Ballschrank
Bayerns Haussegen hängt schief
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| Donnerstag, 25. März 2004Im Fußball-Herbst trennt sich die Spreu vom Weizen, und die Bundesliga-Tabelle gewinnt an aussagekräftigen und stabilen Konturen. Die Experten (auch DFB-Teamchef Rudi Völler) sind sich einig. Für den Gewinn der deutschen Meisterschaft kommen nur zwei Mannschaften ernsthaft in Frage: der letztjährige Dritte aus München und der Titelverteidiger Borussia Dortmund. Die in der Vorsaison nur knapp am Titel gescheiterten Leverkusener werden – das kann man jetzt schon sagen – nicht mehr ins Rennen eingreifen können. Ein konkurrenzfähiger Außenseiter, der kontinuierliche Leistungen zu bringen im Stande ist, ist nicht in Sicht.
Nach dem überraschenden 3:3 gegen Hannover 96 sind die Bayern zwar nach wie vor Tabellenführer, „aber der Haussegen hängt schief“, wie nicht nur die FAZ registriert. Denn in der Champions League wartet vermutlich das Aus auf die erfolgsverwöhnten Münchner. „Hitzfeld führt einen Abwehrkampf“ sieht die SZ den Bayern-Trainer derzeit in einer gereizten defensiven Grundhaltung. Dahingegen befindet sich Borussen-Trainer Sammer, drei Punkten Rückstand zum Trotz, in einer komfortableren Lage. Seine Meistermannschaft macht momentan sowohl auf nationalem als auch auf internationalem Terrain den gefestigteren Eindruck.
Die FAS macht dafür einen langjährigen Lernprozess der Borussen verantwortlich, denn sie sind „auf leisen Sohlen auf dem Weg, so etwas zu werden wie die neuen Bayern. Ein sicherer Torwart, eine starke Abwehr, ein paar Südamerikaner, die mit dem Ball etwas anfangen können, dazu das Glück, im richtigen Moment das Tor zu treffen – so waren sie einmal, unsere Dauermeister aus München, und so sind sie jetzt, die Schwarzgelben aus Dortmund, nicht brillant, aber effektiv.“ Zudem wirkt sich offenbar das Wesen des einstigen „Leitwolfs“ Sammer auf den Stil der Dortmunder aus. Beim deutlichen 4:1-Erfolg in Bremen sah die FAZ „lauter kleine Sammers Werder das Fürchten lehren“.
Andreas Burkert (SZ 28.10.) zieht ein Saison-Zwischenfazit. „Dortmund oder die Bayern, ja, danach sieht es aus, und nicht nur die Münchner Prominenz nimmt dies leicht irritiert zur Kenntnis. Irgendwie hatten doch alle schon im Sommer den FC Bayern zum Meister ausgerufen, allein das Maß des Vorsprungs auf den Besten des Rests schien diskutabel. Doch inzwischen stehen im Freistaat die Schmeicheleien vom weißen Ballett (böse Medien) und des „stärksten Kaders aller Zeiten“ (Vorstand Rummenigge) auf dem Index wie bei Rot-Grün die Ansage „keine Steuererhöhungen“. Die Dortmunder amüsieren sich einstweilen prächtig. Unauffällig arbeiten sie an der Machtübernahme der Spitzenposition in Europa und hierzulande. So ist das schon vorige Saison gewesen, mit der man ja in der Rückschau nur noch den anmutigsten Zweiten aller Zeiten verbindet und nicht den Champion BVB. Nicht einmal das Silber der Meisterschale konnte bestehen gegen den Glanz, welchen die bayrische Premiumprofis verbreiteten. Jetzt aber verweigert das Ballett den Dienst, und von hinten drängelt ungenierter denn je die gelbe Gefahr, das synthetischste Produkt der Liga. Hundert Millionen Mark hatte die neureiche GmbH Co KGaA investiert, riskant und fast größenwahnsinnig, dachte man. Vielleicht hat der Borussia da mancher unrecht getan, vielleicht ist sie nur ein Jahr früher mutiger gewesen als die Bayern, die erst dieses Jahr ihr Kapital einsetzten. Zwar besitzt Matthias Sammer weiterhin so viel Unterhaltungswert wie Friedrich Merz. Doch dafür kontrolliert Jens Lehmann Strafraum und Nerven, und des Trainers Politik der Zurückhaltung und ehrlichen Arbeit sowie die kostspielige Individualität seines juvenilen Teams ergeben mehr und mehr eine spannende Mischung. So erlebt die Bundesliga die Renaissance jenes Duells, das die Bayern zuletzt Mitte der 90er Jahre beschäftigte.“
