Ballschrank
Bayern bleibt nur noch die Illusion
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| Donnerstag, 25. März 2004„Bremen hat das Münchner Glück“ (FAS) – „Bayern bleibt nur noch die Illusion“ (FAS); „Sprüche und Ansprüche aus München schüchtern die Konkurrenz längst nicht mehr ein“ (FAS) – „ein 0:1 macht Lienen Mut“ (FAS) – „Hertha BSC Berlin sucht Trost in der Schiedsrichterschelte“ (SZ) – „Respekt für Eintracht Frankfurt“ (SZ) u.v.m.
Kontroverse, Gesprächsstoff, Erlebniswert
Christian Eichler (FAZ 15.3.) amüsiert sich: „Der deutsche Vereinsfußball muß sich selber genug sein, weil er zu mehr derzeit nicht taugt. Die Bundesliga am Wochenende nach der Erkenntnis, europäisch maximal einen Millimeter über Mittelmaß zu stehen, ist eine ernüchternde Momentaufnahme. Und doch ist sie auch Beleg für ihren unverwüstlichen Unterhaltungswert. Anders gefragt: Wer braucht Europa? Die Champions League kann ein Stimmungstöter sein, wie das maue Niveau nicht nur des als Königsspiel verkauften Madrider Gipfels bewies. Dort, wo man nur keinen Fehler machen will, macht man den größten Fehler der Unterhaltungsbranche: zu langweilen. Das passiert der Bundesliga nicht. Nehmen wir nur den Auftritt des Hamburgers Bernd Hollerbach. Die schauspielerische Leistung, die den trittfesten Verteidiger infolge Handauflegens des Berliners Dick van Burik dahinsinken ließ wie ein Blatt im Wind, das hatte allenfalls Trash-Niveau – und gerade deshalb Unterhaltungswert. Billigkino, aber mit Wirkung: Rot für den Gegenspieler, Frust für die Verlierer und Gesprächsstoff für jenen spielerischen Kern der Nation, der sich jeden Samstag unbeirrt zur Fußball-Community sammelt. (…) Wo das ewig Unwägbare des Fußballs in diesen Wochen in die Waagschale fällt, senkt sie sich verläßlich zugunsten der Bremer. Der Ausgleich, der den Kölnern verwehrt wurde, der Treffer, den man den Bayern aberkannte: All das entwickelt sich nicht gerade in die Richtung, die Meisterschaft spannend zu halten. Aber wenigstens Kontroverse, Gesprächsstoff, Erlebniswert dieser wöchentlichen Oper des Alltags hält es am Leben. Die künstlerischen Qualitäten der Bundesliga sind meist mittelmäßig. Ihre sozialen Qualitäten sind erstklassig wie eh und je.“
Philipp Selldorf (SZ 15.3.) sinniert über Macht und Wesen der Schiedsrichter: „Im Laufe einer Saison ergibt all die fehlgeleitete Fügung durch die Schiedsrichter eine befriedigende Balance aus Vor- und Nachteilen, so dass keiner der Betroffenen Grund zur Klage hat. Diese, die dritte Deutung ist zwar ein beliebtes Stereotyp der Fußballanalyse, aber trotzdem grober Unfug. Schiedsrichter, naturgemäß fehlbar, spielen Schicksal im Fußball, ihre Schussligkeiten und Unzulänglichkeiten machen Klubs zu Meistern und befördern andere in den Orkus – dieses Element bleibt, solange nicht Robocops die Leitung übernehmen, dem Spiel immanent. Wird es in den Würdigungen der 41. Bundesligasaison also heißen, dass zwei Irrtümer der Schiedsrichter am 24. Spieltag dem SV Werder zum Titelgewinn verholfen haben? Bestimmt nicht. Aber man wird womöglich feststellen, dass die Bayern diesmal von einem seit Jahren und Jahrhunderten getreuen Bundesgenossen verlassen wurden, einem undefinierbaren Nebelwesen namens Bayern-Dusel. Seit dem jüngsten Bundesliga-Wochenende, das sich durch Konstellation und Verlauf ideal dazu geeignet hätte, die Verhältnisse zugunsten der Münchner zu wenden, zerstreut sich im Land die Furcht vor dem Mythos, dass die notorischen Bayern am Ende trotzdem vorn liegen werden. Diesen Erwägungen, die einer fußballspezifischen Metaphysik entspringen, sind zuletzt die Titelkandidaten Bayer Leverkusen und Schalke 04 zum Opfer gefallen. Bis zum Schluss hatten sie den Glauben unterdrückt, die unheimlichen Münchner bezwingen zu können. Dass Werder jetzt unbeirrt davon marschiert, hat also auch mit dem Rationalismus seiner Führungsleute Klaus Allofs und Thomas Schaaf zu tun, die sich bereits an Weihnachten lässig dazu bekannten, den FC Bayern hinter sich lassen zu wollen. Im Fußball ist, in Theorie und Praxis, nur die Macht der Schiedsrichter vollendet.“
