Ballschrank
Titanendämmerung
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| Donnerstag, 25. März 2004alle schreiben über Oliver Kahn: „Titan a. D. – als die spanischen Fußball-Götter straucheln, fällt Oliver Kahn wie ein Denkmal“ (FAZ); „Glänzende Bayern scheitern an Kahn“ (FTD); „Titanendämmerung“ (FAZ); „er fiel wie eine alte, schwangere Frau“ (AS) – Ronaldo, „Pummel in Strumpfhosen“ (FR) u.v.m.
Der Titan ist wieder bei den Irdischen und Unterirdischen angekommen
Über Schwächen der „Galaktischen, der Außerirdischen und der Übermenschlichen“ grübelt Michael Horeni (FAZ 26.2.): „Wenn sie für 90 Minuten ihre ursprüngliche Gestalt als ganz normale Fußballspieler mit den Namen Beckham, Zidane, Figo und Ronaldo annehmen, die in der Eiseskälte von München kein Bein vor das andere kriegen, Fehlpässe statt Genialität produzieren und nicht wie Säulenheilige, sondern wie Glücksritter zurückkehren – dann gibt es ganz profan Saures. Ganz menschliche Fehler und Schwächen werden einem außergewöhnlichen Team wie Real Madrid wie bei ihrem enttäuschenden Auftritt in München kaum mehr zugestanden. Wo Götter verlieren, stürzen Welten ein. Fußball-Deutschland hat nicht eine halbe Mannschaft, sondern nur einen Spieler aus der Weltlichkeit in eine andere Sphäre überführt und ihm den Namen Titan verliehen. Die Sehnsucht nach Stärke und Unbesiegbarkeit klingt darin mit, und als Kahn für den FC Bayern München seinerzeit im Elfmeterschießen die Champions League gewann und Deutschland dann ein Jahr später in das Endspiel der Weltmeisterschaft führte, deckten sich Projektion und Selbstbild immer mehr. Ein unmenschlicher Anspruch, der aber dennoch zum Maßstab in der Wirklichkeit wurde. Nach seinem kapitalen Fehler gegen Real, nach wiederholten Schwächen wird jetzt vom Sturz des Titanen gesprochen. Der Titan ist tatsächlich für einen Tag wieder bei den Irdischen und Unterirdischen angekommen.“
Titanensturz
In einem weiteren Text beschreibt Horeni (FAZ 26.2.) den Fall Oliver Kahns: “Kahn fiel wie ein Denkmal bei einem Freistößchen aus rund 35 Metern von Roberto Carlos, und als der Ball hinter seinem malträtierten Rücken über die Linie kullerte, waren die Hoffnungen des FC Bayern auf eine sagenhafte Auferstehung schwer beschädigt – noch stärker allerdings der über viele Jahre gehegte Kahnsche Mythos. Die Götterdämmerung fiel aus, Titanensturz stand auf dem Programm. Nach unverrichteter Arbeit gab der Torwart seine Handschuhe ab. Er ließ sie irgendwo im Strafraum liegen und seine Kapitänsbinde gleich dazu. Allein, aber vor allem einsam, ging Kahn mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern in die Kabine, und manch ein Beobachter glaubte, Tränen in seinen Augen entdeckt zu haben. Wie es um die innerliche Verfassung des deutschen Fußballsymbols für Willenskraft und Arbeitswut stand, sagte schon die Körpersprache. Ansonsten schwieg Kahn erst einmal und machte sich als unfreiwilliger Helfer der strauchelnden Madrider Fußballgötter still und unbemerkt davon. Die bravourösen bayerischen Kollegen und die ansonsten hochzufriedenen Vorgesetzten bekundeten pflichtschuldigst ihre Solidaritätsadressen an einen Torwart, der sich vor dem WM-Finale 2002 zu gerne in den Stand eines Titanen erheben ließ, aber nun immer häufiger zu den Sterblichen zurückkehrt. Einstweilen steht es ganz anders um einen seiner Magie beraubten Anführer, der die Bayern nun wiederholt (beim Pokal in Aachen) und zuletzt auch die Nationalmannschaft (gegen Kroatien) vom Kurs abbrachte. In dem Moment, da der Torwart seine wiederbelebten Bayern gegen die tiefgefrorenen Künstlernaturen um den hochverdienten Lohn des Abends, wenn nicht des Jahres, brachte, drängte auch Kahns jüngste und jüngere Vergangenheit wie von selbst in den Blickpunkt. Sein entscheidender Fehler beim WM-Finale gegen Brasilien, Kahns erster tiefschwarzer Karrierepunkt, wurde nun wie durch eine unsichtbare Linie bis ins Olympiastadion verlängert – und die Diskussion über seinen Anspruch als deutsche Nummer eins vor dem erstklassigen, ungeduldigen, stichelnden und mit Arsenal siegenden Jens Lehmann erhielt neue Nahrung.“
Frank Hellmann (FR 26.2.) fügt hinzu: „Wer das Torwartspiel allein auf das Fausten von Schüssen oder Fangen von Flanken kapriziert, kommt nicht herum: Es gibt nicht nur weltweit Bessere. Kürzlich hat der Italiener Gianluigi Buffon den Deutschen als Welttorhüter abgelöst. In seiner Heimat blieb das Randnotiz. Weil Fürsprecher des FC Bayern und auch Rudi Völler ihn unaufhörlich als Besten auf dem Globus preisen; weil sich in Zeiten fehlender Typen um die Figur Kahn eine mediale Schutzburg errichtet hat. Seine sportlichen Taten werden weitgehend kritikfrei begleitet, um seine privaten Fehltritte detailliert zu betrachten – das war die heimliche Abmachung der Meinungsmacher. Die TV-Anstalten spielen mit: Ballt King Kahn dreimal die Fäuste, ist das genauso viel wert, wie wenn andere dreimal die Kugel aus dem Winkel fingern. Es ist das Wissen um die wankende Vormachtstellung und die dessen ungeachtet verbreitete Ausnahmestellung, die ihn nicht nur für Rivale Jens Lehmann angreifbar macht. In der Champions League wechselten sich Patzer (gegen Celtic) mit Paraden (gegen Anderlecht) ab. Als die Franzosen im Länderspiel willenlose Deutsche vorführen, ging der Kapitän wehrlos mit unter. Die Weltklasseform ist verlustig gegangen, als Beweis diente auch der Fehlgriff beim jüngsten Auswahlspiel in Split. Für die physische und psychische Extrembelastung holt sich Kahn den Antrieb aus dem täglichen Üben mit Sepp Maier; der Torwarttrainer ist einer der wenigen, deren Meinung Kahn akzeptiert. Vielleicht ist von Tormann zu Tormann mal der Tipp vonnöten, das sportliche Ziel realistisch zu definieren. Für Kahn kann nur heißen: nicht nach Perfektion streben, sondern etwas bescheidener, bis 2006 nationale Nummer eins zu bleiben. Das wird nun selbst für Berserker Kahn eine Herkulesaufgabe.“
Singe und weine nicht!
