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Interview Matthäus, WM-Vergabe 2010 nach Afrika? – Verfall in Leipzig

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Interview Matthäus, WM-Vergabe 2010 nach Afrika? – Verfall in Leipzig

FAS-Interview mit Lothar Matthäus über dies und das – bekommt Afrika die WM 2010? – Renaissance Nordafrikas beim Afrika Cup – 1. FC Nürnberg will aufsteigen (SZ) – der Verfall des VfB Leipzig (FAZ)

Ich war wohl zur richtigen Zeit irgendwie am falschen Platz

FAS-Interview mit Lothar Matthäus

FAS: Fünfzig Jahre nach dem Wunder von Bern sollen Sie, ein Deutscher, das Wunder von Budapest schaffen und die ungarische Fußball-Nationalmannschaft wieder international salonfähig machen. Spüren Sie so etwas wie eine historische Verantwortung, einer früheren Weltmacht in diesem Sport wieder auf die Füße zu helfen?

LM: Ich habe nicht an die alten deutsch-ungarischen WM-Geschichten gedacht, als ich meinen Vertrag unterschrieb. Die Zeiten sind für alle vorbei; davon träumen nur noch ein paar ältere Leute. Wir müssen an die Gegenwart denken. 1954 war aber ganz sicher der Anfang vom Aufstieg des deutschen Fußballs für die nächsten fünfzig Jahre. Für die Ungarn lief es dagegen genau umgekehrt.

FAS: Die Ungarn, heißt es, seien vor allem deshalb im Weltfußball tief gesunken, weil sie sich seit Jahren nichts mehr zutrauten und die vielen Niederlagen als gottgegeben hinnähmen.

LM: Damit wollen wir nicht mehr zufrieden sein. Hier liegt ein schweres Stück Arbeit vor mir. Nicht nur, was die Arbeit auf dem Platz angeht. Die Spieler müssen wieder erkennen, daß der Fußball eine Möglichkeit ist, auch sozial aufzusteigen. Außerdem muß im ungarischen Fußball das ganze Drumherum verändert werden. Wie sich der Fußball präsentiert, wie die Liga vermarktet wird, wie eine Aufbruchstimmung geweckt werden kann, all das sind Fragen, bei deren positiver Beantwortung ich mithelfen will.

FAS: Als Sie Ihren ersten Trainerjob bei Rapid Wien antraten, wurden Sie noch belächelt. Motto: In der Bundesliga findet er nichts, also muß er auswandern.

LM: Anfangs wurden viele oberflächliche Vorurteile laut. Ich kann nur sagen, daß ich auch in Österreich erfolgreich gearbeitet habe. Bei Rapid sollte ich ab September 2001 eine neue, junge Mannschaft formen und hatte gleichzeitig einen Präsidenten gegen mich, der nach mir gekommen ist. Damals hatte ich einige ältere Spieler, die bei mir auf der Bank oder der Tribüne saßen, gegen mich. Diejenigen, die ich zu Rapid geholt habe, darunter der von den Bayern-Amateuren gekommene Steffen Hoffmann, sind heute die Garanten dafür, daß Rapid in der österreichischen Liga Zweiter ist. In der Rückrunde, auf die ich die Mannschaft eingestimmt hatte, haben wir einen vierten Tabellenplatz belegt. Das wurde gern übersehen, und deshalb empfand ich die Kritik, die an mir, dem Trainer Lothar Matthäus, auf dieser Station geübt wurde, als unfair. In Wien wurde mir gekündigt, weil der Präsident ein Politiker ist, der die Bühne für sich selbst brauchte und sie nicht einem Trainer mit einem nicht ganz unbekannten Namen gönnen wollte.

FAS: Wie gefällt Ihnen denn der Kollege Rudi Völler, dem Sie im Juni mit Ihren Ungarn im Rahmen der deutschen Fünfzigjahrfeiern zum Gedenken an die Weltmeisterschaft 1954 und den 3:2-Endspielerfolg über Ungarn in Kaiserslautern freundschaftlich begegnen?

LM: Ich kann ihn als Trainer gar nicht einschätzen. Rudi schützt seine Spieler, wie man bei seinem zum Kult gewordenen Ausbruch im Vorjahr gesehen hat. Andererseits darf man den Spielern auch nicht alles durchgehen lassen, man muß sie ab und zu mehr in die Verantwortung nehmen. Insgesamt macht Rudi seinen Job hervorragend, und er hat dazu in wichtigen Spielen die richtigen Ergebnisse erreicht. Wären die Deutschen in der WM-Vorrunde 2002 ausgeschieden, was bei einer durchaus möglichen Niederlage gegen Kamerun der Fall gewesen wäre, hätte es für Rudi auch anders aussehen können.