Joachim Mölter (FTD 15.3.) beschreibt die Niedertracht Karl-Heinz Wildmosers: „Karl-Heinz Wildmoser, der Präsident des TSV 1860 München, entschloss sich zu einer großspurigen Medien-Tour mit der Mission, seinen Posten als Löwen-Patriarchen zu retten. Seine Botschaft: Er sei unschuldig und wisse von nichts. „Nix, nullkommanull.“ Das sagte Wildmoser am Freitagnachmittag dem Reporter des DSF. Am Samstagnachmittag im Bayerischen Rundfunk und am Abend im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF. Man konnte es gestern früh in der „Bild am Sonntag“ lesen und wenig später wieder hören in der Sendung „Doppelpass“ des DSF. Nur in Details variierte seine Predigt. Gelegentlich schimpfte er über Karl-Heinz Rummenigge, den Vorstandschef der FC Bayern AG, mit der zusammen der TSV 1860 die neue „Allianz-Arena“ errichtet: „Der erzählt dauernd, dass er das schönste Stadion der Welt baut“, brummte Wildmoser; dabei gäbe es ohne ihn, ohne Wildmoser senior, keine WM 2006 in München. Wildmoser hat ein Selbstbild, als wäre er die Inkarnation eines Fußball-Buddhas. Und in diesem Wochenende ist er besonders gut in Form. Der Mann, der sich als Unschuldslamm sieht und als Opfer einer Medienkampagne sowieso, hält es nicht für nötig, einen Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ zu kommentieren. Darin stand, dass er Schriftstücke abgezeichnet habe, auf denen der Eingang der Schmiergeldzahlungen aufgelistet waren. Ein „Käsbladl“ sei die Zeitung, „die vom Sport sowieso nix versteht“. Ende des Kommentars. Zwischendurch spricht Wildmoser auch über seinen Sohn, der Hauptverdächtiger ist und derzeit in einem Augsburger Gefängnis sitzt: „Es schadet ihm ja nichts, wenn er noch ein paar Tage drin bleibt“, so Wildmoser senior zur „Bild am Sonntag“. Und im DSF: „So eine erzieherische Maßnahme zum Nachdenken ist vielleicht nicht schlecht.“ Mit einem Gesicht, das gleichzeitig niedergeschlagen und kämpferisch wirkt, versucht er, das Verhalten seines Sohnes damit zu erklären, dass der sich geniert habe. „Ich hätte es besser gefunden, wenn er es direkt mit mir besprochen hätte.“ Man bekommt den Eindruck, als handele es sich bei den 2,8 Mio. Euro nur um eine Art Dummer-Jungen-Streich seines Sohnes.“
Jan Christian Müller (FR 15.3.) fügt hinzu: „Die Wahrnehmung von Wildmoser, dem Älteren, ist so: Korruption als Bagatelldelikt; als Böser-Buben-Streich eines Sohnes, der sich in Immobiliengeschäften im Osten verspekuliert hat und nicht die Traute besaß, den Vater darüber zu informieren. In den Tagen zuvor, als dicke Gefängnismauern den Blick auf den Verdächtigen verstellten, ist das Familiendrama umfassend beschrieben worden. Das Wochenende hat Wildmoser senior nun weidlich genutzt, sich in ein günstiges Licht zu rücken. Es war dennoch kein schöner Anblick. Egal, was am Ende an persönlicher Schuld gegen den Patriarchen übrig bleibt: Als führender Vertreter eines Proficlubs und als Mitglied des wichtigsten Gremiums in der DFL, dem elfköpfigen Vorstand, hat Wildmoser vor allem eines demonstriert: Selbstgefälligkeit.“
Achim Dreis (taz 15.3.) kritisiert Trainerentlassungen: „Das Kandidatenkarussell auf den Trainerbänken dreht sich schneller als das Nominierungsroulette bei der Suche nach dem Bundespräsidenten. Aber Hauptsache, das Amt wird nicht beschädigt. In Hamburg war Jaras Ansehen diese Saison nachhaltig beschädigt, deshalb darf da jetzt Klaus Toppmöller wirken. Das ist der mit der Pudelfrisur, der wiederum in Leverkusen so erfolgreich war. Zumindest eine Zeit lang. Dagegen wurde Jara von Manager Jäggi nach Lautern geholt. Das passt zusammen, das kann man sich merken: Jara und Jäggi. Wobei der eine Schweizer ist und der andere Österreicher, aber wir wollen nicht kleinlich sein. Apropos: Was macht eigentlich der Belgier, Gerets? Spontaner Gedächtnistest: Röber? Hertha! Wieder falsch, der ist jetzt Wolfsburg, obwohl doch Wolfgang Wolf so gut nach Wolfsburg gepasst hatte. In Berlin folgte Trainingsanzugsträger Huub Stevens, nachdem Falko Götz den Platzhalter spielen durfte. Der muss jetzt bei 1860 agieren, wos auch nicht wie geschmiert läuft. Ja, die unheilige Allianz aus Sachzwängen und Heimniederlagen bringt immer neue Trainer-Vereins-Konstellationen zu Tage. So wurde in der Hauptstadt Rentner Hans Meyer installiert, der gedanklich irgendwie auch noch nach Gladbach gehört. Wie soll sich da Vereinstreue bilden?“
Werder Bremen – 1. FC Köln 3:2
