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Bundesliga

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Bundesliga

Bayern München siegt und ist nicht glücklich; was passiert hinter dem Rücken Ottmar Hitzfelds?– Hertha Berlins Wende? – VfB Stuttgart nachlässig – Werder Bremen ‘an der Schnittstelle zu einem Champions-League-Unternehmen’ (NZZ) – FR-Interview mit Reiner Calmund u.v.m.

Bayern München – Hannover 96 3:1

Grundgefühl Unbehagen

Andreas Burkert (SZ 10.2.) erkennt, dass sich an der Münchner Unzufriedenheit nichts geändert hat: “Neuerdings herrscht ja so etwas wie Sprachlosigkeit beim kriselnden FC Bayern, und am deutlichsten ist dies zurzeit den Funktionären anzumerken. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge etwa setzte sich am Sonntagabend kurz vor Spielende in Bewegung und strebte dem Vip-Ausgang derart energisch entgegen, dass das Ordnungspersonal nur mühsam seinen Zusammenprall mit dem Glasportal verhinderte. Sie hielten Rummenigge gerade noch rechtzeitig die Türen auf, doch alle anderen hatten seinem Tempo nichts entgegenzusetzen. Keiner der hastenden Radioreporter und Zitatenjäger. Und auch nicht seine Frau. Die Aufritte des FC Bayern bereiten auch den Bayern-Bossen kein Vergnügen mehr, und auch der 3:1-Erfolg hat ihr Grundgefühl nicht vertreiben können: Unbehagen. Dafür ist dem Meister selbst der Sieg gegen die zweitschlechteste Abwehr der Liga zu schwer gefallen, und dass er mit dem Vorstoß auf Platz zwei der Bundesligatabelle bedacht wurde, blieb hinterher ein unerwähntes Phänomen. Zu groß sind die Sorgen des FC Bayern. Weiterhin. Seit nunmehr sechs Monaten befinden sich die Münchner in einer dramatischen Schaffenskrise, und nicht nur in Rummenigge und im gleichfalls wortlos flüchtenden Manager Uli Hoeneß arbeiten offenbar die Eindrücke von einer verklemmten Mannschaft. Gegen Hannover litt besonders Mannschaftskapitän Kahn unter diesem Zustand.”

Großmut des Gegners

Jan Christian Müller (FR 10.2.) veranschaulicht: “Derart oft waren die Hannoveraner ungestört vor Oliver Kahn aufgetaucht, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, wann der lange stoisch sein Schicksal ertragende Nationaltorhüter zum Heißsporn werden sollte. Und siehe da: Acht Minuten vor Schichtende, just hatte Hannover Ergebniskosmetik betrieben (welche eine abgenutzte Floskel! of) und das 1:3 erzielt, trat der Titan erst gegen den Pfosten, dann gegen die Drehbande. So fest, dass hinterher ein Loch das Audi-Logo verunstaltete. Aber dieser erste Ausbruch beruhigte den Vulkan noch nicht. Gleich darauf kam der Ball ein weiteres Mal aufs Tor, Kahn tauchte in die Ecke und entschärfte das Geschoss auf Kosten einer Ecke (welche eine abgenutzte Floskel! of), um sich sodann in aller Eile einem eigenen Mann, zufällig dem gerade in seiner Nähe befindlichen Zé Roberto, an den Kragen zu gehen. Zum Glück für Kahn gibt es bei den Bayern keinen Betriebsrat, ansonsten wäre wohl eine Abmahnung wegen fehlender Rücksichtnahme auf die körperliche Unversehrtheit eines Kollegen fällig gewesen (…) Zum Abpfiff bolzte Kahn den Ball wütend ins weite Feld zwischen Platz und Tribüne. Einer wie Kahn lässt sich nicht blenden von einem 3:1, das mehr der Großmut des Gegners zu danken war als eigener Stärke. Und auch nicht von Platz zwei in der Bundesliga. Denn niemand mit ein wenig Fußballsachverstand kann einer Münchner Mannschaft in diesem Gesamtzustand ernsthaft zutrauen, sich in zwei Wochen gegen Real Madrid zu behaupten. Dass das Nervenkostüm (schon wieder eine tote Floskel? of) an Nahtstellen aufgerissen ist (doch nicht! gerade noch gutgegangen! of), bewies der eine Halbzeit lang ansehnlich agierende Michael Ballack. Einmal gelb wegen Meckerns, kurz darauf eine leichte Backpfeife gegen den Hannoveraner Jaime – so was tut man nicht, wenn der Schiedsrichter direkt daneben steht. Ballack muss kommendes Wochenende nicht mit nach Bochum, Werbetermine sind auf Befehl von Hitzfeld ebenfalls gestrichen.““