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 28.10.) blickt voraus. „Die Meute im Verfolgerfeld des FC Bayern könnte jetzt schön frohlocken. Aber was bringen sie denn schon zustande? Hertha ein Unentschieden, Schalke ein Unentschieden. Bremen war auf dem Sprung zu Höherem, Leverkusen hat sich bis auf weiteres aus dem Feld der Meisterschaftskandidaten verabschiedet. Von den Strukturen her, mit ihren Stadien, einem Fanpotential, das regionale Grenzen sprengt, wären Schalke, Hertha, nicht zu vergessen der HSV, Kandidaten für den Angriff auf die Großkopferten der Liga. Die bellen, aber sie beißen nicht. So bleibt es allen Turbulenzen bei den Bayern und Meister Borussia Dortmund zum Trotz bei diesen beiden als verläßlich festen Größen. Zur Erinnerung: Bei den Borussen gab es krisenhafte Erscheinungen, man kickte reichlich einfallslos vor sich hin, berappelte sich und erhält Kritiken wie jene Musterelf, als Beckenbauer und Müller noch die Stiefel schnürten. Bemerkenswert effektiv!“
SV Werder Bremen – Borusia Dortmund 1:4
Zum Einfluss ihres Trainers Sammer auf den Stil der Dortmunder heißt es bei Peter Heß (FAZ 28.10.). „Bevor sie ein perfektes Kunstwerk abliefern, wie es Leonardo da Vinci mit der Mona Lisa schuf, werden die Dortmunder Profis von ihrem Trainer kein uneingeschränktes Lob erhalten. Der Sachse, der sich als Spieler den Namen Motzki verdiente, läuft Gefahr, als notorischer Nörgler oder Miesmacher abgestempelt zu werden. Spieler könnten glauben, da ist ein Trainer, dem kann ich es sowieso nicht recht machen. Aber das nimmt Sammer in Kauf. Bevor aus Erfolg Selbstzufriedenheit wächst, haut er dazwischen. Seine Mannschaft taugte in Bremen als sechsundzwanzigbeiniger Beweis dafür, daß Sammer mit seinen Ansichten durchdringt. Dafür gab es dann sogar ein Sonderlob. Der Trainer stieß ein Hoch auf die „Galligkeit“ aus. Sammers Lieblingswort steht für Einsatz, Laufbereitschaft und den Willen, dem Gegner das Leben so schwer wie möglich zu machen. Ganz so, wie Sammer selber Fußball spielte. Die beiden, die im deutschen Fußball seiner Vorstellung am nächsten kommen, heißen Sebastian Kehl und Torsten Frings. Sammer ließ sie aus bestehenden Verträgen freikaufen, und beide sind nun die Garantie dafür, daß sich Dortmund auch durchsetzt, wenn brasilianische und tschechische Fußballkunst versagen. Auf der Defensive basiert die Borussen-Konjunktur. Sechs Gegentreffer in zehn Begegnungen der Bundesliga drücken alles aus.“
Olaf Dorow (FR 28.10.). „Werder habe zwar eine gute Mannschaft, befand Ex-Werderaner Frings, aber Dortmund habe eben die bessere. Deswegen werde der BVB am Ende auch vor dem SV Werder in der Tabelle rangieren, deswegen sei sein Vereinswechsel ein richtiger Schritt gewesen. Manchmal ist Fußball eben doch nicht wie Bingo, sondern so wie man sich das vorstellt. Dortmund hat mehr Geld, also die besseren Spieler, also gewinnt Dortmund. Dortmund hat Frings, Werder hat Ernst, der vielleicht irgendwann mal so gut sein wird wie der Vorgänger auf dieser Position. Vielleicht (…) Nun musste also der SV Werder erfahren, dass Geld irgendwie doch Tore schießt.”