FAS: Andererseits genießt Völler eine enorme Beliebtheit.

LM: Er ist in Deutschland populärer als ich, und das hat er auch verdient. Er hatte sich ja nie mit Skandälchen wie ich herumzuschlagen. Rudi hatte stets ein geregeltes Privatleben. Hast du das nicht – was bei mir ab und zu der Fall war –, bist du für die Medien Freiwild, und es werden Geschichten geschrieben, die nur manchmal, aber keineswegs immer der Wahrheit entsprechen. Rudi ist nach der verkorksten Europameisterschaft 2000 zu seinem Teamchefjob, den er nie angestrebt hatte, ähnlich wie Franz Beckenbauer 1984 gekommen.

FAS: Viele haben seinerzeit auch an Lothar Matthäus als künftigen Bundestrainer gedacht.

LM: Ich war wohl zur richtigen Zeit irgendwie am falschen Platz. Jedenfalls freue ich mich für jeden, der Erfolg hat, populär und positiv dasteht. Ich werde jetzt meine Arbeit gut machen, und dann wird sich zeigen, was aus mir wird. Den Traum, die Nationalmannschaft zu trainieren, habe ich nicht mehr. Ich will mich fürs erste nur jeden Tag durch Arbeit, Arbeit und noch einmal Arbeit als Trainer verbessern.

Vorsicht, Feuilleton! Nils Minkmar (FAS 8.2.) legt Zeitzeichen aus: „Müntefering, es wird ihnen vielleicht aufgefallen sein, redet gern vom Fußball und noch lieber in Fußballmetaphern. Sitzt er im ZDF-Fernsehrat, dann sagt er dem Sender: Vergeßt mir die A-Jugend nicht! Selbst wenn man ihn morgens um vier aus dem Bett klingelte, murmelt er gewiß: Bißchen früh, aber Anpfiff ist Anpfiff! Ich selbst bin, das muß ich jetzt mal sagen, nicht der Sportlichste. Meine klägliche Fußballkarriere begann und endete in der Schule. Konnten sich die beiden besten Spieler in der Klasse die Mannschaften selbst zusammenstellen, dann blieb ich so lange sitzen, bis hinter mir nur noch die saßen, die einen Arm oder ein Bein im Gips hatten. Jede Information über Fußball vergesse ich nach wenigen Sekunden. Dennoch mag ich Müntefering. Er erinnert mich genau an meinen ehemaligen Mitschüler Steffen, ein Athlet, ein Profi, ein Fußballexikon im Trainingsanzug. Auch Steffen redete so wie Franz, nur vom, über und im Fußball. Eines Tages geriet ich, er konnte es nicht verhindern, in seine Mannschaft. Steffen legte mir jungsmäßig den Arm auf die Schulter und schaute müntemäßig entschlossen: Und gleich in der ersten Halbzeit … Hier stieg ich mental aus, machte aber weiter ein zuhörendes Gesicht, Steffen schloß nach einigen Minuten mit den Worten: … dann: Abseitsfalle. Alles klar? Bevor ich reagieren konnte, fing er laut an zu lachen, und alle anderen Jungs auch. War nur Spaß gewesen. Ich solle natürlich ruhig was lesen gehen oder spazieren, sagte er dann freundlich und lief auf den Platz. Er spielte Fußball, mir durfte das egal sein, so war unsere Arbeitsteilung, und sie war gut. Auch Münte will uns, scheint mir, sagen: Laßt mich nur machen, habt eine gute Zeit und hört nicht so genau hin.“