Peter Burghardt (SZ 26.2.) notiert die Reaktionen in Spanien: „Schadenfreude ist die schönste Freude, und am allerschönsten wird sie, wenn es um einen leibhaftigen Erzfeind geht. Den FC Bayern München mögen Real Madrid und seine Gemeinde ja ohnehin nicht, und am wenigsten mögen sie seinen mächtigen Torwart mit dem finsteren Blick. Oliver Kahn stand ihren teuren Stürmern in den vergangenen Jahren zu oft im Weg, außerdem hat er sich nicht nett benommen. Ihrem Schlussmann Iker Casillas verweigerte der blonde Germane einmal das Trikot, und statt zum 100. Vereinsgeburtstag im Bernabeu-Stadion eine Weltauswahl zu bereichern, meldete er sich verletzt und spielte auf Mallorca Golf. Manche Spanier sehen in Kahn den verbissenen Teutonen, den man fürchtet und nicht ausstehen kann. Die Zeitungen nennen ihn in einer Mischung aus Respekt und Ignoranz gerne „Khan“, als handele es sich um Dschingis Khan, den schrecklichen Mongolenherrscher. Entsprechend amüsierten sich die Blätter, als sich der merkwürdige Khan alias King Kahn dieses Ei ins Netz gelegt und das weiße Ballett vor einem weiteren Reinfall im Olympiastadion bewahrt hatte. Mit dem Namen lässt sich nämlich noch weiterer Unfug anstellen. „Kahnta y no llores“, empfahlen die Scherzbolde von Marca zum Bild des gestürzten Helden, das selbstverständlich auch sie auf Seite eins gehoben hatten. Das ist die Abwandlung eines Volksliedes mit der Textzeile „Canta y no llores“, singe und weine nicht. Die Konkurrenz von As rief zum gleichen Foto: „Danke, Alter!“, und ließ neben anderen Lästermäulern den früheren argentinischen Nationaltorwart Hugo Gatti spotten. Kahn sei ihm vorgekommen „wie eine alte Schwangere“, witzelte Gatti.“
weitere Reaktionen in Spanien Tsp
Pressestimmen aus dem Ausland FR
Andreas Burkert (SZ 26.2.) wundert sich über gute Bayern: “Am Ende reduzierte sich ein wirklich hinreißender Abend auf wenige Sekunden, und als der Uhrzeiger sie hinter sich gebracht hatte, bedeuteten sie nicht nur für Oliver Kahn ein Schockerlebnis der schweren Art. Sie machten aus einem grandiosen Fußballspiel ein Rührstück, das auch diese Frage hinterlassen mag: Waren diese Sekunden der Anfang vom Ende einer großen Torhüterkarriere? Dabei offenbarte sich beim Anblick des Duells Bayern – Real ein viel kniffligeres Rätsel als die Frage nach den Gründen für den schicksalhaften Fehlgriff eines 34-Jährigen: Wie konnte es am Faschingsdienstag zur wundersamen Verwandlung des FC Bayern kommen – von einem monatelang in Taubengrau gewandeten Team in eine vor Leidenschaft und Esprit funkelnde Formation? Bei der Lösung assistierten die Bayern-Profis unfreiwillig, und mit ihren Einlassungen lieferten sie belastendes Material für mögliche Schadenersatzklagen ihrer zuletzt regelmäßig verprellten Kundschaft. Wie Verteidiger Kovac oder Regisseur Ballack, die einräumten, ein Gegner wie Real motiviere sie eben ganz besonders. Oder wie Trainer Hitzfeld, der angab: „Real unterschätzt man nicht.“ Anders als Frankfurt und Aachen und Bochum und den HSV, gegen den ja soeben eine Weltjahresbestleistung in der Disziplin Armselige Aufführung geglückt ist. Erst der Anblick der weißen Real-Kleider verwandelte Egoisten in ein Kollektiv, dem gleich die beste Leistung seit Jahren gelang. Eine Gala als Trendwende?”
Als sei’s eine Bachforelle in der Abendsonne
„Bayern München hat durch die akzeptable Leistung, das wiedergefundene Selbstvertrauen und den Mut, über den eigenen Schatten zu springen, den Staub der letzten Wochen abgewischt“, findet die NZZ (26.2.): „War da nicht in den letzten Tagen, Wochen und Monaten von getrübter Stimmung im Team von Bayern München die Rede gewesen? Vom Hohn, mit solchen Leistungen überhaupt noch in den oberen Gefilden der Bundesliga-Tabelle zu stehen? Von der absehbaren Absetzung des Trainers Hitzfeld, am besten des ganzen Dreigestirns in der Teppichetage (Hoeness, Rummenigge, Beckenbauer)? Von Spielern ohne professionelle Einstellung, die „hauptsächlich wegen des Geldes zu den Bayern kommen“ (Beckenbauer), von altersschwachen und müden Fussballern? Triumph oder Trümmer, hiess eine Affiche vor dem hochstilisierten Duell gegen Real Madrid, vom emotionalen Ausnahmezustand eines Landes war gar zu hören. Kurzum: Die deutsche Presse hatte nicht gegeizt mit grossen Lettern, um den Seelenzustand des deutschen Meisters teilweise hämisch zu kommentieren und manchmal etwas gar vorlaut eine Inventur an der Säbenerstrasse zu verlangen. Umso erstaunter lasen sich am Aschermittwoch die hohen Worte der Glückseligkeit. Vergessen alle Kritik, ein Hoch dem Lobgesang – auf die Wiedergeburt des deutschen Fussballs, begründet auf einem 1:1 gegen die kläglich schwachen Madrilenen. Vielleicht ist dies der Moment, dem Freistaat in Erinnerung zu rufen, dass mit diesem Ergebnis allein in zwei Wochen in der spanischen Metropole noch kein Staat zu machen ist. Vielmehr bedarf es, in einem nochmals gesteigerten Masse, typisch deutscher Fussballtugenden: Wille, Kondition und strapazierfähige Nerven. Eine Möglichkeit, die sich den zähen Deutschen im Bernabeu auch bietet: das künstlerische Ensemble des Heimklubs derart lange nerven, bis es in sich zusammenfällt. Eine weitere: Der tausendarmige Torhüter Kahn, die tragische Figur im Hinspiel, taucht wie schon so oft wie ein Fischreiher nach links und rechts, um den zappelnden Ball mit einer Hand zu fangen, als sei’s eine Bachforelle in der Abendsonne. Dieser Ausgleichstreffer sieben Minuten vor Schluss war der reiche Lohn der Müssiggänger aus Spanien, deren weisse Trikots diesmal so wenig strahlten, als sei der Waschtag verschoben worden. Die genialsten Fussballer der Welt, vereint in einer Interessengemeinschaft, waren in München nicht einmal fleissige Handwerker, derart lustlos und wenig inspiriert spulten Zidane, Raul, Figo, Ronaldo und Beckham ihre Pensen herunter – als sässen sie in Gedanken schon bei der nächsten Paella oder beim Haar-Stylisten.“
Pummel in Strumpfhosen
Thomas Kilchenstein (FR 26.2.) spottet über Königliche: „Wahrscheinlich wird das in München in Erinnerung bleiben vom besten Stürmer der Welt: dass er seine Salbe vergessen hat, die ihm die Füße wärmt. Eine Salbe? Viele werden gar nicht gewusst haben, dass es so eine Salbe gibt. Jetzt weiß man es. Wahrscheinlich ist es eine, die Rheumakranke auf ihren maladen Rücken schmieren. Die bitzelt schön, und sie macht warm. Gegen diese sibirische Kälte, die da herrschte im Olympiastadion, etwa zwei, drei Grad unter Null, wappnete sich der Brasilianer – als einziger – mit einer schwarzen Strumpfhose, er trug zudem dicke Handschuhe und ein langärmeliges Hemd unterm blütenweißen Trikot. Gerne hätte man dem Bedauernswerten noch eine Wärmflasche mit auf den Weg gegeben. Auch ein Schal wäre nett gewesen. Die ganze Klasse des Luiz Nazario de Lima, genannt Ronaldo, zeigte sich dann kurz vor dem heißen Pausentee: Da schoss der Dicke tatsächlich einmal aufs Tor, nicht besonders fest, zudem mit links, der Winkel war spitz, diesen Ball hatte sogar Oliver Kahn halten können, aber es war schon bemerkenswert: dass sich Ronaldo, der Lauffaule, überhaupt zu solch einer Energieleistung hatte hinreißen lassen. Seine wenigen sonstigen Versuche, irgendetwas Vernünftiges mit diesem komischen runden Ding mit den Sternen drauf anzustellen, endeten eher kläglich, manchmal drosch er im eigenen Strafraum die Bälle weg, mitunter fand sich Ronaldo auf dem Hosenboden wieder. Dann, ganz zum Schluss, hat er noch mal zu einem Sprint angesetzt. Da hat man in etwa einen Eindruck gewinnen können, zu was der Mann eigentlich in der Lage hätte sein können, wenn er ein bisschen mehr Lust gehabt hätte, wenn es etwas wärmer gewesen wäre, wenn er nicht ganz so pomadig aufgetreten wäre: Doch nach sechs, sieben Metern brach der Pummel in Strumpfhosen seinen Sprint ab und spielte den Ball quer, es war sein letzter von insgesamt 26 Ballkontakten. Nun muss man der Fairness halber hinzufügen, dass nicht nur Ronaldo aus dem Team der angeblich Galaktischen in etwa die Gefährlichkeit von Schmusebärchen in Kinderzimmern verbreiteten, er fiel dank seiner Strumpfhose nur mehr auf.“
(25.2.)
