Ballschrank
Vom Blaumann der Geschichte gestreift
Kommentare deaktiviert für Vom Blaumann der Geschichte gestreift
| Donnerstag, 25. März 200422. Spieltag im Pressespiegel „Bremer Aktien steigen“ (FAS); ValérienIsmaël „weicher Akzent, harter Schuss“ (FTD); „Bremens Kampf dem Zauberfußball“ (Tagesspiegel) – „Es gibt Bälle, die sogar Oliver Kahn hält“ (FAZ) – „Stuttgarter Fastenwochen“ (FAZ); „Stuttgarts Lähmung im Kopf“ (SZ); VfL Bochum, „vom Blaumann der Geschichte gestreift“ (SZ) – „über Bayer Leverkusen wundert sich niemand mehr“ (SZ) u.v.m.
Werder Bremen – Borussia Dortmund 2:0
Ein Profi, dem das Team am Herzen liegt
Frank Heike (FAZ 1.3.) stellt uns den Mann des Tages vor: „ValérienIsmaël spricht besser Deutsch als Ailton (fünf Jahre in Bremen) und viel besser als Micoud (anderthalb Jahre in Bremen). Bremen ist mein Arbeitgeber, ich lebe in Deutschland, da muß ich die Sprache können, sagt Ismaël. Allofs hat den Ausleihvertrag gerade in einen regulären Kontrakt bis 2007 verwandelt. Der Abwehrchef ist ein Spieler mit großem Selbstbewußtsein, ein Profi, dem das Team am Herzen liegt: Keiner in der Mannschaft spricht so viel mit den anderen wie der 28 Jahre alte Franzose. Er baut auf, er kritisiert, er staucht zusammen, er ist von Minute eins an präsent. Und er versteht die hohe Schule der Einschüchterung. Ein Führungsspieler eben, einer, der Bremen lange gefehlt hat. Ismaël hat in allen französischen Auswahlmannschaften bis auf das A-Team gespielt. Der ganz großen Laufbahn standen seine Hitzköpfigkeit und der manchmal übertriebene Drang zur Mitsprache im Weg: Bei Straßburg hatte er sich mit Trainer Ivan Hasek angelegt und war auf die Tribüne verbannt worden. In Bremen nimmt Thomas Schaaf gern den Rat seines Profis an (oder hört einfach mal weg).“
Erweiterung des taktischen Repertoires
Jörg Marwedel (SZ 1.3.) berichtet Bremer Zuversicht: „„Bei Werder Bremen, da wackelt die Wand, der Deutsche Meister kommt vom Weserstrand.“ Die Melodie ist dem Gassenhauer „An der Nordseeküste“ entlehnt, und die Menschen haben inbrünstig eingestimmt. Sie lieben dieses Lied, das bei den Titelgewinnen Werders 1988 und 1993 zur Bremer Hymne wurde. Zuweilen haben sie es auch in dunkleren Zeiten zur Aufmunterung gefordert. Nun aber läutete es sozusagen die Festwochen anno 2004 ein, die Saisonphase, in der sie ihr Team auf der Zielgeraden zur vierten Deutschen Meisterschaft sehen. Und wer geglaubt hatte, diese Euphorie würde dem Werder-Trainer Thomas Schaaf arg missfallen, der durfte sich wundern. „Ist doch schön“, sagte Schaaf, „die Mannschaft darf sich dadurch nur nicht ablenken lassen.“ Dann fügte er mit hintergründigem Lächeln an: „Wenn ich mir jetzt auch noch über die Musikauswahl Gedanken machen muss . . .“ Schaaf wirkte bei diesen Worten gelassen und in sich ruhend, er scheint nun selbst an den Triumph zu glauben. Die Mannschaft des Tabellenführers hatte dafür weitere Gründe geliefert. Sie hatte nicht schön gespielt, schon gar nicht so hinreißend wie in der Hinrunde, als man mit rauschhaftem Offensivfußball Tor um Tor erzielte. Aber sie hatte abermals den Beleg für einen womöglich entscheidenden Wandel geliefert – die Erweiterung ihres taktischen Repertoires, die sich schon in den ersten Spielen nach der Winterpause andeutete. Nicht mehr verspielt und intuitiv, dafür kühl, konzentriert, berechnend tritt Werder nun auf – mit der Folge, dass die lernbegierige Mannschaft in der Rückrunde erst ein Gegentor hinnehmen musste.“