Richard Becker (FAS 8.2.) kommentiert die Diskussion um die WM-Vergabe 2010: „Auf dem Platz rollt der Ball, in den Kulissen wird die hohe Sportdiplomatie geprobt. In einem reibungslosen Ablauf des Afrika-Cups sieht der Veranstalter Tunesien die große Chance, seine Bewerbung um die Endrunde der Weltmeisterschaft 2010 um gewichtige Argumente anreichern zu können. Nach der knappen Niederlage von Südafrika gegen Deutschland bei der Vergabe der WM 2006 hat man sich schon lange darauf verständigt, daß Afrika erstmals dran sein wird. Doch daß manch eine Veranstaltung dieses Afrika-Cups mit mehr mediterraner Gelassenheit, was viele als leichtes Chaos interpretieren, als europäisch punktueller Korrektheit abläuft, stört dabei weniger als ein Hinweis von höchster Stelle: Nach den Erfahrungen von 2002 in Japan und Südkorea hat Joseph Blatter, der Präsident der FIFA, weiteren möglichen Doppelveranstaltern eine Absage erteilt. Tunesien möchte aber, so der Plan für2010, gemeinsam mit dem benachbarten Libyen die Fußballwelt empfangen. Aus Tripolis wird die Achse mit Tunis durch die Zusage einer Beteiligung in Höhe von neun Milliarden Dollar verstärkt.Nun ist die FIFA hohen Summen noch nie abgeneigt gewesen, und das neue politische Tauwetter im heißen Nordafrika wäre ein weiterer Pluspunkt für Tunesien/Libyen. Doch mit Marokko und Südafrika hat der afrikanische Kontinent, auf dem zum erstenmal eine Weltmeisterschaft stattfände, zwei potente und dazu lautstarke Bewerber, während Ägypten, ein weiterer Kandidat für 2010, sich einer bemerkenswerten und allseits überraschenden Zurückhaltung in der Öffentlichkeit befleißigt (…) Ein häufig gehörtes Gegenargument, die große Hitze, können die Afrikaner lässig kontern. Sowohl in den Vereinigten Staaten 1994 als auch in Mexiko, wo 1970 und 1986 schon zwei Endturniere abgehalten worden sind, war es kaum kühler, als es in Afrika zum betreffenden Zeitpunkt wird sein können.“

Daniel Theweleit (BLZ 10.2.) teilt den Aufschwung Nordafrikas mit: „Zwei Wochen lang fuhren sie pausenlos hupend durch die Straßen von Sousse, brannten Feuerwerke auf den zentralen Kreuzungen ab und feierten ihre Fußballmannschaft. Die algerischen Anhänger eroberten Tunesien. Nachdem ihre Nationalmannschaft überraschend das Viertelfinale erreicht hatte, traten die Fans gar noch wilder auf als die der Gastgeber des Afrika-Cup selbst. Am Sonntag endeten die Feierlichkeiten dann abrupt. Gegen Marokko unterlag Algerien 1:3 in der Verlängerung. Doch trotz der Niederlage: Algerien verkörpert ein Erstarken der Maghreb-Länder, das den laufenden Afrika-Cup prägt. Das zurückliegende Jahrzehnt stand im Zeichen der westafrikanischen Fußballhochburgen Nigeria, Kamerun und neuerdings Senegal. Dazu gesellte sich Südafrika, welches sich nach der Apartheid im Rekordtempo an der Spitze etablierte. Doch nun treffen am Mittwoch in den Halbfinals jeweils zwei Teams aus dem Norden auf zwei aus dem Westen: Tunesien spielt gegen Nigeria, Marokko gegen Mali. Vollkommen unterschiedliche Kulturen treffen hier aufeinander, was sich vor allem auf den Rängen widerspiegelt. Während die Westafrikaner 90 Minuten lang trommeln und tanzen, verhalten sich die Nordafrikaner wie Fans aus Südeuropa; bengalische Feuer brennen, wenn es etwas zu feiern gibt, maßlose, bisweilen aggressive Enttäuschung bricht im Falle einer Niederlage aus. Auf dem Spielfeld dagegen hat die Europäisierung längst den ganzen Kontinent erreicht, Differenzen zwischen maghribinischem und schwarzafrikanischem Fußball existieren nur noch in Nuancen. Disziplin und Ordnung heißen die Zauberworte. Wie schon beim Afrika-Cup 2002 in Mali werden diese Tugenden überall gepredigt. Damals jedoch, sagt der französiche Trainer Tunesiens, Roger Lemerre, wurde Ordnung häufig als einseitige Stärkung der Defensive missinterpretiert, inzwischen ist auch das Offensivspiel weitgehend europäisch organisiert. Kuriositäten, wie frenetisch bejubelte Dribblings ins Niemandsland, gab es in Tunesien bislang ebenso wenig zu sehen, wie unkontrollierte Grätschen mit gestrecktem Bein. Und von durch Vodoo-Zauber beeinflussten Spielen ist auch keine Rede mehr. Lediglich das Tempo ist verglichen mit dem europäischen Spitzenfußball geringer.“

Ein längerer Aufenthalt in dieser Liga könnte chronischen Verfolgungswahn auslösen