Die (NZZ 25.2.) berichtet das 1:1 zwischen Bayern München und Real Madrid: „Hielt das mit vielen Affichen hochstilisierte Aufeinandertreffen der majestätischen Madrilenen und den zuletzt im eigenen Land gar von Alemannia Aachen gebeutelten Bayern, zwischen zwei ganz grossen des europäischen Fussballs, was es versprach? Oder war es nur wieder einmal eine Kopie so mancher von der nüchternen Kalkulation bestimmter Europacup-Partien? Bedauerlicher-, aber keineswegs erstaunlicherweise traf Letzteres im kritischen Gesamturteil zu – vereinzelte technische Glanzpunkte entschädigten die 59000 Zuschauer im ausverkauften Olympiastadion ebenso wenig wie Millionen zu Hause an den Bildschirmen.Jene, die auf ein Spektakel, besonders der „Königlichen“, gehofft hatten, wurden brüsk auf den Boden der Realität zurückgeholt, der da hiess: ausgeprägte Vorsicht und Tempodrosselung als Devise des Gastteams, häufig unkontrollierte, aber wenigstens zunehmend frechere Offensive des zum Erfolg im Hinspiel gezwungenen, aber letztlich sich eben doch nicht in Topform präsentierenden, mental angeschlagenen Gastgebers. Diese Konstellation konnte letztlich auch diesmal einem offenen, an spielerischen Höhepunkten und temporeichen Ballstafetten reichen Match nicht förderlich sein. Bayern München sah die lobenswerten Bemühungen und das Aufflackern besserer Zeiten nach der Pause schliesslich mit einem 1:1-Remis sehr schlecht belohnt – vor allem dank Torhüter Kahns Geschenk im Finish. Ein Lapsus, der im Hinblick auf den Retourmatch in 14 Tagen im Bernabeu schwer wiegen kann und letztlich Real Madrid für eine desolate Leistung noch nobel entschädigte.“
morgen auf indirekter-freistoss: mehr zu diesem Spiel
(24.2.) Vor dem Spiel
„Bayern im Kreativitätsstau“ (NZZ) – „Mythos Real – eine Elf für die Welt“ (Spiegel) – Zinedine Zidane, der König der Könige – Carlos Queiroz und das Dilemma eines Trainers von Real Madrid – was wird aus Ottmar Hitzfeld? (FR) – FAZ-Interview mit Uli Hoeneß – BLZ-Interview mit Jupp Heynckes – die Lage der spanischen Vereine – AC Mailand, der Berlusconi-Klub u.v.m.
Deutschland gegen den Rest der Welt
Thomas Kistner (SZ 24.2.) erklärt die Bedeutung des Spiels aus deutscher Sicht: „Die Bayern haben nicht einen meisterlichen Auftritt hingelegt in der laufenden Saison, und das frühe Scheitern in den Champions-Gruppenspielen – wie im Vorjahr passiert – wurde diesmal nur unter Verbrauch einer Familienpackung Fortüne vermieden. Die Bayern stecken tief und fast auswegslos in der Schaffenskrise; davon, dass sich hier wie in früheren Jahren zwei große Teams auf Augenhöhe gegenüberstehen, kann keine Rede sein. Wer trotzdem so tut, bezieht sich auf alte Bayern-Propaganda und verkennt absichtsvoll die sportliche Realität. Klar, es ist der alte Klassiker. Doch den Reiz eines Duells unter Gleichen verströmt er nicht mehr. Überdies ist nicht anzunehmen, dass das weitere Schicksal eines an Real Madrid gescheiterten FC Bayern die Sportnation so sehr in Bann schlägt, dass jetzt dieses eine seiner Spiele in den gesellschaftlichen Fokus rücken muss wie sonst nur Länderspiele ab, sagen wir, WM-Halbfinalebene. Also, worum geht es noch? Wohl auch darum, dass das Selbstwertgefühl der Fußballnation auf dem Prüfstand steht, jener Gemeinschaft, die sich im Herbst hinter den Himmelstürmern des VfB Stuttgart formiert hatte. In winterlicher Tristesse zwischen Toll Collect und Steuerdesaster, Renten- und Bildungsmisere wächst erneut der Bedarf an Erweckungserlebnissen. Für solche ist der Sport immer gut. Insofern lautet diese Partie nicht nur München – Madrid, sondern auch: Deutschland gegen den Rest der Welt.“
Michael Horeni (FAZ 24.2.) prüft die Rechnung der Bayern: “Und nun der Wintersportbericht aus Bayern: Wegen heftiger Schneefälle in München verzögert sich die Anreise der königlichen Madrider Fußball-Weltauswahl, die Aussichten auf ein weißes Wunder steigen. Das Wetter haben wir bestellt, sagte Ottmar Hitzfeld ganz flockig, und es ist wirklich kein Witz, daß der Bayern-Trainer an den tollen Tagen gegen Real Madrid nun auch noch Schnee und Kälte als zusätzliche Helfer für das Duell gegen Real in Münchner Dienste gestellt hat. In den letzten Jahren, als die großen Erfolge des FC Bayern in der Champions League noch kein Schnee von gestern waren, mußte sich der Rekordmeister noch nicht so wetterfühlig wie heute geben. In der jüngsten Vergangenheit reichte die sportliche Stärke als Prognoseinstrument für herrliche Aussichten. Da redeten nur die anderen in der Meisterklasse übers Wetter – der FC Bayern sonnte sich in der eigenen Stärke. Aus diesen wolkenlosen Zeiten ist in den bisher acht europäischen Festspielen gegen Madrid eine stolze Münchner Bilanz von 6:2-Siegen erwachsen. Aber da die Tage in München nun schon länger trübe sind, scheint es so, als hätten sich die Bayern noch lieber gewünscht, daß sich die Madrider Luxusreisegesellschaft wegen ein paar Zentimetern Schnee nicht nur eine Stunde lang auf dem Flughafen ihre sündhaften teuren Beine hätte vertreten müssen, sondern daß die Real-Globetrotter bei ihrer Tour am besten gleich ganz steckengeblieben wären.“
Peter Burghardt (SZ 24.2.) analysiert die Hierarchie Real Madrids: „Jeder seiner Spieler wisse, was er vom anderen zu erwarten habe, glaubt Trainer Carlos Queiroz. Queiroz spricht Englisch, auch mit Beckham, mit dem er schon als Assistenztrainer in Manchester arbeitete. Mit Solisten allein gewinne man nicht, sagt Queiroz, „diese Männer können auch als Gruppe spielen. Das sind nicht nur Individualisten.