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Neuer trainerfreundlicher Trend in der Bundesliga?
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| Donnerstag, 25. März 2004Neuer trainerfreundlicher Trend in der Bundesliga?
„So langsam kommt die Bundesliga auf Touren. Es drohten schon Verhältnisse wie im amerikanischen Profisport, wo die Ursachen für Mißerfolge vornehmlich bei den Spielern gesucht werden, wo Trainer respektiert und nur im äußersten Notfall entlassen werden“, vermutete die FAZ einen neuen trainerfreundlichen Trend in der Bundesliga, der durch die Entlassung von Peter Pacult bei 1860 München allerdings nicht bestätigt wurde. Selten waren sich die Qualitätszeitungen derart uneinig über die Qualitäten und Leistungen wie beim Österreicher. Während die taz in ihm einen „uninspirierten, müden, saft-, kraft- und ideenlosen“ Fußballlehrer erkannt haben will, lobt ihn die FAZ für seine personellen Entscheidungen, bei denen mittelmäßige (Jentzsch, Schroth) und junge (Lauth) Spieler zu festen Bundesliga-Größen heranreiften. Folglich fällt die dortige Begrüßung des neuen wenig freundlich aus: „Mit Götz haben die Löwen den Sprüchemacher, den sie sich wünschten“ (FAZ).
Ludger Schulze (SZ 13.3.) fällt ein hartes Urteil. „Selbst Erfolge verschaffen dem innerlich zerrissenen Klub nur ein Friedensintermezzo. Die Lösung des Problems liegt nämlich nicht in der Person des Trainers. 1860 krankt daran, dass eine zunehmende Zahl derer, die ihren Klub seiner Leidenschaft, seiner Bodenständigkeit, seines Stolzes wegen liebten, den Verlust von Heimat und Originalität beklagt und sich abwendet. Unter den Markenartikeln der Liga wirkt 1860 wie ein No-name-Produkt, gesichts- und eigenschaftslos. Der FC Bayern steht für eine kühl sprudelnde Erfolgsquelle, Borussia Dortmund für ein globales Dienstleistungsunternehmen mit künstlich aufrecht erhaltener Zechen-Romantik, Energie Cottbus für Arme-Ossis-gegen-reiche-Wessis-Trotz. 1860 steht für: nichts. Nichts, woran sich die Fans wärmen können, nichts, was sie ein bisschen glücklicher machen würde. Es wäre die Aufgabe des Präsidenten Karl- Heinz Wildmoser, im Klub wieder ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen und die Frustrierten zurück zu gewinnen. Doch statt die Sehnsucht seiner Untertanen ernst zu nehmen, zürnt der Giesinger Sonnenkönig der versprengten Anhängerschaft, weil sie ihn ein Jahrzehnt nach dem Aufstieg aus der Amateurliga nicht mehr mit der Sänfte durch die Stadt trägt.“
Peter Heß (FAZ 13.3.) ist enttäuscht, hatte er doch einen positiven Trend in der Bundesliga vermutet, doch “es zeigt sich nun, daß die Entwicklung zu längeren Arbeitszeiten kein Zeichen für eine neue Kultur im Umgang mit Trainern war, sondern eher für die finanzielle Not der Klubs. Angesichts geringerer Einnahmen durch Sponsoren und Fernsehrechte schenkten sich die Klubs Abfindungen, solange noch Hoffnung auf Besserung bestand. Der HSV beglückwünscht sich heute, zu Kurt Jara gestanden zu haben, dem 1. FC Kaiserslautern ist mit Erik Gerets die Trendwende gelungen, und Energie Cottbus startete mit Eduard Geyer vom letzten Tabellenplatz aus eine imponierende Siegesserie. Je länger die Saison fortschreitet, desto geringer wird die Geduld. Am Dienstag abend riß es die Verantwortlichen von 1860 München zu einer Kurzschlußhandlung hin. . Sie entließen Peter Pacult. Was war dem 43 Jahre alten Österreicher vorzuwerfen? Daß unter seinem Einfluß der jugendliche Stürmer Benjamin Lauth zum Nationalspieler reifte? Daß er aus dem fast schon abgeschriebenen Angreifer Markus Schroth wieder einen Torjäger machte? Daß Simon Jentzsch sich zu einem der besten Bundesligatorhüter entwickelte? Daß Pacult es schaffte, die in die Jahre gekommenen Stars Häßler und Suker zum Nutzen der Mannschaft fast geräuschlos in den sportlichen Vorruhestand zu schicken? Pacult machte sich vor allem einer realistischen Grundeinschätzung strafbar.“