Elisabeth Schlammerl (FAZ 10.2.) ergänzt: „Im Gegensatz zur Hinrunde, als so mancher Sieg gleich als Wende zum Besseren, als Aufbruch in einen neue Erfolgsära gesehen wurde, sprach dieses Mal niemand aus der Führungsetage beim FC Bayern vom großen Fortschritt. Sofern überhaupt jemand das Wort ergriffen hatte. Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge verließ vorzeitig das Stadion. Eine Aussage nach dem Spiel verweigerte er ebenso wie Manager Uli Hoeneß. Die Verantwortlichen wissen, jedes weitere Wort nährt Spekulationen um die Zukunft von Hitzfeld. Und der Sieg über Hannover taugt noch nicht für einen weiteren Schulterschluß.“

Die kleinen Andeutungen zur Personalie Hitzfeld

Günter Klein (FAS 8.2.) deutet die Sprache der Bayern-Offiziellen: „Die kleinen Andeutungen zur Personalie Hitzfeld häufen sich. Wurde der Trainer im Jahr des Champions-League-Gewinns vom Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge noch zur persona gratissima erklärt und vom Präsidenten Franz Beckenbauer als würdig für einen Vertrag auf Lebenszeit empfunden, ist von langfristiger Bindung nun nicht mehr die Rede. Einen Anschlußvertrag über mehrere Jahre schloß das Führungsduo Rummenigge/Uli Hoeneß aus, derzeit ist Hitzfeld nur gut 16 Monate vom Ablauf seines Kontraktes zum 30. Juni 2005 entfernt – so nahe war er der Endzeit in München noch nie. Manager Hoeneß nährt Spekulationen über eine allmähliche Entfremdung zwischen Führung und Trainer mit diversen Bemerkungen. Zur Winterpause sagte er, jeder im Verein müsse seine Arbeit überdenken, auch der Trainer; und er selbst werde in Zukunft wieder näher an die Mannschaft rücken – das klingt nach Kontrollfunktion.Hitzfeld bemüht sich, dieses Stimmungsbild öffentlich zu korrigieren. Mit Uli Hoeneß trinke ich am Abend vor jedem Spiel ein Glas Wein, sagt er. Und auch, daß es nur gut sein könne, wenn man einen Manager hat, der sich nicht nur ums Wirtschaftliche, sondern auch um den Sport kümmert.Der Trainer sucht im sechsten Jahr beim FC Bayern nach neuen Impulsen, die er der Mannschaft geben kann, ohne dabei seinen Prinzipien untreu zu werden. Er schirmt seine Führungsspieler Oliver Kahn und Michael Ballack vor jeglicher Kritik ab, so wie er das früher im Fall Stefan Effenberg getan hat; er gibt sich der Mannschaft gegenüber als Vorgesetzter immer gleich: hart, gerecht, manchmal auch nachgiebig. Doch er muß die Spieler öfter als in den Jahren davor aus ihrem selbstgefälligen Trott reißen: Schon zweimal in dieser Saison kasernierte er sie vor wichtigen Heimspielen am Tegernsee (…) Hitzfeld ist kein sentimentaler Träumer, und auch wenn er in seiner Trainerlaufbahn nie entlassen wurde, hat er einen Geschmack davon, wie es sein könnte. In seiner Biographie bekannte er, daß er im November 2002 nach dem Scheitern in der Vorrunde der Champions League sich auf einen Rauswurf eingestellt habe, und eine seiner Grunderkenntnisse lautet: Sicher ist mein Job immer nur bis zum nächsten Monat. Daß sich die Stimmung gegen ihn richten könnte, verspürt Hitzfeld wohl. Auch er sendet Signale aus. Als in der Winterpause die Boulevard-Spekulation auf den Markt kam, er sei ein Kandidat für die Stelle des englischen Nationaltrainers, reagierte er bei weitem nicht so ablehnend wie erwartet, sondern bestätigte, daß mich Leute angerufen haben. Und es tut gut, Interesse zu spüren.”

