächlich deutscher Fußballmeister werden könne: Wir schlagen zu, wenn der Gegner sich nicht mehr wehren kann. Dreimal hat dieses siegbringende Bremer Modell nun prächtig funktioniert, daraus meinte Müller frei nach Kant aus der Maxime seines Willens ein allgemeines Gesetz ableiten zu können. Im Sinne von: Wer so oft in letzter Sekunde gewinnt, der wird Meister. Nach dem spät, aber nicht zu spät sichergestellten Sieg im Pokal bei Greuther Fürth, dem dreifachen Last-minute-Punktgewinn in Gladbach folgte das 1:0, mit dem nun wirklich keiner mehr gerechnet hatte. Ob das Kant-Jahr auch zum Werder-Jahr wird? Neun Punkte Vorsprung auf den ärgsten Verfolger Bayern München sind mehr als ein gutes Polster. Mehr noch als dieses sanfte Ruhekissen dürfte die Bremer aber gefreut haben, daß der Trend für sie spricht. Zum dritten Mal nacheinander haben sich die Bremer Profis nun gegen einen starken Gegner abgemüht. Sie haben sich nicht hängen lassen, haben gegen alle Widerstände unbedingten Siegeswillen gezeigt (vor allem Valérien Ismael) und neunzig Minuten lang die taktischen Vorgaben von Trainer Thomas Schaaf eingehalten, ja, sogar 92 Minuten lang. Das lobte der Fußball-Lehrer später auch: Wir haben bis zur letzten Sekunde gezeigt, daß wir alles wollen. Für diesen Einsatz sind wir belohnt worden. Es war beileibe nicht nur Glück, das den Bremern das 1:0 gegen die von Trainer Kurt Jara hervorragend eingestellte Mannschaft bescherte. Sicher, in der spielentscheidenden Situation hätte nicht jeder Schiedsrichter Elfmeter gegeben, wiewohl der Strafstoß berechtigt war: Die Fernsehbilder zeigten, daß Aleksander Knavs den Bremer Ailton sehr wohl getroffen hatte. Die anschließenden Proteste der Lauterer waren mehr Frust.“
Man will sehen, wie gut er ist, aber er soll kein Tor machen
Jörg Marwedel (SZ 17.2.) stellt fest, dass Miroslav Klose sich als guter Gast benommen hat: „Es muss ein merkwürdiges Gefühl sein, als Gegner in seine mutmaßliche neue Heimat zu kommen. Miroslav Klose hat gar nicht zu leugnen versucht, dass sein Auftritt „kein Spiel wie jedes andere“ für ihn war. Jeder weiß inzwischen, dass der Wechsel des Nationalstürmers nur noch an Werders Finanzierungsmodell hängt, und er sich längst entschieden hat. „Es sieht gut aus“, hat er sich in Bremen entlocken lassen. Schließlich hat ihm sogar Rudi Völler zu jenem Klub geraten, bei dem der DFB-Teamchef einst selbst seine Weltkarriere startete. Auch Kloses Berater Michael Becker bestätigte: „Die Bremer bewegen sich.“ Und Werders Sportdirektor Klaus Allofs bekräftigte: „Wir sammeln noch das Geld.“ Zu den Ideen, mit denen man das Klose-Paket (17 Millionen Euro für vier Jahre inklusive fünf Millionen Ablöse abzüglich des Gehaltes für den nach Schalke wechselnden Ailton von insgesamt knapp acht Millionen) finanzieren will, soll der Verkauf so genannter Genussscheine sowie eine Streckung des Finanzierungsplans zählen. Kloses Auftritt im Weserstadion war durchaus dazu angetan, bei den Bremern Vorfreude auf künftige Genüsse zu entwickeln, denn er erfüllte alle Wünsche, die Klaus Allofs an dieses Spiel hatte: „Man will sehen, wie gut er ist, aber er soll kein Tor machen.“ Genau so kam es. Aggressiv, engagiert und laufstark hat Klose sich für sein altes Team ins Zeug gelegt. Gleich dreimal aber scheiterte er freistehend vor dem Werder-Tor – zweimal an Torwart Andreas Reinke, einmal mit einem prächtigen Kopfball, den Valerien Ismael auf wundersame Weise noch von der Linie bugsierte. Es war, als habe ihm das Unterbewusstsein befohlen, den Bremern nicht hineinzupfuschen auf dem Weg Richtung Titel.“