Thomas Becker (taz13.3.) blickt zurück. „Die eineinhalbjährige Ära des Cheftrainers Pacult wird in der Clubhistorie des TSV 1860 München als eine selten blasse eingehen. In der Nachfolge des Rabauken Werner Lorant konnte Pacult eigentlich nur alles besser machen: ein Konzept entwickeln, Taktik schulen statt Geradeauslaufen, den höchst beachtlichen Nachwuchs der Löwen inspizieren, zu den wenigen übrig gebliebenen Fans ein Verhältnis entwickeln, die ihn als Spieler gefeiert hatten. Aber bei 1860 sieht es aus wie immer: Der Club pendelt zwischen Uefa-Cup-Platz und Beginn der Abstiegszone, hat unter Pacult keinen Stil entwickelt, spielt hinten mal Dreier-, mal Viererkette, hat ohne den von Pacult stillos und unsensibel fast vorzeitig in den Ruhestand verabschiedeten Thomas Häßler niemanden, der bei Heimspielen die planlose Truppe führen kann, und im Angriff das Glück eines Ausnahmetalents namens Lauth. Aber eine Idee? Eine Philosophie? Nicht wirklich. Von Autorität braucht man nicht zu reden, wenn ein Trainer jeden Spielerwechsel erklären muss. Und die Kiebitze beim Training haben schon einen neuen Zeitvertreib: Wer findet das derbste Schimpfwort für den Österreicher? Immerhin wurde 1860 mit einem Landsmann von Pacult Meister: Max Merkel. Aber das war ein anderes Kaliber. Pacults Weltbild ist einfach: Es gibt Regen oder Sonnenschein, schwarz oder weiß, voll oder leer. Das ist zu einfach und hilft an neun von zehn Tagen nicht weiter. Hinzu kommt, dass Pacult kein Medien-Mensch ist. Er mag es nicht, diese ewige Fragerei vor und nach den Spielen. Er hat ja auch nichts zu erzählen, siehe Regen/Sonnenschein. Und wenn er sich überwindet und – anders als die ebenfalls im freien Fall befindlichen Nürnberger – nach der höchsten Vereinsniederlage seit 1960 (1:7 gegen VfR Mannheim) ins TV-Studio zu Rubenbauer geht, dann kommt er dort auch noch schlecht weg. Wildmoser: Ich hab mir Blickpunkt Sport angesehen, das war wie gewohnt von Peter. Will sagen: uninspiriert, müde, saft-, kraft- und ideenlos. Jetzt also Falko Götz, Typ aalglatter Charmeur.“
Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 13.3.) über die Ursachen von Pacults Scheitern. „Unterdessen bemühte sich Karl-Heinz Wildmoser senior tunlichst, unter der Decke zu halten, worin der wahre Grund für die Beurlaubung von Peter Pacult lag. Denn so eigenmächtig und souverän, wie der Präsident den Rausschmiss Pacults zu verkaufen versuchte, war die Sache nicht abgelaufen. In Wirklichkeit hatte das Präsidium, das vorgestern zu einer routinemäßigen Sitzung mit dem Arbeitsthema Lizenzierungsantrag zusammengetroffen war, dem großen Druck unzähliger Fans nachgegeben. Nach dem katastrophalen 0:6 bei Hertha BSC war ein Protestfax nach dem anderen in der Geschäftsstelle eingegangen, Hunderte Anrufer sollen für die Ablösung Pacults plädiert haben. Die Entscheidung, Pacult zu entlassen, muss vor allem vor dem Hintergrund des allmählich existenziell bedrohlichen Zuschauerschwundes der 60er gesehen werden. Pacult, der „Wiener Bub“ (Wildmoser) aus dem Arbeiterviertel Floridsdorf, war nie Liebling der Anhänger und auch nicht des Präsidiums geworden. Der Zögling der harten Fußballkommandantur von Vorgänger Werner Lorant hatte bei Wild-moser schon bald einen Imageschaden erlitten, als er schwache Leistungen so entschuldigt hatte: „Ich habe diese Mannschaft so nicht zusammengestellt.“ Und als es jüngst bergab ging, verbreitete Pacult mit sorglosen Sprüchen eine fatale Selbstzufriedenheit in der Mannschaft.“
Markus Schäflein (SZ 13.3.) meint dazu. „Pacult musste nicht nur lernen, eine Bundesliga-Mannschaft zu trainieren und erfahrene Profis zu motivieren. Sondern auch, die Außendarstellung eines Wirtschaftsunternehmens zu übernehmen. Überraschenderweise nahmen ihm die Anhänger des ehemaligen Arbeitervereins TSV 1860, der dieses Image nach dem Wechsel ins Lager der Kapitalisten so gerne konserviert hätte, seine rhetorischen Mängel übel. „Ich kann einen Trottel in einen schönen Flanellanzug stecken und ihm eine Krawatte umbinden, dann ist er trotzdem noch ein Trottel“, spottete Hillner. An einige Zitate von Pacult erinnerte man sich länger als an seine Tore („Der FC Tirol hat eine