Frank Heike (FAZ 1.3.) ergänzt: „In Bremen, wo die Fans immer noch unsicher sind, ob aus dem Traum tatsächlich Wirklichkeit wird, interpretiert man gern alles als Symbol des baldigen Niedergangs. Der Hang zum Fatalismus konnte am Samstag prächtig ausgelebt werden, als sich Stammtorwart Andreas Reinke am Rücken verletzte und ausgewechselt werden mußte. Für ihn kam Pascal Borel. Borel ist der Vater aller Bremer Torwartdiskussionen in den Zeiten nach Oliver Reck. Aber Borel bekam gar nichts aufs Tor. Und hier kommen wir zum Kern der Geschichte, zum wichtigsten Ertrag des Spiels neben den drei Punkten: Werder steht seit Wochen vollkommen sicher in der Abwehr. In den vergangenen sieben Spielen hat Werder nur ein Gegentor bekommen. Noch in der Hinrunde waren die Bremer gut für ein 5:3, ein 3:2, für Zauberfußball mit einem überragenden Johan Micoud. Inzwischen haben die Arbeiter im Team das Sagen, Valérien Ismaël etwa, Fabian Ernst oder Ümit Davala. Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive holt Titel, heißt es im Fußball. Insofern muß Bremen sich keine Sorgen machen.“
Frank Ketterer (taz 1.3.) reibt sich die Hände: „Jeder Spieltag, an dem Borussia verliert, ist ein guter Spieltag! Borussia ist ab sofort nur noch widerlich! Daran kann selbst die Tatsache nichts ändern, dass die Deutsche Presse Agentur den BvB gerade zum größten Sorgenfall des deutschen Fußballs erklärt hat. Dafür gibt es guten Grund, weil ganz schlechte Zahlen, wie letzten Freitag bekannt wurde. Da veröffentlichte Borussia, die übrigens kein Fußballverein mehr ist, sondern eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, ihre Halbjahreszahlen. Ergebnis: Allein für den Zeitraum von Juli bis Dezember letzten Jahres hat Borussia 29,4 Millionen Euro Miese gemacht. Ein Bundesliga-Rekorddefizit, wie erneut dpa wusste. Findige Finanzexperten rechneten sogleich hoch auf den Rest des Geschäftsjahrs. Endergebnis: Bis Sommer könnte das Defizit auf 60 Millionen klettern. Nun ist es ja so, dass man als taz schon aus reinem Prinzip für die Armen und Notleidenden sein muss, ein bisschen ist man da wie Robin Hood. Bei Borussia aber muss eine Ausnahme gemacht werden. Denn Borussia ist nicht nur ein Sozialfall, sondern vor allem: eine besonders dreiste Art der Wettbewerbsverzerrung. Denn teure Spieler kaufen ohne das dafür nötige Großgeld in der Tasche zu haben, um damit dann jene Vereine nieder zu halten, die genau das nicht tun, bzw. in gemäßigterem Stil, kann jeder. So gesehen ist jede Niederlage der Borussia ein Sieg für die Gerechtigkeit.“
Bayern München – VfL Wolfsburg 2:0
Triumphgeste au dem Circus Maximus