Ralf Wiegand (SZ 15.3.): „Der Engel an sich ist ein recht unverdächtiges Wesen und kommt, von einigen schwarzen Schafen wie Todes- oder Rachengel mal abgesehen, meist nur in seiner gutmütigen Form vor. Wir denken mit Freude an die gelben Engel auf Deutschlands Autobahnen oder die drei Engel für Charlie, jene anmutigen Verbrechensbekämpferinnen mit untrüglichem Gespür für Recht und Unrecht. Aber, und diese Frage warf das Spiel zwischen Werder Bremen und dem 1. FC Köln ernsthaft auf: Muss es so einem Engel nicht zugestanden werden, dass er in der Finsternis im tiefsten Tal – dass er da einfach mal die Orientierung verliert? So wird es wohl gewesen sein in jener 82. Minute im Weserstadion, als die Kölner – Tabellenletzter (tiefes Tal), alle Angreifer verletzt (Finsternis) – ein Kopfballtor erzielten. Dem Treffer allerdings verweigerte Schiedsrichter Edgar Steinborn die Anerkennung, weil er ein Foul an Bremens Torwart Andreas Reinke gesehen haben wollte. Von wem wohl? Was weiß denn ich, von wem, antwortete auf diese Frage der Kölner Spieler Matthias Scherz, ¸¸vielleicht hat der Schiedsrichter ja einen Engel gesehen. Herrjeh – wenn jetzt schon die Engel Foul spielen, ist dem FC wirklich nicht mehr zu helfen. Tief deprimiert saß da der Kölner Trainer Marcel Koller in der Pressekonferenz, und wo er allen Grund gehabt hätte zu fluchen und zu toben, gerne auch des Himmels fehlgeleitete Fachkräfte zu beschimpfen oder wenigstens den Schiedsrichter, da erhob er nur ein schwaches Stimmchen über der Tasse dampfenden Kaffees. ¸¸Wir werden weiter so spielen wie bisher, mit … – hier machte Koller eine Pause und schnappte ermattet nach Luft – ¸¸ … Engagement. Wer sich über solch große Ungerechtigkeit wie den falschen Pfiff des Schiedsrichters Steinborn nicht mehr aufregen kann, der ist schon abgestiegen. Schwerer vorstellbar, als dass der 1. FC Köln zum dritten Mal in seiner Geschichte den Gang in die Zweite Liga antreten muss ist eigentlich nur, dass Werder nicht Meister wird. ¸¸Die Wahrscheinlichkeit ist wieder etwas größer geworden, sagte Sportdirektor Klaus Allofs. In der Diplomatensprache des Fußballs ist das schon ein sehr umfassendes Geständnis der eigenen Überzeugung, unbeirrbar auf dem richtigen Weg zu sein. Dabei könnte gerade die Partie gegen Köln als Beweis des Gegenteils gelten.“
Frank Heike (FAZ 15.3.): „Dieses Mal begann die Party in der Sprecherkabine. Als auf dem Rasen gerade gar nichts passierte, drangen laute Schreie dunkler Stimmen durch das auf Kipp geöffnete Fenster der Männer von der Stadionregie. Hände klatschten, Füße trampelten. Einer johlte sogar. Auf dem Rasen verwaltete Werder Bremen Mitte der zweiten Halbzeit schmucklos einen 3:1-Vorsprung gegen den 1. FC Köln, was also hatte die Herren der Anzeigetafel da so zur Verzückung getrieben? Es waren Tore in einem weit entfernten Stadion. Normalerweise gibt es bei Treffern auf fremden Feldern einen Gong, der durchs Weserstadion hallt. Die Blicke richten sich dann auf eine der beiden Tafeln, und der Treffer wird eingeblendet, wie er eben gerade gefallen ist. Am Samstag nachmittag war das anders. Vor dem Gong kam der leise Hinweis aus der Kabine: Und Achtung … So entstand die absurde Situation eines Spiels unter Ausschluß der Öffentlichkeit, wenn auch nur für Sekunden. Denn jeder der fast 40000 Zuschauer hatte den Hinweis so verstanden, daß doch etwas Besonderes passiert war, und starrte an die Tafel: der Rostocker Ausgleich in München. Als das 2:2 eingeblendet wurde, entwickelte sich eine unglaubliche Stimmung im Weserstadion. Mit sich überschlagenden Gesängen feierten die Fans ihre Bremer, schmähten die Bayern, wußte gar nicht, ob Deutscher Meister wird nur der SVW! zu singen war oder doch lieber: Zieht den Bayern die Lederhosen aus! Der Kick auf dem Rasen war vorher nur mäßig gewesen, so daß sich nun die ganze Zurückhaltung entlud, als hätte jemand auf den Boden einer Ketchupflasche geschlagen: Alles kam auf einmal.“
Bayern München – Hansa Rostock 3:3
Heinz Bertram (FTD 15.3.): „Raus aus Champions League, DFB-Pokal und Titelrennen, heruntergekommen von Gipfelhöhen: Grüß Gott, FC Bayern, im Land des Mittelmaßes und der Anspruchslosigkeit, willkommen im Kreise all der Gelegenheitssieger, grauen Mäuse, illusionslosen Mitläufer. „Die Meisterschaft ist von Haus aus weg. Es geht nur noch darum, Platz zwei zu verteidigen“, zischte Franz Beckenbauer, als er aus dem Stadionausgang eilte. Bitte keine Illusionen mehr. Auch Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hat den Wettlauf gegen Werder insgeheim schon aufgegeben. „Bei noch zehn ausbleibenden Spielen neun Punkte aufzuholen, das wäre eine Sensation.“ Rummenigge hob, wie so oft in dieser Saison, zu einer Schelte über sportliche Defizite an: „Kindergartentore haben wir gekriegt. Ein Wahnsinn war das, was wir da an Toren gekriegt haben.