Obduktion auf mich“). Pacult hat stets eingestanden, dass er mit weniger fußballerischem Talent vermutlich noch immer Postbote in Wien-Floridsdorf wäre. Das brachte ihm anfangs Sympathien ein. Am Ende, als die Fans aufgrund des anhaltenden Misserfolgs nach Unzulänglichkeiten fahndeten, geriet es ihm zum großen Nachteil. Dass er seine Mannschaft vor dem Spiel in Berlin als VW Käfer bezeichnet hatte und Hertha BSC als Ferrari, brachte die Anhängerschaft endgültig in Rage. „Das ist doch totale Blödheit“, schimpfte ein Fan, „da muss ich doch sagen: Hertha ist ein Ferrari, aber wir sind 1860 München, und wir sind der Super-Ferrari.“ Als Spieler war Pacult ein Kumpeltyp. Als er sich plötzlich als Cheftrainer wiederfand, bemühte er sich um die notwendige Autorität. Mal wirkte er dabei souverän, wie bei seiner Antwort auf den Vorwurf des Präsidenten Wildmoser, die Spieler seien keine richtigen Männer („Die haben alle einen Zipfel“). Manchmal trat er kumpelhaft und fast zu lässig auf, ein anderes Mal hingegen arrogant und überheblich.“
Detlef Dresslein (Tsp 13.3.) beobachtete den Einstieg des Neuen. „Der Fan verzeiht alles, nur keine Spieler, die sich nicht wie Löwen präsentieren. Und diesen Beinamen, meint Götz, trage der Verein ja nicht umsonst. Das gefällt Wildmoser, denn: Der Fan verzeiht jede Niederlage, wenn die Spieler fix und fertig und schweißgebadet vom Platz gehen. Der Stil ist also fast wieder der alte, denn auch Werner Lorant, den Pacult im Oktober 2001 ablöste, hatte solche Maximen. Wenngleich Falko Götz ungleich charmanter daherkommt als der rauhe Lorant und obendrein im Gegensatz zu ihm und Nachfolger Pacult auch noch Erfolg verspricht. Götz sagt, er sei ein Kämpfer, der sich vieles erarbeiten mußte. Ein Charakterzug, den er nicht zuletzt bei und nach seiner spektakulären Flucht aus der DDR 1983 und später bei Vereinen wie Bayer Leverkusen und dem 1. FC Köln nachwies. Von 1997 an war er im Trainerstab von Hertha BSC tätig, zunächst als Amateurtrainer und Jugendkoordinator, bevor er im Februar 2002 sein erfolgreiches, viermonatiges Engagement als Interimstrainer der Profis begann. Zuletzt wartete er auf das passende Angebot. Das aus München war wohl so eines. Götz sagte: 1860 gehört zu meinen zwei, drei Lieblingskandidaten. Schon mal eine gute Voraussetzung für den Preußen, um im tiefsten Wildmoser-Bayern zu reüssieren.“
Javier Cáceres (SZ 13.3.) resümiert die bisherige Karriere von Falko Götz. „Zuletzt hatte sich Falko Götz, 40, rar gemacht. Vergleichsweise zumindest. Denn es gibt sie ja sehr wohl, die beschäftigungslosen Trainer, die sich auf Tribünen setzen und die Bewerbungsunterlagen unter dem Revers herausgucken lassen, sobald bei einem Klub der Trainerposten vakant zu werden scheint. Götz hat gewartet und zumindest nach außen hin keine Eile erkennen lassen, ins Profigeschäft zurückzukehren, obwohl er sich in der vergangenen Saison als Interimstrainer bei Hertha BSC Berlin einen Namen gemacht hatte. Was Einiges aussagt. Über sein Selbstbewusstsein gewiss, vielleicht auch über die Eitelkeit, die ihm nachgesagt wird (man hat ihn schon mit Taschenspiegel gesehen). Vor allem aber: über sein Beharrungsvermögen. Denn warten, das hat Götz gelernt. Zwangsweise. Im November 1983 ergriff der damalige DDR-Bürger Götz 21- jährig die Flucht in den Westen. Zusammen mit seinem Freund und Klubkameraden Dirk Schlegel setzte er sich in Jugoslawien am Vorabend eines Europapokalspiels des BFC Dynamo Berlin bei Partizan Belgrad in die Botschaft der Bundesrepublik ab. Auf Vermittlung des Trainers Jörg Berger, der die DDR einige Zeit zuvor verlassen hatte, kam Falko Götz nach Leverkusen, wo er aber zunächst nur in der Sportabteilung des Bayer-Kaufhauses tätig sein durfte. Wie damals üblich, wurde Götz nach seiner Flucht vom Weltverband Fifa für ein Jahr gesperrt.“
Interview mit Präsident Karl-Heinz Wildmoser (am Tag vor der Entlassung Pacults) über die zunehmende Entfremdung zwischen Trainer, Spielern und Fans bei 1860 München SZ
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