Philipp Selldorf (SZ 1.3.) berichtet nichts neues bei den Bayern: „Lange nach dem Spiel war Jürgen Röber immer noch sehr aufgeregt. Er rang zum Zeichen der Verzweiflung die Hände, sein ganzer Körper wogte hin und her im Sturm seiner Argumente, und sein Mienenspiel spiegelte eine biblische Mischung aus Kämpfen, Leiden und Trauern. Die beiden verbliebenen Zuhörer aus Wolfsburg, an die sich der Trainer des VfL mit seiner Klage im Presseraum richtete, ergaben sich wortlos und wie gefesselt seinem Redeschwall. „Na ja“, seufzte Röber endlich, vermutlich bloß, um Luft zu holen, aber sein Publikum nutzte die Pause gleich als Gelegenheit zur Verabschiedung. Ein Mensch voller Leidenschaft wie Jürgen Röber mag über die Vergeblichkeit der Wolfsburger Anstrengungen Reden wie Fidel Castro führen wollen (die letzte dauerte übrigens von 20.30 Uhr bis zwei Uhr nachts). Man könnte es auch kürzer sagen: In Wolfsburgs Elf findet sich viel Talent. Aber wenig Überzeugung, dieses Talent zum Sieg zu nutzen. Ein erfahrener Fußballer wie Hasan Salihamidzic etwa hat sich wohl selten in seiner Karriere so chancenlos ausspielen lassen müssen wie durch Andres d’ Alessandro. Gelegentlich spielten die kreativen Wolfsburger rückwärts Doppelpass im Strafraum der Bayern, und hätten sie auf diese beeindruckende Weise nach zwanzig Minuten ihre beste Möglichkeit durch Klimowicz genutzt, wer weiß, ob Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge auch dann noch sein Loblied auf die erstarkten Münchner gesungen hätte („sehr verdient gewonnen, sehr gut und sehr konzentriert gespielt“). Oliver Kahn verhinderte das 1:1, indem er sich zweimal in die Schüsse des argentinischen Mittelstürmers warf. Nachdem ihm dies gelungen war, er im nächsten Moment außerdem eine Flanke ins Aus abgewehrt hatte, ballte er die Fäuste zur Triumphgeste, als ob er im Circus Maximus mit bloßen Händen drei Löwen bezwungen hätte. Für Kahn bedeutete die geglückte Parade sicherlich eine innere Befreiung nach all dem Gerede der vergangenen Tage (Bild hatte ihm sogar das Zitronensiegel „Pannen-Olli“ verliehen), aber im Grunde war sie nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit [of: Die ARD zeigt diese Allerweltsparade sogar in der Tagesschau und eine weitere Aktion Kahns, die jedem anderen Torhüter dieser Welt als Unsicherheit ausgelegt worden wäre. Für Rubenbauer, Beckmann Co. ist das Spiel gegen Wolfsburg jedoch die Rehabilitation ihres Protegés. Wie wär’s mit einem Brennpunkt, wenn Kahn den nächsten Ball hält?], die sich außerdem in den üblichen Ablauf durchschnittlicher Bayern-Heimspiele fügte. Die Begegnung mit Wolfsburg folgte exakt dem Muster, nach dem die Münchner ihre Punkte zu sammeln pflegen: Frühe Führung, augenblickliches Nachlassen mit der Konsequenz heikler Torszenen, die Kahn entschärft, und zur Pause ein Donnerwetter von Ottmar Hitzfeld. Danach Aufdrehen bis zum 2:0, und die Partie sanft ausklingen lassen wie auf dem Minigolfplatz. Wolfsburg ergab sich derweil lethargisch seinem Schicksal. Normalerweise werden solche Tage durch Punktverluste des Hauptkonkurrenten gekrönt.“
Michael Horeni (FAZ 1.3.) wirft ein, dass es noch andere gibt als Oliver Kahn: “Es gibt Bälle, die sogar Oliver Kahn hält. Dutzende von Kameras haben dies am Samstag aber offensichtlich schon nicht mehr glauben wollen und daher jede Bewegung des Torwarts im Olympiastadion ins Visier genommen. Aber als die 90 Alltagsminuten der Bayern gegen den VfL Wolfsburg vorbei waren, Kahn bei diesem 2:0-Sieg in seinem Job kaum gefordert wurde und seine kleineren Aufgaben wie gewöhnlich erledigt hatte, wuchs eine Banalität zur Gurken-Nachricht des Tages: Einer der besten Torhüter der Welt kann Bälle halten. So ist das eben, wenn die Medien einen Trend zu erspüren meinen. Dann muß zusammenpassen, was nicht zusammengehört. Wenn sich jedoch auf der einäugigen Spurensuche von der vermeintlichen Metamorphose eines Torwartgotts zum Fliegenfänger keine sachdienlichen Hinweise entdecken oder konstruieren lassen, dann muß eben diese selbstgemachte Überraschung als Nachricht herhalten.“