Spielbericht SZ taz
Bayern München – Hannover 96 3:3
Philip Selldorf (SZ 28.10.) analysiert die Reaktionen der Münchner Verantwortlichen. „Viele Leute in Deutschland fragen sich derzeit, was schief läuft beim FC Bayern. Die meisten tun das voller Vergnügen und in der bangen Sehnsucht, sie möchten noch recht lange Gelegenheit haben, diese Frage zu stellen. Nach dem 3:3 am Samstag gegen Hannover 96 machen ihnen die amtlich bestellten Fußballdoktoren Hoffnung: Die Symptome für ein Anhalten des akut kritischen Zustands mehren sich (…) Als Ottmar Hitzfeld Rangnicks Klagen („Mit der Leistung bin ich zufrieden, mit dem Ergebnis nicht“) hörte, verfinsterte sich sein Gesicht, und sofort reihte er den Kollegen in die Phalanx der Unruhestifter, Skeptiker und Defätisten ein, von denen er sich derzeit umgeben glaubt. Auch er sei mit dem Ergebnis unzufrieden, erwiderte der Bayern-Trainer spitz und brachte mit mühsam beherrschten Ärger zum Ausdruck, dass er das Remis nicht für das gerechte Resultat halte (…) Hitzfeld konnte sich keinen wohlwollenden Blick auf Hannover leisten. Drei Tage vor dem Champions-League-Spiel bei Deportivo La Coruña herrscht wieder diese typische Blitz-und-Donner-Stimmung bei den Bayern, ein extremer Reizzustand, der Beckenbauer, Rummenigge und Hoeneß auf geheimen Wegen aus dem Stadion entschwinden lässt, damit sie nur nichts Unbedachtes sagen. Unheil und Schlagzeilen drohen mit jedem Nebensatz.“
Joachim Mölter (FAZ 28.10.) meint zum selben Thema. „Es braut sich was zusammen über dem FC Bayern München. Das Wetter wird umschlagen, es kommt mit Donner und mit Blitz, glaubt Mehmet Scholl, am Samstag der einzige Lichtblick der Bayern: „Es wird ein schönes Gewitter geben in München, wenn wir am Dienstag nicht gewinnen.“ Alles andere als ein Sieg in La Coruña bedeutet das Aus in der Champions League, und selbst ein Erfolg sollte vorsichtshalber mit zwei Toren Differenz erzielt werden, falls die Münchner am Ende noch punktgleich sein sollten mit Deportivo und der direkte Vergleich über das Weiterkommen entscheiden müßte; im Hinspiel hatten die Spanier 3:2 gesiegt. Wie der deutsche Rekordmeister in Spanien gewinnen will, hielt er gegen Hannover geheim. Der FC Bayern offenbarte sogar all seine derzeitigen Schwächen, vor allem die in der Abwehr.“
Reaktionen aus München Tsp
Interview mit Fredi Bobic FAS
Portrait Fredi Bobic SZ
Thomas Kilchenstein (FR 28.10.) kritisiert Golfspieler Kahn. „Es macht aber irgendwie nicht so einen furchtbar guten Eindruck: Wenn der verletzte Kapitän Oliver Kahn zur gleichen Zeit den Schläger schwingt, da seine ein wenig aus dem Tritt gekommenen Bayern, nicht mal den Aufsteiger zu Hause in die Knie zu zwingen in der Lage sind, dann sorgt so was nicht für ein prima Klima. Auch wenn der Trip ins Badische abgesprochen und genehmigt sein mag, auch wenn ein Oliver Kahn immer mal wieder abschalten soll, er wird für Aufregung sorgen, sicherlich für Unverständnis, womöglich auch für böses Blut. Es ist nämlich auch ein Signal: Der Kapitän ist nicht an Bord, er kriegt Extrawürste gebraten, er kann sich mehr erlauben als die anderen. Er hat eine Sonderstellung. Das ist in Zeiten, da der Ball fröhlich und immerzu ins Netz rollt, kein Problem; in den Tagen der Krise werden solche Dinge anders wahr genommen – vor allem: registriert. Und in eine Krise taumeln die Glorreichen mit Sicherheit, wenn sie, was wahrscheinlich ist, am Dienstag die Champions League abhaken müssen. Ohnehin sind sie schon dünnhäutig geworden.“
Hertha Berlin – Bayer Leverkusen 1:1
FAZ (28.10.). „Bayer Leverkusen rennt seiner Vergangenheit hinterher, Hertha BSC seiner Zukunft. Das Potential, erfolgreicher zu spielen als im Moment, haben beide Mannschaften. Doch die Teams sind auch mit sich selbst beschäftigt, am Samstag sogar miteinander. Was sollte anderes dabei herauskommen als ein Unentschieden? (…) Lediglich vor den Standardsituationen habe er Angst gehabt, gestand der Leverkusener Trainer Klaus Toppmöller. Um nach der plötzlichen Erkrankung von Carsten Ramelow nicht den 1,87 Meter großen Lucio mit der Berliner Kopfballstärke allein zu lassen, schickte er den erschöpften, aber 1,89 Meter langen Zoltan Sebescen in die Partie. Dessen Creatinkinase, die das Maß des Absterbens von Muskelzellen indiziert, habe zwar völlig überhöhte Werte ergeben, sagte Toppmöller, aber er habe ihm freigestellt, sich schon nach zehn Minuten auswechseln zu lassen. Der Lange hielt 27 Minuten durch.“