Hertha BSC Berlin – VfB Stuttgart 1:0

Ende gut, alles gut in Berlin, meint Javier Cáceres (SZ 10.2.): „Es war eigentlich alles bereitet für eine Tragödie – für eine Tragödie von vernichtender Natur. Schreiende Ungerechtigkeit war Hertha BSC Berlin widerfahren, durchaus auch Pech, und wenn sich Derartiges ballt, kann einen das Verderben auch noch letztminütig ereilen, 86 Minuten war Hertha die in den elementaren Dingen des Fußballs bessere – und deshalb überlegene – Mannschaft gewesen, und doch war Torjubel immer wieder in Entsetzen erstorben. Andreas Neuendorf hatte eine der wohl besten Kombinationen Herthas der laufenden Saison mit einem Schuss ins Stuttgarter Tor vollendet (10.). Doch ob einer Abseitsentscheidung, die sich den Betrachtern nicht einmal ansatzweise erschließen wollte, wurde der Treffer annulliert. Später sollte Marcelinho einen Freistoß so knapp über Timo Hildebrands Tor jagen, dass der Ball das Netz berührte – und darob fast 40 000 Menschen verwirrte. Dann rettete Hildebrand vor Neuendorf, und den Nachschuss setzte Marcelinho volley an den linken Pfosten. Und als nun also 86 Minuten gespielt waren, trat Marcelinho einen Freistoß in den Stuttgarter Strafraum, und der eingewechselte Madlung nickte den Ball ein. Doch in einem Akt von allseits überraschender Pedanterie hatte Schiedsrichter Kinhöfer die Aktion unterbrochen: Er hatte den Ball noch nicht freigegeben. Marcelinho protestierte („ich konnte es nicht glauben“), sah die Gelbe Karte – und wiederholte den Freistoß – was durchaus wörtlich zu nehmen ist. Die Flugbahn erahnte dieses Mal Fredi Bobic. In seinem 250. Bundesligaspiel erzielte er seinen 104. Treffer. Sogar Stuttgarts Trainer Felix Magath war gerührt, obwohl seine Mannschaft durch die Niederlage nunmehr sieben Punkte hinter Tabellenführer Werder Bremen liegt und auf Rang drei zurückfiel: „Es beruhigt mich, dass Einsatz und Kampf in der Bundesliga noch belohnt werden.““