Die taz zitiert den bayerischen Superlativ: „Heute hat er bewiesen, dass er nach wie vor der beste Torwart der Welt ist.“ (O. Hitzfeld, weltbester Trainer des weltbesten Zweiten der weltbesten Liga)
Eintracht Frankfurt – Borussia Mönchengladbach 3:1
Herr Gerster ist ein fürchterlicher Schmutzfink, ein ganz, ganz dummer Mensch
Ingo Durstewitz (SZ 1.3.) erlebt Willi Reimanns Ärger und Wut: “ Reimann ballt die Fäuste, sein Körper vibriert, der Trainer der Frankfurter Eintracht wippt mit dem Kopf wie ein Headbanger in Reihe eins beim Metallica-Konzert; sein Blick ist entrückt, der Mund weit aufgerissen; Willi Reimann, die Mensch gewordene Exaltation. So sieht es also aus, wenn Totgesagte auferstanden sind. 20 Minuten später ist der Spuk vorüber, erstaunlich ist die schlechte Laune des Frankfurter Fußballlehrers, der im kleinen, stickigen Pressecontainer auf dem Podium sitzt und aussieht, als müsse er in dürren Worten erklären, weshalb die Eintracht zum dritten Mal in die Zweite Bundesliga absteigen muss. Er beobachtet die Fragesteller mit einer Mischung aus Misstrauen und Argwohn. Die Fragen prasseln auf ihn ein: Ob er stolz sei auf seine Elf, beeindruckt von dieser wahnsinnigen Serie? „Wir haben uns diese Ergebnisse durch harte Arbeit erkämpft.“ Na gut, aber Genugtuung wenigstens? „Genugtuung? Weshalb?“ Weil alle die Eintracht abgeschrieben, als ins Obergeschoss verirrten zweitklassigen Eindringling tituliert haben? „Nein, wir haben immer an uns geglaubt.“ Bei so viel Realismus klingen die Zahlen wie Hohn. Die Fakten weisen Eintracht Frankfurt als Mannschaft der Stunde aus, die Hessen haben erstmals seit Anfang November einen Abstiegsplatz verlassen, haben in den fünf Spielen nach der Winterpause fast so viele Punkte (elf) geholt wie in den gesamten 17 der Hinserie (zwölf), stellen hinter den gigantischen Bremern das zweitbeste Team der Rückrunde. (…) Reimann ist noch einmal fuchsteufelswild geworden, weil er sich so wahnsinnig über Klaus Gerster geärgert hat. Der Berater von Andreas Möller, der bei Reimann nur noch in den letzten vier, fünf Minuten eine Rolle spielt, hatte in einem Interview schwere Anschuldigungen erhoben: „Reimann begegnet Möller nicht mit Respekt, sein Verhalten ist eine Unverschämtheit.“ Reimann, so Gerster, dulde „keinen Topmann, keine Götter neben sich“. Jetzt, Tage später, schlägt Reimann zurück, mit dem verbalen Dampfhammer. „Dieser Herr Gerster ist ein fürchterlicher Schmutzfink, ein ganz, ganz dummer Mensch.“ Er, Reimann, könne es nicht verstehen, dass „solchen Arschlöchern der rote Teppich ausgerollt, eine Plattform geboten wird“. Die Äußerungen von Gerster seien eine bodenlose Unverschämtheit. „Solche Leute gehören vom Hof gejagt, und zwar geteert und gefedert.“ So ist das bei der Eintracht in Frankfurt: Wer keine Probleme hat, macht sich welche.“
VfB Stuttgart – Schalke 04 0:0