1860 München – Borussia Dortmund 0:2
Christian Zaschke (SZ 17.2.) sieht Dortmund auf dem Weg nach oben: „Bei Borussia Dortmund haben sich die Maßstäbe erstaunlich schnell verschoben. So weit, dass sich Trainer Matthias Sammer nach dem so glanzlosen wie souveränen Sieg bemüßigt fühlte, sich für das wenig attraktive Spiel zu entschuldigen. Andere Trainer wären vielleicht froh, dass ihre Elf sich allmählich aus der Krise bewegt und würden darauf verweisen, dass in solchen Phasen allein Punkte zählen. Sammer jedoch sagte: „Von der Attraktivität her war mehr möglich.“ Es ist nicht genau zu unterscheiden, ob dieser Wunsch nach attraktivem Spiel so kurz nach dem Tief der Hybris entspringt oder einem genesenen Selbstbewusstsein. Der Grat ist schmal. Es spricht jedoch manches dafür, dass die Dortmunder mit dem Sieg in München den Glauben an sich erneuert haben. Sammer sagte mehr, als er nicht sprach. Der sonst häufig recht hitzköpfige Trainer wirkte gelassen wie selten. Als sein Gegenüber Falko Götz über das Spiel sprach, lächelte er. Geduldig beantwortete Sammer Fragen, er analysierte die Partie sachlich. Nach Niederlagen hatte er bisweilen Fernsehjournalisten in einer Weise angeblafft, dass es beinahe einer Mutprobe gleichkam, ihm eine Frage zu stellen, sei sie auch noch so Harmlos. Nach zwei Siegen hintereinander von einem Lauf zu sprechen, mag etwas übertrieben erscheinen, doch was den Dortmundern so gute Laune bereitete, war das Personal, mit dem der Sieg vollbracht wurde. Allmählich sind die vielen verletzten Spieler zurück, Torsten Frings, der wegen eines Kreuzbandrisses die gesamte Hinrunde hatte aussetzen müssen, lenkte das Spiel des Teams solide aus der zentralen Mittelfeldposition. Es ist erstaunlich, wie schnell Frings zu alter Form gefunden hat. Er spielte so gut, dass umgehend Spekulationen auftauchten, er könne zum kriselnden FC Bayern wechseln.“
Richard Leipold (FAS 15.2.) porträtiert Torsten Frings: “In den Augen des Dortmunder Cheftrainers Matthias Sammer ist Frings ein richtiger Straßenfußballer. Der Mittelfeldspieler fühlt sich am wohlsten, wenn er kicken kann, ohne sich allzuviel mit den Begleitumständen seines Tuns beschäftigen zu müssen. Um so schmerzlicher war das vergangene halbe Jahr für ihn – und für seine Trainer, die ihn schmerzlich vermißt haben. Frings laborierte an einem Kreuzbandriß, den er im Ligapokalspiel gegen Bochum erlitten hatte. Der Siebenundzwanzigjährige gehört zu den Favoriten Sammers und steht auch in der Gunst Rudi Völlers weit oben. Knapp drei Wochen nachdem Frings in den Bundesligabetrieb zurückgekehrt ist, berief ihn der Teamchef des DFBs ins Aufgebot für das Länderspiel in Kroatien. Für Frings ein Vertrauensbeweis, der guttut nach so langer Leidenszeit. Im Gegenzug ist er gefordert, das Vertrauen seiner Förderer rasch zu rechtfertigen. Der