“ Am meisten überraschte dabei, wie brav sich der Spiceboy in den Betrieb einordnete. Nicht nur erklärte Gegner von Perez’ Gigantismus ahnten das Schlimmste, als Beckham in einem Spektakel auftrat, gegen das die Präsentationen von Figo, Zidane und Ronaldo läppisch gewesen waren – selbst die ärztliche Untersuchung wurde live übertragen, das erste Interview verkaufte der vereinseigene Sender für 9000 Euro, und für einen Einkaufsbummel seiner Gattin Victoria wurden exklusiv die Boutiquen geöffnet. Um Neid zu vermeiden, hatte Perez es geschafft, sein Gehalt an das der übrigen Elite anzupassen: Beckham verdient so viel wie Raúl, Figo, Zidane und Ronaldo, sechs Millionen Euro. Der Rest, mehr als das Doppelte, stammt aus der Werbung, gerade durfte sich der hübsche David für einen Brausehersteller als Gladiator aus dem alten Rom verkleiden. Aber, siehe da, auf dem Platz macht er sogar die Drecksarbeit – am liebsten für die Weltmeister Ronaldo und Zidane. Bisweilen wirkt der Zopfträger dabei wie ein Kind, das mit seinen Helden spielen darf. Zidane und Ronaldo hält er den Rücken frei, indem er mit Guti im defensiven Mittelfeld ein Paar bildet, bei dem auch Guti sein Talent in den Dienst der Institution stellen muss. Nur am ruhenden Objekt hat Beckham meist noch Vortritt, obwohl Real Madrid auch dabei so viele Experten vereint, dass sich ein Karikaturist zu Saisonbeginn einen Stau beim Freistoß ausmalte. Als er sein Vorbild Zidane als Spielmacher vertrat, da wirkte Beckham wie ein Bremser und Zauderer. Die rechte Außenbahn überlässt er schon länger wieder dem Kollegen Figo, dessen Laune besondere Pflege braucht. Der Melancholiker aus Lissabon schien in der Rangordnung wieder eine Stufe hinabzusteigen, als nach dem Künstler aus Marseille und dem Torjäger aus Rio auch noch der Beau aus London kam. Er verlange keine Zärtlichkeit, „Real Madrid ist keine Wohltätigkeitseinrichtung, aber ich will Anerkennung für meine Arbeit“, klagte Figo, 31, neulich. Die bekommt er derzeit für gute Leistungen, trotzdem dürfte die Zeit des ersten Galaktischen bald abgelaufen sein.“
Niemand verbreitet so viel Angst und Schrecken
Walter Haubrich (FAZ 24.2.) porträtiert Ronaldo: „So wenig Ronaldo auch laufen mag, so wichtig sind die Tore, die er für Real Madrid erzielt. Gewiß, manche dieser Tore hätte auch ein anderer schießen können, etwa Raúl, die zweite Sturmspitze. Doch nicht wenige dieser oft spielentscheidenden Treffer aus schwierigen Winkeln heraus kann derzeit in Spanien nur Ronaldo erzielen. Und diese Torerfolge kommen natürlich auch den Mitspielern zugute. Da dieser 1976 in Rio de Janeiro geborene Brasilianer sich dazu noch als ein freundlicher und humorvoller Mensch gibt, ist er in der Mannschaft beliebt, obwohl er sich ein bißchen weniger anstrengt als die übrigen Weltstars bei Madrid. Die Vereinsführung übersieht seine recht chaotische und undisziplinierte Lebensführung. Hin und wieder zeigen sich Präsident Pérez und seine Mitarbeiter allerdings leicht besorgt, wenn der Brasilianer seine spektakulären Feste organisiert und dazu die Mannschaftskameraden einlädt. Kurz vor Beginn der Feten im großen Haus Ronaldos fahren dann in einer Karawane die Limousinen vor und laden zahlreiche attraktive Frauen aus dem Showgewerbe aus. Ronaldo macht kein Hehl daraus, daß er sich im Kreise von zahlreichen und schönen Frauen besonders wohl fühlt. (…) Figo wurde im Sommer 2000, Zidane ein Jahr später, Ronaldo 2002 und Beckham im vergangenen Sommer gekauft: jedes Jahr ein internationaler Superstar. Figo ist ein eleganter Dribbler, Zidane ein genialer Spielmacher, Beckham ein Freistoß- und Eckenspezialist von hohen Graden, doch niemand verbreitet so viel Angst und Schrecken wie Ronaldo, der Mann, der stets lächelt, nur so viel läuft wie nötig und dann so unverhofft wie oft zuschlägt.“
Stets angespannt
Thomas Becker Wolfgang Hettfleisch (FR 24.2.) machen sich Gedanken um Ottmar Hitzfeld: „Ottmar Hitzfeld (20 Titel), der nach Alex Ferguson (32) und Jock Stein (26) erfolgreichste Trainer der vergangenen zwei Jahrzehnte, steht wieder an einer Schwelle, scheint an seine Grenzen zu stoßen. Wie schon einmal, damals in Dortmund. Sechs Jahre war er dort Cheftrainer, danach ein Jahr Sportdirektor. Zweimal Meister, Champions-League- und Weltpokalsieger – eine prima Bilanz. Aber dann ging es nicht mehr, auch nicht als Sportdirektor. Hitzfeld ging nach München und begründete eine Bayern-Ära: vier Meistertitel, zwei Pokalsiege, Champions-League-Titel, Weltpokal. Am 1. Juli wird er sechs Jahre Cheftrainer des FC Bayern sein – oder ganz woanders. Natürlich gibt es keine Trainerdiskussion beim FCB, offiziell. Natürlich macht sich die Troika Beckenbauer/Rummenigge/Hoeneß Gedanken zur Misere. 25 Millionen Euro rückte der sparsame Schwabe Hoeneß zu Saisonbeginn heraus für die Zugänge Makaay, Rau, Demichelis – mit ernüchterndem Ergebnis. Der Pokaltitel ist schon futsch, der Meistertitel wohl auch, im Konzert der Champions-League-Größen kann man sich den FC Bayern in der derzeitigen Verfassung nicht recht vorstellen. Und was am schwersten wiegt: Es ist keine Besserung in Sicht. (…) Hitzfeld wirkt stets angespannt, bei Journalistenfragen können sich die Augen schnell zu zwei engen Schlitzen verdichten. Sein Steckbrief auf der Vereins-Homepage endet mit dem programmatischen Satz: Es gibt keinen Ersatz für Siege. Eine Zeitschrift bezeichnete den Zahnarztsohn mit den fünf Geschwistern einst als Gefühlsasketen, der sich bei Mozart und Beethoven entspannt. Der gelernte Mathematiklehrer gilt als Inbegriff des nüchternen Rechners, glaubt, dass Fußball kalkulierbar ist. Zuletzt hat er sich einige Male verrechnet. Vor einem Monat ist Hitzfeld 55 geworden – eigentlich noch genug Zeit bis zur Fußballrente. Doch sollte der FC Bayern einen Neuanfang ohne ihn anpeilen, ist es nicht einfach, sich den Erfinder des Rotationsprinzips auf einer anderen Bank vorzustellen: Bundesliga? Wohl kaum. Im Ausland? Unwahrscheinlich. In Doha, wie Effenberg jüngst vorschlug, jedenfalls bestimmt nicht. Nationaltrainer? Schon eher. Bleibt die Schweiz. Dort begann Hitzfelds Trainerkarriere beim SC Zug, als Nationalcoach gäbe es einiges zu tun.“
zu Jock Stein siehe
Ihm stehen Krawatten besser