Martin Hägele (SZ 1.3.) reibt sich den Schlaf aus den Augen: „Um die Leistung von Frank Rost, Rudi Völlers Nummer drei im Tor, zu beschreiben, bleiben nur zwei Szenen. Einmal köpfelte ihm Kuranyi den Ball in die Hände, und in der 78. Minute schob ihm der Schweizer Marco Streller die Kugel gegen das rechte Bein, anstatt richtig draufzuhauen oder mit einem sauberen Pass das fast sichere 1:0 einzuleiten. Auf der anderen Seite musste Timo Hildebrand, in der derzeit kräftig debattierten Torhüter-Hierarchie auf dem Rang hinter Rost platziert, überhaupt keinen einzigen Ball parieren. Schon deshalb passte Rudi Assauers Spruch, es sei noch nie so leicht gewesen, in Stuttgart zu gewinnen, nicht unbedingt zu den sportlichen Kräfteverhältnissen. Der Manager hätte liebend gern an jener Stätte einen Erfolg gefeiert, wo er mittlerweile als Staatsfeind gilt. Dass sich weder Trainer Felix Magath noch die zwei Jungnationalspieler Andreas Hinkel und Kevin Kuranyi von ihm unter das Dach der Schalker Arena locken ließen und VfB-Abwehrchef Marcelo Bordon wohl erst ab Sommer 2005 dort seine vier Millionen Euro pro Jahr abholen kann, hat Assauers Selbstbewusstsein stark zugesetzt. Seither mosert er, wann immer er kann, am Stuttgarter Modell und der Rolle des Teammanagers Magath herum. „Sie werden schnell erleben, dass diese Kiste schief geht.“ Felix Magath ließ sich von den Provokationen in einem Interview am Spieltag nicht provozieren: „Wenn ich auf die Tabelle schaue, stehen wir klar vor Schalke; und das, obwohl die einen sehr guten Trainer und einen Manager haben.““
1. FC Köln – 1860 München 1:3
Kreuzverhör im Stil von Staatsanwälten
Christian Zaschke (SZ 1.3.) beschreibt Kölner Klugscheißer: „Es gab vor über zehn Jahren eine Sendung namens „Der heiße Stuhl“. Es war eine sehr schlechte Sendung, die auf Krawall aus war, und die Menschen, die freiwillig auf diesem Stuhl Platz genommen hatten, waren anfangs ziemlich überrascht, als der Moderator sie nicht befragte, sondern fortwährend anklagte. Sie mussten irgendwelche Thesen vertreten (etwa „Volksmusik ist Volksverdummung“), die ihnen dann vom Moderator und einem aufgeheizten Studiopublikum um die Ohren gehauen wurden. Die Sendung wurde abgeschafft, weil der Radau auch den größten Freunden von Radau zu blöd wurde. Am Samstag gab es unverhofft eine weitere, wenn auch inoffizielle Folge der Sendung. FC-Trainer Marcel Koller hatte auf dem Stuhl Platz genommen. Seine These: „Ich habe mit drei Stürmern gespielt.“ Die Reporter der Kölner Zeitungen trauten ihren Ohren nicht. Koller sagte: „Wieso? Wir hatten den Christian Springer mit vorne und den Albert Streit auf dem Flügel. Das ist seine Lieblingsposition.“ Erst fragten die Kölner Reporter beharrlich nach den Stürmern, dann fragten sie etwas aufgebrachter, schließlich gingen sie Koller offensiv an. Das seien nun wirklich keine Stürmer, Streit und Springer, wie man überhaupt so aufstellen könne, das ginge nicht, überhaupt nicht, und außerdem sei die Einkaufspolitik in der Winterpause verfehlt gewesen. Die versammelte Kölner Presse warf Marcel Koller in rauem Ton vor, alles falsch gemacht zu haben, und der Schweizer Trainer antwortete den immer neuen Anklagen mit immer leiser werdender Stimme, er rechtfertigte sich. Falko