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Bundesliga

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Bundesliga

„FC Bayern präsentiert sich im März 2004 innerlich zerrissen wie selten zuvor“ (SZ) – Willi Reimann, „Distanz als Stilmittel“ (FAZ) – Reiner Calmund, Betriebswirt mit Herzblut und Mutterwitz (FAZ) u.a.

“Der FC Bayern präsentiert sich im März 2004 innerlich zerrissen wie selten zuvor”, schreibt Philipp Selldorf (SZ 24.3.): „Ottmar Hitzfelds Stellung ist, ein Jahr vor dem Vertragsende, nach fast sechs, zumeist immens erfolgreichen Spielzeiten ungewiss. Und täglich wird sein Rückhalt beim Verein fraglicher. So zitiert Sport-Bild jetzt den Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge mit einer nebulösen, doch eindeutig bedrohlichen Bemerkung: „Weder Platz zwei sichert ihm den Job noch Platz drei bedeutet automatisch eine Trennung.“ Der Klub habe noch keine Entscheidung gefällt, sagte Rummenigge, und das ist offenkundig richtig. Im Verein gibt es zu Hitzfeld mehrere Meinungen. Sie lassen sich recht sicher unterscheiden: Rummenigge ist zu Hitzfeld soweit auf Distanz gegangen, dass die beiden Männer sich kaum noch verständigen können. Manager Uli Hoeneß steht auf der Seite des Trainers. Franz Beckenbauer, der zwar keine unmittelbare Entscheidungsgewalt, aber viel Einfluss besitzt, hält es wie immer: Mal meint er dies, mal meint er das Gegenteil. Ein entschlossener Befürworter Hitzfeld st er nicht. Ihn nervt Hitzfelds ängstliches Naturell, aber er respektiert auch dessen Leistungen. Hitzfeld, der ein scharfsinniger Mensch ist, erkennt diese Strömungen – und er fürchtet sie. Misstrauen und Vorsicht bestimmen sein Handeln. Seine Entscheidungen als Coach und seine Äußerungen, sagen Kritiker, seien aus Angst vor der Konfrontation durchweg „politisch motiviert“ und dienten nur noch der Absicherung gegen Konflikte. Aus seinem unsicheren, mutlosen Umgang mit den Spielern resultiert, unübersehbar, die Stagnation der Mannschaft. Wie im Herbst 2002 lautet auch diesmal der Vorwurf gegen Hitzfeld, dass viele Spieler unter seiner Regie ihre Fähigkeiten nicht ausschöpften.“

Distanz als Stilmittel

Ralf Weitbrecht (FAZ 24.3.) erwartet eine Strafe für Willi Reimann: „Reimann kennt sich aus im Fußball, hat gerade am Standort Frankfurt Vorzügliches geleistet und den Aufstieg möglich gemacht, für den er von den Boulevardmedien zu Recht als Willi Wunder gewürdigt wurde. Doch bis heute ist er nicht beliebt bei seinen Spielern. Sie achten ihn wegen seiner sportlichen Kompetenz, weniger wegen seiner menschlichen Qualitäten. Es ist schwer, einen Draht zu ihm zu bekommen. Distanz als Stilmittel gehört zu seinem System, möglichst unnahbar zu sein. Der knorrige Westfale will nicht geliebt werden, und er hat auch keine Probleme, damit anzuecken. Bei dem überstürzten Karriereende von Andreas Möller ließ er es an Größe mangeln, und bei den Beschimpfungen von dessen Berater Klaus Gerster (Ein ganz, ganz dummer Mensch. Der gehört vom Hof gejagt, geteert und gefedert) vergriff er sich vollends im Ton. Seine Vorgesetzten haben ihre Mühe mit dem eigenwilligen, zur Selbstherrlichkeit neigenden Trainer. So kam die einen Tag nach den Schubsereien von Dortmund verbreitete schriftliche Entschuldigung erst auf heftigen internen Druck zustande. Von dem überraschenden sportlichen Aufwärtstrend, den Reimann gemeinsam mit seiner willigen, auf zwei wesentlichen Positionen verstärkten Mannschaft seit Rückrundenbeginn eingeleitet hat, spricht derzeit niemand. Reimann und nicht das wieder an den Klassenverbleib glaubende Team ist zum Thema der Liga geworden. Zudem hat er die Zunft der Schiedsrichter gegen sich aufgebracht und muß jetzt darauf hoffen, daß sein Rechtsbeistand Christoph Schickhardt, der für Frankfurt einst die Lizenz erstritt, das geforderte Strafmaß mildern kann. Für seine Spieler, die ihm folgen, tut Reimann alles. Nur für sich selbst hat der unbeirrt seinen Weg gehende Trainer nicht genug getan. Die Eintracht wird längere Zeit auf ihn verzichten müssen.“

Fall Reimann: Leserbriefe an FR-Sport

Die Familie ist offensichtlich der Klub

Jörg Stratmann (FAZ 24.3.) ist dabei, als Reiner Calmund Junkern den Begriff Identifikation erklärt: „Auch dieser Mann versteht etwas von integrativem Marketing. Er kann Kunden binden und deren Zufriedenheit einordnen. Auch bei den Themen Außen- und Innenfinanzierung, strategischer Unternehmensführung oder Controlling macht ihm keiner was vor. Also war dieser schwergewichtige Gastredner der richtige Gesprächspartner für die Studenten der Sportökonomie an der European Business School in Oestrich-Winkel. Allerdings hatten sie noch nie erlebt, daß ihr trockener Stoff derart temperamentvoll vermittelt wurde, daß darüber fast das Rednerpult in der Bibliothek des Schlosses Reichartshausen zu Bruch gegangen wäre. Doch wo der Rheinländer Reiner Calmund arbeitet, fließt Herzblut. Der Geschäftsführer des Bundesligaklubs Bayer 04 Leverkusen steht nicht nur für eine Branche, deren Erfolg auch Lebensgefühl und Emotion ausmacht und deshalb nicht nur in Mark und Pfennig auszurechnen ist. Keiner hat wie er gelitten auf der Gratwanderung zwischen Aussicht auf Meisterschaft oder Champions-League-Pokal und Bangen vor dem Abstieg. Extreme, die sein Klub gerade erst innerhalb eines einzigen Jahres ausloten durfte. Und keiner kennt auch die Entwicklung so wie er: Von der halben Waschküche, in der er einst begann, bis zum Unternehmen mit Millionenumsatz und 100 hauptamtlichen Kräften, dessen weltweiter Werbewert für Mutter Bayer zwar gigantisch sei, das aber auch mit schwindenden Einnahmen und dem Zusammenbruch des Transfermarktes kämpfen muß und dessen Wohl und Wehe manchmal davon abhängen, ob der Ball außen oder innen an den Pfosten knallt. Um das über nunmehr 27 Jahre auszuhalten, müsse man schon so positiv bekloppt sein wie er, sagt Calmund. Die Familie ist offensichtlich der Klub. Deshalb habe er zum glücklichen Ende der vorigen Saison auch nicht mit den Profis, sondern mit der Belegschaft der Geschäftsstelle den Nichtabstieg gefeiert: Gott sei Dank – Arbeitsplätze gesichert. Wobei er in unverfälschtem Rheinisch gerne verallgemeinert. Natürlich is der Verein nich mir, sagt Calmund. Aber jäbe es mehr Unternehmen, in denen mehr Verantwortliche sagen würden, dieser Verein is mir, so jinge es der Wirtschaft besser. Tiefer dringt der Abend nicht ins Ordnungspolitische vor.“

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