Rudolf Neumaier (SZ 9.2.) befasst sich mit dem 1. FC Nürnberg: „Als der 1. FC Nürnberg kam, stellten die Burghausener vor ihrem kleinen Stadion eine Bude auf, in dem sich die Fans mit den Vereinsfarben bemalen lassen konnten. Das machen sie nur vor besonderen Spielen. Ein nicht geringer Teil der 8100 Zuschauer trug also das W aus dem Vereinswappen auf den Wangen, ein schwarzes W mit geschwungenen Außenarmen und spitzen Enden, und man kann sagen, dass diese Maskerade selbst in den pausbäckigsten Gesichtern an die Furcht erregende Kriegsbemalung des kühnen türkischen Nationaltorwartes Rüstü erinnerte. Es ist immer das Gleiche: Wo Nürnberg antritt, geben sich die Gastgeber besonders viel Mühe, sie laufen mehr als in anderen Spielen, grätschen hingebungsvoller – und starten Sonderaktionen wie Face-Painting, die sich ganz nebenbei auch lukrativ vermarkten lassen. Alle wollen dem Verein mit dem größten Stadion, den meisten Mitgliedern und der umfangreichsten Titelsammlung im Klassement heimleuchten. Ein längerer Aufenthalt in dieser Liga könnte chronischen Verfolgungswahn auslösen.“

Der traditionsreiche Klub spielt in einer vermoosten Ruine

Christian Ewers (FAZ 9.2.) bedauert den Verfall des VfB Leipzig: „Im Bruno-Plache-Stadion steht die Zeit still. Hier ist es immer sechs Uhr, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Irgendwann sind die Zeiger der großen schwarzen Stadionuhr neben der Anzeigetafel festgerostet, irgendwann morgens oder abends um sechs. Wenige Meter unterhalb der Uhr biegt sich die Aschenbahn in eine Kurve. Ihre rote Farbe hat sie mittlerweile verloren, Grashalme und Unkraut machen aus der Sprintbahn eine grüne Wiese. In diesem Stadion ist der VfB Leipzig zu Hause, der erste deutsche Fußballmeister. Der traditionsreiche Klub spielt in einer vermoosten Ruine, und das wird sich in naher Zukunft auch nicht ändern. Der VfB, im vorigen Jahr noch von Innenminister Otto Schily und dem Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Gerhard Mayer-Vorfelder, zum hundertjährigen Meisterschaftsjubiläum beglückwünscht, ist am Ende. Anfang Februar hat Schatzmeister Michael Merkel Insolvenz angemeldet. Merkel sitzt in einem feinen Lokal in der Leipziger Altstadt. Vor ihm steht ein Glas italienisches Mineralwasser, aus dem er einen großen Schluck nimmt, bevor er mit ruhiger Stimme sagt: Die Insolvenz ist für mich ein ganz normales betriebswirtschaftliches Instrument. Ich verstehe die ganze Hysterie nicht. Merkels VfB drücken 4,8 Millionen Euro Schulden, rund 130 Gläubiger warten auf ihr Geld. Schon in der Saison 1999/00 hatte der Verein Insolvenz anzeigen müssen. Damals betrug der Schuldenberg 17 Millionen Mark. Merkel sagt: Wenn in Amerika jemand zum dritten Mal pleite geht, denken die Leute: Jetzt wird er wohl wissen, wie das Geschäft geht. In Deutschland herrscht da leider ein andere Mentalität. (…) Friedbert Striewe, der derzeit als Insolvenzverwalter die Geschäfte des VfB Leipzig führt, sagt: Der Verein braucht eine Gehirnwäsche, wenn er Zukunft haben will. Jahrelang hat man kraß über seine Verhältnisse gelebt. Ich habe Menschen kennengelernt, die noch immer von der ersten oder zweiten Liga träumen. Dabei sind wir unendlich weit weg vom Profifußball. Schon jetzt ist sicher, daß sich der VfB in der nächsten Saison noch weiter entfernen wird vom Profifußball. Die erste Mannschaft wird von der Oberliga in die fünfte Spielklasse, die Landesliga, absteigen – vorausgesetzt, der VfB wird nicht aus dem Vereinsregister gelöscht. Dem deutschen Meister von 1903 droht nämlich die Auflösung. Sollte Insolvenzverwalter Striewe mit seinen Bemühungen, den Verein zu retten, scheitern, ist dieser am Ende. Dieses Szenario scheint durchaus realistisch. Es gibt zahlreiche komplizierte Rechtsverhältnisse und unterschiedliche Interessen unter den Gläubigern, sagt Striewe. Die VfB ist ein sehr schwer zu lösender Fall.“

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