“ Hauptangeklagter war ausnahmsweise mal nicht Robert Kovac, sondern Sammy Kuffour, der sich vor zwei Gegentoren hanebüchene Aussetzer leistete. Rätselhaft war aber einmal mehr die unglaubliche Formschwäche von Hasan Salihamidzic – und eben die von Michael Ballack. Es ist augenfällig, dass der Regisseur nur gegen die Kleinen groß aufspielt – wenn er nicht gerade in einem Formtief steckt. Nervend muss allmählich Ballacks Anspruchslosigkeit auf die Bayern-Bosse wirken. Trainer Ottmar Hitzfeld, der den als Anführer gedachten 27-jährigen Nationalspieler dennoch ständig verteidigt, balanciert auf einem schmalen Grat: Von der Absicht, sein Selbstvertrauen zu stärken, ist es nur ein kurzer Weg bis zur Unglaubwürdigkeit. Einzelne Spieler und die Mannschaft stecken in solch hartnäckigen Form- und Motivationstiefs, dass sich die Frage aufdrängt: Erreicht Hitzfeld, der angeschlagen und ausgelaugt wirkt, die Mannschaft wirklich noch? Die Münchner „Abendzeitung“ eröffnete die Diskussion in ihrer Samstagsausgabe erneut: Felix Magath werde, will das Blatt aus dem Umfeld des Präsidiums erfahren haben, ab der kommenden Saison der neue Trainer des FC Bayern sein.“
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 15.3.): „Die Chefs des FC Bayern hatten sich zuvor damit beruhigt, mit den Großen der Champions League mithalten zu können. Als Beleg für diese These dienten die beiden Duelle gegen Real Madrid. Doch der Placebo-Effekt reichte nur bis zur Partie gegen Rostock. Drei Tage nach dem Gastspiel im Stadion Bernabeu reichte es gerade mal zu einem Punkt im Kräftemessen mit einem Vertreter des Bundesliga-Mittelstandes. Da wird man zwangsläufig wider seine Art bescheiden. Es geht jetzt um den zweiten Platz, da müssen wir ein bisserl aufpassen, warnte Präsident Franz Beckenbauer. Die Meisterschaft war schon vor Wochen unrealistisch, sagte er, der das schon seit längerem wissen will. Da liegt der Kaiser aber weit neben der strategischen Linie von Kapitän Oliver Kahn, der Werder Bremen den Kampf angesagt hat, solange es noch eine Aussicht auf den Titel gibt. Die ist sehr theoretisch, denn im Praxistest hat sich das Team des FC Bayern in einer Weise entblößt, die den handelnden Personen Rätsel aufgibt. (…)Wer diese Mannschaft auf dem Prüfstand erlebt, kommt zu einer wenig schmeichelhaften Diagnose, sobald sie in ihre Einzelteile zerlegt wird. Wir haben dilettantische Abwehrfehler gemacht. Wir haben Tore durchs Zentrum gekriegt, die so nie fallen dürfen, erkannte Trainer Ottmar Hitzfeld. Das Thema Ballack sparte er wohlweislich aus. Die Schaltstelle im Getriebe des Teams bedarf der dringenden Pflege, nur muß das Pflegemittel erst noch erfunden werden. Ohne die am Wochenende pausierenden Willy Sagnol und Bixente Lizarazu fehlen der Defensive Eckpfeiler. Tobias Rau gab nach Monaten der Abwesenheit ein Comeback unter unglücklichem Stern. Hasan Salihamidzic verhaspelt sich neuerdings, statt an der Außenlinie für Wirbel zu sorgen. Roque Santa Cruz wie auch Claudio Pizarro, wechselseitig eingesetzt, stagnieren unterhalb des Niveaus, das sie noch im Vorjahr auszeichnete. Mehmet Scholl machte von der 74. Minute an Laufversuche, ohne groß was bewegen zu können. Als vage Verstärkung kommt Alexander Zickler so bald nicht mehr in Betracht; er brach sich am Freitag abend beim Einsatz für die Amateure der Bayern das Schienbein. Als positive Figuren im Bayern-Puzzle bleiben somit Kahn, Ze Roberto, Bastian Schweinsteiger und Makaay übrig. Reichlich wenig für den Herausforderer von Tabellenführer Werder Bremen.“
Hannover 96 – 1. FC Kaiserslautern 0:1
Dietrich zur Nedden (taz 15.3.): „Lassen Sie sich überraschen! Ewald Lienen lächelte entspannt, als er vor seinem Debüt als Trainer von Hannover 96 gefragt wurde, ob man ihn mit seinem Markenzeichen, den Zetteln, erleben würde. Und tatsächlich verzichtete der Mann, der nie ohne das Adjektiv akribisch charakterisiert wird, während des Spiels gegen den 1. FC Kaiserlautern auf das papierene Speichermedium in der Hand. Überhaupt zeigte er sich moderat, geduldig und humorvoll in den ersten Tagen seines Engagements bei einem Verein, der innerhalb von wenigen Wochen in den engsten Kreis der Abstiegskandidaten vorgestoßen ist. Der 50-Jährige scheint entschlossen, das Erscheinungsbild, das von ihm kursiert, zu modifizieren, ohne sich von seinen Überzeugungen zu verabschieden. Da wäre zum Beispiel die Forderung nach Disziplin und Konzentration. Spürbar hatte sich seine neue Mannschaft diese Maximen angeeignet oder, um eine andere Lesart zu benutzen: die Blockade war gelöst, von der Ralf Rangnick gesprochen hatte, der nach der dritten Niederlage in Folge entlassene Aufstiegstrainer. Rangnick, dessen Abschied beinahe irritierend nobel und ehrenhaft vonstatten gegangen war, hatte vor dem Spiel in einer SMS an den Fanbeauftragten um volle Rückendeckung für die Mannschaft und den neuen Trainer gebeten. Zielgerichtet, eine Lieblingsvokabel des Vorstandsvorsitzenden Martin Kind, strebten die Roten, nach Monaten wieder mit der Identifikationsfigur Altin Lala, von Beginn an Richtung Lauterer Tor, hatten gute Möglichkeiten und sogar beste Chancen.“