Spielbericht SZ
Matti Lieske (taz 28.10.) bedauert. „Überflüssig, extra zu betonen, wem der positive Trend zu verdanken ist, denn das wird auf dem Spielfeld mehr als deutlich. Hertha spielt inzwischen lupenreinen Huub-Stevens-Fußball. Massiv in der Defensive, Ballsicherung als oberstes Gebot, betulicher Spielaufbau. Wenig verwunderlich, dass Stevens die leichte Leverkusener Dominanz nach der Pause darauf zurückführte, dass seine Mannschaft zu ungeduldig, zu schnell nach vorn gespielt habe. Fulminanter Angriffsfußball ist im Huub-System nicht vorgesehen. Wenn hinten alles in Butter ist, so die Theorie, klappt es früher oder später auch vorn, wo man vor allem auf die Geistesblitze von Marcelinho hofft und auf Standardsituationen – wie jenen Eckball, nach dem Arne Friedrich das 1:0 köpfte. Da auch Bayer Leverkusen derzeit eine Art Huub-Stevens-Methodik pflegt, war es beileibe kein packendes Match, das sich in der tristen Baustelle Olympiastadion vollzog. Der berauschende Kombinationsfußball, mit dem das Toppmöller-Team letzte Saison Europa bezauberte, ist mit Ballack und Zé Roberto gen München gezogen – ohne allerdings dort anzukommen. In Leverkusen wird Fußball wieder gearbeitet.“
VfB Stuttgart – Energie Cottbus 0:0
Christoph Kieslich (FAZ 28.10.) sah kein schlechtes Spiel. „Über Heldentaten ist beim FC Energie Cottbus schon lange nicht mehr gesprochen worden, seit eine rasante Abwärtsentwicklung den Verein erfaßt hat. Da kommt einer wie André Lenz gerade recht: Mit einer couragierten Vorstellung feierte der frühere Aachener am Samstag im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion seine Saisonpremiere. Angenehme Folge für die Lausitzer: Der Tabellenletzte der Fußball-Bundesliga erreichte beim VfB ein unerwartetes 0:0 (…) Demgegenüber hat Felix Magaths Talentschuppen blendende Perspektiven, auch wenn am Samstag ein großer Sprung nach vorn verpaßt wurde.“
Borussia Mönchengladbach – 1860 München 0:1
Den Umgang mit dem eigenen Höhenflug der Löwen beschreibt Jörg Stratmann (FAZ 28.10.). „Nur nicht auffallen. Erfolg ja, aber bitteschön keine allzu lauten Loblieder. Fast schien es, als komme dem TSV 1860 München, diesem ewigen Mitläufer der Fußballbundesliga, das 1:0 bei Borussia Mönchengladbach höchst ungelegen. Oder zumindest der damit verbundene Samstagssprung auf Rang drei. Erstmals seit vier Jahren hat der Verein wieder solche Höhen erklommen – und wird sogleich von Schwindelgefühlen erfaßt (…) Nach gut einem Jahr von Pacults Tätigkeit spricht in München jedenfalls niemand mehr von der Ära Lorant. Pacult selbst glaubt eher einem Wort des erfahrenen Freiburger Kollegen Volker Finke, wonach sich die Handschrift eines Trainers erst im vierten Jahr zeige. Doch der Höhenflug trägt schon eigene Merkmale, insbesondere das schnelle Zusammenspiel der soliden Deckung mit Mittelfeld und Stürmern. Dabei ist Pacult eine Mischung aus der Erfahrung eines Thomas Häßler oder Davor Suker mit der Unbekümmertheit der jungen Benjamin Lauth und Remo Meyer gelungen.“
Spielbericht SZ
Schalke 04 – 1. FC Nürnberg 1:1
Gerd Schneider (FAZ 28.10.). „Noch erstaunlicher als die einfallslose Vorstellung der Königsblauen waren indessen die Reaktionen ihrer Führungskräfte. Obwohl die Schalker momentan von ihren Ansprüchen so weit entfernt sind wie lange nicht, gab sich Trainernovize Frank Neubarth so gelassen, als hätte er auch noch Geschmack gefunden an der fußballerischen Durchschnittsware.“
Spielbericht SZ
Arminia Bielefeld – Hamburger SV 2:1
Jens Bierschwale (SZ 28.10.). „Für den Auftritt des HSV an diesem tristen Nachmittag im Ostwestfälischen war es bezeichnend, dass sich die aufregendste Szene nach der Partie abspielte. Zuvor hatten sich die Hamburger lange Zeit so gegeben, als hätte die Begegnung mit dem Aufsteiger den Charakter einer emotionslosen Pflichterfüllung. Ohne jeglichen Esprit versuchten sie, die frühe Führung der Hausherren durch Mamadou Diabang zu egalisieren und demonstrierten dabei auf drastische Weise, woran es ihnen dieser Tage vor allem mangelt: an jemandem, der ein Spiel führen und leiten kann, der das Tempo vorgibt.“
Europäischer Fußball: Resultate – Torschützen – Tabellen NZZ
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