Jeder glaubt, wenn man vorn steht, geht es von allein

Christian Ewers (FAZ 10.2.) berichtet Stuttgarter Nachlässigkeit: “Sie blieben bei aller Begeisterung über den Sieg über einen schwachen Titelkandidaten aus gutem Grund bescheiden. Noch immer ist die Hertha auf dem letzten Tabellenplatz, punktgleich mit Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Köln. Doch die Partie lieferte genug Szenen, die der Hertha Mut machen werden im Kampf gegen den Abstieg. Diese Momente der Zuversicht spielten sich vor allem im Mittelfeld ab, wo sonst die Stuttgarter, allen voran Aliaksandr Hleb, Akzente zu setzen pflegen. Am Sonntag aber gelang Hleb, den Bobic für den besten Spieler der Liga hält, nahezu nichts. Das war das Verdienst von Sofian Chahed, einem 20 Jahre alten Nachwuchsspieler. Selten wohl verlief ein Bundesliga-Debüt so frech und respektlos wie das des bei Hertha Zehlendorf in die Lehre gegangenen Chahed. Von der ersten Minute an trat der Berliner tunesischer Abstammung seinem Gegenspieler auf die Füße. Wo immer Hleb auftauchte, Chahed war schon da. Ohne verwarnt zu werden, wurde er zum eindeutigen Punktsieger über den Stuttgarter Spielmacher. Aliaksandr war heute total abgemeldet, sagte VfB-Flügelspieler Philipp Lahm, das hat uns hart getroffen. Nicht nur der Weißrusse verzettelte sich am Sonntag, die gesamte Mannschaft des VfB blieb zu passiv, so daß Trainer Felix Magath später sagte: Jeder glaubt, wenn man vorn steht, geht es von allein. Der richtige Siegeswille war nicht da.“

Weiteres

Leibhaftige, reiche und grosskotzige Fussball-Teufel

Martin Hägele (NZZ 10.2.) schildert die paradoxe Lage in Bremen: „Am Montag hat Klaus Allofs die Lektüre des Medienspiegels besonders Spass gemacht. Kein Kritiker quer durchs Land, der dem überraschend souveränen Bundesligaleader Werder Bremen am Zeug flicken wollte. Aus dem Süden der Republik, wo Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger im Palazzo Prozzo an der Säbener Strasse noch leibhaftige, reiche und grosskotzige Fussball-Teufel gewohnt haben müssen, aus München also, gratulierte die grösste überregionale Tageszeitung dem SV Werder zum vierten Meistertitel nach 1965, 1988 und 1993. Nun gilt der Bremer gemeinhin schon als vorsichtig. Erst recht, wenn er mit solch voreiligen Glückwünschen aus Bayern bereits einmal leidvolle und tränenreiche Erfahrungen gesammelt hat. Aber wo sollte sich hinter so einer Grussadresse auch nur der leiseste Verdacht oder Argwohn verstecken? In der Tat sind die Indizien mittlerweile erdrückend: Zu den sechs Punkten und sieben Toren Vorsprung vor dem FC Ruhmreich gesellt sich die Tatsache, dass sich die Bremer im Gegensatz zum Titelhalter mit keinen grösseren Problemen mehr herumschlagen müssen. Sie haben praktisch alle Krisen, die ein Verein überhaupt aushalten kann, gemeistert. Sie fanden nach ein paar Tagen voller Selbstmitleid ihre fast schon stoische Contenance wieder, nachdem ihnen ausgerechnet ihr ehemaliger Manager Rudi Assauer den Goalgetter Ailton und den Abwehrchef Kristajic, zwei entscheidende Teamstützen, für den nächsten Sommer abgekauft hatte. Und sie haben ganz entscheidend das Vorurteil widerlegt, wonach Werder-Professionals, die auf einem Spitzenplatz in der Tabelle Weihnachten und Silvester gefeiert hätten, jedes Mal leistungsmässig zurückfielen, sobald im neuen Jahr wieder der Ball rolle (…) Nun befindet sich die Werder Bremen GmbH Co. KG an der Schnittstelle zu einem Champions-League-Unternehmen. Und es ist ein schmaler Grat, auf dem die Belastung von einigen Millionen Euro gegen künftige Tore kalkuliert werden muss. Schaaf und Allofs würden sich gerne im Kreis der Grossen etablieren und sind auch der Meinung, dass bei einer Investition in dieser Richtung durchaus ein Stück Risiko eingegangen werden muss. Ausgerechnet Willi Lemke spielt nun im Aufsichtsrat den Bremser. Dabei hätte der ehemalige Manager zu Rehhagels Zeiten jeden Vertrag unterzeichnet, wenn „König Otto“ nur mit den Augenbrauen gezwinkert hätte. Allein der Hinweis darauf, dass „Werder-Willi“ schon früher auf dem sportlichen Sektor nicht viel zu melden hatte, sollte reichen, den Profilierungsversuch des Bremer Bildungssenators in einer doch stark veränderten Szene entsprechend zu werten.“