Götz, Trainer des TSV 1860 München, saß derweil drei Meter weiter auf einem Stuhl, der heiß war wie der Südpol: Niemand stellte ihm eine Frage. So hatte Götz Zeit, sich das Schauspiel in Köln ganz genau zu betrachten. Manchmal wirkte er erstaunt über die Härte der Kritik, bald schaute er überrascht, dass sein Kollege Koller so geduldig antwortete und versuchte, die katastrophale Leistung der Kölner Mannschaft in der ersten Halbzeit zu erklären. Schließlich verabschiedete sich Götz vorzeitig, weil er zum Flugzeug musste, und Marcel Koller blieb allein zurück auf seinem Stuhl, als Trainer des Tabellenletzten, ohne Erklärung, ohne Hoffnung, deprimiert. Im Stile von Staatsanwälten, die ihr Ziel im Kreuzverhör erreicht haben, stellten die Kölner Journalisten keine weiteren Fragen.“
Jörg Stratmann (FAZ 1.3.) ergänzt: „Rettende Hilfe müßte nun schon wundersame Formen annehmen. Also setzen die engsten Vereinsfreunde alle Hoffnung auf diesen Montag. Wird die einstige Fußballgröße Wolfgang Overath das Angebot des schlingernden Vereins endlich annehmen und Vizepräsident werden? Oder beläßt er es dabei, wie er es über die Jahre gehalten hat, seit er die aktive Laufbahn aufgab? Zwar bei jedem Heimspiel auf seinem Stammplatz zugegen, hin und wieder auch mit Anregungen zu vernehmen, doch niemals in der Verantwortung? An diesem Montag tagt der Verwaltungsrat. Und dessen Vorsitzender Helmut Haumann und FC-Präsident Albert Caspers erwarten, daß sich der 81malige Nationalspieler endlich wieder aktiv zum Verein bekennt. Wobei Overath selbst, als ballverliebter Solist und Kritiker der Kollegen bei Spielen seiner Traditionsmannschaft immer noch berüchtigt, offenbar bereit wäre, wenn er sein eigenes kölsches Team mitbringen könnte. Dazu sollen neben Hannes Löhr, dem einstigen Torjäger, der lange die U 21-Nationalmannschaft betreute, auch Jürgen Glowacz, derzeit Leiter einer Fußballschule, und Stephan Engels gehören, der nach seiner Profikarriere auch schon mal Übergangstrainer des FC war. Sie allen sollen Berater werden. Und ohne sie, so soll Overath, Weltmeister von 1974, gesagt haben, mach‘ ich es nicht. Selbst mit solch geballter Fußballkompetenz, mit dem Idol als sportlichem Generalbevollmächtigten und seiner späteren Beförderung zum allmächtigen Präsidenten wäre natürlich der Abstieg keinesfalls automatisch vermieden. Doch die rheinische Lebensphilosophie sieht für schwere Zeiten auch Selbstreinigungskraft vor. Das Glaubensbekenntnis Es hätt noch ewwer jotjejange hat zwar gerade im Fußball über die letzten Jahre sehr gelitten. Doch diesmal wird es kurzerhand uminterpretiert in ein Wort, mit dem auf dem Boulevard ein anonymer Freund Overaths zitiert wird: Es sei doch, heißt es da, ein himmelweiter Unterschied, ob Herr Caspers vor der Mannschaft steht oder ein ehemaliger Nationalspieler, vor dem die Spieler Respekt haben. So jedenfalls könne man vielleicht noch einige Prozent mehr an Einsatz herauskitzeln. Man muß wahrscheinlich mit den Unwägbarkeiten kölschen Fußballs aufgewachsen sein, um selbst für diesen Fall darauf zu hoffen, daß die Saison noch glimpflich ausgehen könnte. Dem unvoreingenommenen Beobachter der abermaligen Niederlage bot sich dagegen das Bild einer zweitklassigen Mannschaft.“
Hamburger SV – Bayer Leverkusen 3:1