Richard Leipold (FAZ 15.3.): „Der neue Cheftrainer hatte seine Brille auf der Nasenspitze plaziert und taxierte den Ertrag seiner Innovationsversuche. Es war kein schöner Anblick für ihn. Als Ewald Lienen die Tabelle erstmals durch die Vereinsbrille von Hannover 96 studierte, muß er sich vorgekommen sein wie ein Sanierer, dessen Belegschaft nach einer Reihe von Qualitätseinbußen wieder ein ordentliches Produkt herstellt und dennoch weiter Verluste einfährt. Die Aktien von Hannover 96 sind an der Börse des kickenden Gewerbes auf ein Jahrestief gefallen. Nach dem 0:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern stehen die Niedersachsen zum ersten Mal in dieser Saison auf einem Abstiegsplatz. Der Fehlbetrag des Samstags belastete Lienens Eröffnungsbilanz um so schwerer, weil sein Personal daheim trotz ansprechender Arbeitsleistung drei Punkte gegen einen unmittelbaren Konkurrenten abgab, der mit Ausnahme seines Torhüters auch noch äußerst schwach spielte. Bis zum sportlichen Jahresabschluß trifft Hannover nur noch dreimal auf Vereine, die als Abstiegskandidaten gelten. Andererseits müssen die Roten noch gegen Bremen, Stuttgart, Bochum, Schalke und Dortmund antreten. Unter diesen Umständen bleibt dem Sanierer nicht mehr viel Spielraum. (…) Lienen will mit Liebe zum Detail auf den Umschwung hinwirken. Fürs erste hat er angeordnet, die Abmessungen des Trainingsplatzes den Maßen des Stadionrasens anzugleichen. Auf daß die Mannschaft mit noch mehr Maß und Ziel vorgehe.“
Bayer Leverkusen – VfL Wolfsburg 4:2
Erik Eggers (FR 15.3.): „Irgendwann wird Lucio, wenn er dereinst nach einer großen Karriere zurückgekehrt sein wird in seine Heimat, von gar wundersamen Dingen erzählen, die ihm im fernen Europa passierten. Er wird berichten über die Tücken des Profifußballs, wie er sich dort trotzdem durchgesetzt hat, und wie er schon in jungen Jahren das Champions League-Finale im legendären Hampden-Park zu Glasgow erreichte. Andächtig werden sie seinen Ruhmestaten lauschen. Aber am meisten werden sie sich amüsieren über diesen seltsamen Trainer, den Lucio damals bei Bayer Leverkusen besaß. Diesen knorrigen Klaus Augenthaler, dessen niederbayrischen Dialekt sogar manchmal die einheimischen Fußballer nicht verstanden. Und um die ganze Skurrilität seines damaligen Coaches verständlich zu machen, wird Lucio dann von dieser Geschichte berichten, die sich zutrug, bevor Bayer Leverkusen eines Märztages im Jahre 2004 mit 4:2 eine Mannschaft aus Wolfsburg bezwang, obwohl sie zuvor sechsmal nicht gewonnen hatten. Wir saßen schon umgezogen in der Spielerkabine und wollten schon auf den Trainingsplatz gehen, wird Lucio schildern, da kam der Augenthaler und ordnete an, dass wir uns wieder umziehen sollten. Dann taten sie, und sodann wurde die ganze Mannschaft in einen Raum geführt, in dem in einiger Entfernung neun Objekte standen, die seine deutschen Mitspieler Kegel nannten. Als ich sah, wie mein Mitspieler Daniel Bierofka eine Kugel nahm und diese per Hand auf die Bahn Richtung Kegel schleuderte, war ich sehr erleichtert, wird Lucio dann lächelnd berichten.“
Anno Hecker (FAZ 15.3.): „Zuletzt haben sie in Leverkusen den Dichterfürsten bemüht; auf der Suche nach dem letzten Mittel, den freien Fall aus der Spitze des deutschen Fußballs zu verhindern. Sechsmal nach der Winterpause gespielt und nur ein Pünktchen gewonnen. Darauf konnten sich Trainer und Funktionäre vor dem Wochenende keinen Reim mehr machen. Aberglaube, dies konnten wir schon bei Goethe nachlesen, hieß es dann im Editorial des Vereinsheftes vor dem 4:2-Sieg gegen Wolfsburg am Samstag, ist die Poesie des Lebens. Abergläubig sein heißt seine Hoffnungen auf Formeln und Zeremonien setzen. Nun müßten die um abergläubige Rituale selten verlegenen Profis und den harten Kern ihrer ebenso phantasievollen Fans bei ihrer Analyse zwei Gedanken beschäftigen: Soll Kegeln grundsätzlich ins Trainingsprogramm aufgenommen werden, und ist es vielleicht eher motivierend, das Spiel vor leeren Rängen zu beginnen? Aus Protest über die – so eingeschätzte – Arbeitsverweigerung mancher Spieler auf dem Feld hatten rund 2000 verärgerte Anhänger die ersten acht Spielminuten vor der BayArena verbracht. Prompt schoß Dimitar Berbatow nach 34 Sekunden vor dem leeren Fanblock das 1:0, Bayers erstes Führungstor anno 2004, was als Signal zum Aufbruch aus der Krise (Jörg Butt) gewertet wurde. Und als direkte Folge der urdeutschen Zielübung alle Neune. Berbatows Volltreffer bei allererster Gelegenheit, das fürchtete Chefcoach Klaus Augenthaler, könnten seine Pappenheimer auf die Wirkung der zweiten, überraschenden Trainingseinheit am vergangenen Donnerstag zurückführen: Nicht daß einer glaubt, wir würden jetzt jedesmal zum Kegeln gehen. Mit Gehaltskürzungen drohte die Vereinsführung, ins Musical marschierte das Ensemble talentierter Solisten, um beim Tanz der Vampire die Lust auf Teamwork aufzusaugen. Vergeblich. Bis zur Kegeleinlage. Zwei Tage später räumt Berbatow ab.“
Ulrich Hartmann (SZ 15.3.): „Wer ist das Volk? Ach, richtig: wir ja. Wir alle. Der Bürger, der Fan und überhaupt jeder, der erst in der Masse einflussreich wird beim Protestmarsch oder beim Streik oder beim Draußenbleiben vor dem Stadion, wenn die Fußballer (die Millionäre, die verwöhnten) sich nicht mehr anstrengen. Dann bleiben die Fans dem Fanblock fern, damit es darin ganz traurig und leer ausschaut, und wenn die Fußballer dann ins Stadion kommen, erschrecken sie und fragen sich: ¸¸Wo sind denn nur unsere Fans hin? Dann kriegen sie den Ball nicht mehr unter Kontrolle, weil ihnen die Fans so fehlen und weil sie ohne die schon gar nicht können, erst dann wieder, wenn die Anhänger zurückkehren zur heilsamen Wiedervereinigung nach einem kalten Entzug als Beziehungstherapie. Bloß: Dann kommen die Leverkusener Fußballer (die Ignoranten, die blöden) aufs Feld und spielen gegen Wolfsburg auf Anhieb so gut wie seit langem nicht mehr und man will hinunter schreien: ¸¸Hey, merkt ihr nicht, dass eure Fans nicht da sind? Und in dem Moment schießt der allergrößte Chancenvernichter Dimitar Berbatov nach 31 Sekunden das schnellste Tor der Saison, und hinten auf der leeren Tribüne tauchen ein paar verwirrte Fans auf, weil sie Jubel vernommen haben und ganz erschrocken sind und sich fragen: Was machen denn unsere Fußballer da? Und dann kommen alle zwischen Trotz und Stolz hin- und hergerissen zurück auf ihre Plätze, weil ihnen die Fußballer so fehlen und weil sie ohne die schon gar nicht können.“
Eintracht Frankfurt – Schalke 04 3:0
Ralf Weitbrecht (FAZ 15..3.): „Die Kenner hatten es ja schon immer gewußt. Ervin Skela ist das Herzstück des albanischen Fußballs – und nicht, wie es vor einem dreiviertel Jahr in Frankfurt verbreitet wurde, dessen mittlerweile für Rot-Weiß Oberhausen spielender knorriger Landsmann Geri Cipi. Spätestens seit dem beeindruckenden 3:0 gegen den FC Schalke 04, bei dem der Profi der Frankfurter Eintracht als Torschütze und Vorbereiter zu gefallen wußte, ist der kleine Spielmacher mit dem großen Kämpferherzen in seiner Wunschklasse angekommen. Nach Lehrjahren in Chemnitz und Mannheim, wo sich der heute 27 Jahre alte Mittelfeldmann oft auf der Auswechselbank wiederfand, ist er bei der Eintracht zur uneingeschränkten Führungspersönlichkeit an zentraler Stelle aufgestiegen. In der Bundesliga, gegen Mannschaften wie Bayern, Dortmund und Schalke, wollte ich immer spielen. Das war mein Traum. Möglich geworden ist er seit jenem Zeitpunkt, als Rolf-Christel Guie-Mien dem Lockruf des Geldes erlag, nach Freiburg wechselte und dort bis jetzt über eine Statistenrolle nicht hinausgekommen ist. Skela, damals zweite Wahl in Frankfurt, nutzte die Chance, überzeugte durch gute Leistungen, rückte in den Mannschaftsrat auf und wurde neben Kapitän Alexander Schur und Torjäger Ioannis Amanatidis zum wertvollsten Eintracht-Profi.“