Thomas Klemm (FAS 22.2.) porträtiert Carlos Queiroz, Trainer Real Madrids: „An Kritik der Öffentlichkeit hat sich Queiroz längst gewöhnt. Was er auch macht – er macht es falsch. Bietet er alle seine Stars wie Zidane, Beckham, Figo, Raul und Ronaldo auf, funktioniert entweder der Autopilot, wie das spanische Sportblatt As schrieb, und das Team siegt wie von alleine; verlieren die Stars, wird der Trainer als Trottel beschimpft. Verzichtet Queiroz indes mal auf eine prominente Kraft, mäkelt man an der Leistung des vom Portugiesen eingesetzten Nachwuchses herum. Es ist leicht, mir als Trainer Vorwürfe zu machen, sagt der Fünfzigjährige, der feinsinnig zwischen unsachlicher und konstruktiver Kritik trennt. Hoffentlich hilft mir Gott, das eine vom anderen zu unterscheiden. Zumindest die Mannschaft hilft ihm. Sie ist trotz wenig überzeugender Leistungen Tabellenführer in der Primera Division und steht im spanischen Pokalfinale. Die Profis behaupten, die festen Überzeugungen ihres Trainers zu akzeptieren (…) Queiroz Vertrag läuft noch eineinhalb Jahre, doch immer wieder wird gemunkelt, daß er schon nach dieser Saison zum Gehen genötigt würde. So ist Jorge Valdano oft damit beschäftigt, alle Spekulationen um den Trainer abzuwiegeln. Am schwersten fiel es dem Madrider Sportdirektor Anfang November nach dem 1:4 beim FC Sevilla. Der Trainer suchte eine riskante Lösung für ein schwieriges Problem, nahm der Sportdirektor den Übungsleiter in Schutz, weil Queiroz notgedrungen die Abwehr umbaute. Zum Leidwesen des unerfahrenen Ruben, jüngst von Borussia Mönchengladbach ausgeliehen, den Queiroz nach nur 26 Minuten vom Feld holte – beim Stand von 0:3. Das Talent weinte hemmungslos, und der Trainer verteidigte auch im nachhinein seine Aufstellung. Queiroz vergaß, daß sein Hauptverdienst darin liegt, daß ihm die Krawatten besser stehen, schrieb die Zeitung AS; eine Anlehnung an die verbreitete Meinung, der Real-Präsident habe den Trainer nur geholt, weil der attraktive Portugiese in den Medien besser ankomme als sein erfolgreicher, aber oft mürrisch wirkender Vorgänger Vincente del Bosque.“
Sehr schön! Ralf Itzel (taz 24.2.) ergänzt: “Der Neue leistet also Arbeit und hat doch einen schweren Stand in der Presse. Die war mit Vorgänger del Bosque eng verbunden und hat nun immer irgendetwas auszusetzen. Allen werde er es eben nie recht machen können, sagt Queiroz schulterzuckend und wartet dazu mit einer Fabel vom Kind, dem alten Mann und deren Esel auf: Wenn das Kind oben sitzt, wird kritisiert, dass der schwache Alte zu Fuß gehen muss. Sitzt der Alte oben, heißt es: das arme Kind. Gehen beide, werden sie für dumm gehalten, denn warum haben sie dann überhaupt einen Esel? Und sitzen beide oben, dann schimpfen die Tierschützer.“
Andreas Burkert (SZ 24.2.) beleuchtet die Lage Bayern Münchens: “Wenn der FC Bayern nicht doch noch Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof einlegt, passiert heute Abend, 20.45 Uhr, tatsächlich dies: Referee Terje Hauge, ein fraglos winterfester Norweger, pfeift das Spiel an. Was nun? Nun, in dieser vermeidlich aussichtslosen Lage tun die formschwachen Bayern das, was sie eigentlich nie tun: Sie machen sich kleiner, als sie momentan ohnehin wirken. Eine Chance zu nutzen, die angeblich gar nicht vorhanden ist, diese von Demut geprägte Politik kultivierten die Münchner in den letzten Tagen vor dem großen Duell eindrucksvoller als jeder Pokalgegner des FC Bayern zuvor. Selbst namhafte Auguren aus dem Verein beziffern die Möglichkeit, sich wundersam fürs Viertelfinale der Champions League zu qualifizieren, als verschwindend gering. Zwischen knapp zehn (Vorstandschef Rummenigge) und allerhöchstens dreißig Prozent (Klubpräsident Beckenbauer) liegen die schüchternen Erfolgsprognosen. Franz Beckenbauer fürchtet dabei mehr als das Erlebnis einer Niederlage, er sorgt sich gar um das Ansehen des viermaligen Meistercupsiegers, wenn er sagt: „Ich hoffe, es gelingt uns, dass wir ein adäquater Spielpartner sind.“ Selbst der stoischste Fürsprecher des Teams predigt Bescheidenheit. „Normalerweise könnte ich keine elf Spieler zusammenbringen“, hat Ottmar Hitzfeld gesagt. Er spielte damit nicht auf die erhebliche Verletztenliste an. Sondern auf die aktuelle Verfassung seiner Profis. (…) Das Wetter, die Außenseiterrolle und das Zahlenwerk der Statistik (neun Siege in 14 Duellen mit Real, zuhause vier in vier Champions-League-Spielen), viel mehr hat der FC Bayern diesmal nicht an Argumenten in eigener Sache vorzubringen.“
Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 24.2.) fügt hinzu: „Sollte der Mannschaft hier nicht der Umkehrschwung gelingen, so wird an der Säbener Straße, eingeleitet von einem gewaltigen Wändewackeln, ein neues Zeitalter beginnen. Die Zäsur im sportlichen Bereich ist überfällig. Dem mit zehn Titeln hoch dekorierten Trainer Ottmar Hitzfeld, dessen Vertrag noch bis 2005 läuft, die Tür zu weisen entspräche nicht dem Stil des gegenüber verdienten Würdenträgern stets generösen FC Bayern. Die Auslese wird eher die Mannschaft treffen. Sofern man die Ansammlung von begabten Kickern noch Mannschaft nennen darf. Schon lange demonstriert dieses poröse Gebilde ein Selbstvertrauen, das eigentlich nur noch in der Erinnerung existiert. Verzagen und Angst vor dem Versagen spricht aus ihren Gesichtern.“
In Sachen David Beckham habe ich meine Meinung geändert
FAZ-Interview mit Uli Hoeneß
FAZ: Welcher Spieler von Real würde überhaupt zu Bayern kommen und nicht gelangweilt abwinken?
UH: Wenn wir die gleichen Gehälter wie Real zahlen würden, glaube ich nicht, daß ein Spieler nein zum FC Bayern sagen würde. Natürlich hat Real Madrid Superspieler in seiner Mannschaft, und der Klub besitzt einen unglaublichen Mythos, da sind sie uns gegenüber im Vorteil. Aber am Ende geht es ums Geld. Wir sind jedoch im Gegensatz zu vielen anderen im Fußballgeschäft nicht bereit, Schulden zu machen.
FAZ: Reals Sportdirektor Jorge Valdano hat gesagt, ein Charakteristikum von Real sei von jeher, daß der Klub seiner Zeit voraus sei und nun mit den Superstars . . .
UH:. . . lange Jahre war Real der Zeit überhaupt nicht voraus. Da haben sie nur gemacht, was alle anderen auch gemacht haben: nämlich Schulden – bis sie dann das Trainingsgelände verkauft haben. Im Moment aber bekleckern sie sich schon ein bißchen mit Ruhm. Aber der richtige Ruhm kommt für mich erst, wenn es ihnen wirklich gelingt, zu ihren sportlichen auch wirtschaftliche Erfolge hinzukommen zu lassen.
FAZ: Das Gefühl, daß die Bayern den Zug der Zeit verpassen könnten, beschleicht Sie nicht?
UH: Können Sie mir den Zug der Zeit erklären?
FAZ: Real sagt: In Superstars investieren und die Konzeption global auslegen.
UH: Der Zug der Zeit ist doch nur die Bereitschaft, die Konzeption fremdzufinanzieren. Wenn das der Zug der Zeit sein soll, und das glauben Sie doch wohl selbst nicht, dann mache ich mein Büro zu und gehe. Aber ich will kein Öl ins Feuer gießen. Ich habe nämlich mit Real Madrid meinen Frieden geschlossen.
