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BVB im Big Business

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für BVB im Big Business

„Erstaunlich ist, dass der BVB im Big Business noch immer einen Fuß auf der roten Erde hat, dass sich aus der Ursprünglichkeit und Leidenschaft der Menschen auf den steilen Rängen und der clever zusammengekauften Elf kein unüberbrückbarer Widerspruch ergibt, sondern eine spannende Mischung. All die sonnigen Ballzauberer Brasiliens und tschechischen Fußball-Bohemiens, die angeworbenen deutschen Jungstars und die bestens versorgten Alt-Internationalen hätten hier keine Chance, wenn sie nicht ehrlichen Fußball mit einem Schuss Leidenschaft vortragen würden. Diese als kapitalistisches Gespenst gefürchtete Schöpfung befriedigt die Bedürfnisse des Dortmunder Fußball-Proletariats trefflich. Weil es lebt, quietschfidel sogar (…) Diese Dortmunder Mannschaft ist tatsächlich ein Produkt – aber ein gutes, weil die Kundschaft sich damit identifiziert. Das spricht bei aller Sorge um die Seele des Fußballs für den Dortmunder Weg.“ (Volltext)

Jan Christian Müller (FR 06.05.02) zum selben Thema:

„Es wäre nun allerdings unfair, den Erfolg allein auf die erklecklichen Finanzmittel, die dem Unternehmen nach der Börseneinführung zur Verfügung standen, zu reduzieren. Denn parallel zur Unternehmensreform haben es Niebaum und Meier geschafft, Matthias Sammer entgegen dessen ursprünglichem Willen davon zu überzeugen, dass er als Neuling genau der Richtige ist, um die millionenschwere Ansammlung von Topstars aus verschiedenen Nationen zu einer Mannschaft zu formen. Dabei hat der ehrgeizige 36-Jährige (und damit jüngste Meistertrainer der Bundesligageschichte) es geschafft, seinen starken Willen und seine trotz seiner Jugend vorhandene Autorität auch gegen starke Charaktere wie Amoroso, Lehmann und Kohler durchzusetzen. So etwas verschafft und verdient Respekt.“

und an anderer Stelle:

„Dem neuen deutschen Fußballmeister, der Borussia Dortmund GmbH Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien, ist es gelungen, trotz Börsennotierung die Bodenhaftung zu erhalten: Die Meisterschaft als Symbiose von Geld und Gefühlen. So kam es, dass nach dem 2:1 über den noch altmodisch als eingetragener Verein organisierten SV Werder Bremen Tausende danach strebten, aufs Spielfeld zu gelangen. In Dortmund und unmittelbarer Umgebung, gar kein Zweifel, gilt die Start-up-company mit gelb-schwarz gefärbter Tradition nicht bloß als Meister der Nerven. Der Titel ist gekauft, na und? Wäre er doch von Bayer in Leverkusen auch.“

Roland Zorn (FAZ 06.05.02) über die Methoden des Meistermachers Sammer:

„Den Zeitenwandel hin zur titelreifen Zielstrebigkeit führte vor allem Sammer herbei, der sich mit dem mal nur launischen, mal schlicht genialen Bundesliga-Torschützenkönig Amoroso (18 Treffer) arrangierte; der es dazu schaffte, einen alten Weggefährten aus aktiven Zeiten wie Jürgen Kohler zeitweise auf die Ersatzbank zu versetzen, ohne dass der Abwehrchef von gestern dagegen aufbegehrt hätte; der dazu seinen eigenen Hang zum Helden der Arbeit nicht so strikt auslebte, dass darunter die schwankende Spiellaune seiner Künstlernaturen Amoroso und Rosicky nachhaltig gelitten hätte.“ (Volltext)

Freddie Röckenhaus (SZ 06.05.02) ist mit der allgemeinen medialen Bewertung über die Titelmannschaft nicht einverstanden:

„Während Leverkusen für begeisternden Angriffsfußball in Lobeshymnen baden durfte, war der weniger spektakulär siegenden BVB-Truppe der Stempel der disharmonischen Legionärstruppe aufgedrückt worden. Am Ende der Saison wurde gar die Legende gestrickt, die Dortmunder seien nicht nur die Geldsäcke, die sich den Erfolg kaufen wollten, sondern würden auch noch von den Schiedsrichtern begünstigt. Die Mediengesellschaft sucht und findet solche Gegensatz-Paare vom Guten und Bösen, vom Schönen und Hässlichen. Wir lieben die märchenhaften Simplifizierungen in Zeiten, die sonst gerne nüchtern und seelenlos daherkommen wollen (…) Gegen Bremen, die beste Mannschaft in den Duellen der ersten sechs untereinander, traute sich Sammer, zum ersten Mal mit nur einem Manndecker, nämlich dem 21-jährigen Christoph Metzelder, aufzulaufen. „Das war sehr ungewohnt und ein Risiko“, gab Metzelder nachher zu. Aber mit dieser Maßnahme ertrotzte sich Dortmund ein Übergewicht im Mittelfeld und konnte Bremen fast 90 Minuten lang unter schwersten Druck setzen. Solcher Mut im richtigen Moment ist am Fußball-Standort Dortmund wohl unumgänglich.“ (Volltext)

Felix Meininghaus (Tsp 06.05.02) erkennt in dem Spiel BVB-Werder das für diese Saison typische Spiel der Dortmunder:

„Das letzte Kapitel auf dem langen Weg zur Meisterschaft war für die Borussia wie ein Spiegelbild der gesamten Saison: Die Mannschaft zelebrierte keinen brillanten Fußball, präsentierte sich aber als kompakte Einheit, die mit großem Selbstbewusstsein und bemerkenswerter Moral bereit ist, in den entscheidenden Situationen die Nadelstiche zu setzen. Weil sie Spieler mit außergewöhnlichen individuellen Fähigkeiten besitzt.“ (Volltext)

Frank Ketterer (taz 06.05.02) wurde Zeuge einer

„orgiastischen Fußball-Fete, die es an Intensität locker mit der vorangegangenen Partie aufnehmen konnte, was keineswegs so leicht war, wie es zunächst klingt. Denn auch wenn das finale Spiel nicht wirklich hochklassig war, an Emotionen, an Spannung und Dramatik war es kaum zu übertreffen. Das hatte zum einen damit zu tun, dass beide Mannschaften mit offenem Visier kämpften und auf taktisches Geplänkel nahezu verzichteten: Dortmund stürmte und drängte meist leidenschaftlich nach vorne, Werder verteidigte nicht minder enthusiastisch.“ (Volltext)

Ralf Wiegand (SZ 06.05.02) über den Abschied eines Fußballgotts von der Bundesliga-Bühne:

„Jürgen Kohler, 36, ist der letzte aktive Absolvent der so genannten Waldhof-Schule. Dort, in der kurzen Blüte des Arbeiter- Sportvereins im schwierigen Mannheimer Stadtteil Waldhof, reifte wie in einer Akademie für Fußball-Verteidigung eine Sorte Profi, die sich zum Markenzeichen des deutschen Fußballs entwickelte: der Vorstopper.“ (Volltext)

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