Dann stehe ich bei den Rentnern und meckere

FR-Interview mit Reiner Calmund

FR: Herr Calmund, Sie haben immer gesagt, Sie seien ein Frust- und Stress-Esser. Da dürfte jetzt doch wenig auf ihren Teller kommen?

RC: Es war für mich in erster Linie die pure Erleichterung, dass wir dieses Seuchenjahr gerade noch so hingekriegt haben. Die tödlichste Annahme war nach dem Superjahr 2002 gewesen, dass wir gesagt haben, auch wenn es aufgrund der Abgänge und Verletzungen nicht mehr so gut laufen sollte, Fünfter oder Sechster werden wir allemal. Und dann ging nichts. Nach dem Horrorjahr hat bei allen der Wecker geklingelt. Aber bis der Stress weg war, das hat gedauert. Richtig Freude hatte ich erst im letzten Hinrundenspiel nach dem Sieg in Stuttgart, da konnte ich mal durchpusten.

FR: Nach Ihrer Hochzeit im Herbst mit ihrer dritten Frau Sylvia hatten Sie angedeutet, kürzer treten zu wollen.

RC: Ich bin seit mehr als 25 Jahren im Geschäft, habe Kontakte, ein gewisses Know-how, Routine, ich weiß, wie Sponsoren, Medien, Fans, Berater, Verbände ticken, ich habe einen absoluten Kenntnisstand im Sportlichen und in der Betriebswirtschaft, auf der Klaviatur spiele ich blind alle Oktaven. Doch dann kommt der Samstag, das Spiel und die Ergebnisse. Und Niederlagen. Während du in allen anderen Bereichen immer abgebrühter wirst, immer mehr chemisch gereinigt, immer eiskalter, aber die Ergebnisse – da gibt es keine Medikament. Diese innere Anspannung hört nie auf. Ich fühle sogar, sie wird immer schlimmer.

FR: Also können Sie nie abschalten?

RC: Das ärgert mich ja. Dass ich mit dieser Erfahrung, in diesem Alter Ergebnisse immer noch nicht gelassen hinnehmen kann. Ich werde nach einer Niederlage nachts zwei, drei Mal wach und grüble drüber nach.

FR: Dann können Sie ja nie etwas anderes machen als Geschäftsführer bei Bayer Leverkusen?

RC: Wenn ich sage, ich will kürzer treten, kommt sofort die Anfrage: Willst du nicht bei uns was machen? Ich habe natürlich eine absolute Verbindung zu Bayer Leverkusen. Und es gab früher Anfragen aus Schalke und Köln, Hertha wollte mich mal unbedingt haben. Aber das Thema ist jetzt durch. Ich werde höchstwahrscheinlich noch mit 70 Jahren zu Bayer gehen, dann stehe ich bei den Rentnern und meckere.

FR: Erklären Sie uns mal, warum die Liga finanziell so unter Druck gerät?

RC: Nehmen wir doch mal das Beispiel Stuttgart: Die stehen jetzt oben, aber das Problem beginnt ja erst, wenn die sich nicht erneut für die Champions League qualifizieren. Champions League heißt: Vertragsverlängerungen mit Gehaltserhöhungen für Top-Spieler wie Hildebrandt, Hleb, Hinkel und Kuranyi. Dazu kaufst du neue Leute, steigerst dein Budget. Mit altem kaufmännischen Kalkül, nur Geld auszugeben, das man eingenommen hat, kann man nicht regelmäßig Champions League spielen.

FR: Wohin steuert die Liga? Sogar Anstoßzeiten am Samstagmittag werden diskutiert.