FAZ: Nach der Verpflichtung David Beckhams im Sommer haben Sie diesen Transfer als Zirkusnummer bezeichnet – dummerweise bekommt man für die Zirkusvorstellungen seit zwei Jahren keine Karten mehr – und sportlich läuft die Sache auch.
UH: In Sachen David Beckham habe ich meine Meinung geändert. Das ist der erste Transfer von allen, den Real gemacht hat, der refinanziert ist. Durch die Figur Beckham und seine Frau läuft das ganze Ding. Ich weiß von Adidas, wieviel Trikots sie verkaufen – und außerdem spielt er noch gut, was ich ihm in dieser Rolle im defensiven Mittelfeld auch nicht zugetraut hätte. Deswegen habe ich meine Meinung revidiert und meinen Hut vor diesem Transfer gezogen.
(…)
FAZ: Was bedeutet es für den europäischen Fußball, wenn ein Klub wie Real Madrid sich in eine andere Sphäre verabschiedet?
UH: Real hat eine Sonderrolle nicht nur in Europa, sondern in der Welt. Es ist die beste Mannschaft seit dem Real-Team aus den fünfziger Jahren. Es ist eine Mannschaft, die auf dem Papier in wichtigen Spielen eigentlich nicht zu schlagen ist. Ich hoffe, daß unsere Spieler diesen besonderen Reiz erkennen.
FAZ: Sportdirektor Valdano behauptet, Real verliere nie aus technischen, sondern nur aus mentalen Gründen. Wann konnten Sie so etwas zuletzt über den FC Bayern sagen?
UH: Nie. Das konnten wir nicht einmal in den großen siebziger Jahren mit Franz Beckenbauer behaupten. So eine Dominanz, wie sie Real mit seinem Kader derzeit demonstriert, hat es seit Puskas und di Stefano nicht mehr gegeben. Dies ist eine logische Entwicklung, weil bei Real von oben als Kriterium klar vorgegeben wird, das Beste aus aller Welt für die offensiven Positionen zu holen.
FAZ: Der FC Bayern dagegen hat sein Konzept des FC Deutschland mittlerweile aufgegeben, weil es nicht trägt.
UH: Es trägt noch nicht. Die Entwicklung von Deisler konnte keiner voraussehen. Aber wir wollen auch gar nicht der FC Deutschland sein, sondern wir versuchen, national die Nummer eins zu sein und in Europa zu den fünf besten Vereinen zu gehören.
FAZ: Davon ist Bayern derzeit jedoch weit entfernt – eine gesichtslose Mannschaft, die keinen Schrecken mehr verbreitet.
UH: Tatsache ist, daß wir nicht die Leistung zeigen, die von uns erwartet wird. Aber Sie können sicher sein, daß wir in den letzten Monaten die richtige Analyse erstellt haben. Wir glauben, die Ursachen zu kennen, und hoffen jetzt, irgendwann die Trendwende zu schaffen.
Zidanes und Pavones
Ralf Itzel (FR 23.2.) erklärt das Erfolgsmodell Real: “Jorge Valdano ist von Beruf Sportdirektor bei Real Madrid – und aus Berufung Schriftsteller und Schöngeist. In seiner Heimat Argentinien sind Doppelpass und Dichtung seit den Tagen des herrlich verrückten Nationaltrainers Cesar Luis Menotti durchaus vereinbar. Ein halbes Dutzend Bücher hat der Señor aus Santa Fe über Fußball geschrieben, und manche Abhandlung ist wahre Poesie. Kein Wunder also, dass er die Sportpolitik seines Präsidenten in die griffigste Formel packte. Real Madrid, sagte Valdano einmal, das bedeutet Zidanes und Pavones. Die Gleichung ist in Spanien zum geflügelten Satz geworden. Er beschreibt die Strategie von Real-Boss Florentino Perez, einerseits auf Weltstars (Zidanes), andererseits auf den eigenen Nachwuchs (Pavones) zu setzen. Das hätte sich Francisco Pavon, 24, auch nicht träumen lassen, dass sein Name zum Etikett einer ganzen Generation würde. In der Saison 2001/2002, dem Premierenjahr Zidanes in weiß, schaffte der Verteidiger den Sprung ins erste Team, und seither steht Pavon, Mehrzahl Pavones, für alle, denen der Aufstieg aus der Cantera, der Talentschmiede, gelingt. Und das sind eine ganze Menge. Der neueste Pavon heißt Alvaro Mejilla und debütierte neulich mit Erfolg in einem Pokalspiel im defensiven Mittelfeld. Die Herren Perez und Valdano stiegen anschließend extra zum Gratulieren in die Kabine hinab. Im Schatten der Berühmtheiten reifen weit mehr Eigengewächse als im Ausland angenommen. Real eine zusammengekaufte Söldnertruppe? Einerseits ja, andererseits überhaupt nicht. Die Hälfte des Kaders ist hausgemacht und überwiegend in Madrid geboren. Torwart Casillas, noch keine 20, als er den ehemaligen deutschen Nationaltorwart Bodo Illgner verdrängte, Mittelfeldspieler Guti und Stürmer Raul, der mit 19 schon Nationalspieler war, sind die Bekanntesten, dazu kommen Leute wie Pavon, Raul Bravo, Portillo, Miñambres oder Borja.“
Es gibt nichts Dankbareres, als einen Spieler wie Zidane zu haben
BLZ-Interview mit Jupp Heynckes, Ex-Trainer Bayern Münchens und Ex-Trainer Real Madrids
BLZ: Ist es ein Traum oder ein Albtraum, so eine Mannschaft zu trainieren?
JH: Es ist nicht einfach, immer den maximalen Erfolg erreichen zu müssen, aber gegen Real gibt es nicht viele Argumente. Abwehrsorgen hin oder her: Es gibt nichts Schöneres, als die besten Spieler der Welt zu trainieren.
BLZ: Aber ist nicht gerade das etwas, was in Reals Geschichte auffällt? Der Verein und die Spieler sind immer größer als der Trainer.
JH: Es hat immer große Trainer gegeben bei Real und …
BLZ:… was Qualität und Namen angeht, ja. Aber es geht um den Stellenwert: Der große Trainer ist für den Mythos oder die Marke Real traditionell weniger wichtig als der große Spieler.
JH: Für meine Zeit stimmt das auf jeden Fall. Mein Vorgänger war Capello, er war ein Jahr da, ist Meister geworden. Davor war Valdano da, anderthalb Jahre, er ist auch Meister geworden. Nach mir kam Hiddink, der war sieben Monate da, dann kam Toshack, der hat es auf acht Monate gebracht. Daran können Sie sehen, dass das eine ziemlich unruhige Zeit war. Unter Präsident Perez ist das besser geworden, aber bei Real ist es eben so, dass nicht einmal Erfolg vor Entlassung schützt.
BLZ: Hat ein Trainer bei Real überhaupt Einfluss auf die Personalpolitik?
JH: Naja, man bespricht alles, aber es kann dann trotzdem passieren, dass der Präsident einen Spieler holt, der eher ins Marketingkonzept passt als in die Mannschaft. Aber man beschwert sich dann als Trainer nicht. Man denkt: Okay, eigentlich bräuchte ich einen Abwehrspieler, aber mein Gott, dann nehm‘ ich halt den Beckham.
BLZ: Der ist ja auch nicht schlecht.
JH: Und ich sage Ihnen noch was: Solche großen Spieler sind in der Regel leicht zu führen.
BLZ: Tatsächlich?
JH: Es gibt nichts Dankbareres, als einen Spieler wie Zidane zu haben. Erstens ist er bis heute ein bescheidener Mensch geblieben, und zweitens müssen Sie ihm als Trainer nicht viel sagen, so verantwortungsbewusst ist er. Das gilt in gleichem Maße für Beckham oder Raúl.
BLZ: Wer ist für Sie der Größte unter Reals Großen?