Straßenfußballspieler kommt in die Phase seines sportlichen Schaffens, wo es Zeit wird, erwachsen zu werden, Verantwortung für die Gruppe zu übernehmen, wie Sammer fordert, dem eine sportlich-mentale Wesensverwandtschaft zu Frings nachgesagt wird (…) Selbst ein Starspieler wie Tomas Rosicky bekommt die ungebremste Tatkraft des Torsten Frings zu spüren. Kritiker rechnen zu Recht vor, wie gut die Borussia ohne den tschechischen Genius war: Von zwölf Spielen mit Rosicky gewann Dortmund in dieser Bundesligasaison nur drei, von den sieben Partien ohne ihn gingen fünf zugunsten des BVB aus. Diese Statistik spricht gegen Rosicky; der optische Eindruck für Frings. Genug Stoff für einen Konflikt im Mittelfeld. Der stille Stratege aus Tschechien trägt die Spielführerbinde, Frings trägt das Herz auf der Zunge, zumindest auf dem Fußballplatz. Dem Zweikampf mit großen Namen ist er schon als junger Profi nicht aus dem Weg gegangen. Vom Zweitligaklub Alemannia Aachen nach Bremen gekommen, legte er sich dort alsbald mit dem damaligen Werder-Kapitän an. Als Andreas Herzog, der Dirigent, ihn im Training zurechtwies, kultivierte Frings die Sprache des Straßenfußballers: Was willst du denn, du Lutscher?“.“
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Ein richtiger Familienbetrieb mit glänzendem Betriebsklima
Martin Hägele (NZZ 17.2.) erklärt das Erfolgsmodell VfL Bochum: „Früher hätte an solch einem Wochenende in Bochum der Bär getanzt, und am Montag hätte ein Mann mit seinen Sprüchen die ganze Bundesliga beherrscht: Peter Neururer alias „Peter der Grosse“. Erstaunlicherweise musste das Deutsche Sportfernsehen am Sonntag keinen Extradienst herausgeben mit Sprüchen oder Zitaten nach dem Auftritt des einst egomanischen Fussball-Lehrers. Vom spektakulären Triumph gegen den FC Bayern München blieb nur die nette Episode übrig, wie sich Neururer beim Materialwart für die richtige Taktik bedankt hatte. Der hatte schon vor Wochen empfohlen, gegen den Rekordmeister so zu spielen, „wie wir das im Ruhrstadion immer tun. Bloss keine Extras, und sich nach der Taktik der Bayern richten.“ Das mediale Schmankerl sollte einem Zweck dienen: Schaut her, Leute, der VfL Bochum ist halt doch ein richtiger Familienbetrieb mit einem glänzenden Betriebsklima. Für einen Klub, der jahrzehntelang mit dem Image einer grauen Maus lebte, ist es nicht ganz einfach, sich seinen natürlichen und bescheidenen Charme zu bewahren – wenn plötzlich das geballte Interesse auf einen gelenkt wird. Durch Siege gegen die wirtschaftlich übermächtigen Nachbarn Dortmund und Schalke, spätestens mit dem Erfolg gegen Meister Bayern, wurden die Bochumer zu den Lieblingen des Monats. Das Fussballpublikum goutiert es, von Mannschaften fasziniert zu werden, die vorführen, dass man auch mit kleinen Etats grossen Sport liefern kann. In diesem Sinn lösten Neururer und Co. jetzt den VfB Stuttgart ab, nachdem aus den „Jungen Wilden“ die „jungen Müden“ geworden und die Protagonisten der Talentwelle mit Millionenverträgen abgesichert worden waren. Solche Fussballidylle war schon immer von begrenzter Haltbarkeit, und auch die Verantwortlichen an der Castroper Strasse 145 wissen, dass man von diesen Sympathiewerten nicht lange leben kann.“