SZ (1.3.): „Über Bayer Leverkusen wundert sich schon seit Jahren niemand mehr, seitdem diese Mannschaft selbst in überaus erfolgreichen Spielzeiten beharrlich Titelgewinne verweigert, dabei manchmal sogar den schönsten Fußball seit Dekaden aufführt – um im Jahr darauf beinahe abzusteigen. Diese Saison überrascht das Werksteam mit einer neuen Variante des Scheiterns, indem es nach einer durchaus gelungenen Hinserie mit Beginn der Rückrunde einfach den Dienst einstellt. Nur ein kümmerliches Pünktchen steht auch zu Buche, kein Team weist nach fünf Partien im Jahr 2004 eine schlechtere Bilanz aus. In Hamburg führte dies dazu, dass einige Dutzend Bayer-Fans die Abreise der Mannschaft verhinderten. Dabei hatten sich die Leverkusener Profis und ihre besseren Hälften ziemlich schick gemacht für einen Musical-Besuch am Abend in Hamburg. Erst nachdem Kapitän Jens Nowotny und der gewöhnlich eher unbeschäftigte Sportdirektor Jürgen Kohler der pöbelnden Kundschaft gut zugeredet hatten, konnte der Bus die Sperren passieren. Eine massive Leistungsblockade hatte zuvor verhindert, dass Bayer seinen jähen Absturz hätte stoppen können.“
VfL Bochum – Hansa Rostock 0:0
Vom Blaumann der Geschichte gestreift
Christoph Biermann (SZ 1.3.) fordert die Bochumer zu gewohntem Teamgeist auf: „Waren die Bochumer in den letzten Wochen leicht wie im Tüllkleid über die Plätze getanzt, wurden sie am Samstag vom Blaumann der Geschichte gestreift. Als hätten die Spieler des VfL Bochum genagelte Arbeitsschuhe mit Stahlkappen an den Füßen, bollerten sie den Ball über den Rasen. Ohne Präzision, ohne Zusammenhang gelang ihnen nicht ein zusammenhängender Spielzug. Die wenigen Torgelegenheiten wurden mit schwerem Gerät eher herausgewuchtet als herausgespielt und selbstverständlich vergeben. (…) „Der Schiedsrichter wollte der wichtigste Mann auf dem Platz sein“, sagte Bochums Trainer Neururer. Der Referee pfiff sich wirklich seine eigene kleine Welt zusammen und musste froh sein, dass Martin Max in der ersten Hälfte einen Strafstoß für Rostock vergab, der aus keinem Blickwinkel einer war. Weiner verwandelte das Spiel durch zu viele Freistöße in einen Stop-and-go-Verkehr und zeigte mit sieben Verwarnungen für Bochum deren einige zu viel. Es zeigte sich an anderer Stelle, dass die Bochumer Spaßgesellschaft aus den Fugen geraten war. „Der ein oder andere Spieler ist mit einem Spieler in Kommunikation getreten, den man reglementieren will“, beschrieb Neururer kryptisch eine Szene kurz vor Anpfiff der zweiten Halbzeit. Da gerieten Sunday Oliseh und Vahid Hashemian derart handgreiflich aneinander, dass sie von ihren Kollegen getrennt werden mussten. (…) Dafür bot sich Hansa Rostock als Kandidat für den nächsten Hype der Bundesliga an. Taktisch geschickt stellte das Team fast immer Überzahl auf dem Platz her und kompensierte problemlos sogar die halbstündige Unterzahl. Hansa war weder vom kurzfristigen Fehlen des Stammtorwarts Schober noch vom vergebenen Elfmeter zu beeindrucken. „Ich muss die Mannschaft loben, sie hat echten Teamgeist gezeigt“, sagte Trainer Juri Schlünz stolz. War das nicht ein Satz, den zuletzt Neururer und die Bochumer gepachtet hatten?“
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Torschützen, Tabellen NZZ