JH: Zidane. Wenn man bedenkt, dass er 1,85 Meter groß ist und dann diesen koordinativen Ablauf sieht, diese Raffinesse, diese Inspiration, dann muss man sagen, das kommt der Perfektion schon sehr nahe.
BLZ: Und Beckham?
JH: Ich habe im Gegensatz zu vielen anderen nie Zweifel gehabt, dass er es bei Real schafft. Er ist ja ein unglaublich intelligenter Spieler, und er hat von Anfang an gewusst, dass es keinen Sinn macht, auf dem rechten Flügel Figo herauszufordern. Er spielt stattdessen im rechten Mittelfeld, und da gibt er nicht nur den Virtuosen, sondern auch den Arbeiter. Es weiß ja fast keiner, dass Beckham bei Manchester immer der ausdauerstärkste Spieler war. Das ist ein phänomenaler Fußballer, ein Traum für jeden Trainer.
BLZ: Sie haben Real Madrid trainiert, mit Assen wie Roberto Carlos, Mijatovic, Raúl oder Redondo, und Sie haben München trainiert. Was ist anders?
JH: Ich will die Klubs nicht vergleichen im Sinne von besser oder schlechter. Beide Klubs stehen für außergewöhnliche Tradition und außergewöhnliche Erfolge. Aber jeder Klub hat seine eigene Philosophie. Real hat in jeder Ära die besten Spieler der Welt gehabt, beim FC Bayern ist das in der jüngsten Vergangenheit sicher nicht der Fall. Dafür ist Bayern aber der bestgeführte Verein in Europa. So wie sie in München den Erfolg über Jahrzehnte verwaltet haben, hat das keine andere Mannschaft geschafft.
BLZ: Auch nicht Real?
JH: Nein, in Madrid gab es immer mal Phasen, wo der Erfolg ausblieb, wie beim AC Mailand, bei Juventus Turin, bei Ajax Amsterdam. Bei Bayern kam vielleicht mal ein Dellenjahr dazwischen, aber nie mehr. Das ist eine Kunst.
BLZ: Real ist erhabener, Bayern solider?
JH: Bayern hat mehr Kontinuität. Die führenden Köpfe wie Uli Hoeneß oder auch Geschäftsführer Karl Hopfner sind seit Jahrzehnten dabei. Bei Real ist nicht immer alles strategisch geplant worden, in Spanien macht man mehr mit Intuition. Da sind Mannschaften, die sehr erfolgreich wurden, oft mehr aus der Situation heraus entstanden. Erst jetzt sind mit Perez und Sportdirektor Valdano kluge Strategen am Werk.
BLZ: Lässt sich das Binnenklima der beiden Klubs vergleichen?
JH: Eines ist ganz auffällig: Bei allem Gewinnstreben haben beide Klubs eine starke soziale Komponente. Es gibt so eine Art Großfamiliengefühl.
Der Rausch um Real Madrid hat eine im Weltsport einmalige Dimension erreicht
Sehr anschaulich! Michael Wulzinger (Spiegel 23.2.) berichtet die Popularität Real Madrids: „In dem Hochgeschwindigkeitszug AVE 9636, der am Dienstag vergangener Woche in zweieinhalb Stunden von Madrid nach Sevilla raste, herrschte eine gedämpfte Atmosphäre. Kaum einer der Reisenden hatte bemerkt, dass in einem der Waggons die Fußballprofis von Real Madrid saßen – die Mannschaft war auf dem Weg zum Halbfinal-Rückspiel der Copa del Rey gegen den FC Sevilla. Bei der Ankunft in der andalusischen Metropole indes zeigte sich, dass es eine gewagte Idee der Real-Führung war, Popstars wie David Beckham, Zinedine Zidane, Raúl, Ronaldo, Roberto Carlos oder Luis Figo in einem öffentlichen Verkehrsmittel durchs Land zu schicken. Fast 1000 Menschen drängten sich im Bahnhof Santa Justa, um Reals Weltauswahl, die so genannten Galaktischen, zu empfangen. Mädchen schrien, Mütter schrien, Männer schrien. Als einige Absperrgitter umkippten, geriet die Szenerie fast außer Kontrolle. Nur mühsam gelang es den Polizisten, die fiebrigen Fans zu bändigen. Besonders David Beckham bewegte die Massen. Den Blick stur nach unten gerichtet und umgeben von zwei Leibwächtern, kämpfte sich der Mittelfeldstar Richtung Ausgang. Plötzlich sprang ihm eine junge Frau in den Rücken und krallte sich an seinem Hals fest. Sie brüllte Aiiiih! und ließ erst los, als einer der Bodyguards sie auf den Boden zerrte. (…) Der Rausch um Real Madrid hat eine im Weltsport bislang wohl einmalige Dimension erreicht. Besonders gut lässt sich der tägliche Wahn am Paseo de la Castellana Nummer 66, verfolgen. Dort, nur ein paar hundert Meter vom Bernabéu-Stadion entfernt, residiert im zweiten Stock eines unauffälligen Bürogebäudes die Redaktion der Sportzeitung Marca. Fast zweieinhalb Millionen Menschen greifen jeden Tag zu dem Blatt. Damit ist Marca Spaniens meistgelesene Zeitung. Sechs Seiten über Real sind das Minimum, nach einem Topspiel wie gegen Valencia schwillt die Text- und Bilderorgie schon mal auf 18 Seiten an. Es gibt ein Ressort mit etwa 15 Redakteuren und Fotografen, die sieben Tage in der Woche nichts anderes tun, als Real Madrid zu beackern. Jedes noch so absurde Detail ist titelträchtig. Es genügt, wenn David Beckham am Flughafen Barajas eintrifft und eine Designerjeans trägt, die am rechten Oberschenkel fast durchgescheuert und am linken Knie aufgerissen ist. Tags darauf erscheint Marca mit einem Foto, das sich über die ganze erste Seite zieht und auf dem von Beckham nicht mehr zu sehen sind als seine modischen Lederstiefel und seine akkurat zerschlissene Hose. (…) Dass am Ende der vorigen Trainer Vicente Del Bosque gehen musste, macht die Sache für Real-Experten nicht einfacher. Del Bosque war eine Institution – und hielt die Marca-Wühler mit diskreten Informationen aus dem Innenleben des Glamour-Clubs auf dem Laufenden. Der Rauswurf Del Bosques ist ein gutes Beispiel dafür, wie kompromisslos der Globalisierungsfanatiker Pérez den Mythos Real Madrid ausbeutet und dabei Schlüsselpositionen des Vereins mit Protagonisten besetzt, die eine bestimmte Klientel bedienen oder das Prestige weiterentwickeln sollen. Del Bosque wurde am Tag nach dem Gewinn der Meisterschaft gefeuert. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Real Madrid einen Trainer entlässt, der die üppige Trophäensammlung gerade um einen weiteren Pokal bereichert hat. Auch Jupp Heynckes musste 1998 nach dem Sieg in der Champions League gehen. Bei Del Bosque lag der Fall anders. Von Pérez persönlich hat der Coach bis heute keine Gründe für die Trennung gehört. Die öffentliche Version des Präsidenten lautete: Del Bosque ist sehr traditionell. Wir suchen etwas Moderneres. Dann raunte der Technokrat etwas von Strategie und körperlicher Vorbereitung und davon, dass unsere Mannschaft noch stärker sein wird. Tatsächlich ging es Pérez nicht um die fachlichen Qualitäten Del Bosques. Es ging ihm ums Image. Del Bosque spricht nur Spanisch. Mit seinen geröteten Augen, dem dichten Schnauzbart und dem rundlichen Gesicht wirkte der Trainer immer so, als wäre er aus der kastilischen Hochebene zufällig hineingeraten in die Welt der Schönen und Reichen von Madrid. Del Bosque war nicht telegen genug. Nur das Fernsehen ermöglicht die globale Durchdringung der Märkte – und für den Real-Präsidenten Pérez ist unabdingbar, dass ein Mann, der den Galaktischen an der Außenlinie Instruktionen erteilt, eine gute Figur machen muss. So wie Del Bosques Nachfolger. Carlos Queiroz, 50, geboren in Mosambik, sieht smart aus, parliert in vier Sprachen und besticht durch feine Manieren. Seine bescheidene Biografie als Trainer war bei der Berufung unerheblich.“