Peter Penders (FAZ 15.3.): „Sie kommen aus einer Generation, sie waren beide selber Torjäger in der Bundesliga, aber ansonsten unterscheidet Jupp Heynckes und Willi Reimann doch so einiges. Die Qualitäten des Frankfurter Trainers sind zeit seiner Karriere gerne unterschätzt worden, was Reimann überaus mißtrauisch hat werden lassen. In der Regel wittert er in jeder Ecke des Frankfurter Waldstadions Gegner und reagiert vor allem auf Kritik überaus allergisch. An Jupp Heynckes dagegen prallt so etwas zumindest mittlerweile wirkungslos ab. Der Schalker Trainer läßt kaum eine Gelegenheit aus, auf seine früheren Trainerstationen zu verweisen, als gäbe es tatsächlich immer noch Fußballinteressierte, die nicht wüßten, daß er einst in München und vor allem bei Real Madrid Trainer war. Der Hinweis fehlte auch nach dem 0:3 seiner Schalker in Frankfurt nicht, nach den ersten Gegentoren in diesem Jahr und der ersten Niederlage seit dem 22. November (0:1 gegen Rostock). Daß er mit Pfiffen schon vor dem Anpfiff im Waldstadion begrüßt worden war, hatte den ehemaligen Eintracht-Trainer nicht sonderlich überrascht, obwohl er nie an seine Zeit in Frankfurt zurückdenke: Ich habe doch schon so viel erfolgreiche Trainerstationen hinter mir …, begann Heynckes seinen Vortrag. Die in Frankfurt gehörte nicht dazu. Nach zehn Monaten mußte er im April 1995 nach einer 0:3-Niederlage (ausgerechnet gegen den FC Schalke) vorzeitig gehen. Doch daß er vorher Publikumsliebling Yeboah vertrieben und Spieler wie Gaudino und Okocha verprellt hatte, nehmen ihm die Frankfurter Fans immer noch übel. Auch mit Willi Reimann haben die Eintracht-Anhänger ihre Schwierigkeiten, denn auf die Meinung anderer legt der Trainer keinen Wert. In Zeiten des Erfolges wie im Moment wird ihm das positiv ausgelegt.“
FAS-Interview mit Jupp Heynckes
FAS: Die Bundesliga ist im Viertelfinale der europäischen Wettbewerbe nicht mehr vertreten. Ist das eine Momentaufnahme, oder ist der deutsche Fußball nur noch zweitklassig?
JH: Der deutsche Fußball gehört schon länger nicht mehr zur Weltspitze. Das resultiert aus einem schleichenden Prozeß, der sich über viele Jahre hingezogen hat. Diese Entwicklung wurde zu lange toleriert. Wir haben erst darauf reagiert, als die Nationalelf bei der Europameisterschaft 2000 Schiffbruch erlitten hat. Die Ausbildung ist inzwischen besser, doch es dauert natürlich, bis sich das auszahlt. Die Franzosen haben fast fünfzehn Jahre gebraucht, bis ihre Nachwuchsarbeit Früchte getragen hat.
FAS: Wo liegen die Ursachen für den Niedergang?
JH: Die Vereine haben lange Zeit überdimensional ausländische Spieler verpflichtet und den deutschen Talenten keine Chance gegeben. Wir werden nur wieder Weltspitze, wenn wir innovativ sind, vor allem in der Nachwuchsarbeit. Wir müssen immer wieder junge Spieler heranführen, die an die Tür der Lizenzmannschaft klopfen und rufen: Ich will hier rein, ich will spielen. Es gibt ja Beispiele dafür. Hinkel, Kuranyi und Lahm vom VfB Stuttgart oder Schweinsteiger von Bayern München, der gegen Real Madrid richtig gut gespielt hat, das sind junge Spieler, die aus dem Nichts gekommen sind. Bei Schalke wird so etwas auch der Fall sein, vor allem solange ich hier bin. Wir haben hier einige junge Leute, die vom Talent her sehr gute Bundesligaspieler werden können oder vielleicht mehr.
FAS: Mit Ailton, Krstajic und Bordon hat Schalke drei ausländische Profis verpflichtet. Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrem Plädoyer für den eigenen Nachwuchs?
JH: Die genannten Profis sind Weltklassespieler oder zumindest Topspieler in der Bundesliga. Von ihrer Inspiration können andere profitieren. Spieler mit außerordentlichen Fähigkeiten heben ja auch in anderen Ligen das Niveau. Wie ein Zidane spielt, entscheidet nicht der Trainer. Was Ronaldo in einzelnen Aktionen macht, das können Sie gar nicht trainieren, das ist einfach da. Arsenal London mit oder ohne Henry, das sind zwei verschiedene Mannschaften. Man sollte nur ganz gezielt ausländische Topspieler verpflichten. Parallel dazu müssen die deutschen Talente aufgebaut werden. Auch bei uns in Schalke ist der Anteil ausländischer Spieler viel zu hoch. Wir werden einige von ihnen abgeben.
FAS: Junge deutsche Fußballprofis galten in den letzten Jahren als verhätschelte Wohlstandsjünglinge. Ist diese Einschätzung noch richtig?
JH: Nein, aus meiner Sicht haben wir das genaue Gegenteil. Es wächst eine Generation heran, die motiviert ist, die etwas verändern will, die ihren Beruf sehr ernst nimmt und im Fußball Karriere machen will. Aber man muß sie darauf vorbereiten und ihnen klarmachen, was auf sie zukommt. Ich sage immer: Jungs, das ist ein weiter, steiniger Weg bis zum Gipfel. Ihr müßt euch vorstellen, das ist ein Achttausender, und ihr steht am Fuße des Berges. Es ist mit Enttäuschungen und Entbehrungen verbunden, wenn man ganz nach oben kommen will. Aber aus Enttäuschungen kann man die größte Motivation ziehen.