RC: (Wütend, haut mit der Faust zwei Mal auf den Tisch) Bei allem Kommerz haben wir zwei Dinge zu erfüllen. Erstens: Wir können nicht die Chinesen am Fernseher bedienen und unsere Leute sind noch am Arbeiten. Zweitens: Die Amateurclubs sind unsere wichtigsten Partner – da kommen alle Spieler her, da sind Hunderttausende Ehrenamtliche tätig. Und deshalb sind das gleichberechtigte Partner. Die können wir nicht unkontrolliert abgrätschen.

FR: Sondern was tun?

RC: Wenn mich einer zu den Spieltagen fragt: erste Liga zwei Mal Freitag, sieben Mal Samstag, zweite Liga Sonntag und Montag – Ende der Vorstellung. Aber da wir nicht auf einer Insel leben, ist das im internationalen Vergleich nicht leicht umzusetzen. Das muss die DFL prüfen, was umzusetzen ist. Eine Doktorarbeit ist das ja nicht.

FR: DFL-Geschäftsführer Wilfried Straub hat viel zu tun dieser Tage. Er handelt die neuen TV-Verträge aus. Vertrauen Sie ihm?

RC: Ich fühle mich von ihm gut vertreten. Er hat die Kompetenz und das Vertrauen der Liga, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Er darf aber nicht wie früher sich alleine den Zaubermantel überwerfen, dann fällt der Vorhang, dann ist Hokuspokus – und am Ende schauen wir alle gespannt zu, was herauskommt. Diese Zeit ist vorbei.

FR: Die Liga will über den bald selbstständig arbeitenden Michael Pfad die TV-Bilder selbst produzieren.

RC: Eine eigene Produktion der Bundesliga-Bilder kann ich mir gut vorstellen. Ich sage aber auch: Schuster bleib bei deinen Leisten. Bei allen Fernsehdiskussionen dürfen wir nicht vergessen, dass ARD/ZDF, Premiere und DSF sehr gute Partner sind.

FR: Herr Calmund, zuletzt in Freiburg haben alle wieder gesungen: Ihr werdet nie Deutscher Meister. Schmerzt Sie das?

RC: Das ist einem nicht gleich. Letztens in Köln war ich unter den Fans. Die sangen auch wieder dieses Lied. Und da hab ich mir die hergeholt und gesagt: Als Ihr zum letzten Mal Deutscher Meister geworden seid (1978, d. Red.), ist mein Opa mit zur Kinderkommunion gegangen. Dann haben sie gelacht, du gehst weiter und dann singen sie wieder. Das gehört dazu. Aber diese Häme musst du dir hart erarbeiten, wir waren vier Mal Vizemeister. Mir ist lieber, sie schütten Häme über uns aus, als wenn sie gar nichts rufen.

FR: Ist das Ihr größter Erfolg: Dass Sie aus einem gesichtslosen Plastikverein, einer besseren Betriebssportgruppe, einen europaweit respektierten Club gemacht haben?

RC: Plastikverein stört mich, weil wir nie einer waren. Die Nähe zu Bayer hat mich nie gestört, weil wir als Werksclub enorme Werbung für das Unternehmen machen. Inzwischen haben wir eine Traditionsmannschaft, und gerade jetzt bei der Karnevalssitzung waren bestimmt 80 Prozent der Spieler dabei, die vor 25 Jahren den Aufstieg in die Bundesliga geschafft haben.

FR: Das heißt: Bayer Leverkusen hat inzwischen eine Tradition?

RC: Ja, und gucken Sie sich unsere Jugendabteilung an. Da gibt es bestimmt 40, 50 Leute, die mit Idealismus auch in diesem Verein für drei Mark fuffzig arbeiten. Und für die alle, für die Jugendlichen, die Fans, die Traditionsmannschaft, tut es mir weh, wenn da von Plastikscheiße die Rede ist. Das ist nicht in Ordnung.

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