Georg Bucher (NZZ 24.2.) schildert die Lage der spanischen Klubs: „Real Sociedad und Celta de Vigo haben auf Anhieb die Achtelfinals der Champions League erreicht. Basken wie Galicier bezahlen diese Performance allerdings im nationalen Wettbewerb. Mit relativ schmalen Kadern ausgestattet, sind sie in der unteren Tabellenhälfte klassiert. Bezeichnend, dass die Equipe „txuri urdin“ aus San Sebastian während der Champions-League-Vorrunde meist einen Abstiegsrang in der Primera Division belegt hatte und ab Mitte Dezember fünf Spiele in Folge gewann. Den guten Lauf bremste eine Niederlage in Saragossa, auch im Derby gegen Athletic Bilbao (1:1) und zuletzt in Sevilla (0:1) waren unbefriedigende Resultate zu verzeichnen. Dennoch sieht der Trainer Raynald Denoueix dem Vergleich mit seinen Landsleuten von Olympique Lyon optimistisch entgegen. Der Spielmacher Alonso zeigt aufsteigende Form und wurde wieder ins Auswahlteam berufen, Aranburu und Gabilondo, wie Alonso Eigengewächse, sind feste Grössen im Mittelfeld, und der 35-jährige Este Karpin wirbelt wie in seinen Glanzzeiten im rechten Couloir. Seit er Barça vergangene Saison aus der Gefahrenzone in einen Uefa-Cup-Rang katapultierte, gilt Radomir Antic als Spezialist für schwierige Missionen. Dieses Image hat dem gelassenen Serben, der schon Real und Atletico Madrid betreute, einen neuen Job in Vigo verschafft. Als Nachfolger des glücklosen Basken Miguel Angel Lotina soll er in erster Linie den Klassenerhalt sichern. Obwohl die Südgalicier im Uefa-Cup schon stärker eingeschätzte englische Teams (Liverpool und Aston Villa) eliminiert hatten, ist ihnen gegen Arsenal die Rolle eines krassen Aussenseiters zugewiesen. Dem Los gewinnt die Direktion indessen nur Positives ab. Einerseits könne Celta unbeschwert aufspielen, andererseits garantiere der Besuch einer Topmannschaft den besten Zahltag dieser Saison im Estadio de Balaidos. Dort erlebte Celta am Samstag nach zwei aufeinander folgenden Siegen einen Rückschlag (0:2 gegen Malaga). Der agile Stürmer Jesuli verletzte sich gleich zu Beginn, aussichtslos wurde die Lage, als Sergio die rote Karte sah und Salva den Penalty verwandelte. Keinesfalls irritiert durch diesen Fauxpas, bleibt Antic seiner Überzeugung treu, nicht den Elefanten im Porzellanladen zu spielen. Deportivo steht auf festerem Grund. Nach dem Remis gegen Atletico Madrid (0:0) haderten die Spieler allerdings mit sich selber und mit dem Schiedsrichter.“
Sehr lesenswert! Birgit Schönau (SZ 24.2.) hat italienisches Fernsehen geschaut: „Am Telefon war der Ministerpräsident in seiner Eigenschaft als Patron des AC Mailand. Am Sonntagabend um 23.10 Uhr schaute Silvio Berlusconi wie Millionen anderer Italiener die Sportschau Domenica Sportiva im Ersten Programm des Staatsfernsehens RAI. Die dort versammelten Journalisten diskutierten gerade das Mailänder Derby, das Berlusconis Milan mit 3:2 (0:2) Toren gegen Inter gewonnen hatte. Da ging das Telefon. „Pronto“, sagte Berlusconi. „Wie ich sehe, redet Ihr gerade über mich.“ Und deshalb wollte der Ministerpräsident mal eben in der Sendung klarstellen, dass 1.) seine Mannschaft stets mit zwei Stürmern zu spielen habe und nicht nur mit einem wie in der unrühmlichen ersten Halbzeit gegen Inter. Dass 2.) er als Präsident, „der mehr gewonnen hat als irgendein anderer in Italien, in Europa und der Welt“ befugt sei, seinem Trainer öffentlich Anweisungen zu geben, weil nämlich 3.) „ich hier die Schecks ausstelle“. Es sei eben, sagte Medienzar Berlusconi, der neben den drei großen Buchverlagen auch noch einen bedeutenden Zeitschriftenverlag und die Tageszeitung Il Giornale besitzt, wie im richtigen Arbeitsleben: „Die Redakteure machen das Spiel, aber der Verleger gibt die Linie vor.“ Milan, erregte sich der erste Tifoso Italiens am Telefon, sei eine Mannschaft „wie Real Madrid, die muss immer nach vorne gehen, immer attackieren“. Forza Milan, Forza Italia. Aber gegen den Meisterschaftsrivalen AS Rom habe man doch nur mit einem Stürmer gewonnen, wagte jemand aus dem Studio zaghaft einzuwerfen. Es gehe ums Image, wurde er prompt abgebügelt. Immerhin hatten die verdatterten Journalisten, darunter ein Abgesandter von Il Giornale, es mit einem Mann zu tun, der Papst Johannes Paul II. das Bonmot serviert hat: „Wir exportieren beide eine siegreiche Idee in die Welt, Heiliger Vater.““
Peter Hartmann (NZZ 24.2.) ergänzt: „Der Adressat seiner Botschaft war nicht der Trainer. Der Image-Virtuose Berlusconi inszenierte seine Polemik vor grossem Publikum, weil er, nicht Milan, Punkte braucht: Seine Popularitätswerte haben den Sinkflug angetreten, im Juni steht die Europawahl an, und die Kommunalbehörden werden erneuert. Die gelähmten, geschmeichelten Sport-Moderatoren wagten den Werbespot des „Cavaliere“ kaum mit Fragen zu stören. Erst nach dem Einwurf des Kommentators Boniek (der Pole, der früher für Juventus und die AS Roma, aber nie für Milan spielte): „Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit“, verabschiedete sich Berlusconi aus der Leitung. Aus dem Off meldete sich eine dunkle, vor Erregung bebende Frauenstimme, vom Dreizentnermann Giampiero Galeazzi geistesgegenwärtig als „grosse Tifosa der AS Roma“ begrüsst: Lucia Annunziata, die oberste Chefin. Doch die Anruferin sprach sogleich Klartext: „Ich bin nicht Anhängerin von irgendeiner Squadra, sondern spreche als Präsidentin der RAI. Ich garantiere für die Ausgeglichenheit des Service public und auch für eure Löhne. Und ich benutze jetzt das gleiche Medium wie zuvor Berlusconi, um dem Ministerpräsidenten zu sagen, dass er sich besser aus unpolitischen Sendungen heraushält. „Lassen Sie die RAI in Ruhe, per favore, Presidente.“ Fast alle Trainer, die unter Berlusconi gearbeitet haben, Liedholm, Sacchi, Capello, Zaccheroni, erinnern sich an personelle Einflüsterungen (die sie diplomatisch überhört oder vergessen haben). Aber fatale Folgen hatte nur eine Intervention: als der Oberexperte im Jahre 2000 nach der EM-Finalniederlage Italiens gegen Frankreich den Commissario tecnico Dino Zoff einen „Versager“ nannte, weil er Zidane nicht durch den Milan- Wadenbeisser Gattuso bewachen liess. Zoff trat beleidigt zurück.“