SC Freiburg – Borussia Dortmund 2:2
Roland Zorn (FAZ 15.3.): „Ewerthon mißt 1,72 Meter und ist 22 Jahre alt, David Odonkor ist 1,74 Meter lang und 18 Jahre alt, Salvatore Gambino schließlich kommt auf nicht mehr als 1,76 Meter und ist 20 Jahre alt. Diese stürmischen drei sollten in Freiburg auf dem kurzen Dienstweg und mit juvenilem Schwung die Sehnsucht nach dem längsten Dortmunder Borussen überspielen helfen. Bis zur 75. Minute saß der 2,02 Meter lange, 30 Jahre alte Jan Koller auf der Bank und sah von dort aus, wie gut die taktische Maßnahme von Trainer Matthias Sammer wirkte, auf den tschechischen Nationalspieler diesmal von vornherein zu verzichten. Vielleicht hat er es gemacht, mutmaßte der zur Pause eingewechselte Lars Ricken, damit wir nicht die Option der langen Bälle (auf Koller) hatten, so daß wir Fußball spielen mußten. Tatsächlich hielt der den Ball flach, das Spiel offen und die Hoffnung am Leben, vielleicht doch noch mit einem Formaufschwung zum Saisonende wenigstens den Sprung in den kommenden UEFA-Pokal-Wettbewerb zu schaffen. Nach zuletzt zwei Niederlagen in Bremen und gegen Stuttgart, bei denen der Tabellensiebte mit seiner stereotypen Spielweise, hoch und weit auf Koller geschlagenen Bällen, keinen Zentimeter vorankam, war der körperlich kerngesunde Tscheche erstmals nur zweite Wahl bei Sammer. Die kleinen Wirbler dankten es dem Trainer, und doch entstanden beide Tore ironischerweise aus sogenannten Standardsituationen.“
Hamburger SV – Hertha BSC Berlin 2:0
Achim Lierchert (FAZ 15.3.): „Am Ende hatten sich auch noch die Unparteiischen gegen sie verschworen. Wie alles andere sowieso schon. Glaubten die Berliner. Vielleicht will man uns einfach nicht in der Liga haben, mutmaßte deren Torhüter Christian Fiedler. Daß er es direkt nach dem verlorenen Spiel und noch voller Emotion sagte, mag die Dimension dieser Worte ein wenig zurechtrücken. Dennoch: Hertha BSC hat auf der Suche nach den Ursachen für die Krise und den drohenden Abstieg das Unbeeinflußbare entdeckt. In Person der Schiedsrichter. Noch nie in seiner Trainerlaufbahn habe er sich zu strittigen Szenen geäußert, schickte Trainer Hans Meyer voraus, um dann auszuholen: Im dritten von sieben Spielen in diesem Jahr sind wir nun richtiggehend benachteiligt worden. Dieses in Hamburg haben allein Bernd Hollerbach und der Linienrichter entschieden. Hollerbach, der Haudegen des HSV, hatte in jener von Meyer angesprochenen Szene mit verwarnungswürdigen Rempeleien den Berliner Dick van Burik derart gereizt, daß dieser sich zu einem Schubser hinreißen ließ. Das wiederum wurde vom jungen Stuttgarter Schiedsrichter Markus Schmidt allzuhart mit Rot geahndet. Schmidt, der auch beim zweiten Platzverweis für einen Herthaner (Friedrich) seinen ganzen Ermessensspielraum zum Nachteil der Hertha ausnutzte, wurde so zur Zielscheibe der Kritik und des Frusts.“
BLZ-Interview mit Fredi Bobic
BLZ: Was haben Sie beobachtet?
FB: Bernd Hollerbach kommt mit dem Ellenbogen, van Burik schiebt ihn leicht weg. Dann sieht man, wie Hollerbach kurz dasteht und ihm bewusst wird, er könne sich fallen lassen. Und dann schmeißt er sich hin. Das sind halt die Verrohungen der Sitten, die es in der Bundesliga gibt. Und die ich nicht mag. Ich habe in England gespielt und ich sage Ihnen ehrlich: Dort wird man von den eigenen Fans ausgepfiffen, wenn man sich so verhält.
BLZ: Sie haben später noch Kontakt zum Schiedsrichter Schmidt aufgenommen?
FB: Ich habe ihm in die Augen geschaut und habe gesehen, dass er das Spiel überhaupt nicht mehr im Griff hatte.
BLZ: Woran?
FB: Er war absolut nicht mehr ansprechbar. Ich habe in ruhigem Ton gefragt: Markus, was ist? Oder so ungefähr. Er hat nicht reagiert.
BLZ: Was haben Sie daraus gefolgert?
FB: Ich habe das schon öfters bei Schiedsrichtern gesehen, wenn es heiß herging. Dortmund gegen Bayern etwa, wo ich selbst auch dabei war. Man bemerkt einen Hilferuf in ihren Augen, einen Hilferuf an ihre Linienrichter: Sagt mir, was passiert ist! So ungefähr jedenfalls. Viele sind dann einfach überfordert.
BLZ: Wie sollten Schiedsrichter denn in hitzigen Situationen reagieren?
FB: Viele Schiedsrichter in der Bundesliga stürzen sich einfach rein in die Situation. International dagegen habe ich oft gesehen, dass die ein paar Meter Abstand halten von der Aktion. Die Spieler können sich alle auf die Birne hauen, wenn sie wollen. Am Ende werden die Übeltäter aufgeschrieben und so und so erwischt.
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